BuVerf.-Gericht zum Verbot der SRP
Auszug aus Historische Tatsachen Nr. 12 aus 1982
Urteil des Ersten Senats vom 23. Oktober 1952- 1 BvB 1/51
1 in dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Sozialistischen Reichspartei.
Entscheidungsformel:
I. I. Die Sozialistische Reichspartei ist verfassungswidrig.
2. Die Sozialistische Reichspartei wird aufgelöst.
3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Sozialistische Reichspartei zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen . ….
Gründe:
A.
Die Sozialistische Reichspartei (SRP) ist am 2. Oktober 1949 gegründet worden ….
Die SRP gewann zu Anfang ihre Mitglieder zum großen Teil aus der Deutschen Rechtspartei. In einzelnen Fällen traten Orts- und Kreisverbände dieser Partei geschlossen zur SRP über. Die SRP beteiligte sich von 1950 bis 1952 an Wahlen zu verschiedenen Landtagen sowie bei Nachwahlen zum Bundestag. Sie hat hauptsächlich in Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein eine beträchtliche Anzahl von Stimmen gewonnen (z.B. bei den Wahlen zum niedersächsischen Landtag im Mai 1951 rund 11 Prozent der Gesamtstimmenzahl) und im niedersächsischen Landtag 16 von insgesamt 158, in der bremischen Bürgerschaft 8 von insgesamt 100 Abgeordnetensitzen errungen. Im Bundestag war die Partei durch die Abgeordneten Dr. Dorls und „Dr. Franz Richter “ (richtig: Fritz Rößler) vertreten . …
Die politische Tätigkeit der SRP stand von vornherein im Bund wie in den Ländern im Gegensatz zur Regierungspolitik. Während des Jahres 1950 verschärfte sich namentlich die Spannung zwischen der SRP und der Bundesregierung. Die Angriffe der Partei richteten sich in steigendem Maße nicht nur gegen die konkreten politischen Zielsetzungen der Regierung, sondern gegen die Form der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik schlechthin ….
Die Bundesregierung hat beim Bundesverfassungsgericht am 19. November 1951 den im Beschluß vom 4. Mai 1951 angekündigten Antrag gestellt. Sie behauptet, die innere Ordnung der SRP entspreche nicht demokratischen Grundsätzen, beruhe vielmehr auf dem Führerprinzip. Die SRP sei eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. …
Im modernen Staat werden die Machtkämpfe mit dem Ziel, die bestehende Ordnung zu beseitigen, immer weniger offen und mit unmittelbarer Gewalt geführt, vielmehr in steigendem Maße mit den schleichenden Mitteln innerer Zersetzung ….
Werden aber, wie Hitlers Beispiel zeigt, offizielle Erkärungen der Führenden einer verfassungswidrigen Partei zur Verschleierung benützt und wird das Parteiprogramm bewußt „vorsichtig“ gehalten, so sind der Wortlaut des Programms und Loyalitätserklärungen – auf welche die SRP sich zum Gegenbeweis beruft – ohne Beweiswert für die wahren Ziele der Partei.
Ähnlich dem „kalten Krieg“ besteht die moderne Revolution aus einer Unzahl feindseliger Einzelakte, von denen jeder für sich betrachtet verhältnismäßig unbedeutend und nicht notwendig verfassungswidrig erscheint. Erst in der Zusammenschau vieler Einzelakte wird das Ziel deutlich, die bestehende Ordnung zuerst zu untergraben und dann zu beseitigen. Der von der SRP mehrfach wiederholte Einwand, daß es sich mit dieser oder jener Einzelheit bei dieser oder jener Partei ebenso oder ähnlich verhalte wie bei ihr, liegt deshalb neben der Sache, so daß es der Erhebung der hierzu angebotenen Beweise nicht bedurfte.
Nicht auf die Einzelheiten als solche kommt es an, sondern auf die Grundhaltung, aus der sie hervorgehen. Erst die Fülle der Einzelheiten – der Worte und Taten der Führenden und ihrer Anhänger – eröffnet den Weg zur Erkenntnis des Wesens der Partei und des hintergründigen Sinnes ihres Programms …..
Von einer Verkennung der Sach- und Rechtslage zeugen auch alle Versuche der SRP, den Beweiswert von Reden, Briefen und sonstigen Schriftstücken durch den Hinweis herabzusetzen, daß ihre Urheber seinerzeit noch gar nicht Parteimitglieder gewesen (z. B. Hinsch zur Zeit seiner Wahlrede auf einer SRP- Versammlung in Bremen) oder später abgeschüttelt worden seien (z. B. der wegen eines Flaggenskandals ausgeschlossene Ortsverbandsleiter Schmidt), und daß man im Parteivorstand den Inhalt der Beweis stücke nicht gekannt habe (z. B. Dr. Dorls habe die FR-Briefe – vgl. oben S. 9 – nie gelesen), also dafür nicht verantwortlich sei. Art. 21 GG macht nicht nur die Ziele der Patei, sondern auch das Verhalten der „Anhänger“ zum Tatbestandsmerkmal; er rechnet der Partei das Verhalten ihrer Anhänger zu, wohl erkennend, daß die Absichten der Partei sich im Verhalten ihrer Anhänger spiegeln und daß sie durch ihr Wirken dieses Verhalten der Anhänger bestimmt, also die Verantwortung dafür trägt. Zu den Anhängern gehören mindestens ale, die sich für setzen, auch wenn sie nicht Mitglieder sind …..
Schon eine oberflächliche Betrachtung der Führerschicht, des organisatorischen Aufaus, des Programms und des Auftretens der SRP in der Öffentlichkeit legt die Vermutung nahe, daß es sich bei ihr um den Versuch einer Neubelebung rechtsradikaler Ideen handelt, wie sie sich zuletzt im Nationalsozialismus manifestiert habn. Die Beweisaufnahme hat diesen Eindruck bestätigt.
II. a) Die Führungsschicht der SRP setzt sich vorenhmlich aus ehemaligen „alten Kämpfern“ und aktiven Nationalsozialisten zusammen …..
Mögen auch anderwärts noch besonnene Menschen in der SRP die Wiederholung der Politik der NSDAP mit Sorge verfolgt haben, das Gesamtbild der Partei können sie nicht beeinflussen.
e) Die SRP macht zu ihrer Entlastung geltend, daß auch andere Parteien um frühere Nationalsozialisten geworben haben. Als Beispiel hierfür hat sie einen Wahlruf des „Deutschen Wahlblocks“ in Schleswig-Holstein (CDU, DP und FDP) überreicht, dessen Unterzeichner sich als ehemalige Nationalsozialisten bekennen und sich an ehemalige Nationalsozialisten wenden.
Dieser Einwand zeigt, daß die SRP die Sachlage verkennt. Es wird ihr nicht zum Vorwurf gemacht, daß sie sich um frühere Nationalsozialisten bemüht, sondern daß sie gerade die Unbelehrbaren sammelt, die „sich treu geblieben sind“, nicht um positive Kräfte für die Demokratie zu gewinnen, sondern um die nationalsozialistishen Ideen zu erhalten nnd zu verbreiten …..
Ill. a) Der personellen Zusammensetzung der Patei entspricht es, daß auch ihr Organisationsbild dem der NSDAP ähnelt, schon ihre innere Ordnung nicht demokratischen Grundsätzen folgt (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG). Diese demokatischen Grundsätze im einzelnen zu entwickeln, wird Aufgabe des Pateiengesetzes sein. Hier genügt es festzustelen, daß der Aufbau der Partei von unten nach oben erfolgen muß, die Mitglieder also nicht von der Willensbildung ausgeschlossen sein dürfen, und daß die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Mitglieder, sowie die Freiheit von Eintritt und Ausscheiden gewährleistet sein muß. Auch würde es – abgesehen von den strafrechtlichen Folgen – demokratischen Grundsätzen widersprechen, den Parteiführern unbedingten Gehorsam zu versprechen oder ein solches Versprechen abzuverlangen …..
Beide (alte und neue) Satzungen entsprechen nicht demokratischen Grundsätzen.
c) 1. An der Spitze der Partei steht der erste Parteivorsitzende. Er wird von dem Pateirat gewählt, dem er selbst nebst den Parteigründern und vier weiteren auf seinen Vorschlag gewählten Vorstandsmitgliedern angehört. Im übrigen gehören zum Parteirat die von den Landesdelegiertenversammlungen gewählten Landesvorsitzenden. Außerdem kann der Parteivorsitzende noch so viele Mitglieder in den Parteirat berufen, daß er zusammen mit den Parteigründern, den auf seinen Vorschlag gewählten Vorstandsmitgliedern und den von ihm berufenen Mitgliedern stets um eine Stimme das Übergewicht über die Landesvorsitzenden hat.
2. Auf dem Parteitag in Westercelle versuchte man, diese Regelung dadurch abzuschwächen, daß die Parteigründer nur noch für zwei statt für fünf Jahre geborene Mitglieder des Parteirats sein und außerdem ebenso wie die berufenen Parteiatsmitglieder nur beratende und nicht beschließende Stimme haben sollten. Das übergewicht des ersten Parteivorsitzenden wurde jedoch dadurch nur dem Anschein nach gemindert. Abgesehen davon, daß die Parteigründer und die vom ersten Vorsitzenden unmittelbar abhängigen Parteiratsmitglieder auch ohne besondere Stimmrechte einen bedeutenden Einfluß ausüben, sind die Landesverbandsvorsitzenden vom Parteivorstand und damit gleichfalls vom ersten Parteivorsitzenden abhängig. Sie werden zwar von den Delegiertenversammlungen gewählt, bedürfen aber der Bestätigung des Parteivorstandes. Ein etwaiger Einspruch des Parteivorstandes gegen die Wahl eines Landesvorsitzenden kann nur unter sehr erschwerten Voraussetzungen überwunden werden. …
3. über die vom Parteivorstand abhängigen Landesvorsitzenden wird der Einfluß des Parteivorstandes bis in die Ortsgruppen hinein durchgesetzt; denn in gleicher Weise bedürfen die Kreisvorsitzenden, die ihrerseits als Delegiertenversammlung den Landesvorsitzenden wählen, der Bestätigung durch den Landesvorstand, in dem wiederum der Landesvorsitzende den beherrschen den Einfluß hat, da auch ihm das Recht zusteht, zu den drei gewählten Vorstandsmitglieder drei weitere zu berufen. Die Ortsverbandsvorsitzenden bedürfen der Bestätigung des Kreisvorstandes. Durch dieses Bestätigungs- und Berufungsystem ist also der ausschlaggebende Einfluß des Parteivorsitzenden satzungsmäßig gesichert.
4. Nach § 4 der neuen Satzung kann die Aufnahme in die SRP ohne Angabe von Gründen verweigert, der Beitritt also willkürlich beschränkt werden.
§ 20 gibt dem Parteirat das Recht, nach seinem Ermessen ganze Gebietsverbände der Partei aufzulösen ….. .
d) Der in der Satzung erkennbare autoritäre Charakter der Parteiorganisation offenbart sich noch deutlicher in der Parteipraxis.
1. Über die satzungsgemäßen Vorrechte der Parteigründer hinaus wird – nach dem Muster der NSDAP – auch eine Begünstigung der älteren Parteimitglieder angestrebt ….
3. Nach der Satzung kann der Ausschluß eines Mitglieds nur in einem geregelten Ehrenratsverfahren erfolgen. Zahlreiche Urkunden aus dem beschlagnahmten Material beweisen jedoch, daß man sich über diese Bestimmung hinweggesetzt hat, während nicht ein einziger Beweis für die satzungsgemäße Durchführung eines Ausschlußverfahrens gefunden wurde. Vielfach haben überhaupt nichtlegitimierte Funktionäre willkürlich Mitglieder ausgeschlossen (Urk. 21, 22, 23, 23a, 29, 33, 33a, 35). In der Regel erfolgte der Ausschluß durch „einstweilige Verfügung“ des Kreisvorstandes (z. B. Urk. 30 bis 32), die vom Vorsitzenden des Kreisehrenrates gegengezeichnet wurde. Gegen diese einstweilige Verfügung wurde ein Einspruch an den Landesverband gewährt …..
e) Aus diesen Vorgängen wird deutlich, daß in der SRP eine diktatorische Führung von oben nach unten gehandhabt wurde. Aus mehreren Auslassungen ergibt sich, daß die SRP nach Art eines politischen Ordens aufgezogen werden sollte, der auf dem Prinzip des absoluten Gehorsams beruht …..
Diesem Führungssystem entspricht es, daß in der Regel die Funktionäre ernannt und nicht gewählt wurden. Aus einer großen Zahl von Urkunden (z. B. Urk. 24 bis 28) ergibt sich, daß die Ortsverbands- und Kreisvorsitzenden „kommissarisch“ von oben eingesetzt wurden; selbst wenn eine Wahl gemäß der Satzung nachgeholt wurde, war es selbstverständlich, daß die eingesetzten Funktionäre auch gewählt wurden …..
f) Auch die Bildung von Nebenorganisationen, wie der „Reichsfront“, der „Reichsjugend“ und des „Frauenbundes“, geschah ganz offensichtlich nach dem Vorbild der NSDAP. Die Reichsfront war als Kampf- und Kerntruppe nach Art der SA und SS gedacht und wurde auch ähnlich eingeteilt. Das Führerprinzip kam in ihr verstärkt zum Ausdruck. Für die Reichsjugend waren sogar die gleichen Uniformen wie für die HJ vorgesehen, nur mit dem Unterschied, daß die Farbe des Hemdes olivgün statt braun war. Dem Frauenbund waren die gleichen Aufgaben wie die der NS-Frauenschaft und zusätzlich die der NSV zugedacht ….
g) Nach dem oben unter E Gesagten muß die Tatsache, daß die Organisation der SRP auf dem Führerprinzip aufgebaut ist und daß die Satzung und ihre Handhabung demokratischen Grundsätzen weitgehend widerspricht, im Zusammenhang mit der deutlichen Anlehnung der SRP an das Organisationsbild der NSDAP zu dem Schluß führen, daß sie ebenso wie jene danach strebt, die eigene Organisationsstruktur auf den Staat zu übertragen, sobald sie zur Macht gekommen ist, und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen …..
Das Programm zeigt im Gesamtstil aufschlußreiche Ähnlichkeiten mit dem der NSDAP; Wie dieses ergeht es sich weiterhin in Gemeinplätzen, stellt allgemeine Forderungen auf, die Gemeingut nahezu aler Parteien oder gar schon Wirklichkeit sind, und macht den verschiedenen Gruppen des Volkes vage, häufig utopische und miteinander kaum vereinbare wirtschaftliche Versprechungen (z.B. „weitestgehende Sicherung der Ernährung aus den eigenen landwirtschaftlichen Möglichkeiten“ und „volksgebundenen Sozialismus“). Ein klares Bekenntnis zur Demokratie fehlt.
Bei der allgemeinen Unverbindlichkeit des Programms kommt ihm geringer Wert für die Erkenntnis der wahren Ziele der SRP zu. Diese lassen sich vielmehr nur in Verbindung mit den Äußerungen der führenden Funktionäre einigermaßen deutlich erkennen.
Besonders auffällig ist die starke Betonung des Reichsgedankens. Für das deutsche Volk hat die Reichsidee einen besonderen Gefühlswert. Nach den bitteren Erfahrungen der deutschen Geschichte ist sie der Ausdruck der Sehnsucht des deutschen Volkes nach nationaler Einheit. Von dieser, bester deutscher Tradition entsprechenden Reichsidee unterscheidet sich der Reichsgedanke der SRP. Die „Treue zum Reich“ wird im Vorspruch des Aktionsprogramms als oberstes Gesetz für alle Parteimitglieder aufgestellt.
Damit ist nicht das Bekenntnis zum Deutschen Reich als einem gleichberechtigten Glied der europäischen Staatengemeinschaft, also ein vertretbares politisches Ziel gemeint. Eine nähere Betrachtung zeigt vielmehr, daß der Reichsgedanke von der SRP in der spezifischen Tönung verwendet wird, wie er von nationalistischen Literaten und dann vergröbert vom Nationalsozialismus vertreten wurde ….
Eine von Dr. Krüger verfaßte Schrift führt den Titel „Das unzerstörbare Reich“. Hier erscheint deutlich der Reichsmythos, wie er in einem breiten Schrifttum aus den Reihen der Gegner der Weimarer Republik entwickelt wurde. Das Reich wird hier nicht als konkretes Staatsgebilde in einem bestimmten Raum und einer bestimmten historischen Zeit, sondern als verstiegene mythische Inkarnation einer die deutsche Geschichte durchwirkenden Idee gesehen. Darin schwingen Vorstellungen von einer dem deutschen Volke zukommenden besonderen Sendung mit, die sich auf den Höhepunkten der deutschen Geschichte in einer Reichsbildung manifestiert habe. Das so erzeuge Sendungsbewußtsein verbindet sich folgerichtig mit der Lehre von einer Suprematie der „deutschen Rasse“ …..
Dieses wiederhergestellte Reich soll nach einem weiteren Satze des Programms der „stärkste Faktor einer in sich selbst ruhenden Ordnung Mitteleuropas sein, ohne deren Wiederherstellung die Aufrichtung eines politisch selbständigen lebensähigen Europas nicht möglich ist. Nur ein solcher Ordnungsfaktor vermag auch die Loyalität gegenüber den nationalen Minderheiten zu gewährleisten, deren Vorhandensein für den mitteleuropäischen Raum kennzeichnend ist“. Hier wird deutlich der Anspruch der SRP auf eine deutsche Hegemonialstellung in Europa angemeldet und damit Hitlers Plan von einem durch Deutschland beherrschten Großraum wieder aufgenommen …..
c) Das alte Schlagwort „Deutschland erwache“ taucht in Versammlungseinladungen, als Rednerthema und auf Flugblättern wieder auf (z.B. Urk 107). Rotes Papier für Plakate und Flugblätter, die Ausschmückung der Versmmlungssäle mit Emblemen und Fahnen – schwarzer Adler, weißumrandet auf rotem Grund – mahnen schon im äußeren Bild an die Verwandtschaft zur NSDAP. Der von Hitler bevorzugte „Badenweiler Marsch“ wird vom Beziksleiter Glorius den ihm unterstellten Verbänden mit Rundschreiben vom 24. März 1951 (Urk. 157a) ausdrücklich empfohlen. Im allgemeinen wird den Wahreden eine Totenfeier für die im Kriege Gefallenen vorangeschickt: mit getragener Stimme wird ein Gedicht gesprochen, während die Kapelle zur Untermalung „Ich hatt‘ einen Kameraden“ spielt. Damit erweckt man, wie seinerzeit Hitler, in den Zuhörern das Gefühl, als seien die Gefallenen Träger der politischen Ideen der SRP gewesen.
In der mündlichen Verhandlung trat die Gleichartigkeit der Propaganda beider Pateien unverkennbar hervor, als Tonbandaufnahmen von zwei Massenversammlungen der SRP (Hinsch in Bremen und Remer auf dem Dobrugk) vorgeführt wurden. Der Appell an dumpfe Massengefühle, das Hervorrufen einer Stimmung, die das kritische Denken ausschaltet, das Einhämmern schlagwortartiger Sentenzen, die nüchterner überlegung nicht standhalten, ja sogar Stimme, Tonfall und Sprechweise der Redner und der hysterische Beifall einer in Taumel versetzten Menge, alles erschien als Wiederholung gleichartiger nationalsozialistischer Veranstaltun·
gen.
d) Die Ähnlichkeit geht bis in den Wortschatz. Die anderen Parteien, von Hitler ständig als „Systemparteien“ verächtlich gemacht, werden heute mit der gleichen Beharrlichkeit als „Lizenzparteien“ und „Monopolparteien“ bezeichnet, die Regierung als „Lizenzregime“ herabgesetzt; statt „Erfüllungspolitiker“ heißt es heute „Erschöpfungspolitiker“, statt „Plutokraten“ „Lumpokraten“, statt „Novemberverbrecher“ „Landesverräter“. Eine sinnfällige Parallele zwischen der NSDAP und SRP liegt auch in dem von beiden betriebenen Kult mit „Blutzeugen“.
Die SRP sieht als ihre Blutzeugen die sogenannten „Landsberger“ an. Gemeint sind sieben Nationalsozialisten, die in Nürnberg zum Tode verurteilt und später hingerichtet worden sind, weil sie für die Ermordung von Zehntausenden verantwortlich waren …..
f) die NSDAP bediente sich nach dem ersten Weltkrieg der immer wiederholten Dolchstoßlüge, um den von ihr bekämpften Staat als auf Hinterlist und Verrat aufgebaut darstellen und ihm die Verantwortung für die Not und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufbürden zu können, die in Wahrheit eine Folge des verlorenen Krieges waren. Die SRP verbreitet zu dem gleichen Zweck die gleiche Lüge über den Verlauf des zweiten Weltkrieges.
Die Unehrlichkeit der SRP-Propaganda wid an diesem Beispiel besonders deutlich. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß Hitler mit seiner Außenpolitik des Wortbruches und der Erprssung die Welt zu Feinden des deutschen Volkes gemacht hat. Im Krieg gegen diese Übermacht mußte Deutschland erliegen. Durch seine dilettantische Strategie hat Hitler die Niederlage beschleunigt.
Jeder deutsch Soldat weiß aus eigenem Erleben, daß sich die Front gegen Ende des Krieges infolge Fehlens aller Hilfsmittel aufgelöst hat. Trotzdem verbreitet die SRP die neue Dolchstoßlüge, daß auch 1945 die deutsche Wehrmacht unbesiegt geblieben wäre, wenn nicht „Landesverräter“ wie Canaris, der Kreis des 20. Juli, die „Rote Kapelle“ und andere Widerstandsgruppen den Endsieg vereitelt und in den letzten Kriegsjahren auf einen vorzeitigen Zusammenbruch hingarbeitet hätten. Dadurch seien die neuen deutschen Waffen – Düsenjäger, V-Waffen u.ä. -, die das Kriegsglück hätten wenden können, nicht mehr zum Einsatz gekommen …..
Remer gibt weiter zu, häufig von Bonn als der „Befehlsempfangsstation“ gesprochen zu haben. Sofern er das Wort „Verrat“ gebraucht habe, sei es nicht im rechtstechnischen Sinne des Landesverrats gemeint, sonder in dem Sinne, daß die Bundesregierung die Interessen der Bundesrepublik nicht ausreichend wahrnehme. Obwohl er selbst auf Vorhalt zugeben mußte, daß er während und nach seiner Internierung für die kriegsgeschichtliche Abteilung des amerikanischen Hauptquartiers gearbeitet und die Bestätigung erhalten hat, daß „seine Informationen für diese Abteilung von großem Wert und sein Wille zur Zusammenarbeit lobenswert gewesen“ seien, hat er in mehreren öffentlichen Reden den deutschen Generälen, die in der Vorbereitung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beratend tätig sind, angedroht, er werde sie so diffamieren, daß „kein Hund ein Stück Brot von ihnen annehme“.
Diese gehäuften Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen haben mit der verfassungsmäßig gewährleisteten freien Meinungsäußerung und einer echten politischen Opposition nichts mehr zu tun. Sie offenbaren vielmehr die Tendenz, das Vertrauen zu den Repräsentanten der Bundesrepublik in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern, damit ihr zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwürdig erscheine. Dieselbe Methode hat Hitler angewandt, um Demokratie und Freiheit zu beseitigen und eine Diktatur aufzurichten. …
Die Anhängerschaft der SRP fühlt sich also in einem deutlichen Gegensatz zum gegenwärtigen Staat und gefällt sich in der Rolle des Staatsfeindes.
j) Um das Volk für die Idee des autoritären „Führerstaates“ aufnahmebereit zu machen, werden alle an deren Parteien in einer Weise bekämpft, die deutlich darauf abzielt, sie aus dem politischen Leben auszuschalten. Es wird von ihnen in Ausdrücken wie „Eunuchen-Partei und ihre Heloten “ , „Büttel der Besatzungsmächte“ u.ä. gesprochen (Urk.188). Obwohl auch die SRP eine Lizenz bei den Besatzungsmächten beantragt hat, werden die anderen Parteien fortgesetzt als „Lizenzparteien“ bezeichnet.
Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die demokratischen Parteien nicht aus einer freien Entscheidung des Volkes hervorgegangen, sondern von den Besatzungsmächten ins Leben gerufen und deshalb nicht demokratisch legitimiert seien. …
Mit dem Vorwurf, die vitalen Interessen des deutschen Volkes an fremde Mächte zu verraten, wird den anderen Parteien die Daseinsberechtigung abgesprochen und der Anspruch erhoben, als einzige Partei eine wahrhaft deutsche Politik zu betreiben. Diese Angriffe sollen nicht nur die jeweils angegriffene Partei treffen, sondern schlechthin das Mehrparteienprinzip als eine tragende Grundlage der Bundesrepublik untergraben und die Einheitspartei als Trägerin der Diktatur vorbereiten.
k) Dem allen entspricht auch die systematische Mißachtung der Staatsgewalt und der staatlichen Symbole der Bundesrepublik. In demagogischer Weise wird für die Farben schwarz-weiß-rot im Gegensatz zu den Bundesfarben Stimmung gemacht. …
Auch sonst geraten Funktionäre der Antragsgegnerin häufig in Konflikt mit den Strafgesetzen. Gerade gegen führende Männer der Partei läuft eine Reihe von Strafverfahren, die mit ihrer politischen Tätigkeit in Zusammenhang stehen. Mit Selbstverständlichkeit rechnen die Funktionäre damit, daß in absehbarer Zeit noch weitere Parteimitglieder verurteilt werden, und richten deshalb eine zentral geleitete „Kameradschaftshilfe“ für die Familien solcher Mitglieder ein. Der Landesleiter Finke spricht sogar von einer gewaltigen Häufung solcher Prozesse und regt an, eine größere Zahl versierter Juristen auszuwählen, auf die bei diesen Proze ssen zurückgegriffen werden könne (Urk. 209). Kommt es zu Verurteilungen von SRP-Führern, so werden sie als Helden gefeiert (Urk. 162, 211, 212).
…
Eine weitere Konsequenz aus der Gesamteinstellung der SRP ist, daß Anordnungen der Behörden systematisch mißachtet werden. Verbotene Versammlungen werden unter Irreführung der Polizei in Ausweichlokalen durchgeführt.
….
VI.
Die Beweisaufnahme führt in ihrem Ergebnis zu folgenden Feststellungen:
1. Die SRP als politisch e Partei mißachtet, wie das Verhalten ihrer Anhänger ausweist, die wesentlichen Menschenrechte, besonders die Würde des Menschen, das Recht der Persönlichkeit auf freie Entfaltung und Gesetz. Vor allem die von ihr betriebene Wiederbelebung des Antisemitismus belegt das nachdrücklich.
2. Die SRP bekämpft die demokratischen Parteien der Bundesrepublik in einer Weise, die erkennen läßt, daß sie nicht nur in legitimer Art ihr eigenes Programm gegenüber konkurrierenden Parteien in ein helles Licht rücken will, sondern in ihren politischen Zielen darauf ausgeht, die anderen Parteien aus dem politischen Leben auszuschalten. Sie bekämpft also nicht eine jeweils andere Partei, sondern das für die freiheitliche Demokratie wesentliche Mehrparteienprinzip.
3. Die innere Ordnung der SRP wird durch folgende Umstände charakterisiert. Sie ist von oben nach unten im Geiste des Führerprinzips aufgebaut, das hier durch ein streng durchgeführtes Bestätigungs- und Berufungssystem gekennzeichnet ist. Der Eintritt in die Partei ist nicht frei, sondern kann willkürlich verweigert werden. Der Ausschluß aus der Partei kann nach der Satzung durch autoritäre Auflösung ganzer Gebietsverbände geschehen; darüber hinaus wird er gegen Einzelne willkürlich und ohne ordnungsmäßiges Verfahren praktiziert.
4. Die SRP ist in ihrem Programm, ihrer Vorstellungswelt und ihrem Gesamtstil der früheren NSDAP wesensverwandt. Das Programm enthält die gleichen verwaschenen Versprechungen und vermeidet ein Bekenntnis zur Demokratie. In ihrer Vorstellungswelt, wie sie sich aus Äußerungen führender Funktionäre erkennen läßt, kehren der verstiegen mythisierte Reichsgedanke, das überhebliche Sendungsbewußtsein und das Ziel wieder, einen „Großraum“ unter deutscher Hegemonie zu schaffen. Der Gesamtstil zeigt im Großen und bis ins kleinste, ja sogar physiognomische Züge Übereinstimmungen mit dem der NSDAP. Dies erweist sich vornehmlich im Auftreten von Nebenorganisationen, in System und Mitteln der Propaganda, im Kult mit sogenannten Blutzeugen, in der Wiederbelebung der Dolchstoßlüge, in der Vergiftung des politischen Lebens durch systematische Herabsetzung der Regierungsorgane und ihrer Träger, in der selbstgefälligen Übernahme der Rolle des Staatsfeindes, in der Mißachtung der staatlichen Symbole und schließlich der staatlichen Rechtsordnung überhaupt.
…
Mag auch der SRP die Übereinstimmung mit den Zielen und Methoden der NSDAP nicht in allen Einzelheiten nachzuweisen sein, so gebietet doch der auch im Bereich des Politischen gültige Schluß von der Form auf den Inhalt die Folgerung: eine Partei, die einer eindeutig verfassungswidrigen politischen Bewegung der Vergangenheit in ihrer Vorstellungswelt und in allen wesentlichen Formen der Äußerung wesensverwandt ist, wird auch, sofern sie weiterwirken kann, die gleichen oder doch gleichartige Inhalte zu verwirklichen suchen.
…
Mit alledem ist erwiesen, daß die SRP, und zwar seit dem Beginn ihres Wirkens, darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und schließlich zu beseitigen.
H.
1. Die SRP ist somit verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG. Die gesetzlichen Folgen dieser Feststellung ergeben sich aus § 46 Abs. 3 BVerfGG. Die Partei war mithin aufzulösen.
…
Nach § 46 Abs. 3 BVerfGG ist mit der Auflösung der Partei das Verbot zu verbinden, Ersatzorganisationen zu schaffen.
…
die Einziehung des Vermögens ist dem Innenminister des Bundes zu übertragen.