Warum Barbarei eine Spezialität der USA ist und wer Europa bedroht

von Tilo Gräser

Die US-Politik gegenüber anderen Ländern folgt einer klaren Strategie. Deren Ziele und Methoden hat der US-Finanzexperte Michael Hudson Mitte Januar in Berlin in einem Vortrag beschrieben. Die Tageszeitung „junge Welt“ hat den Text nun auf Deutsch veröffentlicht. Darin warnt Hudson auch vor der Nato.

Das Vorgehen der USA gegenüber Venezuela unter dessen legitimen Präsidenten Nicolás Maduro Moros ist ein Beispiel für die Strategie Washingtons, in Ländern zu intervenieren, die eine eigenständige nationale Politik betreiben.

Diese Strategie, die seit Jahrzehnten in verschiedenen Ländern wider das Völkerrecht angewendet wurde und wird, hat der US-Ökonom Michael Hudson am 12. Januar in Berlin auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz beschrieben.

Den Text seines Vortrages hat nun die Tageszeitung „junge Welt“, Mitorganisatorin der Konferenz, auf Deutsch veröffentlicht.

„Nach der US-Militärstrategie bietet ein Land, in dem Chaos herrscht, eine offene Flanke. Und das bedeutet, dass die USA in einem Land intervenieren, das zuvor eine eigenständige nationale Politik verfolgte. Dass sich die Vereinigten Staaten also in die inneren Angelegenheiten des Landes ‚einmischen‘, wie wir sagen, es in seine Einzelteile zerlegen und diese gemäß den eigenen Interessen neu zusammensetzen.“

Der Ökonom (Jahrgang 1939), der selbst als Analytiker der Chase Manhattan Bank an der Wallstreet gearbeitet hat und heute Professor in Peking ist, bezeichnet die Barbarei als „die Spezialität meines Landes“. Diese Politik werde mit Absicht betrieben:

„In Syrien fungieren Al-Qaida und der IS heute für die Vereinigten Staaten als Fremdenlegionäre. Ähnlich war es in Libyen, das US-Außenministerin Hillary Clinton bombardieren ließ. Die libyschen Waffen wurden dem IS und Al-Qaida übergeben. Um Jugoslawien ins Chaos zu stürzen, ließ der damalige US-Präsident, Hillary Clintons Ehemann William, Al-Qaida-Gruppen in den Kosovo bringen.“

Laut Hudson steht vor allem die Demokratische Partei der USA „hinter dieser barbarischen Militärstrategie in Syrien, im Nahen Osten und in Afghanistan“. Er geht in seinem Vortrag auch auf die Geschichte dieser Partei ein, die sich als vermeintliche Alternative zur Politik des aktuellen Präsidenten Donald Trump darstellt. Ihr sei es gelungen, mit Hilfe der Mafia die US-Gewerkschaften unter Kontrolle zu bringen und jegliche tatsächliche sozialistische Bewegung in den USA im Keim zu ersticken.

Unbezahlbare Invasion

Die US-Militärstrategie habe sich seit dem Vietnam-Krieg verändert: „Keine Demokratie und kein Land dieser Welt, nicht einmal Russland, noch weniger Europa und die Vereinigten Staaten, können sich heutzutage noch ein stehendes Heer leisten.“ Für eine Invasion in ein anderes Land sei aber unter anderem eine hohe Anzahl an Soldaten notwendig.

Zum Widerstand in den USA gegen den Wehrdienst zur Zeit des Vietnam-Krieges seien die finanziellen Probleme gekommen, diesen Krieg zu finanzieren. Das habe nicht nur zur Aufhebung des Goldstandards geführt, weil Washington die Goldreserven verkaufen musste. „Der US-Regierung wurde also klar, wenn man sich keinen Bodenkrieg leisten kann, dann gibt es nur eine Art des Krieges, den sich Demokratien leisten können: den Atomkrieg oder das Bombardement aus der Luft“, so Hudson.

Für den Zugriff auf die Rohstoffe sei keine Invasion mehr nötig, meint der Analytiker. „Die heutige Hauptform der Konflikte in der Welt ist nicht die militärische, sondern die finanzielle, hinter der die Drohung steht: Wenn ihr nicht zulasst, dass wir euer Land finanziell übernehmen und eure Rohstoffquellen privatisieren, dann verfügen wir über die Macht, euer Land zu zerstören.“

Das Beispiel Irak

Diesen Mechanismus hat zuvor bereits der ehemalige „Economic Hit Man“ John Perkins aus eigener Erfahrung beschrieben, so in seinen Büchern und auch in dem Film „Let’s Make Money!“ von Erwin Wagenhofer. Darin sagt Perkins zum Beispiel Irak: „Saddam Hussein drohte, Erdöl auch gegen eine andere Währung zu verkaufen – kurz bevor er gestürzt wurde.“ Und weiter:

„Hätte er nachgegeben, würde er heute noch regieren. Wir würden ihm Flugzeuge und Panzer und sonst noch alles Mögliche verkaufen. Aber er gab nicht nach und die Schakale konnten ihn nicht ermorden […] Als weder die Wirtschaftskiller noch die Schakale beim zweiten Mal Erfolg hatten bei Saddam Hussein, war der Augenblick da, wo wir wieder das Militär geschickt haben. Und diesmal haben wir ihn gestürzt. Der Rest ist Geschichte.“

Hudsons Vortrag in Berlin hat diese Strategie grundsätzlich bestätigt. Diese Politik werde „in den Mantel einer Art ‚Internationalismus‘ gehüllt“. Dieser habe aber nichts mit dem Internationalismus zu tun, „wie er vor hundert Jahren in die Zukunft projiziert wurde“.

„Heute haben wir es zu tun mit einem von den USA kontrollierten ‚Internationalismus‘ des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Internationalen Handelsorganisation und, nicht zu vergessen, der vom US-Kongress geschaffenen Stiftung und Denkfabrik ‚National Endowment for Democracy‘ (NED), ein halbstaatlicher Arm der Außenpolitik mit dem erklärten Ziel der weltweiten Förderung der liberalen Demokratie.“

Der Ökonom mit illustrer Biographie beschreibt, dass infolge des abgeschafften Goldstandards selbst Länder wie die Sowjetunion und China als Vermögenswert US-Staatsanleihen erwerben mussten, „also praktisch dem US-Finanzministerium Geld leihen. Und diese ‚Treasury Bills‘ wurden also herausgegeben, um das durch die Militärausgaben erzeugte Defizit auszugleichen.“ Das sei dann von der US-Regierung dazu genutzt worden, „die militärische Einkreisung eben dieser Länder zu finanzieren, um sicherzustellen, dass sie sich weiter dem US-Dollar-Standard unterwarfen“.

US-amerikanischer Finanzimperialismus

„Das ist eine neue Form internationaler Ausbeutung und nicht die Form der Ausbeutung, die Karl Marx im Band I von »Das Kapital« als Ausbeutung der Arbeiter durch ihre Ausbeuter analysierte. Diese rein finanzielle Form der Ausbeutung liegt außerhalb des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital.“

Das hat Hudson bereits 1972 in seinem Buch „Super Imperialism“ beschrieben, 2018 unter dem Titel „Finanzimperialismus“ erstmals auf Deutsch erschienen. Inzwischen hätten Länder wie Russland und China begriffen, erklärte er in Berlin, „

dass der Dollar-Standard andere Länder dazu zwingt, die Ausgaben für das im Ausland stationierte US-Militär mitzufinanzieren“.

Sie würden damit nicht nur möglichen US-Sanktionen aus dem Weg gehen, die von der US-Regierung nach dem Motto verhängt würden: „Wir werden euer Bankensystem ruinieren, wenn ihr nicht den Befehlen Washingtons folgt.“

„Im Ergebnis akkumulieren China und Russland keine US-Dollars mehr und legen auch nichts mehr in dieser Währung an, sondern in Goldreserven. Die Idee dahinter lautet, keine US-Dollars mehr zu horten und dadurch zu bewirken, dass die USA ihre militärische Einkreisungspolitik gegenüber Europa und Asien nicht mehr mit Hilfe dieser Länder finanzieren können.“

Deshalb setzt Washington Berlin unter Druck, meint Hudson. Wenn Deutschland seine Währungsreserven mit US-Dollar aufstocke, trage es indirekt dazu bei, das durch die Militärausgaben erzeugte US-Haushaltsdefizit zu finanzieren.

„Die USA drängen die Bundesrepublik zum Kauf ihres hochpreisigen Flüssiggases, statt es wie bisher aus Russland zu beziehen.“

Das werde mit angeblichen russischen Absichten, in Europa einzumarschieren, begründet.

„Nato ist Gefahr für Europa“

Europa müsse aber für den vermeintlichen Schutz durch die USA bezahlen.

„US-Präsident Donald Trump verlangt von Deutschland, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung aufzuwenden. Das bedeutet natürlich auch, Waffen in den USA zu kaufen und nicht die aus deutscher Produktion. Die Kriegsindustrie der USA ist zur wichtigsten Exportbranche und zum größten ‚Arbeitgeber‘ geworden.“

Hudson stellt klar:

„Deswegen bekämpfen die USA alle Länder, die eine Alternative zum US-Dollar haben.“

Er erinnert daran, dass die Idee für den Euro aus der berüchtigten University of Chicago stammt:

„Der Euro sollte eine Satellitenwährung der USA werden, ein Teil des Dollars, damit jeder Zahlungsbilanzüberschuss Europas in Form von US-Dollar-Anleihen an das US-Finanzministerium fließt.“

Das US-kontrollierte Finanzsystem sorge für weiteren Druck auf Europa, keinen Handel mit Russland zu treiben und kein Gas von dort zu kaufen.

Der Finanzexperte widerspricht der Behauptung, die Nato würde Europa schützen:

„In Wahrheit stellt sie die größte militärische Gefahr für Europas Sicherheit dar. Wenn die USA die Kurzstreckenraketen mit Atomsprengköpfen in Deutschland, Polen, Lettland und Estland stationieren, dann steckt darin die Drohung eines Militärschlags gegen Russland.“

Übrigens stellte der Friedensforscher Dieter Senghaas bereits vor mehr als 44 Jahren Ähnliches fest. In seinem Vorwort zur 1973 erschienen deutschen Ausgabe des Buches von Daniel Ellsberg „Papers on the war“ („Ich erkläre den Krieg“) schrieb er:

„Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten als einzige aus dem Zweiten Weltkrieg intakt hervorgegangene kapitalistische Großmacht in Wahrnehmung gesamtkapitalistischer Interessen der drohenden Ausweitung der seit 1917 und 1949 der internationalen Bourgeoisie laufend zugefügten Verluste an politischem Terrain ein für alle Mal Einhalt zu gebieten. Ihre in jeder Hinsicht ernstgemeinte konter-revolutionäre Politik rund um den Erdball, einschließlich ihrer Politik der Beförderung gesellschaftspolitischer Restauration in West- und Südeuropa nach 1945, war auf diese strategische Stoßrichtung inhaltlich eingeschworen: auf die Konsolidierung des internationalen gesellschaftspolitischen Status quo.“

Das scheint heute noch gültig zu sein. Der kommunistische Feind ist verschwunden, aber die herrschenden Eliten der westlich dominierten internationalen Ordnung sehen ihre Vorherrschaft weiter bedroht. Jeder, der sich dessen verdächtig macht, gerät in ihr Visier, wie Hudson erneut belegt.


Quelle und Kommentare hier:
https://de.sputniknews.com/politik/20190131323793583-barbarei-bedrohung-usa-invasion/