Tom Hodgkinson – Selbstbestimmtes Leben



Er schläft nicht. Er arbeitet an der Weltrevolution. Im Dämmern zwischen Wach-Sein und Schlafen sind die Teile des Gehirns, die für die Kreativität zuständig sind, am aktivsten. Albert Einstein kam so mancher Gedanke zu seiner Relativitätstheorie. Tom Hodgkinson brütet auch was aus. „Eine offizielle UN-Studie besagt, dass jedes Jahr zwei Millionen Menschen an den direkten Folgen ihrer Arbeit sterben“, sagt Hodgkinson. „Das sind mehr als durch Kriege, Alkohol und Drogen zusammen. Und doch gibt es keine Regierung auf der Welt, die der Arbeit endlich mal den Krieg erklärt.“

Den Tag beginnt Tom Hodgkinson mit der Lektüre eines Gedichts. Vor 15 Jahren schreibt er einen Essay mit dem Titel „Warum ich keinen Job will!“ — und bekommt einen Job, bei der Zeitung The Guardian. Nach drei Jahren kündigt er, zieht auf einen kleinen Bauernhof im Südwesten von England. Vergil hat ihm Lust aufs Landleben gemacht. Der wusste:

„Glücklich ist der, der ein kleines Stück Land sein eigen nennt, der Pan und Silvanus als Götter hat und die Nymphen als Schwestern.“

„Das altgriechische Wort ‚Schole‘ bedeutet Muße, freie Zeit, um seine Fähigkeiten zu entwickeln“, sagt Hodgkinson. „Natürlich hat ein griechischer Kaufmann gearbeitet, um Geld zu verdienen. Aber den größten und wichtigsten Teil seines Lebens widmete er den Mußestunden. Da bildete er seinen Geist, las Bücher, brachte seine Persönlichkeit zur Blüte. Kultur ist ein Produkt der Muße. Die Hälfte all dessen, was auf der Welt wichtig und groß ist, wurde von Müßiggängern geschaffen.“

Oscar Wilde liebte das kontemplative Ausschlafen. Schöne Gedanken haben und so lange wie möglich im Bett bleiben. Sein Urteil über die tätige Welt: „Handeln, die letzte Zuflucht jener, die sonst keine Aufgabe haben. Es beruht auf Fantasiemangel. Es ist der letzte Ausweg derer, die nicht zu träumen verstehen.“ Herman Melville schuf mit „Der Schreiber Bartleby“ den elegantesten Arbeitsverweigerer der Literaturgeschichte. Immer wenn sein Chef ihm etwas aufträgt, antwortet Bartleby mit diesem Satz: „I would prefer not to.“ – „Ich würde vorziehen, es nicht zu tun.“

„Von allen Seiten werden wir aufgefordert, uns in eine Art freiwillige Sklaverei zu begeben, um uns ständig irgendwelches Zeug zu kaufen“, sagt Tom Hodgkinson. „Das ist ein System, dem wir nur sehr schwer entkommen. Es zerstört uns und unseren Planeten auch. Die Werbeindustrie hämmert jeden Tag ihre Botschaften in unsere Köpfe, im Fernsehen, in den Zeitungen. Uns wird erzählt, dass dauerndes Konsumieren die einzig richtige Art zu leben ist.“

Die Alternative: Verzicht. Der Versuch, sich selbst zu versorgen. Studiert hat der Kleinbauer übrigens englische Literatur. „Am Anfang ist alles schief gegangen. Füchse haben meine Hühner gefressen. Das Pony hat das Gemüse vertilgt. Mit einem Frühstück hat es vier Monate meiner Arbeit vernichtet. Dann ist das Pony ausgebüchst, um mit den Kühen auf der Weide zu leben. Das hat die anderen Bauern total genervt. Meine Bienen sind gestorben. Den Bienen geht´s jetzt übrigens gut. Können wir uns anschauen.“

Zu Beginn der Industrialisierung war es verboten, einfach so am Strand zu liegen. Das Volk wurde von der Staatsmacht in die Fabriken geprügelt. In Preußen wurde „arbeitsscheues Vagabundieren“ mit Zuchthaus bestraft. Menschen, die nicht arbeiten, haben Zeit zu denken. Arbeiten gegen das System. Erfinden subversive Seltsamkeiten wie Tom Hodgkinson in seinem „Buch der hundert Vergnügungen“ – Freizeitspaß, der nichts kostet. Zum Beispiel: absurde Architektur suchen, wie eine Telefonzelle im Nirgendwo. Oder die Inschriften von Grabsteinen lesen. Ein paar Meter von Hodgkinsons Hof liegt ein Bruder im Geiste: Moses Sloley. Oder William Trickey. Starb den Müßiggänger-Tod: ist eingeschlafen.

Auch sehr schön — aktives Vergessen, erfunden von Friedrich Nietzsche. Der schrieb: „Die Türen und Fenster des Bewusstseins schließen, das ist der Nutzen der aktiven Vergesslichkeit.“ Hält seelisch gesund… Tom Hodgkinson verbringt keinen Tag mehr als vier Stunden mit Geldverdienen. Er hat auch kein Geld. Er hat ein selbstbestimmtes Leben und Zeit.

(Autor: Matthias Leybrand)


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