Das Recht, in dem wir leben

BuVerf.-Gericht zum Verbot der SRP

Auszug aus Historische Tatsachen Nr. 12 aus 1982

Urteil des Ersten Senats vom 23. Oktober 1952- 1 BvB 1/51
1 in dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Sozialistischen Reichspartei.
Entscheidungsformel:
I. I. Die Sozialistische Reichspartei ist verfassungswidrig.
2. Die Sozialistische Reichspartei wird aufgelöst.
3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Sozialistische Reichspartei zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen . ….

Gründe:
A.
Die Sozialistische Reichspartei (SRP) ist am 2. Oktober 1949 gegründet worden ….
Die SRP gewann zu Anfang ihre Mitglieder zum großen Teil aus der Deutschen Rechtspartei. In einzelnen Fällen traten Orts­- und Kreisverbände dieser Partei geschlossen zur SRP über. Die SRP beteiligte sich von 1950 bis 1952 an Wahlen zu verschiede­nen Landtagen sowie bei Nachwahlen zum Bundestag. Sie hat hauptsächlich in Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein eine beträchtliche Anzahl von Stimmen gewonnen (z.B. bei den Wahlen zum niedersächsischen Landtag im Mai 1951 rund 11 Prozent der Gesamtstimmenzahl) und im niedersächsischen Land­tag 16 von insgesamt 158, in der bremischen Bürgerschaft 8 von insgesamt 100 Abgeordnetensitzen errungen. Im Bundestag war die Partei durch die Abgeordneten Dr. Dorls und „Dr. Franz Richter “ (richtig: Fritz Rößler) vertreten . …

Die politische Tätigkeit der SRP stand von vornherein im Bund wie in den Ländern im Gegensatz zur Regierungspolitik. Während des Jahres 1950 verschärfte sich namentlich die Spannung zwischen der SRP und der Bundesregierung. Die Angriffe der Partei richteten sich in steigendem Maße nicht nur gegen die konkreten politischen Zielsetzungen der Regierung, sondern gegen die Form der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik schlechthin ….

Die Bundesregierung hat beim Bundesverfassungsgericht am 19. November 1951 den im Beschluß vom 4. Mai 1951 angekün­digten Antrag gestellt. Sie behauptet, die innere Ordnung der SRP entspreche nicht demokratischen Grundsätzen, beruhe vielmehr auf dem Führerprinzip. Die SRP sei eine Nachfolgeorganisation der NSDAP. …

Im modernen Staat werden die Machtkämpfe mit dem Ziel, die bestehende Ordnung zu beseitigen, immer weniger offen und mit unmittelbarer Gewalt geführt, vielmehr in steigendem Maße mit den schleichenden Mitteln innerer Zersetzung ….

Werden aber, wie Hitlers Beispiel zeigt, offizielle Erkärungen der Führenden einer verfassungswidrigen Partei zur Verschleierung benützt und wird das Parteiprogramm bewußt „vorsichtig“ gehal­ten, so sind der Wortlaut des Programms und Loyalitätserklärun­gen – auf welche die SRP sich zum Gegenbeweis beruft – ohne Beweiswert für die wahren Ziele der Partei.

Ähnlich dem „kalten Krieg“ besteht die moderne Revolution aus einer Unzahl feindseliger Einzelakte, von denen jeder für sich betrachtet verhältnismäßig unbedeutend und nicht notwendig verfassungswidrig erscheint. Erst in der Zusammenschau vieler Einzelakte wird das Ziel deutlich, die bestehende Ordnung zuerst zu untergraben und dann zu beseitigen. Der von der SRP mehrfach wiederholte Einwand, daß es sich mit dieser oder jener Einzelheit bei dieser oder jener Partei ebenso oder ähnlich verhalte wie bei ihr, liegt deshalb neben der Sache, so daß es der Erhebung der hierzu angebotenen Beweise nicht bedurfte.

Nicht auf die Einzelheiten als solche kommt es an, sondern auf die Grundhaltung, aus der sie hervorgehen. Erst die Fülle der Einzelheiten – der Worte und Taten der Führenden und ihrer Anhänger – eröffnet den Weg zur Erkenntnis des Wesens der Partei und des hintergründigen Sinnes ihres Programms …..

Von einer Verkennung der Sach- und Rechtslage zeugen auch alle Versuche der SRP, den Beweiswert von Reden, Briefen und sonstigen Schriftstücken durch den Hinweis herabzusetzen, daß ihre Urheber seinerzeit noch gar nicht Parteimitglieder gewesen (z. B. Hinsch zur Zeit seiner Wahlrede auf einer SRP- Versammlung in Bremen) oder später abgeschüttelt worden seien (z. B. der wegen eines Flaggenskandals ausgeschlossene Ortsverbandsleiter Schmidt), und daß man im Parteivorstand den Inhalt der Beweis stücke nicht gekannt habe (z. B. Dr. Dorls habe die FR-Briefe – vgl. oben S. 9 – nie gelesen), also dafür nicht verantwortlich sei. Art. 21 GG macht nicht nur die Ziele der Patei, sondern auch das Verhalten der „Anhänger“ zum Tatbestandsmerkmal; er rechnet der Partei das Verhalten ihrer Anhänger zu, wohl erkennend, daß die Absichten der Partei sich im Verhalten ihrer Anhänger spiegeln und daß sie durch ihr Wirken dieses Verhalten der Anhänger bestimmt, also die Verantwortung dafür trägt. Zu den Anhängern gehören mindestens ale, die sich für setzen, auch wenn sie nicht Mitglieder sind …..

Schon eine oberflächliche Betrachtung der Führerschicht, des organisatorischen Aufaus, des Programms und des Auftretens der SRP in der Öffentlichkeit legt die Vermutung nahe, daß es sich bei ihr um den Versuch einer Neubelebung rechtsradikaler Ideen handelt, wie sie sich zuletzt im Nationalsozialismus manifestiert habn. Die Beweisaufnahme hat diesen Eindruck bestätigt.
II. a) Die Führungsschicht der SRP setzt sich vorenhmlich aus ehemaligen „alten Kämpfern“ und aktiven Nationalsozialisten zusammen …..
Mögen auch anderwärts noch besonnene Menschen in der SRP die Wiederholung der Politik der NSDAP mit Sorge verfolgt haben, das Gesamtbild der Partei können sie nicht beeinflussen.
e) Die SRP macht zu ihrer Entlastung geltend, daß auch andere Parteien um frühere Nationalsozialisten geworben haben. Als Beispiel hierfür hat sie einen Wahlruf des „Deutschen Wahlblocks“ in Schleswig-Holstein (CDU, DP und FDP) überreicht, dessen Unterzeichner sich als ehemalige Nationalsozialisten bekennen und sich an ehemalige Nationalsozialisten wenden.

Dieser Einwand zeigt, daß die SRP die Sachlage verkennt. Es wird ihr nicht zum Vorwurf gemacht, daß sie sich um frühere Nationalsozialisten bemüht, sondern daß sie gerade die Unbelehr­baren sammelt, die „sich treu geblieben sind“, nicht um positive Kräfte für die Demokratie zu gewinnen, sondern um die national­sozialistishen Ideen zu erhalten nnd zu verbreiten …..

Ill. a) Der personellen Zusammensetzung der Patei entspricht es, daß auch ihr Organisationsbild dem der NSDAP ähnelt, schon ihre innere Ordnung nicht demokratischen Grundsätzen folgt (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG). Diese demokatischen Grundsätze im einzelnen zu entwickeln, wird Aufgabe des Pateiengesetzes sein. Hier genügt es festzustelen, daß der Aufbau der Partei von unten nach oben erfolgen muß, die Mitglieder also nicht von der Willensbildung ausgeschlossen sein dürfen, und daß die grundsätz­liche Gleichwertigkeit der Mitglieder, sowie die Freiheit von Eintritt und Ausscheiden gewährleistet sein muß. Auch würde es – abgesehen von den strafrechtlichen Folgen – demokratischen Grundsätzen widersprechen, den Parteiführern unbedingten Ge­horsam zu versprechen oder ein solches Versprechen abzuver­langen …..

Beide (alte und neue) Satzungen entsprechen nicht demokra­tischen Grundsätzen.

c) 1. An der Spitze der Partei steht der erste Parteivorsitzende. Er wird von dem Pateirat gewählt, dem er selbst nebst den Parteigründern und vier weiteren auf seinen Vorschlag gewählten Vorstandsmitgliedern angehört. Im übrigen gehören zum Parteirat die von den Landesdelegiertenversammlungen gewählten Landes­vorsitzenden. Außerdem kann der Parteivorsitzende noch so viele Mitglieder in den Parteirat berufen, daß er zusammen mit den Parteigründern, den auf seinen Vorschlag gewählten Vorstands­mitgliedern und den von ihm berufenen Mitgliedern stets um eine Stimme das Übergewicht über die Landesvorsitzenden hat.

2. Auf dem Parteitag in Westercelle versuchte man, diese Regelung dadurch abzuschwächen, daß die Parteigründer nur noch für zwei statt für fünf Jahre geborene Mitglieder des Parteirats sein und außerdem ebenso wie die berufenen Parteiatsmitglieder nur beratende und nicht beschließende Stimme haben sollten. Das übergewicht des ersten Parteivorsitzenden wurde jedoch dadurch nur dem Anschein nach gemindert. Abgesehen davon, daß die Parteigründer und die vom ersten Vorsitzenden unmittelbar ab­hängigen Parteiratsmitglieder auch ohne besondere Stimmrechte einen bedeutenden Einfluß ausüben, sind die Landesverbandsvor­sitzenden vom Parteivorstand und damit gleichfalls vom ersten Parteivorsitzenden abhängig. Sie werden zwar von den Delegier­tenversammlungen gewählt, bedürfen aber der Bestätigung des Parteivorstandes. Ein etwaiger Einspruch des Parteivorstandes gegen die Wahl eines Landesvorsitzenden kann nur unter sehr erschwerten Voraussetzungen überwunden werden. …

3. über die vom Parteivorstand abhängigen Landesvorsitzenden wird der Einfluß des Parteivorstan­des bis in die Ortsgruppen hinein durchgesetzt; denn in gleicher Weise bedürfen die Kreisvorsitzenden, die ihrerseits als Delegiertenversammlung den Landesvorsitzenden wäh­len, der Bestätigung durch den Lan­desvorstand, in dem wiederum der Landesvorsitzende den beherrschen­ den Einfluß hat, da auch ihm das Recht zusteht, zu den drei gewähl­ten Vorstandsmitglieder drei weite­re zu berufen. Die Ortsverbandsvor­sitzenden bedürfen der Bestätigung des Kreisvorstandes. Durch dieses Bestätigungs- und Berufungsystem ist also der ausschlaggebende Ein­fluß des Parteivorsitzenden satz­ungsmäßig gesichert.

4. Nach § 4 der neuen Satzung kann die Aufnahme in die SRP ohne Angabe von Gründen verweigert, der Beitritt also willkürlich beschränkt werden.
§ 20 gibt dem Parteirat das Recht, nach seinem Ermessen ganze Gebietsverbände der Partei aufzulösen ….. .

d) Der in der Satzung erkennbare autoritäre Charakter der Parteiorganisation offenbart sich noch deutlicher in der Partei­praxis.
1. Über die satzungsgemäßen Vorrechte der Parteigründer hinaus wird – nach dem Muster der NSDAP – auch eine Begünstigung der älteren Parteimitglieder angestrebt ….

3. Nach der Satzung kann der Ausschluß eines Mitglieds nur in einem geregelten Ehrenratsverfahren erfolgen. Zahlreiche Urkun­den aus dem beschlagnahmten Material beweisen jedoch, daß man sich über diese Bestimmung hinweggesetzt hat, während nicht ein einziger Beweis für die satzungsgemäße Durchführung eines Aus­schlußverfahrens gefunden wurde. Vielfach haben überhaupt nichtlegitimierte Funktionäre willkürlich Mitglieder ausgeschlos­sen (Urk. 21, 22, 23, 23a, 29, 33, 33a, 35). In der Regel erfolgte der Ausschluß durch „einstweilige Verfügung“ des Kreisvorstan­des (z. B. Urk. 30 bis 32), die vom Vorsitzenden des Kreisehren­rates gegengezeichnet wurde. Gegen diese einstweilige Verfügung wurde ein Einspruch an den Landesverband gewährt …..

e) Aus diesen Vorgängen wird deutlich, daß in der SRP eine diktatorische Führung von oben nach unten gehandhabt wurde. Aus mehreren Auslassungen ergibt sich, daß die SRP nach Art eines politischen Ordens aufgezogen werden sollte, der auf dem Prinzip des absoluten Gehorsams beruht …..

Diesem Führungssystem entspricht es, daß in der Regel die Funktionäre ernannt und nicht gewählt wurden. Aus einer großen Zahl von Urkunden (z. B. Urk. 24 bis 28) ergibt sich, daß die Ortsverbands- und Kreisvorsitzenden „kommissarisch“ von oben eingesetzt wurden; selbst wenn eine Wahl gemäß der Satzung nachgeholt wurde, war es selbstverständlich, daß die eingesetzten Funktionäre auch gewählt wurden …..

f) Auch die Bildung von Nebenorganisationen, wie der „Reichsfront“, der „Reichsjugend“ und des „Frauenbundes“, geschah ganz offensichtlich nach dem Vorbild der NSDAP. Die Reichsfront war als Kampf- und Kerntruppe nach Art der SA und SS gedacht und wurde auch ähnlich eingeteilt. Das Führerprinzip kam in ihr verstärkt zum Ausdruck. Für die Reichsjugend waren sogar die gleichen Uniformen wie für die HJ vorgesehen, nur mit dem  Unterschied,  daß  die  Farbe  des  Hemdes  olivgün  statt  braun war.  Dem  Frauenbund  waren  die  gleichen  Aufgaben  wie  die  der NS-Frauenschaft  und  zusätzlich  die  der  NSV  zugedacht  ….

g)  Nach dem  oben unter  E  Gesagten  muß  die Tatsache,  daß  die Organisation  der  SRP  auf  dem  Führerprinzip aufgebaut  ist  und daß  die  Satzung  und  ihre  Handhabung  demokratischen  Grund­sätzen  weitgehend  widerspricht,  im  Zusammenhang  mit  der  deut­lichen  Anlehnung  der  SRP  an  das  Organisationsbild  der  NSDAP zu  dem  Schluß  führen,  daß  sie  ebenso  wie  jene  danach  strebt,  die eigene  Organisationsstruktur  auf  den  Staat  zu  übertragen,  sobald sie  zur  Macht  gekommen  ist,  und  damit  die  freiheitliche  demo­kratische  Grundordnung  zu  beseitigen  …..

Das  Programm  zeigt  im  Gesamtstil  aufschlußreiche  Ähnlich­keiten  mit  dem  der  NSDAP;  Wie  dieses  ergeht  es  sich  weiterhin  in Gemeinplätzen,  stellt  allgemeine  Forderungen  auf,  die  Gemeingut nahezu  aler  Parteien  oder  gar  schon  Wirklichkeit  sind,  und  macht den  verschiedenen  Gruppen des  Volkes  vage,  häufig  utopische und miteinander  kaum  vereinbare  wirtschaftliche  Versprechungen (z.B.  „weitestgehende  Sicherung  der  Ernährung  aus  den  eigenen landwirtschaftlichen  Möglichkeiten“  und  „volksgebundenen  So­zialismus“).  Ein  klares  Bekenntnis  zur  Demokratie  fehlt.

Bei  der allgemeinen  Unverbindlichkeit  des  Programms  kommt  ihm  gerin­ger  Wert  für  die  Erkenntnis  der  wahren  Ziele  der  SRP  zu.  Diese lassen  sich  vielmehr  nur  in  Verbindung  mit  den  Äußerungen  der führenden  Funktionäre  einigermaßen  deutlich  erkennen.

Besonders  auffällig  ist  die  starke  Betonung  des  Reichsgedan­kens.  Für  das  deutsche  Volk  hat  die  Reichsidee  einen  besonderen Gefühlswert.  Nach  den  bitteren  Erfahrungen  der  deutschen  Ge­schichte  ist  sie  der  Ausdruck der  Sehnsucht  des  deutschen Volkes nach  nationaler  Einheit.  Von  dieser,  bester  deutscher  Tradition entsprechenden  Reichsidee  unterscheidet  sich  der  Reichsgedanke der  SRP.  Die  „Treue  zum  Reich“  wird  im  Vorspruch  des  Aktions­programms  als  oberstes  Gesetz  für  alle  Parteimitglieder  aufgestellt.

Damit  ist  nicht  das  Bekenntnis  zum  Deutschen  Reich  als  einem gleichberechtigten  Glied  der  europäischen  Staatengemeinschaft, also  ein  vertretbares politisches  Ziel  gemeint. Eine nähere Betrach­tung  zeigt  vielmehr,  daß  der  Reichsgedanke  von  der  SRP  in  der spezifischen  Tönung  verwendet  wird,  wie  er  von  nationalistischen Literaten  und  dann  vergröbert  vom  Nationalsozialismus  vertreten wurde  ….

Eine  von  Dr.  Krüger  verfaßte  Schrift  führt  den  Titel  „Das unzerstörbare  Reich“.  Hier  erscheint  deutlich  der  Reichsmythos, wie  er  in  einem  breiten  Schrifttum  aus  den  Reihen  der  Gegner  der Weimarer  Republik  entwickelt  wurde.  Das  Reich  wird  hier  nicht als  konkretes  Staatsgebilde  in  einem  bestimmten  Raum  und  einer bestimmten  historischen  Zeit,  sondern  als  verstiegene  mythische Inkarnation  einer  die  deutsche  Geschichte  durchwirkenden  Idee gesehen.  Darin  schwingen  Vorstellungen  von  einer  dem  deutschen Volke  zukommenden  besonderen  Sendung  mit,  die  sich  auf  den Höhepunkten  der  deutschen  Geschichte  in  einer  Reichsbildung manifestiert  habe.  Das  so  erzeuge  Sendungsbewußtsein  verbindet sich  folgerichtig  mit  der  Lehre  von  einer  Suprematie  der  „deut­schen  Rasse“  …..

Dieses  wiederhergestellte  Reich  soll  nach  einem  weiteren  Satze des  Programms  der  „stärkste  Faktor  einer  in  sich  selbst  ruhenden Ordnung  Mitteleuropas  sein,  ohne  deren  Wiederherstellung  die Aufrichtung  eines  politisch  selbständigen  lebensähigen  Europas nicht  möglich  ist.  Nur  ein  solcher  Ordnungsfaktor  vermag  auch die  Loyalität  gegenüber  den  nationalen  Minderheiten  zu  gewähr­leisten,  deren  Vorhandensein  für  den  mitteleuropäischen  Raum kennzeichnend  ist“.  Hier  wird  deutlich  der  Anspruch  der  SRP  auf eine  deutsche  Hegemonialstellung  in  Europa  angemeldet  und damit  Hitlers  Plan  von  einem  durch  Deutschland  beherrschten Großraum  wieder  aufgenommen …..

c)  Das  alte  Schlagwort  „Deutschland  erwache“  taucht  in Versammlungseinladungen,  als  Rednerthema  und  auf  Flugblättern wieder  auf  (z.B.  Urk  107).  Rotes  Papier  für  Plakate  und  Flug­blätter,  die  Ausschmückung  der  Versmmlungssäle  mit  Emblemen und  Fahnen – schwarzer  Adler,  weißumrandet  auf  rotem  Grund – mahnen  schon  im  äußeren  Bild  an  die  Verwandtschaft  zur NSDAP.  Der  von  Hitler  bevorzugte  „Badenweiler  Marsch“  wird vom  Beziksleiter  Glorius  den  ihm  unterstellten  Verbänden  mit Rundschreiben  vom  24.  März  1951  (Urk.  157a)  ausdrücklich empfohlen.  Im  allgemeinen  wird  den  Wahreden  eine  Totenfeier für  die  im  Kriege  Gefallenen  vorangeschickt:  mit  getragener Stimme  wird  ein  Gedicht  gesprochen,  während  die  Kapelle  zur Untermalung  „Ich  hatt‘  einen  Kameraden“  spielt.  Damit erweckt man,  wie  seinerzeit  Hitler,  in  den  Zuhörern  das  Gefühl,  als  seien die  Gefallenen  Träger  der  politischen  Ideen  der  SRP  gewesen.

In der  mündlichen  Verhandlung  trat  die  Gleichartigkeit  der  Propaganda  beider  Pateien  unverkennbar  hervor,  als  Tonbandaufnahmen  von  zwei  Massenversammlungen  der  SRP  (Hinsch  in  Bremen und  Remer  auf  dem  Dobrugk)  vorgeführt  wurden.  Der  Appell an dumpfe  Massengefühle,  das  Hervorrufen  einer  Stimmung,  die  das kritische  Denken  ausschaltet,  das  Einhämmern  schlagwortartiger Sentenzen,  die  nüchterner  überlegung  nicht  standhalten,  ja  sogar Stimme,  Tonfall  und  Sprechweise  der  Redner  und  der  hysterische Beifall  einer  in  Taumel  versetzten  Menge,  alles  erschien  als Wiederholung  gleichartiger  nationalsozialistischer  Veranstaltun·
gen.

d)  Die  Ähnlichkeit  geht  bis  in  den  Wortschatz.  Die  anderen Parteien,  von  Hitler  ständig  als  „Systemparteien“  verächtlich gemacht,  werden  heute  mit  der  gleichen  Beharrlichkeit  als  „Lizenzparteien“  und  „Monopolparteien“  bezeichnet,  die  Regierung als  „Lizenzregime“  herabgesetzt;  statt  „Erfüllungspolitiker“  heißt es  heute  „Erschöpfungspolitiker“,  statt  „Plutokraten“  „Lumpo­kraten“,  statt  „Novemberverbrecher“  „Landesverräter“. Eine  sinnfällige  Parallele  zwischen  der  NSDAP  und  SRP  liegt auch  in  dem  von  beiden  betriebenen  Kult  mit  „Blutzeugen“.

Die SRP  sieht  als  ihre  Blutzeugen  die  sogenannten „Landsberger“  an. Gemeint  sind  sieben  Nationalsozialisten,  die  in  Nürnberg  zum Tode  verurteilt  und  später  hingerichtet  worden  sind,  weil  sie  für die  Ermordung  von  Zehntausenden  verantwortlich waren  …..

f)  die  NSDAP  bediente  sich  nach  dem  ersten  Weltkrieg  der immer  wiederholten  Dolchstoßlüge,  um  den  von  ihr  bekämpften Staat  als  auf  Hinterlist  und  Verrat  aufgebaut  darstellen  und  ihm die  Verantwortung  für  die Not  und  die wirtschaftlichen  Schwierigkeiten  aufbürden  zu  können,  die  in  Wahrheit  eine  Folge  des verlorenen  Krieges  waren.  Die  SRP  verbreitet  zu  dem  gleichen Zweck  die  gleiche  Lüge  über  den  Verlauf  des  zweiten Weltkrieges.

Die  Unehrlichkeit  der  SRP-Propaganda  wid  an diesem  Beispiel besonders  deutlich.  Es  ist  eine  geschichtliche  Tatsache,  daß  Hitler mit  seiner  Außenpolitik  des  Wortbruches  und  der  Erprssung  die Welt  zu  Feinden  des  deutschen  Volkes  gemacht  hat.  Im  Krieg gegen  diese  Übermacht  mußte  Deutschland  erliegen.  Durch  seine dilettantische  Strategie  hat  Hitler  die  Niederlage  beschleunigt.

Jeder  deutsch  Soldat  weiß  aus  eigenem  Erleben,  daß  sich  die Front  gegen  Ende  des  Krieges  infolge  Fehlens  aller  Hilfsmittel aufgelöst  hat.  Trotzdem  verbreitet  die  SRP  die  neue  Dolchstoßlüge,  daß  auch  1945  die  deutsche Wehrmacht  unbesiegt  geblieben wäre,  wenn  nicht  „Landesverräter“  wie  Canaris,  der  Kreis  des  20. Juli,  die  „Rote  Kapelle“  und  andere  Widerstandsgruppen  den Endsieg  vereitelt  und  in  den  letzten  Kriegsjahren  auf  einen vorzeitigen Zusammenbruch  hingarbeitet  hätten.  Dadurch  seien die  neuen  deutschen  Waffen  – Düsenjäger,  V-Waffen  u.ä.  -,  die das  Kriegsglück  hätten  wenden  können,  nicht  mehr  zum  Einsatz gekommen …..

Remer  gibt  weiter  zu,  häufig  von  Bonn  als  der  „Befehlsempfangsstation“  gesprochen  zu  haben.  Sofern  er  das  Wort „Verrat“  gebraucht  habe,  sei  es  nicht  im rechtstechnischen  Sinne des  Landesverrats  gemeint,  sonder  in  dem  Sinne,  daß  die Bundesregierung die Interessen der Bundesrepublik nicht ausreichend wahrnehme. Obwohl er selbst auf Vorhalt zugeben mußte, daß er während und nach seiner Internierung für die kriegsgeschichtliche Abteilung des amerikanischen Hauptquartiers gearbeitet und die Bestätigung erhalten hat, daß „seine Informationen für diese Abteilung von großem Wert und sein Wille zur Zusammenarbeit lobenswert gewesen“ seien, hat er in mehreren öffentlichen Reden den deutschen Generälen, die in der Vorbereitung der Europäi­schen Verteidigungsgemeinschaft beratend tätig sind, angedroht, er werde sie so diffamieren, daß „kein Hund ein Stück Brot von ihnen annehme“.

Diese gehäuften Beschimpfungen, Verdächtigungen und Ver­leumdungen haben mit der verfassungsmäßig gewährleisteten freien Meinungsäußerung und einer echten politischen Opposition nichts mehr zu tun. Sie offenbaren vielmehr die Tendenz, das Vertrauen zu den Repräsentanten der Bundesrepublik in der Bevölkerung von Grund auf zu erschüttern, damit ihr zugleich die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwürdig erscheine. Dieselbe Methode hat Hitler angewandt, um Demokra­tie und Freiheit zu beseitigen und eine Diktatur aufzurichten. …

Die Anhängerschaft der SRP fühlt sich also in einem deutlichen Gegensatz zum gegenwärtigen Staat und gefällt sich in der Rolle des Staatsfeindes.
j) Um das Volk für die Idee des autoritären „Führerstaates“ aufnahmebereit zu machen, werden alle an deren Parteien in einer Weise bekämpft, die deutlich darauf abzielt, sie aus dem politi­schen Leben auszuschalten. Es wird von ihnen in Ausdrücken wie „Eunuchen-Partei und ihre Heloten “ , „Büttel der Besatzungs­mächte“ u.ä. gesprochen (Urk.188). Obwohl auch die SRP eine Lizenz bei den Besatzungsmächten beantragt hat, werden die anderen Parteien fortgesetzt als „Lizenzparteien“ bezeichnet.

Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die demokrati­schen Parteien nicht aus einer freien Entscheidung des Volkes hervorgegangen, sondern von den Besatzungsmächten ins Leben gerufen und deshalb nicht demokratisch legitimiert seien. …

Mit dem Vorwurf, die vitalen Interessen des deutschen Volkes an fremde Mächte zu verraten, wird den anderen Parteien die Daseinsberechtigung abgesprochen und der Anspruch erhoben, als einzige Partei eine wahrhaft deutsche Politik zu betreiben. Diese Angriffe sollen nicht nur die jeweils angegriffene Partei treffen, sondern schlechthin das Mehrparteienprinzip als eine tragende Grundlage der Bundesrepublik untergraben und die Einheitspartei als Trägerin der Diktatur vorbereiten.

k) Dem allen entspricht auch die systematische Mißachtung der Staatsgewalt und der staatlichen Symbole der Bundesrepublik. In demagogischer Weise wird für die Farben schwarz-weiß-rot im Gegensatz zu den Bundesfarben Stimmung gemacht. …

Auch sonst geraten Funktionäre der Antragsgegnerin häufig in Konflikt mit den Strafgesetzen. Gerade gegen führende Männer der Partei läuft eine Reihe von Strafverfahren, die mit ihrer politischen Tätigkeit in Zusammenhang stehen. Mit Selbstver­ständlichkeit rechnen die Funktionäre damit, daß in absehbarer Zeit noch weitere Parteimitglieder verurteilt werden, und richten deshalb eine zentral geleitete „Kameradschaftshilfe“ für die Fa­milien solcher Mitglieder ein. Der Landesleiter Finke spricht sogar von einer gewaltigen Häufung solcher Prozesse und regt an, eine größere Zahl versierter Juristen auszuwählen, auf die bei diesen Proze ssen zurückgegriffen werden könne (Urk. 209). Kommt es zu Verurteilungen von SRP-Führern, so werden sie als Helden gefeiert (Urk. 162, 211, 212).

Eine weitere Konsequenz aus der Gesamteinstellung der SRP ist, daß Anordnungen der Behörden systematisch mißachtet werden. Verbotene Versammlungen werden unter Irreführung der Polizei in Ausweichlokalen durchgeführt.
….

VI.
Die Beweisaufnahme führt in ihrem Ergebnis zu folgenden Feststellungen:
1. Die SRP als politisch e Partei mißachtet, wie das Verhalten ihrer Anhänger ausweist, die wesentlichen Menschenrechte, be­sonders die Würde des Menschen, das Recht der Persönlichkeit auf freie Entfaltung und Gesetz. Vor allem die von ihr betriebene Wiederbelebung des Antisemitismus belegt das nachdrücklich.

2. Die SRP bekämpft die demokratischen Parteien der Bundes­republik in einer Weise, die erkennen läßt, daß sie nicht nur in legitimer Art ihr eigenes Programm gegenüber konkurrierenden Parteien in ein helles Licht rücken will, sondern in ihren politi­schen Zielen darauf ausgeht, die anderen Parteien aus dem politischen Leben auszuschalten. Sie bekämpft also nicht eine jeweils andere Partei, sondern das für die freiheitliche Demokratie wesentliche Mehrparteienprinzip.

3. Die innere Ordnung der SRP wird durch folgende Umstände charakterisiert. Sie ist von oben nach unten im Geiste des Führerprinzips aufgebaut, das hier durch ein streng durchgeführtes Bestätigungs- und Berufungssystem gekennzeichnet ist. Der Ein­tritt in die Partei ist nicht frei, sondern kann willkürlich verwei­gert werden. Der Ausschluß aus der Partei kann nach der Satzung durch autoritäre Auflösung ganzer Gebietsverbände geschehen; darüber hinaus wird er gegen Einzelne willkürlich und ohne ordnungsmäßiges Verfahren praktiziert.

4. Die SRP ist in ihrem Programm, ihrer Vorstellungswelt und ihrem Gesamtstil der früheren NSDAP wesensverwandt. Das Pro­gramm enthält die gleichen verwaschenen Versprechungen und vermeidet ein Bekenntnis zur Demokratie. In ihrer Vorstellungs­welt, wie sie sich aus Äußerungen führender Funktionäre er­kennen läßt, kehren der verstiegen mythisierte Reichsgedanke, das überhebliche Sendungsbewußtsein und das Ziel wieder, einen „Großraum“ unter deutscher Hegemonie zu schaffen. Der Ge­samtstil zeigt im Großen und bis ins kleinste, ja sogar physio­gnomische Züge Übereinstimmungen mit dem der NSDAP. Dies erweist sich vornehmlich im Auftreten von Nebenorganisationen, in System und Mitteln der Propaganda, im Kult mit sogenannten Blutzeugen, in der Wiederbelebung der Dolchstoßlüge, in der Vergiftung des politischen Lebens durch systematische Herab­setzung der Regierungsorgane und ihrer Träger, in der selbstgefäl­ligen Übernahme der Rolle des Staatsfeindes, in der Mißachtung der staatlichen Symbole und schließlich der staatlichen Rechts­ordnung überhaupt.

Mag auch der SRP die Übereinstimmung mit den Zielen und Methoden der NSDAP nicht in allen Einzelheiten nachzuweisen sein, so gebietet doch der auch im Bereich des Politischen gültige Schluß von der Form auf den Inhalt die Folgerung: eine Partei, die einer eindeutig verfassungswidrigen politischen Bewegung der Vergangenheit in ihrer Vorstellungswelt und in allen wesentlichen Formen der Äußerung wesensverwandt ist, wird auch, sofern sie weiterwirken kann, die gleichen oder doch gleichartige Inhalte zu verwirklichen suchen.

Mit alledem ist erwiesen, daß die SRP, und zwar seit dem Beginn ihres Wirkens, darauf ausgeht, die freiheitliche demokrati­sche Grundordnung zu beeinträchtigen und schließlich zu beseitigen.

H.
1. Die SRP ist somit verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG. Die gesetzlichen Folgen dieser Feststellung ergeben sich aus § 46 Abs. 3 BVerfGG. Die Partei war mithin aufzu­lösen.

Nach § 46 Abs. 3 BVerfGG ist mit der Auflösung der Partei das Verbot zu verbinden, Ersatzorganisationen zu schaffen.

die Einziehung des Vermögens ist dem Innenminister des Bundes zu übertragen.


Quelle und Kommentare hier:
http://de.scribd.com/doc/33518572/Historische-Tatsachen-Nr-12-Udo-Walendy-Das-Recht-in-dem-wir-leben