Das teure Geschwätz der Anne Will

von Hadmut Danisch

Warum komme ich mir vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich immer verarschter vor?

Ging heute so quer durch die Presse: Anne Will hat etwas gesagt.

Ungewöhnlich. Meist lässt sie ja nur sagen.

Deshalb stand’s auch gleich in der Zeitung, etwa der Berliner und der Frankfurter Rundschau.

Es geht um Kritik an Talkshows. Oder vielleicht eher darum, dass die Leute das nutzlose Geschwafel nicht mehr sehen wollen.

Ich entnehme es mal der Berliner Zeitung. Will ist der Meinung, dass sie das alles nicht anficht, weil das alles nur substanzloses Geblubber kleiner Social-Media-Figuren sei:

Sie sind ab Sonntag nach der Sommerpause wieder auf Sendung. In den Monaten davor war die Kritik an Talksendungen noch massiver als sonst. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Anne Will: Als ein Beispiel für die aufgeladene Stimmung in unserer Gesellschaft. Dabei muss man sehen: Solche Diskussionen sind oft getrieben durch die sogenannten sozialen Medien. Das ist aber eine Teilöffentlichkeit. Wenn ein Tweet 4000 Likes bekommt, gilt das schon als durch die Decke gegangen. Wenn wir 4000 Zuschauer hätten, könnten wir den Laden dicht machen.

Was ist das für eine dumme Aussage?

Das muss man sich mal klarmachen, was für einen Mist die da erzählt.

Weil ein Tweet nur von einer kleinen Bevölkerungszahl wahrgenommen wird, sie ihre Sendung aber über die große Infrastruktur rumposaunt, seien die Reaktionen auf den Tweet automatisch unbeachtlich. Wie nachts ist es kälter als draußen. Bei Anne Will gelten 3,45 Millionen schon als starke Quote. Dass sie dazu aber die Sendeinfrastruktur der ARD, ein ganzes Team und viel Zeit (wie lange läuft das? Eine Stunde?) braucht, während ein Tweet ein Pfennigaufwand ist, den man erst mal finden muss…

Die Logik ist frappierend. Wir haben zwei, drei Millionen Zuschauer, deshalb sind viertausend Likes (von wievielen?) unbeachtlich. Das eine ist eine absolute Zahl, das andere irgendwie ein Anteil.

Oder anders gesagt: Wenn irgendeine Meinungsumfrage meldet, die Partei X sei rauf oder die Party Y runtergegangen, gehen die großen Diskussionen los, „Was jetzt Herr Z?” und die Talkshows rotieren. Dabei werden bei diesen Umfragen nur 100 oder mal 200, vielleicht 300 Leute gefragt. Wieso sind 4000 Likes unbeachtlich, aber 100 Befragte ein Grund für eine Sondersendung und drei Talkshows?

Und auch inhaltlich finde ich das Einschlagen auf die Talkshows einigermaßen wenig durchdacht. Die Angriffe kommen in der Mehrzahl ohne jeden Beleg aus und verkaufen sich dann wiederum in den sozialen Medien besonders gut und rasend schnell, je hämischer sie daherkommen.

Auch das ist unlogisch. Die Angriffe seien „wenig durchdacht”, weil sie „ohne jeden Beleg” auskommen.

Doppelt blöd: Durchdacht und belegt sind zwei verschiedene Eigenschaften, die miteinander nur wenig zu tun haben, etwas kann unbelegt, aber sehr durchdacht sein.

Und: Wozu soll man es belegen müssen? Sie sendet ihre Sendungen doch deutschlandweit, plus Internet. Kann doch jeder sehen. Das ist doch der Beleg! Es kommt im Fernsehen und jemand sagt seine Meinung dazu. Da mit „unbelegt” zu kommen ist doch leere Blubberrhetorik.

Und dann noch etwas, wo mir dann der Hut hochgeht:

Aber es ist ja so: Die Talkredaktionen machen ein Angebot, und jede Zuschauerin und jeder Zuschauer ist frei darin, dieses Angebot anzunehmen oder auch nicht. Und die Zuschauerzahlen zeigen, dass es ein großes Interesse gibt an Talk. Das liegt, glaube ich, auch an einem ganz natürlichen Empfinden der Menschen: Man interessiert sich für andere und deren Meinungen. Das ist auch der erhebliche Vorteil des Fernsehens, dass man – selbst wenn jemand schweigt – der Interaktion zuschauen kann.

Das ist enormer Quatsch.

  • Es ist kein „Angebot”, das man annehmen kann oder auch nicht. Netflix ist sowas. Die öffentlich-rechtlichen muss man zwangsbezahlen. Da hat man nicht die Wahl, ob man das annimmt oder nicht. Man muss es kaufen.
  • Sie ist nicht beliebt, sondern profitiert davon, dass die Leute am Sonntag den Tatort gucken und danach nicht umschalten, weil im ZDF und bei den Privaten um die Zeit dann auch nichts attraktives mehr kommt.
  • Wie oft hört man in Talkshows „Meinungen”?

Die meisten Talkshows sind einfach Müll, so wie die Podiumsdiskussionen. Ich habe mir das ja angeguckt, wie Journalisten so arbeiten. Das hat alles nur einen einzigen Zweck, nämlich die geforderten x Minuten mit möglichst wenig Aufwand zu füllen. Und Leute für Geblubber ranzuholen, die einen ordentlichen Vortrag nicht zustandebekämen. Das ist einfach eine Technik, mit möglichst wenig Arbeit und möglichst wenig Planung Fernsehzeit zu füllen. Da geht’s nicht um Meinungen, da geht’s nicht um Zuschauer, da geht’s um Fernsehminuten pumpen.

Es gab neulich mal einen Insiderbericht, leider anonym, der auch nicht sagte, um welchen Talker es geht, in dem beschrieben wurde, dass derjenige pro Woche keine 3 Stunden arbeitet, sondern kurz vor der Sendung kommt, sich schminken und die von den Mitarbeitern vorbereiteten Karten vorlesen lässt, die Talkshow macht und dann wieder geht, und das für ein Millionengehalt.

Noch so ein dämlicher Dialog:

Talkshows sind natürlich an guten Einschaltquoten interessiert – da liegt der Gedanke nahe, bei der Auswahl Aufregerthemen zu bevorzugen. Und von da ist es nicht weit zum Vorwurf, sie seien populistisch.

Ich kann keinen Beleg dafür finden, dass der Vorwurf stimmen würde. Es ist nicht so, dass Themen, die von Populisten mit Interesse bespielt werden, also Islam oder Flüchtlinge, bei uns besonders gut gesehen würden. Insofern sind wir unverdächtig, dass wir aus Quotengründen bestimmte Themen wichtiger nähmen, als sie wichtig zu nehmen sind. Und wir haben ein hochpolitisches Publikum.

Keinen Beleg, wir sind unverdächtig?

Es geht doch um sie. Warum sagt sie nicht einfach „Ja, machen wir” oder „Nein, machen wir nicht”?

Es gibt auch den Vorwurf, die Talkshows hätten die AfD groß gemacht.

Das kommt wiederum komplett ohne Beleg aus. Schauen wir doch auf unsere Zuschauerzahlen: Wir werden vergleichsweise schwach geguckt in den ostdeutschen Bundesländern. Besonders gut hingegen, also von besonders vielen Menschen, werden wir geguckt in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. Das sind interessanterweise die Bundesländer, in denen die AfD kein Bein auf den Boden bekommt.

Wieder Blödsinn. Weil die dort weniger gucken, könne es die AfD nicht gefördert haben. Freilich kann man folgern, dass wo keine Korrelation vorliegt, auch keine Kausalität vorliege. Das ist aber heikel, wenn man alte mit neuen Bundesländern vergleicht, und vielleicht kommt noch mehr dazu. Auch die Nachrichten werden im Westen stärker gesehen, trotzdem fördert es die AfD, wenn man die Ossis als Pegidisten beschimpft.

Aber wo sie ständig von Belegen und hier von AfD redet: Würde man beim Talkshow-Thema AfD Sorgfalt auf Belege legen?

Das einzige, was ich dem entnehmen kann, ist, dass sie so überheblich und arrogant ist, dass sie glaubt, dass niemand sie kritisieren könne und dürfe. Zahlen muss man sie, aber Kritik ist nicht erlaubt. Schau halt was anderes, wenn’s Dir nicht gefällt. Das Geld nimmt sie trotzdem.

Ich will da einfach mal ein Gegenbeispiel liefern: Ebenfalls in der ARD läuft die Sendung „Druckfrisch” (Beispiel), in der Denis Scheck neu erschienenen Bücher bewertet und sie gnadenlos verreißt und in die Tonne wirft. Warum darf der dann das, wenn er sie nicht mal bezahlen muss? Dem könnte man ja auch vorhalten, dass er sie nicht lesen muss. Und Belege? Gibt’s da auch nicht.

Warum also sollte man nicht in der gleichen Art auch Fernsehsendungen rezensieren und in die Tonne hauen dürfen, wie es die ARD in „Druckfrisch” mit Büchern macht?

Das ist nämlich die Journalisten-Regel: Sie dürfen alles und müssen nichts belegen, aber wer sie kritisiert, soll das Maul halten oder wenigstens belegen.

Die Realität der Talkshow im Allgemeinen und dieser im Besonderen ist eine ganz andere.

Ich hatte vor einiger Zeit schon mal was über Anne Will geschrieben, auch über Finanzen, ich weiß jetzt aber nicht mehr, welcher Artikel es war, es waren ja viele. Ich habe es nicht selbst nachgeprüft, aber ein Leser schrieb mir damals, er haben mal die Pflichtveröffentlichungen von Anne Wills eigener Produktionsfirma Will-Media eingesehen. (Wer sich mit Bilanzen auskennt, kann sich die im Bundesanzeiger anschauen), der Leser meint, die schwämmen im Geld. Ich bin da jetzt nicht so fit in Bilanzen um das wirklich beurteilen zu können, ich weiß nicht, ob da vorher noch Zahlungen an Geschäftsführer und Gesellschafter abgehen, aber in einigen Jahren stehen da Bilanzgewinne in der Größenordnung von 1,8 Millionen.

Will war ja früher Tagesthemen-Moderatorin und ist dann zur Talkerin geworden, wie vor ihr schon Sabine Christiansen. Und es ist ja bekannt, dass die Gehälter der Hauptnachrichtenmoderatoren exorbitant sind, bei Klaus Kleber liegen die unbelegten Gerüchte zwischen 300 und 600.000 pro Jahr. Bekannt ist, dass er vom Angstellten zum Freien Mitarbeiter gewechselt ist, weil die Tarifverträge sein exorbitantes Gehalt nicht getragen hätten. Und viele Chefredakteure bis Intendanten haben dort auch Gehälter zwischen 100 und 400.000 Euro, zuzüglich fettester Pensionen, versteht sich.

Normale Mitarbeiter wie Kameraleute bekommen dagegen nur Mickergehälter.

Mein Eindruck aus alledem, vor allem, nachdem ich schon mehrfach auf den Netzwerk-Recherche-Konferenzen im NDR war (und Anne Will läuft auch dort), ist, dass sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hochkorrupte Cliquen gebildet haben, die sich da die Programmplätze zuschieben und Millionen aus den Gebühren abkassieren.

Und mein Eindruck ist ebenfalls, dass wir aus einem einzigen Grund mit Talkshows überhäuft werden: Damit die Cliquen-Mitglieder möglichst einfach, regelmäßig und mit geringstem Arbeitsaufwand Sendeplätze befüllen und fett abkassieren können. Das Prinzip Podiumsdiskussion: Mit möglichst wenig Aufwand und möglichst wenig eigener Beteiligung so tun, als würde man jede Woche etwas produzieren und sich die Taschen vollstopfen.

Dabei sind Talkshows banal, die könnte man sehr billig produzieren (dafür hat man sie ja erfunden).

Ich halte Talkshows für ein mafiöses Konstrukt, mit dem sich eine Clique da an den Zwangsgebühren fettfrisst.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.danisch.de/blog/2018/08/17/das-teure-geschwaetz-der-anne-will/