MIR – Das Wunder von Syrien

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Für mich weder erstaunlich noch überraschend sah ich nun im ami-TV einen ziemlich angesehenen Mann, der dem trump Umfeld zugerechnet wird, entzückt mitteilen, dass man nun – mit den tomahawk Schlägen – binnen einer Stunde das (impliziert hohle, unverdiente) Ansehen des „russischen Putin Regimes“ zerschlagen habe, das Russland mühevoll über Jahre vor allem in Syrien aufgebaut habe. Russland stünde nach seiner wohl nicht grundlosen Untätigkeit angesichts des Angriffs trotz vollmundiger Ankündigungen im Vorfeld „entlarvt“ da.

Und ich sah ein Interview der bbc, die ein besonders widerwärtiges und dreistes Exemplar losgelassen hatten auf Lawrow. Der brit „journalist“ fuhr konsequent eine bestimmte Linie: Er ging Lawrow mit aggressiven Vorwürfen an, unterbrach ihn ständig beim Antworten und griff ihn mit weiteren Vorwürfen an. Erstaunlich war dabei nicht der bbc „journalist“ sondern Lawrow, der offensichtlich zunehmend verärgert aber dennoch engelsgeduldig – völlig unsinnige – Versuche unternahm, wenigstens den einen oder anderen der absurden, bösartigen frei erfundenen und teils sogar bereits als falsch erwiesenen Vorwürfe zu widerlegen.

Lawrow beging den „klassisch russischen“ Fehler der Freundlichkeit und vor allem der Grundannahme von halbwegs zivilisiertem Umgehen miteinander und von Gesprächen die bei allen Unterschieden in der jeweiligen Sicht doch prinzipiell im Rahmen der Vernunft bleiben.

Diese Annahme war falsch – und sie war *leicht erkennbar und offensichtlich* falsch.

Putin beging in Syrien einen ganz ähnlichen Fehler – und auch seine (sehr ähnlichen) Grundannahmen waren falsch.

Die Realität dürfte wohl eher die sein, dass trump, der über seinen persönlichen Anwalt bzw. die bösartigen „Untersuchungen“ gegen diesen zunehmend in die Ecke gedrängt wird, sich entschieden hat zu tun, was schon andere Präsidenten, zuletzt clinton in Bedrängnis durch seine Sex-Affaire getan hatten, nämlich irgendjemanden zu bombardieren. Und siehe da, schon kommen die ersten Meldungen über einen Anstieg der Umfragewerte für trump; genau wie bei billy boy seinerzeit, bei beiden bushs und bei anderen.

Das Problem bei dieser Konstellation ist, dass die russische Reaktion den amis zu 100% egal ist; schlimmer noch, je mehr und lauter die Russen schimpfen, desto mehr Punkte für die amis aus deren Sicht.

Mit einer (noch theoretischen) Ausnahme: „Exzeptionellen“ Toten. Ein paar Millionen Tote im Nahen Osten? Drauf geschissen. Aber ein paar Hundert oder gar Tausend tote amis? Da ginge ein gewaltiger Ruck durch idiotistan.

So aber, bestätigt und ermutigt (sich wähnend) durch Russlands Zurückhaltung dieser Tage, kommt noch etwas sehr hässliches zum Vorschein, nämlich die Drohung weiterer Angriffe „im Fall weiterer Assad-Regime Greueltaten“. Da diese ja frei erfunden und inszeniert werden, heisst das im Klartext „Wann immer es uns gelegen kommt. Ein Vorwand findet sich schon oder wird eben konstruiert“.

Der wesentliche Punkt dabei ist genau der, den ich angesprochen und kritisiert habe und für den ich teilweise heftig persönlich angegangen wurde: Die ami-Aktion schien kosten- und folgenfrei zu sein. Und mehr noch, nun ist das Mütchen der amis sogar noch angewachsen und sie legen das, was Russland mit besten Absichten tat, als Schwäche und also als Einladung zu weiteren Verbrechen aus.

Das ist genau der Punkt, den ich immer wieder zu vermitteln versuche: Kommunikation hat immer zwei Seiten und die Perspektive und den Wahrnehmungshorizont der anderen Seite zu ignorieren ist zuverlässig eine sichere Problemquelle.

Natürlich ist Putin vom Gedanken an Frieden und gedeihlichem Miteinander geleitet; das bezweifelt nicht nur niemand, sondern jeder menschlich und geistig halbwegs Gesunde begrüßt das erfreut.

Gegenüber jemandem allerdings, der extrem primitiv und obendrein (und auch deshalb) bis ins wahrlich Abartige kompetitiv ist, kann Putins Verhalten nur als Schwäche ausgelegt werden – und genau das wird nun auch offen formuliert in ami-Land.

Es gibt kein Miteinander mit einem Herrscher.
Diese verträumte Grundannahme Putins ist menschlich schön und anrührend, aber völlig unrealistisch. Ein Herrscher, mit dem es ein Miteinander gibt, wäre kein Herrscher, sondern ein Partner und er würde weder andere Länder nach Belieben bombardieren noch, sogar unverhohlen öffentlich ausgesprochen, auf Recht scheissen.

Die bloße Tatsache des Zustandes, in dem Russland ist, nämlich mannigfaltig bedrängt, angegriffen und sanktioniert, ist der alltäglich schmerzhafte Beweis für die Unsinnigkeit von Putins Grundannahme.

Wohlgemerkt, als Ziel eines (vermutlich langwierigen und schmerzvollen) Prozesses ist Putins Bild von der Welt wunderbar und wünschenswert – als Grundannahme aber nicht; die Realität belegt das Woche für Woche und immerwieder auch mit Toten.

Kommen wir nun zu den Raketen, zum Wunder von Syrien.

Laut russisch-syrischen Medien-Angaben kamen im wesentlichen drei Raketentypen zum Einsatz, nämlich S-75, S-125 und S-200.

Die S-75 schließe ich aus, weil sie uralt und auch völlig veraltet ist. Rein als Rakete durchaus attraktiv (für Länder wie Syrien), aber als System weitgehend unbrauchbar. In einigen Ländern vorhandene nennenswerte Bestände wurden umfunktioniert oder modernisiert (und zwar so erheblich, dass sie nicht mehr sinnvoll S-75 genannt werden (können)) oder aber wie z.B. lange Zeit in Syrien und anderen arabischen Ländern, sie verkamen einfach unbeachtet. Die S-200 schließe ich aus, nicht weil sie veraltet wäre (sie ist deutlich jünger als die S-75), sondern weil sie ganz andere Aufgaben hat und es auch grobe Verschwendung wäre. Entsprechend wurden S-200 in Syrien auch z.B. gegen israelische Kampfflieger und nicht gegen Drohnen oder cruise missiles eingesetzt. Anzumerken ist allerdings, dass es durchaus Sinn macht, die vorhandenen S-200 für relativ wenig Geld auf einen S-300 ähnlichen Stand zu bringen, zumal sie in diese Systeme eingebunden werden können.

Bleiben S-125. Und diese wurden aus meiner Sicht wurden auch eingesetzt. Für Laien: Die S-125 kann man in etwa als eine Art Buk betrachten, während die S-200 in etwa der S-300 Gruppe zuzuordnen ist (und übrigens tatsächlich deren Vorgänger).

Die Reichweite der S-125 liegt um die 20 – 35 km (je nach Ausführung) und sie gilt – verdientermaßen – unter vielen Ex-Ostblock Militärleuten als solide und sehr ordentlich und brauchbar mit ziemlich anständiger Trefferwahrscheinlichkeit *wenn* man gutes und gut geschultes Personal hat – was in Syrien eher nicht oder nur ausnahmsweise der Fall zu sein scheint. Russen, die syrische Basen wieder in einen ordentlichen Zustand versetzen wollten, berichten von sehr traurigen Zuständen.

Besser noch, es gibt auch erheblich modernisierte Versionen (meist bekannt als „Peschora-2“), die für Länder, die sich keine – erheblich teureren – modernen russischen Systeme leisten können, eine ziemlich gute Wahl sind. Weitenteils digitalisiert, erheblich verbesserte Störunempfindlichkeit, höhere Reichweite, kein Kurbeln an Handrädern mehr, usw.

Betrachtet man die relevanten Parameter wie z.B. auch die Fähigkeit immerhin zwei Ziele (statt nur eines) bekämpfen zu können, die (auch Mindest-!) Reichweiten und Wirkhöhen, usw. so deutet alles auf die Peschora-2 hin.

Das Problem ist allerdings, dass Syrien davon nur ziemlich wenige hat; die meisten syrischen S-125 sind alte Modelle aus den 70er und 80er Jahren.

Wie also geschah das Wunder von Syrien? Sicher nicht mit großteils mittelmäßigen Leuten und nicht nur alten, sondern zu erheblichen Teilen auch lieblos verkommenen Systemen. Es mag allerdings sein, dass die Russen leise noch etliche zusätzliche S-125 modernisiert, bzw modernisierte Versionen geliefert haben.

Es gäbe zwei Möglichkeiten. Erstens könnten die Russen Aufklärungs- und Kommando Maschinen in der der Luft gehabt haben und so und auch mithilfe von Bodenradaren gewonnene Daten übermittelt und die Abwehr koordiniert haben (mit syrischen Militärs als Lehrlingen aber nicht bzw. rein formal als Kommandeuren an der Seite). Allerdings würde es dabei immer noch erhebliche Restrisiken wegen der diversen erwähnten Probleme geben, zumal gerade die vielen alten S-125 alles andere als „feuern und vergessen“ Systeme sind (und auch die Peschora-2 sind nichts für halbgares Personal).

Oder die Russen haben die tomahawks selbst runtergeholt, wovon ich aber nicht ausgehe.

Oder aber die Russen haben Eloka eingesetzt und die tomahawks sozusagen servierfertig zu den syrischen Basen geliefert, wo sie dann abgeschossen wurden.

Für die letzte Möglichkeit spricht auch ein interessanter Widerspruch: Die Russen/Syrer geben erheblich mehr (mehr als das Doppelte) angegriffene Basen an als die amis; die reden nur von 3. Aber erstens neigen amis nicht zu Bescheidenheit und zweitens – und wichtiger – machen die ami Angaben Sinn. Grund: 3 Ziele und ca. 100 tomahawks macht 30, 35 tomahawks pro Ziel. Man muss dabei bedenken, dass es beileibe nicht egal ist, ob eine Basis von 10 oder von 30 tomahawks angegriffen wird. 30 tomahawks heisst mindestens 30 Raketen und entsprechend viele Starter (bei alten S-125 4 pro Rampe, bei Peschora-2 2 pro mobiler Rampe) plus brauchbares Personal und wohl nicht vorhandene geeignete Kommunikationseinrichtungen. Auch ist zu bedenken, dass tomahawks in Gruppen abgefeuert werden und die Nachladezeiten von S-125 zu hoch sind, sprich, es mussten entsprechend viele Raketen bereits geladen sein.

Betrachtet man nun noch die Ergebnisse von vor einem Jahr und geht davon aus, dass die amis sinnvollerweise nicht davon ausgingen, dass alle Raketen durchkommen, dann machen weniger Ziele mit mehr Raketen pro Ziel absolut Sinn. Das gilt umso mehr als es den amis ausschließlich um Bilder ging und da sind 3 *tatsächlich* zerstörte Ziele mit massiven Schäden erheblich attraktiver als erheblich mehr Ziele mit fragwürdigen Ergebnissen.

Die Russen dagegen hatten naturgemäß das entgegengesetzte Interesse. Die wollten keinesfalls mehr Raketen pro Ziel als die Ziele jeweils verdauen konnten und so macht es Sinn anzunehmen, dass sie die ami tomahawks gekapert, in für die Syrer verdauliche Chargen aufgeteilt und umgeleitet haben.

Die Frage hat mich noch aus einem anderen Grund interessiert, dem nämlich, dass die Russen einerseits, Friedensliebe hin oder her, keinesfalls ernsthaften Schaden zulassen konnten, andererseits aber auch keinesfalls selbst in Erscheinung treten wollten.

Es ist aus meiner Sicht offensichtlich, dass die russische Vorgabe die war, dass die cruise missiles auf jeden Fall von den *Syrern* abgeschossen werden mussten. Das macht angesichts Putins Linie auch insofern Sinn, als jedes erkennbare russische Handeln von den amis als Provokation oder gar als Angriff gewertet werden könnte und genau das durfte ja laut Putins Linie keinesfalls geschehen.

Nur, mit Verlaub, die Syrer haben das absolut nicht drauf. Wir wissen aus Jahrzehnten Erfahrung, dass die, ziemlich egal, was man den Militärs im Nahen Osten hinstellt, nicht viel gebacken kriegen und dass man schon froh sein muss, wenn sie ihre Waffensysteme immerhin nicht verkommen und verrosten lassen.

Ich erinnere nur mal an den Unterschied (wie zwischen Tag und Nacht) zwischen den syrischen Streitkräften vorher vs. nachdem die Russen da waren und, grob gesagt, die erst mal zu etwas wie einem Militär gemacht haben. Vorher: Reihenweise schmähliche Niederlagen, alltäglicher Verrat und feiges Wegrennen in Scharen, hinterher Erfolge und Siege gegen die terroristen.

Nur gibt es nun ein Problem: Wenn schon ich die Divergenzen entdecke und mir ein brauchbares Bild machen kann, dann können die amis das mit ihren Aufklärungsmitteln erst recht. Im Ergebnis haben die Russen den doppelten Nachteil: Einerseits könnten die amis sie als die eigentlichen Macher benennen (und tun das auch) aber andererseits kriegen die Russen nicht mal die Anerkennung für ihre, mal rein technisch betrachtet, sehr geschickte Planung und gekonnte Durchführung.

Übrigens liegen inzwischen zweierlei Informationen (oder „Informationen“; im Krieg gehört Lüge und Täuschung nunmal zum Handwerk) vor. Zum einen vom russischen Generalstab, der den Widerspruch zwischen den ami Zahlen und den russisch-syrischen aufgreift und zum anderen von staatsnahen russischen Medien, die in ihren Beiträgen nicht nur von S-75, S-125, S-200 sprechen, sondern auch von Kwadrat und anderem Uralt-Kram.

Was interessanterweise kaum Erwähnung findet, ist der Umstand, dass Syrien auch ein paar Dutzend Pantsir hat, vermutlich „nur“ S1, aber doch allemal das mit Abstand modernste Luftabwehr-System und, man staune, auch genau das, das ideal gegen relativ langsame und nicht sehr hoch fliegende Ziele (wie tomahawks) geeignet ist und das (u.a.) als letzte Linie zur Basisverteidigung gedacht und geeignet ist.

Allerdings ist Pantsir kein altes Sowjet-System, sondern wird mit der Russischen Förderation assoziiert; das dürfte auch die Erklärung dafür sein, dass es von den Russen kaum erwähnt wird und stattdessen reihenweise alte sowjetische Systeme (bis ins, Pardon, Absurde) aufgezählt werden.

Unterm Strich bleibt für mich: Die militärischen Aspekte betreffend hat Russland das sehr geschickt und gekonnt gemacht und auch gleich noch vorgeführt, was russische Militärtechnik (und russische Berater) können. Da habe ich ausschließlich Lob und Anerkennung.

Politisch allerdings scheint Russlands Linie an einem erheblichem Prämissenfehler zu leiden und meine diesbezügliche Einschätzung hat sich – leider! – mittlerweile bestätigt. Putins Linie hat im wesentlichen ein Ergebnis: Die amis triumphieren und erklären Russland für schwach; und, schlimmer noch, sie ziehen den Schluss, dass weitere illegale Schläge kein Problem sind.

Weshalb ich bei meiner Sicht bleibe: Wenn Du jemandem etwas sagen willst, dann musst du es so sagen, dass derjenige es auch versteht. Dass die Ansage/der Ansatz „lasst uns vernünftig miteinander umgehen und uns wieder an internationales Recht halten!“ eine dringlich gebotene, gute und lobenswerte ist, ist richtig. Allerdings ist auch richtig, dass die amis das nicht verstehen werden, solange sie nicht bluten und erhebliche Schmerzen haben.


Quelle und Kommentare hier:
http://vineyardsaker.de/2018/04/18/mir-das-wunder-von-syrien/