Gesetze und Sprüche
Auszug aus Historische Tatsachen Nr. 12 aus 1982
Das in diesem Heft Nr. 12 „Historische Tatsachen“ zusammengefaßte Thema „Das Recht, in dem wir leben“, ist an sich für jeden Deutschen von heute lebenswichtig.
Denn das Recht dieses Staates ist so umfangreich und umfassend, daß es der normale Bürger überhaupt nicht mehr überschauen kann. Schon die Gesetzesgrundlagen – Grundgesetz (Verfassung), Bürgerliches Recht und Strafrecht – sind nahezu nur noch von juristischen Akademikern zu sezieren, wobei meist der um Rat ersuchte Rechtsanwalt selbst zu bedenken gibt, daß der Ausgang eines anstehenden Rechtsstreites trotz der bekannten Rechtsgrundsätze durchaus offen sei.
Die Kompliziertheit wird dadurch vergrößert, daß sich diese Gesetzesgrundlagen ständig, zumal im Strafrecht ändern.
Aber wenn man sich noch solche Mühe gibt, die Gesetze zu studieren und auch mit den Änderungen auf dem laufenden zu bleiben sucht, – potz blitz sind schon wieder ein paar „Rechtsradikale“ aufgefallen, haben gegen igendwelche Ordnungsgrundlagen verstoßen und wissen eigentlich gar nicht, warum. Es gibt genug solcher Fälle, da wußten die Betroffenen wirklich nicht, wie ihnen geschah, denn sie hatten sich sogar vorher mit Gesetzen und politischer Literatur auseinandergesetzt.
Die einen landeten im Gefängnis, weil sie Flugblätter verteilt, die als seriös bekannte Verleger ordnungsgemäß mit Impressum und abgewogenem Text gedruckt hatten, die anderen sahen sich plötzlich aus dem öffentlichen Dienst entlassen, weil ihnen bscheinigt wurde, daß sie auf Grund der Zugehörigkeit zu einer „extremen“ politischen Partei keine Gewähr dafür böten, gute Demokraten zu sein.
Sie hatten Kenntnis von den Grundrechten – u. a. von dem Recht auf freie Meinung, der Grundrechtsgarantie, derzufolge niemand seiner politischen Überzeugung wegen benachteiligt werden dürfe, sie wußten um das Recht auf Koalitionsfreiheit und stützten sich auf das Recht einer jeden Partei auf Chancengleichheit.
Sie kennen zudem das Recht ihres Volkes auf Einheit und Selbstbestimmung sowie den Schwur eines jeden Regierenden, den Nutzen des Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Sie dürfen etwas von Ehre, Moral, Recht und Wahrheit halten und gegen Lüge, Verleumdung und Propaganda eintreten; sie haben keine Verstorbenen zu verunglimpfen, sollen sich nicht um Rassen kümmern, um sich nicht dem Vorwurf der Rassen- und Völkerhetze auszusetzen, wundern sich freilich darüber, daß gegen ihr eigenes Volk bereits seit Jahrzehnten Verunglimpfung, Lüge, Schuldpropaganda freies Schußfeld haben.
Kurz und gut, der Bürger hat in den Gesetzbüchern viel zu studieren, und hat es meist auch getan, ehe er sich entschließt, „gesellschaftspolitisch“ tätig zu werden.
Er muß dies in der Tat, denn er will ja nicht nur ein gut gelittener Mitmensch in seiner Familie, Nachbarschaft, seinem Volk sein, sonder sich darüber hinaus auch noch einer unbevormundeten politischen Verantwortung stellen, Propaganda von Tatsachen trennen, parteipolitische Zielrichtungen beeinflussen, womöglich in einer Weise verändern, daß die eine oder die andere z . Zt. im Bundestag befindliche Partei nicht mehr das große Sagen hat.
Er will dabei ja auch nicht uneinsichtig sein gegenüber Fehlern und Verbrechen seiner eigenen völkischen Vergangenheit, aber gleichermaßen nicht gegenüber Fehlern und Verbrechen fremder Politiker und Völker. Schon aus diesem Grunde bemüht er sich um ein ausgewogenes Demokratieverständnis, demzufolge auf der einen Seite stets die rechthabende Mehrheit zu respektieren ist, demzufolge aber auf der andern Seite eine von der
momentanen Mehrheit abweichende Meinung im pluralistischen Feld gleichberechtigte Chancen auf politische Durchsetzbarkeit haben muß, so meint er jedenfalls aus der vorliegenden Gesetzesordnung folgern zu müssen.
Scheint ihm dies nun nach dem intensiven Studium von Verfassung, Straf- und Zivilgesetzen, dem kodifizierte Presserecht usw. gewähleistet, so gibt es dennoch nach den ersten selbständigen „gesellschaftspolitischen“ Gehversuchen meist einen bösen Katzenjammer, denn plötzlich und unerwartet anstehende Vorhaltungen der Gewerkschaftskollegen oder des Arbeitgebers, schließlich Drohungen oder Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis und dann sogar Strafprozesse konfrontieren diesen von der momentanen Mehrheit abweichenden politischen Sonderling mit Sachverhalten ganz anderer Art:
Mit entweder – meist – bereits vorliegendem oder im akuten Fall neu formuliertem richtungweisenden Recht oberster Bundesgerichte. Solcherart rechtskräftige Bundesgerichtsureile erfassen in unwahrscheinlich vielseitigen Argumentationsvarianten Sachbereiche, die in keinem Gesetzestext enthalten sind, und bestimmen auf Grund ihrer richtungweisenden Rechtswirkung die Rechtswirklichkeit, in der wir leben, ganz entscheidend mit.
So gibt es keinen „demokratie-eigenen“ Rechtskodex, der für jeden Staat, der demokratisch ist oder zu sein vorgibt, gleichermaßen gültig ist. Sondern jeder Staat hat seine eigen-spezifischen Rechtsgrundlagen, die sich – wie gesagt – nicht mit den Grundrechten und Grundpflichten erschöpfen, die viel mehr übergreifen auf spezifizierte Gesetze und Gesetzesauslegungen der je
weil s obersten nationalen Gerichte.
Wenn nun in dem vorliegenden Heft Gerichtsurteile verschiedener Instanzen und Justizsektoren in einigen grundsätzlichen, längst festgeschriebenen Aussagen zusammengefaßt werden, so geschieht dies aus folgenden
Gründen:
1.) Diese Urteilsbegründungen haben großenteils gravierende politische Bedeutung; sie beschränken sich in ihrer Aussage und Wirkung nicht auf eine reine juristische Definiton eines abstrakten Sachverhaltes.
2.) Die meisten Bürger der Bundesrepublik Deutschland wissen zum einen von dieser mittels vorliegender Gerichtsurteile ausgeweiteten Rechtsbasis nichts und ihnen sind zum anderen diese Urteilsbegründungen auch nicht privat zugänglich, weil sich nicht jeder in bibliothekarischer Arbeitsweise auskennt.
Daher scheint es Pflicht der Publizisten zu sein, durch Veröffentlichung wesentlicher Urteilspassagen künftigen Rechtsverletzungen und -beschwerden vorzubeugen, Zweifel in das geltende Recht auszuräumen und die grundgesetzlich gesicherte Unabhängigkeit der bundesdeutschen Justiz vom politischen Willensträger aus dem Text der Urteilsbegründungen zu belegen.
Zwar werden sicher noch viele Fragen offen bleiben. Vor allem nationale Demokraten werden sich schwer tun, denn sie haben offenbar die Quadratur des Kreises zu lösen:
- Sie dürfen nicht autoritär sein, werden aber am Verhalten der Anhänger gemessen (zu denen sich erfahrungsgemäß Agenten all er Art einfinden);
- sie müssen um Stimmenzuwachs bemüht bleiben, aber auch beachten, daß hysterischer Beifall einer in Taumel versetzten Menge sie in den Ruf einer Wiederbelebung überwundener Zeiten und damit schon an den Rand der Legalität bringt;
- sie müssen schon mehr auftragen, als nur von dunklen Stellen in der deutschen Geschichte zu fabulieren, wollen sie nicht als Verherrlicher oder Verharmloser vergangener Zeiten gelten und sich damit strafbar machen;
- sie müssen wissen, daß es bei der Untersuchung der Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges und der Kriegsverbrechen unzulässig ist, die Schuldanteile der anderen Völker aufzurechnen (VerwGE Köln v. 27. Januar 1981 – AZ: 10 K 2900/79, S. 13 im Rechtsstreit um das Indizierungsverfahren gegen das Buch „Wahrheit für Deutschland – Die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges“; – ähnlich ausgedrückt in: OVG Münster Urteil vom 17.5.1972, AZ: XII A 554/70 und BVerwG Urteil vom 16.12.1971, BVerwGE 39, 197);
- sie sind davon in Kenntnis gesetzt, da alle Medien – auch Dokumentationen, sofern sie nicht in neuer Erkenntnis umfangreich kommentiert sind – auf den Index für jugendgeährdende Schriften gehören, die bei Jugendlichen den Eindruck einer Vereidigung des Nationalsozialismus erwecken könnten (schon die Möglichkeit genügt !) ( BGH – 25.4.1979 AZ 3 StR 89/79, S. 8 der Urteilsausfertigung);
- auch sind sie inzwischen durch Bundesgerichtsurteil vom 18. September 1979 ( AZ : VI ZR 140/78) darüber belehrt worden, daß sie das (-6-) Millionen Opfer zählende Verfolgungsschicksal der Juden unter dem Nationalsozialismus nicht öffentlich anzweifeln dürfen, da sie sich andernfalls wegen Verunglimpfung des Andenkens und Beleidigung Verstorbener strafbar machen;
- sie dürfen nicht allzu viel von Umerziehung reden und die Repräsentanten der im Bundestag vertretenen Parteien nicht als verlogen, korrupt, verfilzt bezeichnen, wodurch das Wirken der Volksvertretung herabgewürdigt würde;
- auch der Ausdruck „Lizenzparteien“ ist zu vermeiden, obgleich es richtig ist, daß die Besatzungsmächte seinerzeit Lizenzen für Publizisten und Parteien erteilt und auch die finanziellen Voraussetzungen für ihr Wirken nach damals vorgeschriebenen Richtlinien geschaffen haben. (Das Gros der ehemaligen Besatzungsgesetze ist jedoch seit 1955 aufgehoben; ihre Nachwirkungen in deutschen Gesetzen und deutscher Verfassungswirklichkeit sind tunlichst als Ausdruck deutschen Volkswillens zu kennzeichnen).
Es gibt da noch einiges mehr zu beachten:
Selbst wenn dem nationalen Parteimitglied bekannt ist, daß seine Partei zu arm und zu klein ist, um eine dem Parteivorstand unterstellte Zeitung zu besitzen, muß er wissen, daß ihm Veröffentlichungen zugerechnet werden, die in einer Zeitung erscheinen, die sich ihm als politisch verbunden ausweist, auf die er jedoch keinerlei Einfluß hat (z.B. „Deutsche Wochenzeitung“ – „Deutsche Nachrichten“, auf die der Parteivorstand der NPD nie eine redaktionelle Einwirkungsmöglichkeit hatte).
Auch der Zusammenhang mag ihm neu sein, daß der Terminus „Verhalten der Anhänger“ sich nicht auf Parteimitglieder beschränkt, sondern auf alle übergreift, die sich für die Partei einsetzen.
Was bleibt nun eigentlich übrig zur Profilierung und Durchsetzbarkeit einer eigenen, unabhängigen Meinung in bezug auf die Geschichte, die Wertordnung, das Recht des eigenen Volkes, innenpolitische Organisationsformen, Wahlkampfaussagen, in bezug auf internationale Moral, internationales Recht und außenpolitische Konsequenzen? – so mögen sich unbefangen denkende
Demokraten fragen.
Was auf diese Weise jedoch manchem als Aufgabe zur Lösung der Quadratur des Kreises für Personen und Parteien mit abweichender Meinung erscheint, sind in Wirklichkeit durch eine unabhängige Rechtsprechung herausgefundene „demokratie-notwendige“ Normen; so jedenfalls wird es uns beigebracht, so lautet das Recht, in dem wir leben. Mit ihrer Hilfe läßt sich bereits eine Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn bzw. der Demokratie schlechthin aus einer parteipolitischen Gesinnung herleiten, die zwar gesetzlich erlaubt, aber eben unerwünscht ist. So kann ein guter Demokrat überaschend zum Kriminellen werden, wenn schon anläßlich der parteipolitischen Willensbekundung „Ausländer Stop“ hohe Repräsentanten nach dem Staatsanwalt rufen, wie gehabt.
Die Unsicherheit darüber, welche Meinung nun eigentlich erlaubt und auch wirklich geduldet, als gleichberechtigt respektiert und welche Meinung unfair bekämpft, welche verboten ist, ist das Kennzeichen unserer gegenwärtigen Lage.
Hierbei gilt jedoch noch mehr zu bedenken:
die zur Rechtsgrundlage erklärte – auf Wahlstimmen bezogene – Parteienfinanzierung durch die öffentliche Hand, die beliebig nutzbaren und den herrschenden Parteien zuarbeitenden Medien Presse, Rundfunk und Fernsehen, die 5%-Klausel als Minimumhürde für eine parlamentarische Mandatschaft, Parteispendenmöglichkeiten, von denen die „Kleinen“ nur träumen können, Verleihung von „Gemeinnützigkeit“s-titeln zur Steuerbegünstigung organisationseigener Unternehmen usw. Alle diese Mittel helfen die Herrschaftsverhältnisse spezifischer (parteipolitischer) Willensträger in einer nahezu unerschütterlichen Form festigen, – um, wie es heißt, „chaotische Verhältnisse wie in der Weimarer Republik zu vermeiden“, in Wirklichkeit aber, wie manche argwöhnen, jeglichen Richtlinienwechsel zu verhindern.
Für Lieder, gleichartige Kleidung, Verwendung von Kennzeichen, Grußformeln haben wir auch unsere besonderen Vorschriften. Aber wer weiß das nicht längst? Demokratie einst und jetzt ist keineswegs das gleiche.
Angesichts der gerade in jüngster Zeit wieder zu verzeichnenden Hektik, den öffentlichen Dienst, aber auch den von den Gewerkschaften erreichbaren Sektor der freien Wirtschaft von sogenannten „Rechtsradikalen“ zu säubern (gegenüber den „Linksradikalen“ gelten dank der vielen Freunde im Osten Europas ganz andere Maßstäbe!), erscheint es angebracht, die Argumentationen einmal komprimiert nebeneinander zu stellen, die gegen Personen mit erheblich unterschiedlicher Herkunft und Auffassung hinsichtlich Zielrichtung und Organisationsstruktur sowie persönlichem Verhalten in dieser poilitischen bzw. „gesellschaftspolitischen“ Auseinandersetzung zum Tragen gebracht werden.
Für eine solche vergleichende übersieht eignet sich u.E. zunächst besonders die Begründung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 1952 zum Verbot der SRP (Sozialistische Reichspartei) sowie das Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom 28. November 1980 gegen den Diplom-Physiker Dr. Rolf Kosiek, der als Mitglied der NPD und Schriftsteller mit dem Hinweis auf mangelnde Gewähr der Verfassungstreue aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden ist, obgleich die NPD ebenfalls langjährig auch unter Wirkung des neuen Parteiengesetzes als demokratisch zugelassen und anerkannt worden war und ist und auch jeder ihr innerparteilichen Vorgänge von Organen der Verfassungsschutzämter überwacht wird.
In dieser übersieht ist auch der Sprachgebrauch aufschlußreich, dessen sich die SPD-Bundesregierung zu bedienen pflegt, aufgezeigt am Beispiel einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von CDU/CSU-Abgeordneten am 11. Januar 1979 (Drucksache 8/2463).
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