Bundesfinanzhof entscheidet wiederholt grundgesetzwidrig in Sachen ungültiges Umsatzsteuergesetz

von Kuenstler

Mit Beschluss vom 26.06.2009 haben die Richter am Bundesfinanzhof Dr. Martin, Dr. Nieuwenhuis und Dr. Wäger mit wenigen Worten dafür aber nachhaltig dokumentiert, dass sie alle drei keine Verfassungsfreunde zu sein scheinen.

Entgegen des zwingenden Wortlautes des Artikels 19 Abs. 1 Satz 2 GG, dem so genannten Zitiergebot, haben sie das seit dem 01.01.2002 wegen des fortdauernden Verstoßes gegen das Zitiergebot verstoßende Umsatzsteuergesetz nicht dem Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 GG zwecks deklaratorischer Erklärung der Nichtigkeit des UStG vorgelegt, stattdessen haben sie erklärt, dass das UStG gültig sei.

Die BFH – Entscheidung V B 67/08 dazu wörtlich:

Die Frage, ob das Umsatzsteuergesetz (UStG) insgesamt nichtig ist, da § 27b UStG gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ( GG ) verstößt, ist nicht von grundsätzliche Bedeutung ( § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ). Es ist bereits durch die Rechtsprechung des BFH geklärt, dass selbst eine unterstellte Nichtigkeit von § 27b UStG keine Auswirkung auf andere Vorschriften des UStG hat insbesondere nicht deren Nichtigkeit begründet ( BFH Beschluss vom 12. März 2009 XI B 23, 24/08, nicht veröffentlicht –n.v.–,derzeit www.bundesfinanzhof.de).

Die drei Richter ignorieren grundgesetzwidrig folgende Tatsachen:

1. Das Zitiergebot gemäß Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist eine den Gesetzgeber zwingende Gültigkeitsvorschrift, die sich nicht auf einen Paragraphen, sondern immer auf das förmliche Gesetz bezieht. Zur Erinnerung hier der Satz 2 des Artikels 19 Abs. 1 GG im vollen Wortlaut:

Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

2. Das Zitiergebot wird immer dann ausgelöst, wenn eine Vorschrift eines Gesetzes die Einschränkung eines Freiheitsgrundrechtes im Sinne von Artikel 19 Abs. 1 Satz 1 GG beinhalten / auslösen soll. Auch hier noch einmal der Satz 1 des Artikel 19 Abs. 1 GG im vollen Wortlaut:

Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz all-gemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.

3. Sowohl § 26c als auch § 27b UStG sind Vorschriften eines Gesetzes und keine selbständigen Gesetze. Daher sind beide Vorschriften nur aufgrund ihrer grundrechtseinschränkenden Inhalte die Auslöser des Zitiergebotes gemäß Artikel 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG.

4. Eine Nichtigkeit des § 27b UStG ist eine vom Zitiergebot unabhängig zu stellende und zu beantwortende Frage. Denn das Nichtbeachten der zwingenden grundgesetzlichen Gültigkeitsvorschrift „Zitiergebot“ durch den Gesetzgeber führt nicht zur Nichtigkeit des § 27b, sondern zur Ungültigkeit des gesamten Umsatzsteuergesetzes.

5. Ob der Inhalt des § 27b oder 26c UStG nichtig ist, weil der Inhalt verfassungswidrig ist, ist dann zu klären, wenn ein gültiges Umsatzsteuergesetz dem Bundespräsidenten zum Unterzeichnen gemäß Artikel 82 Abs. 1 GG vorgelegt worden ist. Um die Unterschrift des Bundespräsidenten zu bekommen, muss ein Gesetz nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen sein. Erst dann wird es mit seiner Verkündung in Kraft gesetzt, ansonsten bleibt es ein ungültiges Gesetz.

6. Das Bundesverfassungsgericht hat erstmalig 1953 sich zum Zitiergebot geäußert und dazu in seiner Entscheidung BVerfGE 2, 121ff vom 10.02.1953 -1 BvR 787/52 wie folgt ausgeführt:

„Allerdings ist in § 81 StPO das Grundrecht der persönlichen Freiheit – Art. 2 GG – nicht ausdrücklich bezeichnet, während nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 ein Grundrecht, wenn es durch Gesetz eingeschränkt wird, unter Angabe des Artikels genannt werden muss. Dieses formelle Erfordernis des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, auf das sich die Beschwerdeführerin beruft, hat jedoch nach Sinn und Zweck der Bestimmung nur für die künftige Gesetzgebung Geltung (vgl. hierzu Bonner Kommentar zum GG, 1950, Anm. II 1 f ß zu Art. 19).“

Dank eines aufmerksamen Bibliothekars einer deutschen Universität ist es vor wenigen Wochen noch gelungen, die ursprüngliche vom BverfG damals 1953 zitierte Kommentarstelle im Bonner Kommentar zum GG, 1950, ausfindig zu machen und textlich vollständig zu sichern.

Auszugsweise heißt es in diesem vom Bundesverfassungsgericht zitierten Bonner Kommentar zu GG, 1950:

Art. 19 dient im Wesentlichen dem Schutz der GR. und damit — neben Art. 18 — zugleich der Sicherung der freiheitlichen Demokratie. Während sich aber Art. 18 gegen die von GR.-Trägern herrührende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung wendet, will Art 19 die von den öffentlichen Gewalten — möglicherweise — ausgehende Gefahr bannen.1. In Abs. I sind verschiedene Garantievorschriften für GR. eingebaut. Sie sollen einen gewissen Schutz gegenüber dem Gesetzgeber gewährleisten, Der l. Halbs. von Abs. I 1 behandelt einen bestimmten, tatbestandsmäßig abgegrenzten Kreis von Fällen, in denen für Gesetze zur Vermeidung ihrer Ungültigkeit die durch Halbs. 2 sowie durch Abs. I 2 genau be-zeichneten Gültigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Hierbei handelt es sich einmal um. sachliche, zum anderen um formelle Erfordernisse (vgl. Wolf; JR. 1950, S. 738 r.).

a) Der in Betracht kommende Kreis von Fällen ist im 1. Halbs. durch folgende Worte abgegrenzt; „Soweit nach diesem Grundgesetz ein GR. . . . eingeschränkt werden kann“. In Frage kommen hierbei also diejenigen GR.-Bestimmungen, für die das BGG. einen Gesetzesvorbehalt vorgesehen hat. Welcher Art dieser Gesetzesvorbehalt ist, spielt keine Rolle, Neben dem inhaltlich unbeschränkten kommt ebenso auch der inhaltlich beschränkte Gesetzesvorbehalt in Betracht.

b) Bei den für die Anwendbarkeit des Abs. I in Betracht kommenden Fällen muß es sich um eine Einschränkbarkeit „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ handeln. Diese beiden Begriffe sind — wie auch sonst im GR.-Katalog — als termini technici anzusehen, für die nur förmliche Gesetze, nicht auch VO.- und Gewohnheitsrecht in Frage kommen.

c) Halbs. 2 enthält eine, und zwar die sachliche Gültigkeitsvoraussetzung. In den Fällen des 1. Halbs. nämlich „muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten“. Die Doppelgleisigkeit dieser Gültigkeitsvoraussetzung dürfte jedoch nur scheinbar sein, da dem negativen Erfordernis wohl nur die Bedeutung einer — authentischen — Interpretation des positiv gefassten Erfordernisses zukommt (umgekehrt gilt dasselbe).

d) Für das sachliche Erfordernis des Abs. I 1 ist danach als Ergebnis festzuhalten, daß die Legislative gehalten ist, Gesetze, die — nach dem BGG. zulässige Einschränkungen von GR. selber festlegen („durch Gesetz“) oder solche Einschränkungen durch die beiden anderen öffentlichen Gewalten, nämlich Verwaltung und Rechtsprechung für zulässig erklären („auf Grund eines Gesetzes“), nur mit „allgemeiner“ Geltungskraft zu erlassen.

e) Als weitere Gültigkeitsvoraussetzung ist in Abs, 1 2 bestimmt: „Außerdem muß das Gesetz das GR. unter .Angabe des Art, nennen“. Bei diesem formellen Erfordernis stellt das Wort außerdem klar, daß es sich nicht um eine Alternativ-Voraussetzung, sondern um eine weitere, zu der des Abs. I l hinzutretende Gültigkeitsvoraussetzung handelt. Der Ansicht von v. Mangoldt (a. a. O., Anm. 3 S. 119), diese Bestimmung könne „nur als Formalismus und unnötige Erschwerung- der Arbeit des Gesetzgebers bezeichnet werden“ kann kaum gefolgt werden. Das von v. Mangoldt zur Begründung seiner Ansicht gebrachte Beispiel entbehrt zwar nicht einer gewissen Berechtigung, geht jedoch daran vorbei, daß sich der Verfassunggeber bewußt für einen so weitgehenden GR.-Schutz entschieden hat (vgl. HptA. 47. Sitz. StenBer S. 620 lks., Abg. Dr. Dehler;„Wir wollen diese Fessel des Gesetzgebers . . .“).

Das neuartige Erfordernis des Art. 19 I 2 enthält die Wertung, daß der Schutz des Individuums — nach heutiger Auffassung — wichtiger und höherwertiger sei als die Gültigkeit eines Gesetzes, bei dessen Erlaß — wie in dem von v. Mangoldt (a. a. O. S. 120) angeführten Beispiel — „der Gesetzgeber sich im Augenblick . . . nicht des Eingriffs bewußt geworden ist und daher die Anführung von Art. und GR.“ unterlassen hat. Der Gesetzgeber soll eben nicht mehr in die GR. „unbewußt“ eingreifen dürfen, Er darf es sich jedenfalls dann nicht mehr „bequem“ machen, wenn GR. angetastet werden. Unter der Herrschaft des BGG. sollen Eingriffe in GR. etwas so Außergewöhnliches sein- daß sich der Gesetzgeber dazu nur nach reiflichster Überlegung und in e-ner für jedermann von vornhereinerkennbaren Weise entschließen darf (vgl. hierbei Mannheim bei Nipperdey, GR. usw., Bd. I, 1929, S. 328). In der Kette der Maßnahmen zur Verwirklichung des als maßgeblich erkannten Grundsatzes, jeder nur denkbaren Gefahr einer erneuten Aushöhlung der GR. in wirkungsvollstem Umfange von vornherein zu begegnen, bildet Abs. I2 somit ein nicht unwesentliches Glied (vgl auch Vf. Hess,, 1946, Art. 63 II 1). Für die Gesetzgebung gelegentlich entstehende Schwierigkeiten müssen dabei in Kauf genommen werden. ( Quelle: Bonner Kommentar zum GG 1950, Erstfassung zu Artikel 19 von 1949 von Wernicke )

Die Richter des V. Senates beim BFH hätten aufgrund ihrer juristischen Ausbildung dieses alles wissen müssen, es kann daher unterstellt werden, dass ihr Beschluss in der Sache einem zielorientierten Handeln entspricht, dass jedoch mit den Vorschriften des Grundgesetzes ebenso wenig zu vereinbaren ist wie mit dem von allen deutschen Richtern nach dem deutschen Richtergesetz gemäß § 38 zu leistenden Richteramtseid, in dem es heißt:

“Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.”

7. Gemäß der Entscheidung des BverfG vom 23.10.1951 – 2 BvG 1/51- im 7. Leitsatz < BverfGE 1, 14ff.> muss das BverfG, wenn eine Rechtsvorschrift ( hier das UStG ) mit dem Grundgesetz nicht unvereinbar ist, ihre Gültigkeit positiv feststellen, soweit dieses angängig ist. Das ist immer der Fall, wenn es sich um Bundesrecht handelt. Das UStG ist Bundesrecht. Seit dem 01.01.2002 ist das UStG wegen des Verstoßes gegen das zwingende Zitiergebot gemäß Artikel 19 I 2 GG mit dem Grundgesetz unvereinbar. Spätestens hätte 2008 das BverfG aufgrund der Verfassungsbeschwerde der pro casa GmbH ( 2 BvR 148/08 ) das UStG 1999 in der Fassung vom 01.01.2002 wegen dessen Verstoßes gegen das zwingende Zitiergebot gemäß Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 GG wegen dessen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklären müssen. Weil das BverfG jedoch 2008 nicht positiv festgestellt hat, dass die Rechtsvorschriften des Umsatzsteuergesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar sind, ist im Umkehrschluss die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung dahingehend auszulegen, dass das BverfG nach § 78 BverfGG die Nichtigkeit des Umsatzsteuergesetzes festgestellt hat, weil es das zwingende Zitiergebot gemäß Artikel 19 I 2 GG nicht beachtet hat.

Das alles macht aus den in der Sache V B 67/08 entschieden habenden Richtern am Bundesfinanzhof keine Verfassungsfreunde. Wer auf diese Weise die zwingenden Gültigkeitsvorschriften, die den einfachen Gesetzgeber zwingend binden, suspendiert, macht sich selbst zum Täter. Es ist dringend an der Zeit dem unbekannten Bürger von damals zu gedenken, der es gewagt hatte, dem parlamentarischen Rat 1948 folgendes, dort zu Protokoll genommen, mit Blick auf den Fiskus und seine Machenschaften im Dritten Reich mitzuteilen, damit zukünftig grundgesetzliche Vorschriften solche „kriminellen Machenschaften“ nicht mehr zulassen würden:

Behandlung von Eingaben aus der Bevölkerung, hier die Eingabe 580 in Z 5, 110, Bl. 73, beraten auf der 31. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen 16.12.1948, 13.34 bis 17.08 h:

“Der Einsender hat schlechte Erfahrungen mit Finanzämtern gemacht. Er meint, die Finanzämter gingen so vor, wie ein Bürger im privaten Geschäftsleben wohl nicht vorgehen würde, ohne vor den Strafrichter zu kommen. Er wünscht keine Gesetze und Verordnungen mehr, die so gestaltet sind, dass die allgemeine Rechtsmoral letzten Endes unterhöhlt wird.

Bleibt zum Schluss noch der Hinweis auf einen 2002 verfassten und veröffentlichten Aufsatz “Verfassungsauftrag zur Erneuerung des Steuerrechts” des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Paul Kirchhof hinzuweisen, in dem es heißt:

1. Die Grundrechte schützen den Berechtigten gegenüber der Steuerhoheit in gleicher Weise wie gegenüber jeder anderen Ausübung von Hoheitsbefugnissen. ( Art. 1.3 GG i.V.m. 20.3. GG )2. Der Rechtsgedanke scheint im Steuerrecht verloren gegangen zu sein.

3.I m Steueralltag redet der Finanzbeamte mit dem Steuerpflichtigen weniger über das Gesetz, sondern mehr über seine dienstlichen Anweisungen, über Richtlinien und Erlasse. Er kennt das Gesetz vielfach nicht.

4. Es interessiert ihn ( den Finanzbeamten ) auch nicht, er vollzieht seine dienstlichen Weisungen.

5. Insoweit müssen wir auch im Steuerrecht diesen Rechtsstaat wieder elementar neu errichten.

Wer dieses Werk komplett lesen möchte, findet ihn hier:

http://www.akadem…irchof.pdf

Wie noch vom Empfänger des Beschlusses V B 67/08 heute zu erfahren war, hat er bereits sogleich nach Erhalt dieses Beschlusses gegen die drei Richter am Bundesfinanzhof Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB bei der zuständigen Staatsanwaltschaft erstattet.

Beim BFH war niemand für eine Stellungnahme in der Sache zu erreichen.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.onlinezeitung24.de/article/1992