Russland – Reich der Finsternis

von Gert-Ewen Ungar

 Inzwischen lassen sich die Stunden zählen, bis der Startschuss zur WM fällt. Die Fußball-WM wird, folgt man den Berichten im Mainstream in diesem Jahr in einem hoch problematischen Land ausgetragen: Russland, Reich der Finsternis, die dunkle Seite der Macht.

Es steht dort schlecht um Pressefreiheit, Menschenrechte und natürlich auch um die Demokratie. Das Völkerrecht wird sowieso mit Füßen getreten.

Von all dem weiß beispielsweise Claus Kleber zu berichten, der „den Deutschen“ im gleichen Atemzug ein irrationales Verhältnis zu Russland unterstellt, weil die sich partout nicht aufhetzen lassen wollen.

Dem Mainstream ist diese Widerspenstigkeit vieler Deutscher jedenfalls Anlass und Motivation genug, die Nation beständig darüber zu belehren, wie schlecht, verachtenswert und unwürdig Russland sei. Gerade auch die öffentlich-rechtlichen Sender legen sich mächtig ins Zeug, um den Nachweis zu erbringen, dass Russland als Austragungsort unter allen möglichen Varianten die aller-aller-allerschlechteste Wahl war.

Der russophobe Unsinn wird breit auf allen Kanälen und in allen Formaten gestreut.

Passendes Archivmaterial wird zusammenmontiert und wieder auseinander geschnitten, so dass die gewünschte Botschaft thematisch zum jeweiligen Publikum passt. Jemandem, der die „Sportschau“ guckt, wird schon nicht auffallen, dass Teile der ihm vorgesetzten Russenhetze auch im Politmagazin „Monitor“ gezeigt werden und umgedreht.

Ganz besonders scheint man sich in diesem Jahr auf Tschetschenien und da vor allem auf den Regierungschef Ramsan Kadyrow propagandistisch einschießen zu wollen.

Am 09. Juni beispielsweise strahlt die Sportschau den Beitrag “Putins Meisterwerk – eine WM um Macht und Millionen” aus. Dies ist noch bis 16. Juni in der Mediathek abrufbar, danach hier. Die Macher nennen ihren Filmbeitrag schon gar nicht erst “Dokumentation” oder “Reportage”, sondern “Erzählung”. Und genau das ist es auch: In weiten Teilen ziemlich erdichtet, was ein ganz bestimmtes Ziel hat: Möglichst alle anti-russischen Ressentiments zu bedienen, die es landläufig so gibt.

In dreißig Minuten wird die russische Hooligan-Szene unter die Lupe genommen, die angeblich besonders gewaltbereit sei. Es wird auf die Verflechtungen von Politik und Sport eingegangen, die in Russland natürlich besonders eng und daher besonders korrupt seien. So würden neu gebaute Stadien zum “Sinnbild für Verschwendung”.

Zum Glück gibt es das in Deutschland nicht, seufzt man als Zuschauer erleichtert auf.

Die Menschenrechtslage – insbesondere in Tschetschenien – wird selbstverständlich auch thematisiert. Es kommen Zeugen zu Wort, die von ihren Drangsalierungen und Ausgrenzungen zu berichten wissen, nur weil sie sich nicht „konform“ (konform wozu oder zu wem?) verhalten hatten. Man soll den gemachten Aussagen einfach nur vertrauen, schließlich wurde ja alles von deutschen Qualitätsjournalisten recherchiert. Dass jemand, der in eigener Sache spricht, oftmals eine andere Sicht auf die Dinge hat als sie sich aus neutraler Position ergeben würde – geschenkt. Da muss man auch nicht weiter recherchieren.

Es ist insgesamt ein dichtes Programm für einen dreißigminütigen Beitrag. Dass der erkennbare Wille, möglichst viele Themen anzuschneiden, notwendig zur Verkürzung und Verzerrung führt, ist vermutlich weniger journalistischem Unvermögen geschuldet, sondern mehr propagandistische Absicht.

Es wird im Beitrag viel in dunklen Andeutungen unter Auslassung der Subjekte gesprochen, was eine kafkaeske Technokratie suggeriert, in der Menschen von einer bürokratischen Maschinerie zum Objekt gemacht werden. So ist Russland eben.

So behauptet das Team nach einem Besuch bei einem Hooligan-Konzert mit etwa 50 Besuchern:

“Man gab uns zu verstehen, dass auch wir unter Beobachtung stehen.”

Der totale Überwachungsstaat funktioniert eben ohne handelnde Personen. Wer da was gegenüber dem Filmteam gesagt hatte und was jene Person zu dieser Aussage qualifizierte, man erfährt es nicht.

Die Voreingenommenheit der Autoren wird besonders deutlich, als es um die mögliche Vergabe der WM 2026 an die USA geht. Da häufen sich die Superlative, alles “gigantisch”, “das Potential ist riesig”.

Bedenken der Autoren wegen fortgesetzter Verstöße gegen Menschenrechte und das Völkerrecht: Keine.

Das ist absolut erstaunlich. Man wird im Hinblick auf die USA schnell fündig und ist nicht auf dubiose, fragwürdige Quellen angewiesen. Guantanamo existiert, die USA haben nachweislich systematisch in großem Maßstab, auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets, gefoltert, haben mit Gina Haspel sogar eine der zentral verantwortlichen Figuren zur CIA-Vizechefin erkoren. Sie wird für die von ihr begangenen Verbrechen also mit einer steilen Karriere honoriert.

Nordsyrien wird vom US-Militär einfach annektiert, ganz klassisch, ohne Referendum, ohne Antrag auf Wiedereingliederung, einfach durch militärische Gewalt unter Kontrolle gezwungen.

Darüber wird geschwiegen, während von der Krim geredet wird.

Von den illegalen Drohnenmorden, die gegen jedes geltende Recht verstoßen, von den zahllosen Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder – kein Wort. Wer das für „Whataboutism“ hält, hat die Ausmaße der Völkerrechtsbrüche durch die USA und der Missachtung der Menschenrechte in ihrem Umfang nicht verstanden.

Verstöße gegen internationales Recht sind inzwischen die Geschäftsgrundlage, Menschenrechtsverletzungen die Staatsraison des Landes. Und das nicht erst seit Trump. Der deutsche Journalismus und die deutsche Politik schweigen darüber, obwohl es offenkundig ist und daher auch dringend und umfassend zum Thema gemacht werden müsste.

Dagegen sei Russland ständig an die Einhaltung der Menschenrechte zu ermahnen, auch wenn die Beweislage, dass und wo konkret im Land tatsächlich dagegen verstoßen worden sei, ausgesprochen dünn ist.

An konkreten Belegen fehlt es meist. Die Quellenlage ist dürftig, um es mal vorsichtig zu sagen. Folgt man den Hinweisen auf die angeblich massiven Verstöße gegen die Menschenrechte in Russland zurück zu ihren vermeintlichen Quellen, zeigt sich oft, wie ein breiter Strom der Anschuldigungen zu einem schmalen Rinnsal wird, das sich irgendwo aus einem Nichts speist. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die betreffenden, meist aus dem Westen finanzierte NGOs schreiben ständig voneinander ab. So bleibt denn auch in der „Erzählung“ der Sportschau alles in diffusen Andeutungen stecken.

Gerichtsprozesse sind (wir sind ja in Russland!) immer nur Schein- und Schauprozesse, sind grundsätzlich politisch motiviert, insbesondere dann, wenn man „im Westen“ mit dem Urteil nicht zufrieden ist. Aufgabe guten Journalismus’ wäre es, genau und verständlich herauszuarbeiten, warum die Prozesse angeblich rechtsstaatlichen Kriterien nicht genügten und zur Abschreckung anderer dienen sollen. Aber genau das unterbleibt natürlich. Unter anderem, weil dieser Beweis in der Regel nicht zu führen ist.

Exakt an dieser Stelle werden Ressentiments bedient und genau an dieser Stelle verfehlen die Beiträge regelmäßig den gesetzlichen Auftrag zur Neutralität und zur Verständigung beizutragen.

So beteiligt sich die ARD gern an der Herstellung einer Echokammer, in der das Immergleiche immer gleich wiederholt und dadurch trickreich und manipulativ durch die bloße Wiederholung in den Stand der Wahrheit gehoben wird.

Es ist die Sendung Monitor, moderiert von Georg Restle, der das Material von “Putins WM” zweitverwertet und einem anderem Zielpublikum nahezu wortgleich zugänglich macht. Inhaltlich wird es dadurch freilich nicht besser. Im Gegenteil.

In der Anmoderation Restles wird das Oberhaupt der tschetschenischen Republik Ramsan Kadyrow zu “einem der schlimmsten Diktatoren unserer Zeit”. Das Problem dabei ist nur, dass der als amtsmüde geltende Kadyrow von den Tschetschenen selbst zu einer weiteren Kandidatur gedrängt wurde. Nicht zur Wiederwahl antreten zu wollen, ist für schlimmste Diktatoren dieser Welt ein recht rares Phänomen. Es wird, vermutlich auch um die Zuschauer nicht zu verwirren, daher von Restle nicht erwähnt.

Es ließe sich die jüngste Geschichte Tschetscheniens denn auch ganz anders erzählen als das Restle und die Sportschau tun: Als unbedingter Wille zum Frieden nämlich, als gigantischer Marshall-Plan und vor allem als gescheiterter Versuch des Westens und seiner Verbündeter, Tschetschenien aus geostrategischem Interesse aus der Russischen Föderation herauszubrechen. Man könnte auf die Komplexität des Friedensprozesses eingehen und die Schwierigkeiten zeigen, die sich in der Umsetzung ergeben. Dazu müsste man aber tiefer einsteigen in die politischen Geschehnisse der vergangenen Dekaden, komplexe Zusammenhänge journalistisch aufbereiten und erklären.

Da ist es einfacher (und in der Herstellung freilich auch billiger), Klischees zu bedienen. Und so sieht man Ramsan Kadyrow mit Schnellfeuergewehr und in männlicher Pose, kriegerische Tschetschenen und ein bisschen Moschee. Ob man das für Journalismus halten will, muss jeder für sich selbst beantworten, mit dem gesetzlichen Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen hat das jedoch nichts zu tun.

Und weil die ARD eben inhaltlich nichts Substantielles zu bieten hat, bleibt auch nach ausgiebigem Kadyrow-Bashing völlig nebulös, was der Skandal daran sein soll, dass Ägypten das tschetschenische Grosny als Trainingsort und Standort für die eigene Mannschaft während der WM ausgesucht hat. Irgendwas mit Menschenrechten und so – aber was genau, das bleibt schleierhaft.

Nach all diesen Beispielen für die völlig einseitige Berichterstattung mag noch auf einen Beitrag der Redaktion Zapp hingewiesen sein. Da wundern sich junge deutsche Journalisten, warum ihre russischen Kollegen ihnen gegenüber misstrauisch sind und nicht mit ihnen reden wollen. Man muss sich eigentlich nur einen ganz kursorischen Überblick über die deutsche Medienlandschaft verschaffen, um genau diese Skepsis nur allzu gut nachempfinden zu können.


Quelle und Kommentare hier:
https://deutsch.rt.com/inland/71394-blick-auf-fussball-wm-ard-zdf/