Ausweisung russischer Diplomaten – der solidarische Blackout

Claudio Michele Mancini

Für jeden Verbrecher gilt in der Hemisphäre demokratischer Staaten vor dem Gesetz so lange die Unschuldsvermutung, bis ein Urteil gesprochen wurde. Auch in England. Unsere Polit-Eliten interessieren sich für solche Petitessen schon lange nicht mehr. Mittlerweile hat man auf den Regierungsbänken Übung beim Ignorieren bestehender Gesetze.

Was schert es Europas Regenten, was in Verfassungen oder Gesetzbüchern geschrieben steht. In vorauseilender Dämlichkeit haben sich die Außenminister von mehr als 20 Staaten darauf geeinigt, ihre Hirntätigkeit – sofern das überhaupt möglich ist -, vollkommen einzustellen und über 100 russische Diplomaten auszuweisen. Nach dem Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal in England arbeitet man gemeinschaftlich an einer politischen Krise, von der niemand sagen kann, ob und wie sie enden wird.

Einzig der österreichische Kanzler Sebastian Kurz stellt sich quer und will an der Eskaltationsschraube nicht mitdrehen. Er erklärte auf dem EU-Gipfel in Brüssel „kurz & knapp: „Russische Diplomaten werden nicht aus Österreich ausgewiesen.“ Am 4. März wurden der 66-jährige ehemalige russische GRU-Agent und Spion Sergej Skripal und seine Tochter Julia in der britischen Stadt Salisbury bewusstlos aufgefunden und mit Anzeichen einer Vergiftung in ein Krankenhaus gebracht, wo beide ins Koma fielen. Medienberichten zufolge sollen durch den Vorfall 21 Personen in Mitleidenschaft gezogen worden.

Wie man leicht recherchieren kann, wurde das besagte Nervengift Novichok nicht in Russland, sondern im damaligen Usbekistan hergestellt. Nach der Peristroika haben die Amerikaner sämtliche Bestände übernommen. Teile davon landeten im Chmiewaffenlabor der britischen Armee in Porto Down, das in unmittelbarer Nähe zum Anschlagsort Salisbury liegt. Da kommt man schon irgendwie ins Grübeln.

Jedenfalls sind die genauen Umstände des Gasangriffes auf den Russen auch heute noch unklar. Sämtliche Beweise, die Theresa May bis heute präsentierte, basieren auf Annahmen, Mutmaßungen und ungesicherten Indizien“, so Kurz weiter. Mit dieser Aussage steht er nicht alleine. London verweigert Moskau ohne Angabe von Gründen den Zugang zu Ermittlungsmaterialien und verstößt damit nach russischen Angaben gegen die Chemiewaffenkonvention. Damit sind wir bei des Pudels Kern. Großbritannien hat nur dann Anspruch auf Bündnissolidarität, wenn es sich an die internationalen Regeln hält und die verlangt hieb und stichfeste Beweise.

Der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen hat das Vorgehen des Westens gegen Russland nach dem Giftanschlag in Großbritannien ebenfalls kritisiert, und zwar mit ähnlicher Intention. Mit Blick auf die Ausweisung russischer Diplomaten durch westliche Staaten sprach der frühere EU-Erweiterungskommissar vom „Beginn einer schweren internationalen Krise“, die außer Kontrolle geraten könne. „Das ist nun wirklich das Letzte, was wir brauchen können.“

Ausgerechnet England, das Europa durch den Brexit in ziemliche Schwierigkeiten gebracht und durch europafeindliches Verhalten bewiesen hat, dass sie kaum ein verlässlicher Kandidat in der Gemeinschaft ist, ausgerechnet Englands Regierung bittet nun Europa um Hilfe bei der Solidargemeinschaft.

Schon dieser Vorgang das ist ein Treppenwitz unterster Kategorie. Hier geht es ganz nach dem Motto: Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber sie war ihm zuzutrauen. Klappe zu, Affe tot. Und weil das so Frau May sagt, muss nun Europa spuren?

Weshalb soll die EU und deren Mitglieder die britische Geheimdienstangaben zum Fall Skripal Glauben schenken? Großbritannien und die USA haben schon vor dem Irak-Krieg 2003 „die ganze Welt belogen“. Selbst in jüngster Vergangenheit belügt der britische Außenminister Boris Johnson während der Brexit-Kampagne seine Gesprächspartner, sodass man kaum noch Wahrheit von Unwahrheit unterscheiden kann. Überhaupt versucht England die Europäer mit Verve und Hartnäckigkeit hinters Licht zu führen. Solidarität ist den Engländern völlig fremd, auch wenn sie sie von den Europäern verlangen.

Mir jedenfalls ist nicht klar, weshalb Russland einen missliebigen Doppelagenten so kompliziert und aufwendig ermorden sollte, wenn das Gift angeblich eindeutig aus russischer Produktion stammt und damit die Spur zu Putin führt? Halten die europäischen Politiker ihre Bürger für komplett verblödet? Eine englische Kugel aus einer amerikanischen Smith & Wesson wäre doch ebenso wirksam. Allerdings genauso idiotisch weil dann Trump als Sündenbock hätte herhalten müssen. Alternativ würde der Mörder aber auch einen Knüppel aus irischem Baumbestand verwendet haben und diesem Skripal in einer düsteren Seitenstraße über den Schädel ziehen können. Ein Grund, den Mord den Katholiken aus Dublin oder der IRA in die Schuhe zu schieben. Ja, ja, so ein Agent hat es halt schwer. Fehlt nur noch die Visitenkarte vom Killer neben der Leiche.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dagegen findet, die Reaktion gegenüber Russland habe eine „sehr eindrucksvolle europäische Solidarität“ bewiesen. Weil es natürlich die Russen waren. Deshalb muss jedermann akzeptieren, dass wir hier auch eine moralische Führungsaufgabe wahrnehmen“, sagte Altmaier. Aha, Deutschland ist wieder einmal die moralische Instanz, der weltumfassende Kümmerer ohnehin. Und weil England es so will, meint unsere Regierung, man müsse klare Kante zeigen und eine handfeste Kriegsbedrohung provozieren. Ich meine, Theresa Bond-May riskiert den Frieden.

Und wie hält es unser aller Außenminister? Wie erwartet. Heiko Maas hat, im Gegensatz zu beispielsweise Österreich oder Ungarn, kein Rückgrat gegenüber den britischen Forderungen gezeigt und eindeutig gegen deutsche Interessen gehandelt. Deutschland hat weder etwas zu gewinnen und sehr viel zu verlieren, wenn es sich von Scharfmachern in einen neuen Kalten Krieg verwickeln lässt. Aber sehen wir es Herrn Maas nach. Er war weder als Justizminister intellektuelles Highlight am Firmament strahlender Denker, noch als Außenminister ein weitsichtiger Stratege. Er ist eben, was er ist.

Ich bin ziemlich sicher, dass der konzertierte Totalausfall jedweder Denkfähigkeit unter den Politikern, von Mister Trump initiiert ist. Logisch dabei wäre die multiple Ausweisung russischer Botschaftsmitglieder, dass das Wohlwollen der USA in Sachen Verrechnung deutscher und europäischer Zölle erkauft werden soll. Schließlich hat man die Freilassung Deniz Yücel auch mit Leopardpanzern bezahlt. Da kann man auch mal ein paar Diplomaten ausweisen. Die Tatsache, dass man in London gerne die zweifelhaften Milliardenvermögen russischer Oligarchen entgegennimmt und in englischen Banken hortet, interessiert genauso wenig wie die Tatsache, dass man sich aus Europa längst verabschiedet hat.

Interessant ist die Einlassung von Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ). Er geht davon aus, dass sich die österreichische Haltung auch bei einer bewiesenen Schuld Russlands am Tod von Sergej Skripal nicht ändern wird. Österreich sei zu „Neutralität“ verpflichtet. Stimmt. Es wird sich nichts ändern, zumal nicht damit zu rechnen ist, dass Regierungen plötzlich die Moralapostel ihrer Nationen werden. Immerhin, in Österreich scheint es noch Politiker zu geben, die ihre Synapsen effektiv einsetzen, was man von den deutschen Kollegen leider nicht behaupten kann.


Quelle und Kommentare hier:
https://www.journalistenwatch.com/2018/03/30/ausweisung-russischer-diplomaten-der-solidarische-blackout/