Gentechnik in der EU: Der Aufschrei der Wissenschaftler

Von Holger Douglas

Klonen ist eine alte Technik. Vier Bakterien schafften es vor rund 8.000 Jahren, in den Erbstrang der Süßkartoffel einzudringen. Von welchem gesetzesschöpfenden Juristen oder Politiker darf erwartet werden, dass er weiß, was vor so langer Zeit geschah?

Ein heftiger Alarmruf kommt aus den Wissenschaften, ein sehr heftiger. Pflanzenforscher fordern die EU-Politik dringend auf, die Rechtsvorschriften zu ändern.

»Die EU-Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen spiegeln nicht den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse wider«,

schreiben sie in einem Aufruf, den führende Forscher aus immerhin 85 Instituten quer in Europa unterzeichnet haben. Darunter Ralph Bock, Director des Max-Planck-Institutes für Molekulare Pflanzenphysiologie, Detlef Weigel, Direktor des Max-Planck-Institutes für Entwicklungsbiologie, aus Österreich Magnus Nordborg, der wissenschaftliche Direktor des Gregor-Mendel-Institutes (GMI), Hubert Hasenauer, Rector der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) und Christian Obinger, Vice-Rector for Research and Innovation sowie Wolfgang Knoll and Anton Plimon, Managing Directors of the AIT Austrian Institute of Technology. Die Liste der renommierten Wissenschaftler ist lang und geht quer durch Europa, von Litauen, Schweden über Dänemark, England bis Frankreich und Spanien. So viel europaweite Empörung war selten.

Die Forscher werden durch veralteten Rechtsvorschriften behindert, die nichts mehr mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun haben.

»Wir fordern die europäischen politischen Entscheidungsträger daher auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf allen Ebenen zu sichern.« sagen sie harsch.

»Organismen, die im Rahmen der Präzisionszüchtung einfachen und gezielten Genomanalysen unterzogen wurden und keine Fremdgene enthalten, sind mindestens so sicher, als ob sie aus klassischen Züchtungsmethoden stammen würden. Deshalb fordern wir alle europäischen Behörden auf, rasch auf dieses Urteil zu reagieren und die Rechtsvorschriften so zu ändern, dass Organismen, die solche Bearbeitungen enthalten, nicht den Bestimmungen der GVO-Richtlinie unterliegen, sondern unter das Regulierungssystem fallen, das für klassisch gezüchtete Sorten gilt. Längerfristig sollte die GVO-Richtlinie grundlegend überarbeitet werden, um den wissenschaftlichen Fortschritt in der Biotechnologie korrekt wiederzugeben.«

Die Wissenschaftler warnen in drastischen Worten vor den drastischen Folgen der restriktiven Regulierung innovativer Pflanzenzüchtungsmethoden: »Die europäische landwirtschaftliche Innovation auf der Grundlage der Präzisionszüchtung wird wegen der hohen Schwelle, die diese EU-Rechtsvorschrift darstellt, zum Stillstand kommen. Dies wird den Fortschritt in der nachhaltigen Landwirtschaft behindern und der Pflanzenzüchtung in Europa einen Wettbewerbsnachteil verschaffen. Die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft werden enorm sein.«

Hauptziel des Zorns gilt dem Urteil des EU-Gerichtshof (EuGH) über neue Züchtungsmethoden und seine Folgen.

Wie berichtet, hat der EuGH im Juli dieses Jahres in einem aufsehenerregenden Urteil neue Züchtungsmethoden wie Genome Editing und CRISPR/Cas willkürlich als Gentechnik eingestuft. Damit kann niemand mehr diese fortschrittlichen Technologien nutzen, ohne einen ungeheuren, alles erschlagenden Wust an gesetzlichen Auflagen zu erfüllen.

Das Urteil bedeutet: Das war es dann mit neuer Technologie. Schon wieder findet eine technologische Revolution nicht mehr in der EU, sondern anderen Teilen der Welt statt. Nach Auffassung des Gerichts beinhalten die neuen Methoden die gleichen Risiken wie die bisherige grüne Gentechnik. Pflanzen, die mit diesen Technologien gezüchtet werden, gelten deshalb fortan als gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Somit kann niemand mehr diese fortschrittlichen Technologien nutzen, ohne einen alles erschlagenden Wust an gesetzlichen Auflagen zu erfüllen.

Geklagt hatten französische Bauernverbände, verschiedene Gentechnikgegner und Naturschutzorganisationen aus der grünen Ecke. Sie sehen diese Pflanzen als menschengemachte Kreationen an, von denen erhebliche Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier ausgehen würden.

Sicher darf man sagen: Nach dieser Rechtsprechung hätte Gregor Mendel heute keine Chance mehr. Der Mönch, der mit seinen akribischen Untersuchungen im 19. Jahrhundert die Gesetze der Vererbung entdeckte und formulierte, dürfte seine Versuche heute nicht mehr anstellen. Zumindest müsste er vorher dutzendweise Anträge stellen, Ethikkommissionen konsultieren und im öffentlichen Raum auf das Einverständnis sämtlicher Sozialarbeiter, NGO und Pfarrer hoffen. Die würden das Risiko schädlicher Auswirkungen der Vererbung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt feststellen und alles verbieten.

Doch worum geht es eigentlich genau? CRISPS/Cas9 ist eine neue revolutionäre molekularbiologische Methode, um die Erbsubstanz DNA gezielt aufzuschneiden und zu verändern. CRISPR/Cas ist eine Abkürzung aus Anfangsbuchstaben für »Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats« und »CRISPR-assoziierte«-Proteine. Sie wird populärwissenschaftlich als »Genschere« bezeichnet, mit der der DNA-Strang, also jene berühmte, die Erbinformationen enthaltende Doppelhelix, schnippschnapp, aufgeschnitten wird und anders zusammengefügt werden kann. Etwa so, wie wenn man einen Text mit einem Schreibprogramm editiert, indem man bestimmte Sätze oder Abschnitte löscht oder an andere Stellen kopiert.

Vorbild ist die Natur, sind Bakterien. Denn auch die müssen sich der Angriffe von zum Beispiel Viren erwehren. Dazu dient ihnen ein System bestimmter, sich wiederholender kurzer DNA-Abschnitte, der sogenannten CRISPR-Sequenzen, die bereits 1987 im Bakterienstamm Escherichia coli entdeckt wurden. Jetzt zerschneiden Bakterien mit einem kleinen Molekül die DNA eingedrungener Viren und bauen Teile der DNA eindringender Feinde kurzerhand in diese CRISPR Bereiche ein, isolieren sie auf diese Weise und sind somit immun gegen ihre Feinde. Wie diese raffinierten Vorgänge im Detail ablaufen, ist noch unbekannt.

Entscheidend ist, dass mit diesem Mechanismus die DNA-Sequenz aufgeschnitten und in anderer Reihenfolge wieder zusammengefügt werden kann. Diesen vor fast 30 Jahren entzifferten Ablauf betrachtete sich vor ein paar Jahren die französische Biochemikerin Emmanuelle Charpentier noch einmal genauer. Dabei kam sie auf die Idee zu einem molekularen Genom-Editing-System. Bekannt wurde das universale Werkzeug unter dem Namen CRISPR/Cas; es funktioniert nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei Tieren und menschlichen Zellen. Eine molekularbiologische Revolution, mit der einzelne DNA-Bausteine so einfach und genau umgeschrieben werden können, wie es bisher nicht möglich war.

Die Methode funktioniert, ohne dass ein Teil eines Genoms aus einem anderen Organismus eingebaut, mithin kein Transgen benutzt wird. Dieses gilt unter Gentechnikgegnern bekanntlich als das Böse schlechthin. Die Natur freilich macht nichts anderes, wenn bei der Mutation, der Veränderung im Erbmaterial, der DNA-Doppelstrang aufgebrochen und wieder neu zusammen gesetzt wird. Ja, die Natur erlaubt sich sogar, dazu noch fremde Gene aus anderen Organismen einzubauen.

Gentransfers macht die Natur laufend

Gentransfers, das weiß die Wissenschaft heute, produziert die Natur am laufenden Band. Bei unserer heutigen Süßkartoffel zum Beispiel haben es vier Gene fremder Bakterien gewagt, sich in die DNA der Kartoffel hineinzuschmuggeln und in den Strang einzubauen. Dabei veränderte sich der genetische Code und damit der Phänotyp: Aus der Wildpflanze wurde gewissermaßen aus Versehen die Kulturpflanze Süßkartoffel. Die Bakteriengene missachteten also das Gentechnikgesetz, wonach ein gentechnisch veränderter Organismus ein Organismus ist, »dessen genetisches Material in einer Weise verändert wor den ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt«.

Klonen ist eine alte Technik. Die vier Bakterien schafften es vor rund 8.000 Jahren, in den Erbstrang der Süßkartoffel einzudringen. Von welchem gesetzesschöpfenden Juristen oder Politiker darf erwartet werden, dass er weiß, was vor so langer Zeit geschah? Hätten sie in der Schule aufgepasst, wüssten sie, dass Obst und Weinbauern ihre Obst und Rebsorten schon immer über das Klonen vermehrten. Erschreckender Befund: Ideologen und Wissenschaftsignoranten schreiben Gesetze, die über Wohl und Wehe eines Industrielands entscheiden.

Ursprünglich hatten Pflanzenzüchter und Wissenschaftler in Europa die Hoffnung, dass mit der CRISPR/Cas-Methode hergestellte Pflanzen nicht als gentechnisch verändert eingestuft würden und sie folglich ein neues, hervorragendes Werkzeug an die Hand bekämen, um schneller und präziser neue Züchtungen hervorzubringen.

Genome Editing hat also in EU-Europa keine Chance mehr. Ihren Züchtern und Landwirten bleiben die neuen Verfahren verschlossen – im Gegensatz zu ihren Kollegen in den anderen großen Agrarländern wie den USA, Kanada, Australien und Brasilien. Experten des US-Landwirtschaftsministeriums haben bereits erste CRISPR/Cas-Pflanzen als nicht gentechnisch verändert eingestuft. Das bedeutet, sie müssen nicht reguliert werden. Die Folgen werden in einigen Jahren zu bemerken sein, wenn der Konkurrenzvorsprung sehr groß geworden ist.

Der Treppenwitz: Es ist bei CRISPR/ Cas nicht mehr erkennbar, ob eine Frucht mit den neuen Methoden gezüchtet worden ist oder nicht. Das bedeutet: Anders als bei bisherigen gentechnisch veränderten Organismen kann niemand mehr kontrollieren, ob zum Beispiel importiertes Soja mit der neuen Technologie geneditiert wurde oder nicht. EU-Europa hängt sich ab. Daher der Aufschrei der Wissenschaftler.

Dirk Inzé, wissenschaftlicher Direktor am europäischen Life Science Forschungsinstitut VIB und einer der Initiatoren des Positionspapiers:

»Die Unterstützung, die wir für diese Initiative von Pflanzenwissenschaftlern in ganz Europa erhalten haben, war von Anfang an überwältigend. Für mich veranschaulicht sie deutlich die gegenwärtige Dichotomie in Europa: Als europäische Marktführer im Bereich der Pflanzenwissenschaften sind wir bestrebt, innovative und nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft zu entwickeln, aber wir werden durch einen veralteten Rechtsrahmen behindert, der nicht mit den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt. Mit diesem Leitbild wollen wir die faktengestützte Politikgestaltung in der EU fördern, die für uns alle von entscheidender Bedeutung ist.«


Quelle und Kommentare hier:
https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/gentechnik-in-der-eu-der-aufschrei-der-wissenschaftler/