Volksverhetzung ohne Volk?

von Max Erdinger

Da es nicht schaden kann, den Glauben physikalisch ein bißchen zu unterstützen, sitze ich hier mit prall aufgepumpten Schwimmflügeln an den Füßen und schreibe diese Zeilen, ehe ich versuchen werde, über das Wasser zu laufen.

Es ist nämlich so: Unter einem arbeitshypothetischen Gesichtspunkt habe ich mich entschlossen, einfach zu glauben, daß meinereiner das Volk verhetzen kann – und habe ein bißchen weitergedacht: Wenn das geht, dann könnte ich mir vielleicht auch das Geld für die Fährüberfahrt über den Fischweiher sparen und es stattdessen dem kleinen Heiko schenken, damit der sich Schuhe mit höheren Absätzen kaufen kann und nicht in der nächsten Pfütze elendig ersaufen muß. Hierzulande regnet es öfter mal.

Daß man ein Volk verhetzen kann, welches gar nicht existiert, muß man einfach glauben. Rational nachzuvollziehen ist das nämlich nicht. Mit der Bevölkerungsverhetzung oder einer „Diemenschenverhetzung“ wäre es anders. Aber das sind Begriffe, die ich noch nie gehört habe.

Es ist doch eigenartig: Dieselben Politiker und Medienleute, die ständig – anstatt von Volk – von Menschen reden, die schon länger oder noch nicht so lange hier leben; dieselben Leute, die von Bevölkerung und Menschen mit Hintergründen sprechen, verwenden den Begriff Volksverhetzung so, als hätten sie nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, daß man nicht verhetzen kann, was es nicht gibt. Ist es denn nicht so, daß die Verwendung des Begriffs Volksverhetzung die Existenz eines Volkes impliziert? Wer Nein zur Volksverhetzung sagt, bestätigt doch die Existenz eines Volks?

Bevor ich also nachher meine ersten Schritte auf dem Wasser unternehmen werde, unterstelle ich erst einmal, daß es ein Volk gibt und daß man es verhetzen kann. Boah! Ich ganz allein kann ein ganzes Volk verhetzen. Hoffentlich hat es nachher anständigen Seegang auf dem Karpfenteich, damit die Sache nicht zu einfach wird.

Gibt es eigentlich eine Teilvolksverhetzung? Oder eine Volksteilverhetzung? Davon habe ich auch noch nie gehört. Ein Einzelner verhetzt also immer das ganze Volk. Wie ich mir das gerade so überlege: Was kostet eigentlich eine Lastwagenladung Gelatine, die man in einen Weiher schütten könnte, um ganz bestimmt über das Wasser laufen zu können? Ich meine: Wenn man den Glauben schon physikalisch unterstützt, dann macht man da besser keine halben Sachen, oder? Teilsachen sind so halbgar wie die Teilvolksverhetzung. Oder die Volksteilverhetzung.

Vielleicht ist es auch so, daß es ein Volk immer nur dann gibt, wenn den Gewählten die Behauptung nützt, es gäbe eines? Und daß es immer dann kein Volk gibt, wenn dieselbe Behauptung den gewählten „Diemenschenvertretern“ nicht nützt? Fast glaube ich, daß es so sein muß. Packvertreter gibt es nicht. Es gibt eine Packstation. Der Bundestag ist damit aber nicht gemeint.

Es gibt Gewählte im Bundestag, die behaupten, daß Teile der Bevölkerung oder gewisse Diemenschenteile Pack seien. Wird das Oktoberfest vom Volksfest zum Packfest, wenn das völlig bevölkerungsunvertretene Pack einfach hingeht, ohne überhaupt inexistentes Volk zu sein? Anders gefragt: Gibt es das Oktoberfest überhaupt? Das ist wahrscheinlich auch Glaubenssache. Schließlich findet es bereits im September statt. Vielleicht ist das aber auch einfach egal, weil der September so sehr Herbst ist, wie das inexistente Volk Diemenschen ist? Und was sollen überhaupt Volksparteien sein?

Während man solche Zeilen schreibt, verstreicht natürlich die Zeit, man altert, wird weise und gewinnt die Einsicht, daß das Wenigste so ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Vermutlich habe ich mit meiner Behauptung, daß es Volksverhetzung ohne Volk gar nicht geben kann, gerade das Volk verhetzt.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.journalistenwatch.com/2017/12/09/volksverhetzung-ohne-volk/


Print Friendly, PDF & Email