Kinder verbringen heute durchschnittlich weniger Zeit draußen als Strafgefangene

von Sina

Strafgefangene haben auf der ganzen Welt üblicherweise eines gemeinsam: Sie können sich nicht frei bewegen. Die Insassen im Hochsicherheitsgefängnis von Wabash in Indiana wurden kürzlich jedoch mit einer schockierenden Erkenntnis konfrontiert.

Two boys and one girl visibly happy playing alongEs gibt tatsächlich eine Gruppe, die noch weniger Zeit im Freien verbringt als sie: Kinder.

Eine weltweite Umfrage, in der Daten dazu erhoben wurden, wie viel Zeit Kinder draußen verbringen, wurde schnell zu einer fortlaufenden Kampagne mit dem Titel „Dirt is Good“ („Dreck ist toll“) weiterentwickelt. Der Grund dafür: Die Umfrage ergab, dass Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren so wenig Zeit draußen verbringen, dass es Grund zur Besorgnis gibt.

Die Ergebnisse der Umfrage, die vom britischen Waschmittelhersteller Persil in Auftrag gegeben wurde und von einem unabhängigen Marktforschungsunternehmen durchgeführt wurde, zeigen, dass ⅓ der britischen Kinder 30 Minuten oder weniger jeden Tag draußen verbringen — und dass eines von fünf Kindern an einem durchschnittlichen Tag überhaupt nicht draußen spielt. Die Forscher befragten dazu 12.000 Eltern in den folgenden zehn Ländern: in den Vereinigten Staaten, in Brasilien, im Vereinten Königreich, in der Türkei, in Portugal, Südafrika, Vietnam, China, Indonesien und Indien.

Die „Dirt is Good“–Initiative wurde auf der Grundlage dieser Umfrage ins Leben gerufen. Der dazugehörige Kurzfilm mit demselben Namen, in dem auch Interviews mit Gefängnisinsassen gezeigt werden, berichtet: „Im Durchschnitt verbringen Kinder heute weniger Zeit im Freien als Strafgefangene.“ Laut „Dirt is Good“ werden Häftlingen jeden Tag mindestens zwei Stunden im Freien gewährt, wohingegen den meisten Kindern eine Stunde oder weniger zur Verfügung steht.

Die befragten Strafgefangenen erzählten, wie wichtig die Zeit im Freien für sie ist.

„Ich denke, dass das wahrscheinlich der wichtigste Teil des Tages für mich ist“, sagt ein Häftling. Diese Zeit „hält meinen Geist wach, hält meinen Körper stark“, erklärt ein anderer. Ein weiterer Häftling sagt, die Zeit im Freien sei „so ziemlich das Highlight meines Tages“.

Die Strafgefangenen wurden dann gefragt, wie sie sich fühlen würden, wenn ihre Zeit im Freien von zwei Stunden pro Tag auf eine Stunde pro Tag reduziert würde. „Ich denke, dass sich dadurch mehr Wut aufstaut, mehr — es wäre keine gute Sache“, gibt ein Häftling zu bedenken. Ein weiterer behauptet, das wäre „Folter“, während ein Wächter sagt: „Ich denke, dass die Reduzierung der Zeit im Freien für die Täter auf eine Stunde pro Tag ist… möglicherweise ein Desaster.“

Als ein Interviewer den Strafgefangenen erzählt, dass Kinder oft nur eine Stunde pro Tag draußen verbringen können, reagieren sie schockiert, manchen verschlägt es sogar die Sprache. „Das ist echt deprimierend“, kommentiert einer. „Auf einen Baum klettern, sich ein Bein brechen; das gehört einfach zum Leben dazu“, sagt ein anderer. „Wenn du die Kinder danach nicht in die Badewanne bringen musst, dann haben sie nicht wild genug gespielt“, erzählt der Wächter vor der Kamera.

„Lernen was es heißt, ein Kind zu sein“, stellt ein anderer Häftling fest.

Der Vergleich von Strafgefangenen und Kindern aus der „Dirt is Good“-Kampagne ist besonders bezeichnend. Denn Kritiker der öffentlichen Bildung haben bereits auf die „Kriminalisierung der Schulplätze“ hingewiesen und auf die Ähnlichkeit von Schulen, zumindest in den Vereinigten Staaten, mit stark regulierten Einrichtungen, die dem Strafvollzug ähneln.

Die gefängnisartige Atmosphäre ist jedoch insgesamt nicht das einzige Problem.

So fasst die Washington Post in einem Artikel zusammen, wie Kinder heute dazu gezwungen werden, im Unterricht „stillzusitzen“:

„Das Problem: Kinder sitzen heutzutage dauernd in einer aufrechten Position. Selten sehen wir, dass Kinder Hügel herunterrollen, auf Bäume klettern und sich einfach nur aus Spaß im Kreis herumdrehen. Karussells und Wippen gehören der Vergangenheit an. Die Pausenzeiten haben sich verkürzt, da das Bildungssystem immer höhere Anforderungen stellt. Kinder spielen außerdem seltener draußen, da Eltern überängstlich sind, Haftungsfragen aufkommen und auch aufgrund des engen Terminplans der heutigen modernen Gesellschaft.“

Die Post hat eine eigene Studie mit mehreren Unterrichtsklassen durchgeführt, zu denen scheinbar ‚hyperaktive‘ Kinder gehören, denen das Stillsitzen schwerfiel. Die Studie ergab nicht nur einen Mangel an Bewegung, sondern auch körperliche Auswirkungen aufgrund der fehlenden körperlichen Aktivität. Es wird gezeigt, dass

„viele Kinder mit einem unterentwickelten vestibulären System (Balance und Gleichgewicht) durchs Leben gehen

der auf eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten zurückzuführen ist. Valerie Strauss, eine Kolumnistin der Post, stellt dar:

„Um ein stabiles Gleichgewichtssystem zu entwickeln, müssen Kinder ihren Körper mehrere Stunden am Stück in alle Richtungen bewegen. Genauso wie Sport müssen sie das mehr als nur einmal pro Woche machen, um daraus einen Nutzen zu ziehen.“

Was auch immer die Ursache für die reduzierte Zeit an der frischen Luft bei Kindern sein mag — ob es zum Beispiel an zu viel Unbeweglichkeit in der Schule liegt, an zu viel Zeit vor elektronischen Geräten, oder an den Ängsten der Eltern um die Sicherheit ihrer Kinder – Experten sind sich einig, dass dieses Problem umgehend adressiert werden muss.

Die „Dirt is Good“-Kampagne hat eine Vielzahl von Initiativen gestartet, um das Spielen an der frischen Luft zu fördern. Dazu gehört auch ein „Empty the Classroom“-Tag (etwa: „Macht das Klassenzimmer leer“), der Ende Juni stattfinden soll, sowie Tipps für Eltern zum Gartenbau, zu Exkursionen im Freien und zu anderen Möglichkeiten, wie sie dafür sorgen können, dass ihre Kinder mehr Zeit draußen verbringen. Den Vorsitz der die „Dirt is Good“-Kampagne führen zwei renommierte Ärtze, die sich auf Kinder und körperliche Aktivitäten, sowie auf Kreativität spezialisiert haben.

Während einige sich darüber aufregen könnten, dass die Kampagne von einer Firma gesponsert wird – Persil gehört zu Unilever – setzt sich das Projekt nichtsdestotrotz für positive Veränderungen zum Kindeswohl ein und bietet Anregungen, die den Eltern dabei helfen sollen, das Leben ihrer Kinder zu verbessern. Des Weiteren stellt das Projekt ein gutes Beispiel dafür dar, wie man die Macht eines Unternehmens, die oft und oftmals zurecht verunglimpft wird, für Veränderungen nutzen kann. Ungeachtet des Sponsors ist die Botschaft der Kampagne wichtig.

Wie auch ein Gefangener sagte:

„Ich wusste nicht, was Freiheit war, bis man sie mir weggenommen hat. Es ist verheerend. Wer ich im Innersten war, das wurde mir weggenommen. Du kannst der Mauer nicht entkommen. Du kannst deinen Gedanken nicht entkommen. Dann stell‘ dir vor, dass sie deine Tür aufmachen; du hast Zeit, um aus dieser Tür herauszugehen und die Sonne auf deinem Gesicht zu spüren. Das bedeutet alles für mich.“

Von Carey Wedler bei theantimedia.org. Übersetzt aus dem Englischen von AnonHQ.com.


Quelle und Kommentare hier:
http://derwaechter.net/wip-kinder-verbringen-heute-durchschnittlich-weniger-zeit-draussen-als-strafgefangene


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