Der nicht-Krieg Krieg

von Russophilus

Der Kontext und die Hintergründe sind sehr wesentlich bei der Betrachtung oder gar Bewertung von Vorgängen und Situationen. Beispiel: Putin erklärt, man strebe danach, wieder einen Gleichstand der insb. atomaren Waffensysteme herstellen zu wollen.

Ohne den Kontext zu beachten oder ihn falsch einschätzend kann Putins Aussage wie eine Lüge erscheinen, denn in der Tat war Russland bereits ohne die neuen am 1. März vorgestellten Waffensysteme fraglos militärisch überlegen. Und es gibt auch gewisse Merkmale, insbesondere das neue Rechnersystem des russischen Verteidigungsministeriums, die deutlich darauf hinweisen, dass „Perimeter“, das russische „doomsday“ System, dem westlichen Pendant zumindest locker ebenbürtig ist und mit äusserst hoher Wahrscheinlichkeit im schlimmsten denkbaren Fall einen verheerenden Vergeltungsschlag sicherstellt; kurz das Konstrukt der garantierten gegenseitigen Vernichtung kann fraglos als die Sicherheit Russlands gewährleistend betrachtet werden.

Und doch arbeitet Russland eifrig an Waffensystemen, an der Modernisierung der vorhandenen und an einer weiteren Stärkung seiner militärischen Fähigkeiten. Warum?

Eine wirklich brauchbare Antwort auf diese Frage setzt einiges voraus und muss diverse Aspekte beleuchten. Beginnen wir mit dem wichtigsten.

Das meiste auf der großen Weltbühne wird von bestimmten Kräften gesteuert und zudem sind bei fast allem mindestens zwei Ebenen zu betrachten, nämlich die Front, das Schaufenster, die fürs Volk präsentierte Version zum einen und zum anderen die tatsächlichen Gegebenheiten und Vorgänge.

Bei weitem nicht erst mit lenin beginnend, aber durch diesen endgültig und gewaltsam umgesetzt und eine sehr lange und in mancher Hinsicht eine sehr schmerzvolle Phase einläutend, war für Russland die Rolle der Bösen angedacht (und für den westen die des Guten).

Das heisst aber keineswegs, dass die jeweiligen Parteien *nur* und hart festgeschrieben  ihre Rolle haben. So wurde z.B. das „böse, gegnerische“ Russland zur selben Zeit verteufelt und finanziell und industriell unterstützt; das geht soweit, dass die seinerzeit größte Autofabrik der Welt von den amis „spendiert“ wurde, um dafür zu sorgen, dass Russland wehrhaft genug war, dass sich im bald darauf folgenden zweiten Weltkrieg beide Seiten ausreichend vernichtend bekämpfen konnten, um den nächsten Akt im großen Stück einzuläuten und sozusagen den großen Auftritts der usppa zu ermöglichen und herbeizuführen.

Ich schreibe das so ausführlich, um einen bestimmten Punkt verständlich zu machen: Es gibt – oft nicht sichtbare – tatsächliche Gegnerschaft und es gibt inszenierte, den betreffenden Parteien meist nur zum kleinen Teil und nur im inneren Kreis als inszeniert  erkennbare Gegnerschaft. Entsprechend gibt es auch analog tatsächliche und scheinbare Handlungsziele und Absichten.

Russland war von Anfang an von beidem betroffen, wobei Stalin die Realität wohl zumindest ahnte. Gleich wie, bei Putin ist jedenfalls davon auszugehen, dass er die Realität, also insbesondere auch die wirklichen Ziele, die wirklichen Gegnerschaften und die wirklichen Akteure kennt – und *das* ist der Grund für den nicht-Krieg Krieg, der übrigens, wenn gewisse Mächte auch nur eine halbwegs realistische Chance zu Erfolg sähen, schon lange in einen tatsächlichen militärischen Krieg geführt hätte.

Der Grund liegt hauptsächlich in zwei Punkten: Russland ist groß, sehr reich an Resourcen und zu Unabhängigkeit befähigt und Russland hat sich selbst durch schlimmste Zeiten ein hohes Potential bewahrt, u.a. und insbesondere im seelischen und spirituellen Bereich.

Und, sehr wichtig, Putin ist in gewisser Weise die Wiederauflage des Zaren, des guten Landesvaters. Er will die Spielchen nicht mitspielen; er will, was Russland immer schon wollte und was für den wertewesten, genauer, die Macht dahinter, absolut inakzeptabel ist: Es will seine Ruhe und für sich und wenn irgend möglich in gutem nachbarschaftlichem Einvernehmen leben.

Würde Putin dem Spiel im Grunde zustimmen, aber irrwitzig hohe Forderungen stellen, könnte man darüber reden (zumal man im westen  ohnehin nie sein Wort zu halten gedenkt). Aber nein, der Mann – und mit ihm gute 90% der Russen – wollen das Spielchen grundsätzlich nicht spielen, gar nicht, auch nicht ein bisschen. Sie sind nicht gewillt, irgendwelche geheimen Gruppen als maßgebliche Herrscher zu akzeptieren und sich in den seltsamen Reigen am dunklen Hof einzufügen; sie wollen ihr Russland und Frieden und als über allem stehend anerkennen sie nur Gott. Punkt.

Das war inakzeptabel und äusserst unerfreulich für den wertewesten und deshalb begann er, Russland zu drangsalieren und sogar, wenn auch geradezu lächerlich zu bedrohen. Heute haben wohl manche im wertewesten begriffen, dass das unermesslich dumm war, weil es nämlich die Situation entscheidend eskalierte und Russland dazu trieb, einer Frage nachzugehen, die sich für den Westen als System als tödlich erweist.

Nochmal: Russland wollte nichts weiter als ungestört und in Frieden Russland sein. Russland hatte *keine* globalen Ambitionen im Sinne von Herrschaft oder Umgestaltung. Und genau das hat sich nun geändert und zwar, weil man so üppig vom wertewesten drangsaliert und einfach nicht in Frieden gelassen wurde. Nun will Russland seit einer Weile etwas in der Tat bedrohliches: Es will eine neue Weltordnung, die multipolare Weltordnung – was notwendig auf den Untergang des wertewestens als herrschende Macht hinausläuft. Und es verfolgt dieses Vorhaben ernsthaft und unbeirrbar.

Jeder kennt Putins Rede auf der siko 2007. Was wohl nicht jeder sieht ist, dass Putin die damals vorgestellte Konzeption einer besseren Welt zwar als *Idee* hatte, aber nicht als ernst gemeinten Plan. Was ist der Unterschied? Die Frage „was und wieviel sind wir gewillt, dafür zu unternehmen und zu bezahlen?“.

Denn eines war klar: Der wertewesten würde nicht einfach sagen „In Ordnung, wir sehen es ein und akzeptieren das“.

Man muss Russland verstehen, um den Unterschied voll erfassen zu können. Für die amis, briten, franzosen (wie übrigens auch der Sowjetunion seinerzeit), erscheint es völlig normal und natürlich, dem Rest der Welt oder Teilen davon etwas aufzuzwingen – Russland aber nicht. Ich bemühe das Bild des Taigabären nicht umsonst immer wieder. Der will primär seine Ruhe und in Frieden leben in seinem Revier. Und das ist keineswegs nur ein hübsches Bild; Russland hatte (ausser in der Sowjetzeit und da auch nur bedingt und maßvoll) keine Kolonien; nicht mal vergleichsweise menschlich betriebene wie Deutschland seinerzeit. Russland ist sich selbst genug.

Und so war Putins siko Rede die Vorstellung und Erklärung  einer eigenen Sicht und Konzeption für eine bessere neue Weltordnung – aber es war kein Plan, weil Russland einfach nicht so tickt. Putin wäre nicht bereit gewesen, den Preis dafür zu bezahlen, die Mühen auf Russland zu nehmen und die beträchtlichen Risiken. Im Sinne der Konzeption war die siko Rede eine Erklärung, was Russland falsch findet und für sich inakzeptabel findet und was Russland viel besser fände und welcher Leitlinie die eigene Sicht auf die Welt folgt. Die greifbarste Auswirkung wären vermutlich russische Diplomaten gewesen, die in *ihren* Überlegungen und Handlungen von Putins Bild einer Welt souveräner Staaten geprägt gewesen wären.

Das aber war für den wertewesten nicht hinnehmbar; für ihn gab es nur eine akzeptable Sicht und die war: Jedes Land hatte sich bedingungslos dem eigenen System unterzuordnen und also bereiteten sie den Angriff auf Russland vor. Da Russland zwar noch schwach war aber jedenfalls noch reichlich Atomwaffen und Zusteller hatte – und vor allem einen zunehmend größeren Kern an loyalen, fähigen und bewährten Militärs und Truppen – wählte man nicht die Variante Irak (direkter militärischer Überfall), sondern griff auf die „bewährten“ Methoden aus der alten Zeit zurück, also auf Versuche, das System zu destabilisieren, die Bevölkerung aufzuwiegeln und zu drangsalieren sowie auf die massive Einkreisung – und, sehr wichtig, auf eine Abwandlung des alten und schon einmal erfolgreichen breschinski „mujahedin“ Plans. Und genau das ist der „islamische Terrorismus“; es ist eine angepasste Variante des breschinski Plans.

Die Methode, (Sowjet)Russland mithilfe von Terroristen das Leben zur Hölle zu machen und sie indirekt zu besiegen, war ja erfolgreich gewesen (Afghanistan), also schien es doch nur naheliegend, das nochmal zu machen, um diese starrsinnigen Russen in die Knie zu zwingen. Hatte doch schon früher um die Jahrtausendwende im Kaukasus fast geklappt; hochwahrscheinlich scheiterte es damals nur, weil man es in Anbetracht des Zustands Russland nur halbherzig betrieben hatte und zudem von Putin, einem Mann ausserhalb jeder Erwartung, überrascht wurde.

Man musste lediglich den Plan etwas ändern. Der „arabische Frühling“ hatte reichlich Verarmte und Gewaltbereite erzeugt und der wahabismus/salafismus hatte sich als nützliche und gut funktionierende Methode zur Radikalisisierung bewährt. Es fehlte nur noch ein Szenario, in dem man Hunderttausende Terroristen, Wirrköpfe und Gewalttäter produzieren, einsammeln und notdürftig verdeckt militärisch ausbilden und ausstatten konnte, um die nötige Armee für den entscheidenden Kampf gegen Russland in dessen Innerem zu haben.

Syrien bot sich geradezu an. Alter, bewährter Partner der Russen, bereits geschwächt durch seine (Pardon dumme) Freundlichkeit, Millionen von Sunniten aus dem Irak aufzunehmen, israel schon ewig ein Dorn im Auge, starrsinnig sich weigernder Blockierer von Pipelines, wunderbar, geradezu ideal aus Sicht der amis.

Und wir können im selben Aufwasch gleich noch etwas erklären, nämlich die „Erfolglosigkeit“ der amis. Die waren ja seit Jahren in Syrien mit Bombern unterwegs, um angeblich die Terroristen zu bekämpfen, die sie doch selbst bezahlt, ausgerüstet und ausgebildet hatten, aber es wollte sich irgendwie kein Erfolg einstellen. Natürlich nicht! Syrien sollte noch ein paar Jahre vor sich hinschwelen, denn schließlich war es doch als Ausbildungslager gedacht und die usppa wollten noch weit mehr Terror-Truppen für den Feldzug gegen Russland heranzüchten.

Ich habe das auch deshalb so deutlich ausgeführt, weil so mancher die Augenbraue zweifelnd hochzog, als Putin erklärte, Russland habe sich primär aus *eigenen* Sicherheitsinteressen in Syrien engagiert. Es sollte nun klar sein, dass der Mann da die schlichte Wahrheit sagte. Gewiss, die Zersetzung, weitgehende Zerstörung und Fragmentierung Syriens war auch per se ein Ziel, aber nur ein Nebenbei-Ziel. Kern war immer das Brüten einer gewaltigen und völlig hemmungslosen Armee von islamistischen Terroristen, die man gegen Russland einsetzen wollte. Übrigens ist dieser Aspekt auch als ein wesentlicher im Fall ukrostan zu sehen, nur dass dort primär Nazi-Banden herangezogen werden und zum eiternden zweite Front Geschwür werden sollten.

Was wir nun erleben mit all den Anti-russischen Aktionen wie insbesondere auch der Skripal Aktion und den Massenvertreibungen russischer Diplomaten ist im Kern die Antwort auf die Frage, wie man Russland, da der Plan, es mit Nazi- und Terroristenbanden zu zersetzen und zu Fall zu bringen, offenkundig als gescheitert gelten muss, anderweitig klein kriegen kann. Die Antwort scheint „Wir spielen nicht mehr euch!“ und immer kleingeistigeres und widerwärtigeres Piesacken zu sein.

Warum? Besteht auch nur die vage Möglichkeit, Russland so in die Knie zu zwingen? Nein, natürlich nicht, mehr noch, man konnte doch bereits klar sehen, dass die Russen dann nur näher zusammen rücken und noch „starrsinniger“ werden. Aber es geht ja auch um etwas anderes, darum nämlich, die eu-ropäischen Völker zu „impfen“.

Das wiederum ist nicht mal so wichtig wegen den bösen Russen, denn die werden die eu-ropäer gewiss nicht zur Freundschaft zwingen (oder überfallen und einer „neuen Sowjetunion“ einverleiben).

Nein, es ist wichtig, weil der wertewesten immense Schäden in sich selbst erzeugt hat mit seinen diversen Versuchen, Russland klein zu kriegen. Ich nenne nur mal das Problem der zigtausenden von als „flüchtlinge“ eindringenden islamistischen Terroristen, oder auch die *immensen* Schäden für die eu-ropäische Wirtschaft, die ja nicht nur gewaltige Einbußen hinzunehmen hatte, sondern auch riskiert, erhebliche Teile des russischen Marktes dauerhaft zu verlieren.

Was idiotistan angeht, so genügt selbst ein oberflächlicher Blick: trump hat gerade einen Haushaltsplan abgesegnet, der dafür sorgt, dass jede Menge ursprünglich treuer trump Anhänger sich wütend und völlig enttäuscht abwenden von ihm, dass aber die beiden demokraten-Anführer schumer und pelosi breit grinsend den „guten Kompromiss“ loben.

Und hier in eu-ropa hat gerade dieser Tage polen drohend von 12 eu Ländern gesprochen, die bereit sind auszutreten, darunter insbesondere Länder, die gerade fleissig mitmachen beim russische Diplomaten aus dem Land Werfen.

Nur in einem sind sich alle einig: Gegen Russland und Putin.
Insofern stellt sich wohl nicht nur mir die Frage, ob der Skripal-Skandal und die so begründeten anti-russischen Maßnahmen nicht vor allem einem Zweck dienen, dem nämlich, zu verschleiern und davon abzulenken, dass der wertewesten – und zwar auf mehreren Ebenen – gerade am Auseinanderbrechen ist.

Die Russen können, so es sie denn über den Aspekt der Ungerechtigkeit und der Unverschämtheit hinaus interessiert, gelassen abwarten. Sie werden fast alle wieder kommen, die eu-ropäischen Länder und sie werden von „gemeinsamen Werten“ und von Freundschaft plappern, nichts kapiert haben und einfach nur einen neuen Herren und Beschützer suchen.


Quelle und Kommentare hier:
http://vineyardsaker.de/2018/03/26/dies-und-das-der-nicht-krieg-krieg/