Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg, Teil 1

von Julius Rabenstein

1. Stalin entschloß sich zum Angriffskrieg

Die dem sowjetischen Staatswesen von Anfang an innewohnende imperialistische Machtpolitik hat – von der Öffentlichkeit nicht beachtet – auch äußerlich einen sinnfälligen Ausdruck gefunden, und zwar in dem noch 1991 gültigen Staatswappen (gosudarstvennyj gerb) der UdSSR. In der Symbolik dieses Staatswappens lasten Hammer und Sichel drohend und klobig auf dem gesamten Erdball, vielsprachig umrandet von der aufrührerischen Parole: »Proletarier aller Länder vereinigt Euch!« Was sich hier so eindrucksvoll manifestiert, ist das sowohl von Lenin als auch von Stalin in aller Klarheit proklamierte Ziel einer Weltherrschaft der kommunistischen Sowjetmacht oder, wie sie es nannten, eines »Sieges des Sozialismus in der ganzen Welt«.

Niemand anderer als Lenin hatte es am 6. Dezember 1920 gewiesen, als er in einer Rede erklärte, es komme darauf an, die Gegensätze und Widersprüche unter den kapitalistischen Staaten auszunutzen und dieselben »aufeinanderzuhetzen«, »die Messer solcher Halunken wie der kapitalistischen Diebe gegeneinander zu lenken«, »denn wenn zwei Diebe sich streiten, ist der Ehrliche der lachende Dritte. Sobald wir stark genug sind, den gesamten Kapitalismus niederzuwerfen, werden wir ihn sofort an der Gurgel packen.« »Der Sieg der kommunistischen Revolution in allen Ländern ist unvermeidlich«, hatte er schon am 6. März 1920 erklärt. »In nicht allzu ferner Zeit wird dieser Sieg gesichert sein.«

Und wie schon die bekannte Rede Stalins vor dem Zentralkomitee der Allunionskommunistischen Partei im Juli 1925 erweist, hat sich auch Stalin diesem Grundsatz des Bolschewismus frühzeitig verschrieben. Er erklärte damals: »Sollte der Krieg beginnen, so werden wir nicht untätig bleiben – wir werden auftreten, aber wir werden als letzte auftreten. Und wir werden das entscheidende Gewicht in die Waagschale werfen, ein Gewicht, das ausschlaggebend sein dürfte.« Entgegen anderslautenden Behauptungen ist die >Stalin Doktrin<, wie auch Aleksandr Nekric mit wünschenswerter Eindeutigkeit feststellt, niemals aufgegeben worden. Sie behielt ihre Gültigkeit, und das Bestreben, »das faschistische Deutschland und den Westen aufeinanderzuhetzen«, war, wie Dasicev es formuliert, bei Stalin geradezu eine >fixe Idee< geworden.

Als die Rote Armee sich vermittelst einer schnellwachsenden gigantischen Kriegsrüstung im Zustande zunehmender Erstarkung befand, im Jahre 1939, hielt Stalin den Zeitpunkt für gekommen, um in die Krise des >Weltkapitalismus< kriegführend einzugreifen. Schon der Botschafter Großbritanniens, Sir Stafford Cripps, und der Botschafter der Vereinigten Staaten, Laurence F. Steinhardt, hatten darauf aufmerksam gemacht, daß Stalin nicht nur in Europa, sondern auch in Ostasien ab 1939 einen Krieg herbeizuführen wünschte. Bekanntgewordene Dokumente des Volkskommissariates des Äußeren (Narkomindel) geben uns hierüber mit hinreichender Klarheit Aufschluß. »Der Abschluß unserer Vereinbarung mit Deutschland«, so das Narkomindel am 1. Juli 1940 an den Sowjetbotschafter in Japan, »war diktiert von dem Wunsch nach einem Krieg in Europa.« Und im Hinblick auf den Fernen Osten heißt es ganz entsprechend in einem Telegramm aus Moskau an die Sowjetbotschafter in Japan und China am 14. Juni 1940: »Wir würden allen Verträgen zustimmen, die einen Zusammenstoß zwischen Japan und den Vereinigten Staaten heraufbeschwören.« Unverhohlen ist in diesen diplomatischen Weisungen die Rede von einem »Japanisch – Amerikanischen Krieg, den wir gern entstehen sehen würden«.

Russische Historiker erblicken heute längst auch einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem 23. August 1939 und dem 22. Juni 1941. Durch den Pakt mit Hitler vom 23. August 1939 hatte Stalin sein erstes Ziel erreicht, und er war, wie Marschall der Sowjetunion Zkukov sich erinnert, »überzeugt, er würde aufgrund des Paktes Hitler um den kleinen Finger wickeln«. »Nun, für das erste haben wir Hitler getäuscht«, so die Meinung Stalins nach Nikita Chruscev. Der Pakt vom 23. August 1939 hatte Hitler dazu ermutigt, Polen anzugreifen und als Folge hiervon, wie erwartet, einen europäischen Krieg entstehen lassen, an dem die Sowjetunion vom 17. September 1941 an als Aggressor teilnahm, ohne daß sie damit freilich die Kriegserklärung der Westmächte auf sich gezogen hätte. »Ein einziger Schlag gegen Polen«, so der verantwortliche Leiter der sowjetischen Politik, der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare Molotov am 31. Oktober 1939 vor dem Obersten Sowjet, »erst seitens der deutschen, dann seitens der Roten Armee, und nichts blieb übrig von dieser Mißgeburt des Versailler Vertrages, die ihre Existenz der Unterdrückung nichtpolnischer Nationalitäten verdankt hatte.« Auf ausdrücklichen Wunsch Stalins hin sollten nicht einmal Reste der staatlichen Existenz Polens bestehen bleiben.

Durch die Angriffskriege gegen Polen und Finnland, durch die erpresserische Annexion der souveränen Republiken Estland, Lettland und Litauen und die Androhung des Krieges gegen Rumänien vermochte die Sowjetunion im Gefolge der Verträge mit Hitler ihr Gebiet um ein Territorium zu vergrößern, das mit 426.000 qkm etwa der Ausdehnung des Deutschen Reiches von 1919 entsprach. Damit hatte Stalin die auch ihn schützende Staatenbarriere an seiner Westgrenze niedergerissen und seine Aufmarschbasis nach Westen bedeutend verbessert. Für ihn kam es nun auf den nächsten Schritt an, und die Voraussetzungen hierzu waren günstig. Denn die politisch strategische Lage Deutschlands wurde, seiner Anfangserfolge ungeachtet, in Moskau als kritisch eingeschätzt. Die Entscheidung im Krieg mit England rückte in immer weitere Ferne. Hinter Großbritannien aber standen mit wachsender Entschiedenheit die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Streitkräfte Deutschlands waren jetzt überall in Europa verzettelt und von Norwegen bis zu den Pyrenäen Großbritannien gegenüber in einer Front gebunden. Zum anderen aber war die Unfähigkeit Deutschlands, einen langen Krieg wirtschaftlich durchzustehen, in Moskau sehr wohl bekannt. Und wie verletzbar war das Deutsche Reich erst im Hinblick auf die Möglichkeit, es von den lebenswichtigen Erdölzufuhren aus Rumänien abzuschneiden!

In dieser Situation des Spätjahres 1940, als sich die Kriegslage für Deutschland und seinen >Achsenpartner< Italien immer mehr komplizierte, ließ Stalin durch Molotov in Berlin am 12./13. November 1940 jene Forderungen überbringen, die auf eine Ausdehnung der sowjetischen >Interessensphäre< auf Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Jugoslawien und Griechenland, also auf gesamt Südosteuropa, und im Norden auf Finnland hinausliefen, mit dem doch erst im März des Jahres feierlich ein Friedensvertrag geschlossen worden war. Selbst eine sogenannte >schwedische Frage< wurde zur Sprache gebracht. Die Sowjetunion beanspruchte mit anderen Worten jetzt eine beherrschende Stellung in ganz Osteuropa und im Ostseeraum, verlangte überdies die Errichtung von Stützpunkten an den Schwarzmeerausgängen und eine beliebige Passage durch die Ostseeausgänge (Großer Belt, Kleiner Belt, Sund, Kattegat, Skagerrack), so daß das im Existenzkampf befindliche Reich gleichsam von Norden und Süden her umklammert werden mußte.

Diese in einer sich versteifenden Kriegslage überbrachten Insinuationen waren so herausfordernd, daß sie Deutschland praktisch nur noch die Wahl ließen, sich zu unterwerfen oder zu kämpfen. Es handelte sich um eine vorsätzlich berechnete Provokation, bei der vor allem das psychologische Motiv von Interesse ist, weil es erkennen läßt, wie sicher und überlegen sich Stalin zu diesem Zeitpunkt schon gefühlt haben muß. Wenn er sich nämlich, wie dies die deutsche Botschaft in Moskau verschiedentlich verlauten ließ, tatsächlich vor Hitler gefürchtet haben sollte, dann würde er ihn wohl kaum in einer Art und Weise provoziert haben, die nach dem Urteil von Ernst Topitsch einer >Sommation< gleichkam, einer kaum noch verhüllten Aufforderung zur Unterwerfung. Molotov hat in den Tagen seiner Berliner Mission in einem ständigen, intensiven, telegraphischen Austausch mit Stalin gestanden, woraus zweifelsfrei hervorgeht, daß er auf unmittelbare Weisung Stalins hin gehandelt haben muß.

Daß mit der Molotov Mission in der Tat eine Herausforderung verbunden war, geht auch aus den Aufzeichnungen hervor, die Wanda Wasilewska, einstmals Vorsitzende des Verbandes Polnischer Patrioten (Kommunisten) in der Sowjetunion, noch vor ihrem Tode 1964 ausdrücklich festgehalten wissen wollte. »Ich erinnere mich«, so die Wasilewska, die sich der besonderen Gunst Stalins erfreut hatte, »daß wir Kommunisten unabhängig von der offiziellen Stellung der Sowjetregierung der Meinung waren, daß dies (die freundliche Haltung Deutschland gegenüber) lediglich eine Taktik der Sowjetregierung ist, daß aber in Wirklichkeit die Dinge völlig anders aussehen. Man darf ja nicht vergessen, daß für jeden von uns es schon damals klar war, daß ein deutsch sowjetischer Krieg kommen muß…

Unabhängig von den offiziellen Äußerungen glaubten wir, daß der Krieg kommen wird, und wir warteten von Tag zu Tag auf ihn. Im Frühjahr 1940 war ich zum erstenmal in Moskau bei Stalin und schon damals (als ganze sechs deutsche Divisionen an der Ostgrenze standen) hat mir Stalin gesagt, daß der Krieg mit den Deutschen früher oder später kommen werde. Also hatte ich schon damals die Versicherung der höchsten Autorität und die Bestätigung, daß wir recht hatten, wenn wir auf den Krieg warteten.« Aufschlußreich ist, was Wanda Wasilewska in den Tagen der Molotov Mission Ende 1940 über eine Unterredung mit dem 1. Sekretär der KP Weißrußlands, Ponomaremko, dem späteren Chef des Zentralen Stabes der Partisanenbewegung, berichtet, dessen Worte sie folgendermaßen wiedergibt: »Molotov war in Berlin. Er ist gerade zurückgekommen. Es wird Krieg geben. Sicherlich wird es dazu im Frühjahr 1941 kommen, aber wir müssen uns schon jetzt vorbereiten.«

Das Überlegenheitsgefühl Stalins, wie es in der Offenlegung seiner aggressiven Absichten Ausdruck fand, war freilich wohl begründet, wenn man nur einen Blick auf die geradezu gigantische sowjetische Rüstungsproduktion wirft, die damals immer mehr auf Touren kam. So verfügte die Rote Armee schon ein halbes Jahr später, mit dem Tage des Kriegsbeginnes, am 22. Juni 1941, über nicht weniger als 24.000 Panzer, darunter 1861 der Typen T 34 und KV (Klim Vorogilov), die in der ganzen Welt nicht ihresgleichen fanden und von denen im Jahr 1940 358, im ersten Halbjahr 1941 aber schon 1503 Stück hergestellt worden sind. Die Luftstreitkräfte der Roten Armee hatten allein seit 1938 insgesamt 23.245 Kriegsflugzeuge erhalten, darunter 3719 Maschinen neuester Bauart. Fernerhin verfügte die Rote Armee über 148.000 Geschütze und Granatwerfer aller Gattungen und Systeme. Zum Bestand der Roten Seekriegsflotte gehörten neben einer Vielzahl anderer Schiffstypen allein 291, nach russischer Angabe aber mindestens 213 U Boote, eine ausgesprochene Angriffswaffe. Die Sowjetarmee gebot damit über eine größere U Bootflotte als alle anderen Länder der Erde, und sie übertraf die führende Seemacht Großbritannien in der Zahl der U Boote um mehr als das Vier bis Sechsfache.

Was die sowjetischen Panzerstreitkräfte angeht, so waren sie nach dem Urteil eines kompetenten Sachverständigen, des Marschalls der Panzertruppen Polubojarov, sowohl ihrer Zahl, als auch ihrer »technischen Ausrüstung, ihrer Organisationsformen und ihrer Kampfverfahren« nach einer jeden auswärtigen Macht überlegen. Dies galt nicht nur für den unübertroffenen mittleren Panzer T 34 und den schweren Panzer KV, sondern auch für die sogenannten älteren Modelle T 26, BT 7, T 28 und T 35, von denen der mittlere Panzer T 28 und der schwere Panzer T 35, in fast allen Gefechtseigenschaften und technischen Daten den deutschen Kampfpanzern III und IV deutlich überlegen waren. …

Ebenso standen die seit 1940 zur Auslieferung gelangten 3719 sowjetischen Flugzeuge modernster Bauart, die Jagdflugzeuge Mig 3, das Sturzkampfflugzeug Pe 2 und das Schlachtflugzeug IL 2, von denen allein 2650 im ersten Halbjahr 1941 hergestellt worden waren, den vergleichbaren deutschen Mustern in keiner Weise nach, übertrafen sie vielmehr allein schon durch ihre Geschwindigkeit. …

Schließlich war auch das Artilleriematerial der Roten Armee,
einschließlich des Salvengeschützes (reaktiven Werfers) BM 13, der 7,6 cm Divisionskanone, der 12,2 cm Haubitze, der 15,2 cm Haubitzkanone teilweise von einer Qualität, die das Erstaunen der deutschen Führungsstellen hervorrief. Alle diese Erkenntnisse sind durch neue russische Forschungsarbeiten bestätigt und noch präzisiert worden.

Die personelle und materielle Überlegenheit der Truppen der Roten Armee am 22. Juni 1941 ergibt sich aus einem einfachen Kräftevergleich. So gehörten zu deren Bestand schon am 15. Mai 1941, wie der Generalstab an Stalin meldete, 303 Divisionen, von denen zu diesem Zeitpunkt 258 Divisionen und 165 Fliegergeschwader in offensiver Aufstellung Deutschland, Finnland und Rumänien gegenüber versammelt waren.
Die vom Generalstab der Roten Armee Stalin am 15. Mai 1941 gemeldete Gesamtstärke der Roten Armee von mindestens 375 Divisionen. … 3.550 deutschen Panzern und Sturmgeschützen standen nach russischen Angaben 14.000 sowjetische Panzer gegenüber, eine Anzahl, die bei einem Gesamtbestand von 24.000 Panzern noch niedrig gegriffen ist …

Den 2500 einsatzbereiten deutschen Flugzeugen standen von insgesamt 23.245 vorhandenen sowjetischen Maschinen angeblich nur 10.000 Flugzeuge gegenüber, die, wie selbst der Reichsminister Goebbels in seinen Tagebüchern klagte, in kritischen Situationen immerhin in Erscheinung traten und der deutschen Luftwaffe zu schaffen machten.

Und den 7146 deutschen Artillerierohren gegenüber befanden sich nach russischen Angaben 37.000 von insgesamt doch 148.000 Geschützen und Granatwerfern, die die sowjetische Rüstungsindustrie an die Rote Armee abgegeben hatte. …

In dieser Größenordnung bestand auf seiten der Roten Armee am 22. Juni 1941 demnach eine 5 – 6fache Überlegenheit an Panzern, eine 5 – 6fache Überlegenheit an Flugzeugen und eine 5 – 10fache Überlegenheit an Artilleriestücken. Dabei muß berücksichtigt werden, daß der Serienausstoß moderner Waffen gerade erst angelaufen und ein sprunghaftes Hochziehen der Produktionszahlen nicht nur vorgesehen war, sondern trotz der ungeheuren Einbuße an industrieller Kapazität infolge des deutschen Raumgewinnes tatsächlich schon im zweiten Halbjahr 1941 erreicht werden konnte.

Auf der materiellen Grundlage einer gigantischen und sich immer schneller entwickelnden Kriegsrüstung hatte die Rote Armee eine einseitig auf den Angriffsgedanken zugeschnittene abenteuerliche Kriegstheorie hervorgebracht. Charakteristisch für diese Lehre vom Kriege war die Aufhebung des Begriffs eines >Angriffskrieges< wie auch des eines >ungerechten< Krieges, sofern nur die Sowjetunion als Kriegspartei auftrat. Schon Lenin hatte verkündet, es komme nicht darauf an, wer als erster angreife, sondern auf die Ursachen eines Krieges, auf seine Ziele und auf die Klassen, die ihn führten. Für Lenin und Stalin war ein jeder Angriffskrieg der Sowjetunion gegen jedes beliebige Land von vornherein immer ein reiner Verteidigungskrieg und damit in jedem Falle ein gerechter und moralischer Krieg, wodurch auch der Unterschied zwischen einem Präventiv und einem Gegenschlag entfiel.

Die sowjetische Kriegstheorie ging im übrigen von der Voraussetzung aus, daß Kriege heute nicht mehr erklärt werden, da jeder Angreifer das natürliche Bestreben habe, sich den Vorteil des Überraschungsmomentes zu sichern. »Überraschung wirkt lähmend«, heißt es schon in der Felddienstordnung von 1939, »daher müssen alle Kampfhandlungen unter größter Tarnung und mit größter Schnelligkeit durchgeführt werden.« Überfallartig, ohne regelrechte Kriegserklärung, waren auch die sowjetischen Angriffe auf Polen und Finnland 1939 begonnen worden. Die Kampfhandlungen sollten durch eine überfallartige Kriegsöffnung sofort in das Land des Gegners getragen und von Beginn der Feindseligkeiten an sollte damit das Gesetz des Handelns gewonnen werden.
Im Hinblick auf die Angriffsvorbereitungen im Frühjahr 1941 lassen sich die Grundsätze der sowjetischen Kriegslehre thesenartig wie folgt zusammenfassen:

1. Die RKKA (Rote Arbeiter- und Bauernarmee) ist eine >offensive Armee<.
2. Der Krieg wird immer auf feindlichem Territorium geführt und unter geringen eigenen Opfern mit der vollständigen Zerschmetterung des Gegners enden.
3. Das Proletariat im Lande des Gegners ist ein potentieller Verbündeter der Sowjetmacht und wird durch Aufstände im Rücken des feindlichen Heeres den Kampf der Roten Armee unterstützen.
4. Kriegsvorbereitungen sind Angriffsvorbereitungen, Verteidigungsvorkehrungen dienen einzig der Durchführung der Angriffsunternehmen in den Nebenrichtungen.
5. Die Möglichkeit des Eindringens feindlicher Streitkräfte in das Territorium der UdSSR ist ausgeschlossen.

Es wird zu zeigen sein, daß alle sowjetischen Maßnahmen sich an diesen Grundsätzen orientierten. Das Dogma von der Unbesiegbarkeit der Roten Armee hatte 1941 im übrigen die Bedeutung eines Gesetzes und unterlag keiner theoretischen Erörterung. Abweichungen von der offiziellen Lehre galten als Opposition gegen die Generallinie der Partei und damit Stalins und waren für den Betreffenden nahezu mit unfehlbarer Sicherheit von tödlicher Konsequenz.

In welcher Weise den Angehörigen der Roten Armee und Seekriegsflotte das Gefühl einer Unüberwindlichkeit der Streitkräfte der Sowjetunion eingeimpft worden war, darüber erhielten die Deutschen nach Kriegsbeginn vielfachen Aufschluß. So berichtete der sowjetische Oberstleutnant des Generalstabes Andrusat, (39. Schützenkorps), der Gelegenheit gehabt hatte, auf die deutsche Seite überzuwechseln, schon am 25. April 1941 von einer massiven Propagandaeinwirkung, die tiefe Spuren in der Truppe hinterlasse: »Die Politkommissare betonen ununterbrochen, daß der Krieg auf fremdem Gebiet stattfinden wird, nie auf eigenem… Die Sowjetunion wird immer siegen, da sie im Innern bei jedem Gegner unzählige Bundesgenossen hat… Aufgrund der Vorträge der Politkommissare hält die Rote Armee sich für die beste der Welt. Sie könne daher von niemandem geschlagen werden. Es herrscht eine ungeheuere Selbstüberschätzung.«

Immer wieder äußerten sich sowjetische Offiziere auch nach Kriegsbeginn in derselben Weise. Major Filippov (29. Schützenkorps) etwa berichtete am 26. Juni 1941 von der in der Truppe »vorherrschenden Meinung, daß die Rote Armee nicht zu schlagen sei«. Dies entsprach dem, was Oberst Ljubimov und Major Michajlov (beide 49. Panzerdivision) am 4. August 1941 zum Ausdruck brachten, als sie von der »in vollem Umfange vorhandenen Überzeugung« sprachen, »daß die Rote Armee auf das Allerbeste ausgerüstet und ausgebildet und dadurch unbesiegbar sei«. Auch Major Ornugkov (11.Panzerdivision) war »fest davon überzeugt, daß die russische Armee nicht zu schlagen sei«. Er erklärte am 6. August 1941: »Nach der für die Rote Armee entwickelten Propaganda konnte das russische Volk auch das größte Vertrauen zu seiner Wehrmacht haben. Militärzeitschriften, Presse, Kino und Rundfunk betonen immer wieder den gewaltigen Ausbau der Panzer und Luftwaffe.«

Und immer stand im Hintergrund, was der als »ungewöhnlich intelligent« geschilderte Leutnant Il’jin (vom Stabe des Schützenregimentes 964 der 296. Schützendivision), ein Student der Philologie, seinen deutschen Vernehmern am 3. Januar 1942 zutreffend bestätigte: »Man habe in Rußland bis in die ersten Kriegsmonate hinein noch stark mit dem Ausbruch innerdeutscher Unruhen gerechnet.« …

Stalin hielt eine Auseinandersetzung mit Deutschland seit Frühjahr 1940 für unvermeidlich, und im Bewußtsein der wachsenden Stärke der Roten Armee und der sich verschlechternden Lage des Reiches nahm er die Ausmusterung der Absolventen der Militärakademien am 5. Mai 1941 zum Anlaß, um vor der Führung der Armee zu verkünden, daß angesichts der inzwischen erreichten Überlegenheit der Sowjetarmee nunmehr der Zeitpunkt gekommen sei, um, so wörtlich, »von der Verteidigung zur Kriegspolitik von Angriffsoperationen überzugehen«.

Welche Bedeutung dieser Rede Stalins für die von ihm gehegten aggressiven Absichten zukommt, geht allein schon aus der Tatsache hervor, daß seine Worte der Öffentlichkeit entgegen sonstigen Gepflogenheiten vorenthalten wurden und der Text seiner Rede in zentralen Parteiarchiven verschwand. Stalinistische Desinformatoren wie der berüchtigte General Golikov und der Journalist Bezymenskij hatten frühzeitig irreführende Versionen in Umlauf gesetzt, die Eingang besonders in der westdeutschen Geschichtsschreibung fanden und hier als Beweis für die angeblich friedfertigen Absichten Stalins herhalten mußten.

Unser bisheriges Wissen um die aggressiven Absichten Stalins findet denn auch schon in dieser Kurzfassung vollauf eine Bestätigung …, und es blieb dem Bonner Historiker Alexander Fischer vorbehalten, in einem Gedenkartikel der renommierten FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, anläßlich der fünfzigsten Wiederkehr des Tages des Angriffs auf die Sowjetunion, die irreführende Version Bezymenskijs als letzte Erkenntnis einer in Bewegung geratenen Geschichtsschreibung in Rußland zu präsentieren. Kriegsgefangene sowjetische Offiziere hatten den Deutschen schon bald nach Kriegsbeginn ziemlich einhellig hierüber Aufschluß gegeben.

Der erste bekannte Hinweis auf den Inhalt der Stalinrede findet sich in den Akten am 15. Juli 1941, als der Kommandeur der 53. Schützendivision, Oberst Bartenev, berichtete, Stalin habe auf einem Bankett im Kreml den Toast eines Generalmajors auf die Friedenspolitik sofort zurückgewiesen und erwidert: »Nein, Kriegspolitik!« Sechs junge Offiziere verschiedener Divisionen sagten am 20. Juli 1941 übereinstimmend aus: »Bei der Entlassung der Generalstabsoffiziere aus der Kriegsschule im Mai dieses Jahres sagte Stalin u. a.: >Ob Deutschland will oder nicht, der Krieg mit Deutschland kommt<.«

Der Oberbefehlshaber der 32. Armee
gab die »kurz vor Beginn des Krieges, gelegentlich eines Empfanges der Absolventen der Kriegsakademie« von Stalin gehaltene Rede im Oktober 1941 in der Weise wieder, daß dieser die große technische Überlegenheit der Roten Armee über die »sogenannt unbesiegbare deutsche Wehrmacht« hervorgehoben und erklärt habe, »es sei eine falsche Ansicht, die deutsche Armee für unbesiegbar zu halten. Indirekt ging aus Stalins Worten hervor, daß ein Angriff auf Deutschland geplant war«.

Sehr genau erinnerte sich zudem einer der Absolventen, Oberleutnant Kurilskij, noch am 24. März 1942 der am 5. 5. 18.00 Uhr im Sitzungssaal des Obersten Sowjet im Kreml, Moskau, vor den Absolventen der Kriegsakademien gehaltenen Stalinrede. Demnach habe Stalin gesagt: »Die deutsche Wehrmacht ist nicht unbesiegbar. Sowjet Rußland hat bessere Panzer, Flugzeuge und Artillerie als Deutschland und in größerer Zahl. Darum werden wir früher oder später gegen die deutsche Wehrmacht kämpfen.«

Die Kernpunkte der Stalinrede vom 5. Mai 1941 finden eine Bestätigung auch in Unterredungen, die Botschaftsrat Gustav Hilger am 18. Januar 1943 mit dem Oberbefehlshaber der 3. Gardearmeee, Generalmajor Krupennikov, und am 22. Juli 1943 mit dem Artilleriekommandeur der 30. Armee, Generalleutnant Masanov, führte. Krupennik, der ebenso wie Masanov an der Veranstaltung im Kreml selbst nicht teilgenommen hatte, meinte zwar, »daß Stalin zu vorsichtig sei, um seine Pläne so offen zu verraten«, erklärte aber mit Bestimmtheit, »daß Stalin sich auf einen Krieg mit Deutschland seit Jahren systematisch vorbereitet habe und ihn unter einem geeigneten Vorwand spätestens im Frühjahr 1942 entfacht hätte… Das Endziel Stalins sei die Erringung der Weltherrschaft mit Hilfe der alten bolschewistischen Schlagworte von der Befreiung der Werktätigen«.
Masanov dagegen zeigte sich, wie Hilger schreibt, »über die Rede Stalins auf dem Bankett im Kreml am 5. 5.1941 genau unterrichtet. Obwohl er selbst bei der Veranstaltung nicht anwesend war, zitierte er den Ausspruch Stalins über die Notwendigkeit, sich auf einen Angriffskrieg vorzubereiten, fast wörtlich und brachte anschließend die eigene Überzeugung zum Ausdruck, daß Stalin den Krieg gegen Deutschland im Herbst 1941 entfacht hätte«.

Die Deutschen waren also recht bald im Bilde. Und bereits am 18. Oktober 1941 richtete der Chef der Abteilung Fremde Heere Ost im Generalstab des Heeres, Oberst i. G. Gehlen, an den Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Oberkommando des Heeres, Rittmeister d. R. von Etzdorf, ein Schreiben, dem er die »voneinander unabhängig verfaßten Berichte« dreier kriegsgefangener sowjetischer Offiziere beifügte, die »übereinstimmend« zum Ausdruck brachten, daß Stalin am 5. Mai 1941 auf einem Bankett im Kreml »Kriegsdrohungen gegen Deutschland ausgestoßen« hatte. Gehlen faßte den Inhalt dieser Berichte in folgender Weise zusammen:

1.) Aufruf, sich zum Krieg gegen Deutschland bereitzuhalten.

2.) Ausführungen über Kriegsvorbereitungen der Roten Armee.

3.) Die Ära der Friedenspolitik der Sowjetunion ist vorüber. Ausdehnung der Sowjetunion mit Waffengewalt nach Westen ist nunmehr notwendig. Es lebe die aktive Angriffspolitik des Sowjetstaates!

4.) Der Kriegsbeginn steht in nicht allzuferner Zeit bevor.

5.) Ausführungen über die großen Siegesaussichten der Sowjetunion im Krieg gegen Deutschland.«

Gehlen fügte hinzu: »Einer der drei Berichte enthielt die bemerkenswerte Äußerung, daß der mit Deutschland bestehende Friedensvertrag >nur eine Täuschung und ein Vorhang sei, hinter dem man offen arbeiten könne<.
«

Oberst i. G. Gehlen nahm Bezug auf Äußerungen gefangengenommener Sowjetoffiziere
in einer anderen Quelle, nach denen Stalin im Mai 1941 Pläne gegen Deutschland geschmiedet und einem Kreise von Offizieren gegenüber geäußert habe, jetzt oder nie sei die Gelegenheit, den Kapitalismus zu liquidieren, der Hauptgegner in diesem Kampf werde Deutschland sein.

Der alarmierende Inhalt der Stalinrede ist durch Veröffentlichungen des Botschaftsrates Hilger und des britischen Korrespondenten in Moskau Alexander Werth in den Jahren nach dem Kriege aber längst auch einem breiteren Publikum bekanntgeworden.
Hilger hatte drei in Gefangenschaft geratene höhere sowjetische Offiziere, Teilnehmer an der Veranstaltung im Kreml, befragt, die in ihren Schilderungen fast wörtlich übereinstimmten, obwohl sie keine Gelegenheit gehabt hatten, sich miteinander zu verständigen. …

Nach den Informationen, die Werth nach Kriegsausbruch zugespielt worden waren, habe Stalin erklärt, es sei notwendig, den Krieg mit Deutschland bis zum Herbst hinauszuzögern, weil es für einen deutschen Angriff dann zu spät sei. Der Krieg mit Deutschland werde aber >fast unvermeidlich< 1942 stattfinden und zwar unter viel günstigeren Bedingungen. Je nach der internationalen Situation werde die Rote Armee »entweder einen deutschen Angriff erwarten, oder sie wird die Initiative zu ergreifen haben«. Ausdrücklich hob Werth hervor, alle seine Informationen hätten »in den Grundzügen und vor allem in einem der wichtigsten Punkte« übereingestimmt, in »Stalins Überzeugung, daß der Krieg fast unvermeidlich 1942 ausgefochten werde, wobei die Russen möglicherweise die Initiative zu ergreifen haben werden«. Es wird zu zeigen sein, daß Stalin den Termin des Kriegsbeginnes von 1942 offenkundig auf das Jahr 1941 vorgezogen hatte.

Schließlich hat auch der Stalinbiograph, Generaloberst Professor Volkogonov,
die Rede Stalins, die in >Kriegsdrohungen gegen Deutschland< gipfelte, in treffenden Worten wiedergegeben. Nach Volkogonov war Stalin »aufrichtig wie sonst selten und sprach über vieles, was ein Staatsgeheimnis darstellte«. Es war jedoch weniger Aufrichtigkeit als vielmehr der Alkohol, der seine Zunge gelöst hatte, nach dem russischen Sprichwort: >Was einer betrunken auf der Zunge hat, das hat er nüchtern im Kopf.< Denn wie Augenzeugen berichten, war er >in vorgerückter Stunde< bereits stark alkoholisiert. Volkogonov faßte die Rede vom 5. Mai 1941 folgendermaßen zusammen: »Der Vozd‘ (Führer) machte unmißverständlich klar: Der Krieg ist in Zukunft unausweichlich. Man muß bereit sein zur >bedingungslosen Zerschlagung des deutschen Faschismus<«, »Der Krieg wird auf dem Territorium des Gegners geführt und der Sieg mit geringen Opfern errungen werden.«

Die Rede vom 5. Mai 1941, in der Stalin seine Angriffsabsichten offenbarte, bedeutete aber nur die Fortsetzung einer Rede des >Genossen Stalin< vom 13. Januar 1941 vor höheren Truppenkommandeuren und einer weiteren Rede vom 8. Januar 1941 vor höheren Luftwaffenoffizieren, beide gehalten im Zentralkomitee, die schon ganz ähnliche Gedanken verraten hatten. Dem erbeuteten Tagebuch des bei Lochvica gefallenen Majors des NKVD Murat aus dem Stabe der 21. Armee lassen sich einige Kernpunkte entnehmen. Demnach hatte Stalin von einem >kultivierten Gegner<, nach dem damaligen Sprachgebrauch der Führung der Roten Armee also von Deutschland, und von >Angriffsoperationen< gesprochen, die beginnen könnten, wenn man eine zweifache Überlegenheit besitze. »Eine zweifache Überlegenheit ist Gesetz, eine stärkere noch besser«, so Stalin am 13. Januar 1941: »Das Spiel nähert sich den kriegerischen Operationen.«, »Wenn 5000 Flugzeuge alles zerstören, dann kann man versuchen, über die Karpathen zu gehen.«

Der Balkan stand im Frühjahr 1941 mehrfach im Mittelpunkt der sowjetischen Planungen. Und wie ungefähr man sich ein Vorgehen dachte, enthüllte bald darauf der sowjetische Bevollmächtigte Vertreter in Belgrad. »Die UdSSR wird erst im entsprechenden Moment reagieren«, so heißt es in einem Referat von ihm im Frühjahr 1941: »Die Mächte verzetteln ihre Kräfte immer mehr. Daher wird die UdSSR unerwartet gegen Deutschland antreten. Hierbei überquert die UdSSR die Karpathen, was als Signal für die Revolution in Ungarn dient. Von Ungarn aus dringen die Sowjettruppen in Jugoslawien ein, stoßen zum Adriatischen Meer vor und schneiden den Balkan und den Nahen Osten von Deutschland ab.«

Stalin und die sowjetische Führung hatten in zunehmendem Maße Bericht erhalten über >den Unwillen des deutschen Volkes, Krieg zu führen< … »Wenn Deutschland sich in einen Krieg mit der UdSSR stürzt«, so angeblich die deutschen Soldaten, »wird es geschlagen werden« … Generaloberst Volkogonov nimmt Bezug auf ein in Moskau damals verbreitetes Buch DER ERSTE SCHLAG (Pervyj udar) von Spanov, das die allgemein in der Sowjetunion herrschende Meinung wiedergab, daß nämlich »nach dem vernichtenden Schlag der Roten Armee gegen das faschistische Deutschland dort am zweiten Tag ein Aufstand gegen das Naziregime ausbrechen werde«. Es ist bezeichnend für die sowjetische Theorie, daß ein solcher >vernichtender Schlag< nicht etwa einen deutschen Angriff voraussetzte, sondern jederzeit nach eigenem Belieben geführt werden konnte.

Das Akademiemitglied Varga, ein besonderer Protegé Stalins, erklärte in einer Rede vor der Militärpolitischen Akademie V. I. LENIN am 17. April 1941, daß, sobald aufgrund des Krieges eine >revolutionäre Krise< eintrete, die >bürgerliche Macht< geschwächt sei und das »Proletariat die Macht in seine Hände nimmt«, »die Sowjetunion dann verpflichtet ist, und sie wird es tun, der proletarischen Revolution in anderen Ländern zu Hilfe zu kommen«. »Das sowjetische Volk vergißt nicht seine internationalen Verpflichtungen im Hinblick auf das Weltproletariat und alle Werktätigen der kapitalistischen Länder«, hatte die SOVETSKAJA UKRAINA schon am 21. Januar 1941 verkündet. Das Streben, das >Feuer der Weltrevolution< zu entfachen, verband sich hier, wie noch an anderer Stelle deutlich wird, mit dem sowjetischen Eroberungsdrang, der sich in das Propagandagewand eines revolutionären Befreiungskrieges hüllte.

Die von Stalin am 13. Januar 1941 geforderte mehrfache Überlegenheit war damit auf dem für Angriffsoperationen ausschlaggebenden Panzersektor eindeutig gegeben. Die Rote Armee verfügte über eine gewaltige Streitmacht gepanzerter Stoßkräfte, die sie zu weiträumigen Angriffsoperationen befähigte. Daß sich später, etwa hinsichtlich der Führung der mechanisierten Korps, Mängel ergaben, war für die vor dem 22. Juni 1941 getroffenen Entscheidungen unerheblich.

Ähnlich lagen die Verhältnisse auf dem Felde der Luftwaffe.
»Wir haben«, so Stalin, »in genügender Anzahl und produzieren massenweise Flugzeuge, die eine Geschwindigkeit von 600 – 650 Stundenkilometern erreichen. Das sind erstrangige Flugzeuge. Im Kriegsfall werden diese Flugzeuge in erster Linie eingesetzt.« …

Bezymenskij unterschlägt den wichtigsten Abschnitt der Veranstaltung im Kreml, der in der KRATKAJA ZAPIS‘ überliefert wird und der ein ungewöhnliches Vorkommnis darstellt. Als ein Generalmajor der Panzertruppen zu vorgerückter Stunde auf dem Bankett einen Toast auf die friedliche Stalinsche Außenpolitik ausbrachte, geschah etwas Unerwartetes. Stalin erhob sich zum dritten Mal, um den General seiner gutgemeinten Worte wegen zurechtzuweisen Beweis dafür, daß dieser die entscheidende Frage berührt hatte. Stalin sagte: »Erlauben Sie mir eine Korrektur anzubringen. Die Friedenspolitik sicherte den Frieden unseres Landes, Friedenspolitik ist eine gute Sache. Wir führten bis jetzt, bis zur Gegenwart, die Linie der Verteidigung – bis jetzt, solange die Armee nicht mit neuzeitlichen Kampfmitteln ausgerüstet war. Aber jetzt, wo wir unsere Armee rekonstruiert haben, … wo wir stark geworden sind, – jetzt ist es notwendig, von der Verteidigung zum Angriff überzugehen. … Es ist notwendig, unsere Erziehung, unsere Propaganda, unsere Presse auf den Angriffsgedanken hin umzustellen. Die Rote Armee ist eine neuzeitliche Armee, und eine neuzeitliche Armee ist eine Angriffsarmee.«

Die von den obengenannten Offizieren aller Dienstgrade mitgeteilten Kriegsdrohungen Stalins gegen Deutschland am 5. Mai 1941 finden in der KRATKAJA ZAPIS‘ also einen unmißverständlichen Ausdruck, ebenso übrigens wie der Wille Stalins zur Durchführung eines Angriffskrieges. Wenn die westdeutsche Zeitgeschichtsschreibung immer argumentierte, es sei nirgendwo der politische Angriffswille Stalins nachweisbar, so sei darauf hingewiesen, daß es noch weitere Belege gibt.

Aleksandr Nekric, der in jüngster Zeit die persönlichen Papiere der engsten Vertrauten Stalins, von Kalinin, Zdanov, Scerbakov, Berija und anderer in Moskau studiert hatte, macht uns auf diese Beweise aufmerksam. Demnach hat im Politbüro niemals der geringste Zweifel darüber bestanden, daß die Sowjetunion zu einem geeigneten Zeitpunkt einen Angriffskrieg gegen Deutschland eröffnen werde. Das politische Ziel der Sowjetunion ist in diesen Kreisen in einer Reduzierung der >kapitalistischen Welt< und in einer Ausdehnung der >sozialistischen Zone< gesehen worden, die mit der Sowjetunion gleichgesetzt wurde.
In diesem Zusammenhang soll Kalinin angeführt werden, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet und damit Staatsoberhaupt der UdSSR, einer der ergebensten Spießgesellen Stalins, der auch den Erschießungsbefehl für die 15.000 polnischen Offiziere von Katyn mitunterzeichnet hatte.
Kalinin hielt am 20. Mai 1941, also 14 Tage nach Stalin, eine Rede vor Funktionären des Apparates des Obersten Sowjet, in der er, ganz im Stile seines Herrn und Meisters, die Grundidee der sowjetischen Außenpolitik bekräftigte: Im Falle der gegenseitigen Erschöpfung der kapitalistischen Staaten entsprechend der Stalindoktrin von 1925 mit unverbrauchten Kräften in den Krieg einzutreten und zum Schluß die eigenen Bedingungen zu diktieren. Zwar war dieses Konzept 1940 vorerst durchkreuzt worden. Aber Kalinin fuhr fort, Kommunisten sollten sich nicht mit Fragen der Friedensbewahrung befassen, sondern »vor allem an der Frage interessiert sein, welchen Vorteil die Kommunistische Partei aus Ereignissen ziehen könne, die nur einmal in fünfzig Jahren stattfinden«. Er sagte des weiteren wörtlich und in aller Offenheit: »Krieg ist ein sehr gefährliches Geschäft, mit Leiden verbunden«, aber zu einem Zeitpunkt, »wo es möglich ist, den Kommunismus auszudehnen«, sollte ein Krieg »nicht außer Betracht bleiben«.
Kalinin drückte seine Genugtuung darüber aus, daß es der Sowjetunion gelungen war, »die Zone des Kommunismus ein wenig auszudehnen, und zwar unter verhältnismäßig geringen Einbußen«. Und er fügte hinzu, die Ausdehnung der Zone des Kommunismus müsse fortgesetzt werden. Am 5. Mai 1941 hatte Stalin den Angriffsgedanken einer breiten militärischen Öffentlichkeit verkündet. Und Kalinin stand nicht allein, als er ihn am 20. Mai 1941 ebenfalls vor einem offiziellen Gremium auf seine Weise kommentierte. Auch Zdanov und andere Mitglieder des Politbüros haben sich in ihren Reden aus dieser Zeit rückhaltlos zu der aggressiven Zielsetzung der Politik Stalins bekannt.


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https://heerlagerderheiligen.wordpress.com/2018/03/18/joachim-hoffmann-stalins-vernichtungskrieg-teil-1/