Reichskanzler Otto von Bismarck – ein pommerscher Gutsherr

von Gerhard Fischer, Rostock

Geboren wurde Otto von Bismarck am 1. April 1815 auf dem Gut Schönhausen in der Nähe von Stendal in der Altmark. Äußerst selten hat er seinen Geburtsort als Heimat bezeichnet, denn bereits nach einem Jahr siedelte die Familie auf das Gut Kniephof Kreis Naugard in Hinterpommern, ca 60 km nördlich von Stettin um.

Und hier verlebte Otto ganz bewusst seine Kindheit und erhielt seine persönliche Prägung, die ihm ein Leben lang Heimat wurde.

„Man fühlt sich nur ganz daheim, wo man seine Kindheit erlebt hat“,

gestand Bismarck später einmal selbst. Die wunderschöne Natur, der Wald, das Wild, die Jagd, die Hügel prägten sein Gemüt und formten Charaktereigenschaften, die er später erfolgreich als Politiker anzuwenden pflegte. Die Bäume und der Wald formten den Jüngling mehr als die Landwirtschaft – blieben jedoch eine Einheit für ihn bis an sein Lebensende.

Hier in Kniephof lernte er das Pommersche Platt, das er liebte und auch gerne sprach. Nicht von der Natur geprägt war seine etwas extravagante Arbeitsweise und sein Tagesablauf.

Oft schlief er bis Mittag – arbeitete dann aber die Nacht durch – auch als Reichskanzler.Die schulische Ausbildung erhielt er in Berlin, erwarb 1832 am Grauen Kloster das Abitur und schrieb sich im gleichen Jahr bis 1835 an der Juristischen Fakultät in Göttingen ein.

Nach dem Examen arbeitete Bismarck zunächst an einem Gericht, wechselte dann jedoch in die nicht geliebte Verwaltungstätigkeit, aus der er sich eigenmächtig auf unbegrenzte Zeit beurlaubte und den Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in Greifswald antrat.

Die Garnison Greifswald hatte er gewählt, um an der Akademie Greifswald-Eldena Landwirtschaft zu studieren.Militärdienst und Studium waren ausgezeichnet zu vereinbaren und Bismarck verstand es sehr gut, nur die Vorlesungen zu besuchen, die ihm als späteren Gutsherrn dienlich sein könnten.

Nach dieser Zeit bewirtschaftete er zusammen mit Bruder Bernhard die Familiengüter Külz, Jarchlin und Kniephof in Hinterpommern (Gesamt 550 ha).Hier zeigte sich die in Kniephof als Jüngling erworbene Fähigkeit, mit der Natur und den Menschen einvernehmlich umzugehen.

Mit seinen Landarbeitern sprach er wie mit Seinesgleichen, weil er ihre Sprache beherrschte. Auch konnte er das an der Akademie Eldena erworbene Wissen in der Praxis anwenden. Das brachte Erfolg. Die benachbarten Gutsbesitzer respektierten ihn als erfolgreichen Landwirt.

Die hochverschuldeten Güter brachten wieder Gewinne und eine Schuldentilgung von 50.000 Talern war möglich. Otto von Bismarck lebte auf seinem Hauptsitz Kniephof mit gespaltener Seele. Einerseits freute er sich über die wirtschaftlichen Erfolge – andererseits fühlte er sich unterfordert und langweilte sich, wie er seinem Vater schrieb:

„Mein Umgang besteht in Hunden, Pferden, Landjunkern, und bei Letzteren erfreue ich mich einigen Ansehens, weil ich Geschriebenes mit Leichtigkeit lesen kann, mich in jeder Zeit wie ein Mensch kleide, ganz schwere Cigarren rauche und meine Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch trinke. Denn leider Gottes kann ich nicht mehr betrunken werden. So vegetiere ich fast wie ein Uhrwerk.“

Es kam auf seinem Gut nicht selten zu exzessivem Ess- und Trinkgenuss und Kniephof firmierte schon bald als „Kneiphof”. Ein Anker in dieser Zeit war der persönliche Umgang mit den Mitgliedern der Ökonomischen Gesellschaft in Regenwalde, mit Adolf von Thadden-Trieglaff und Ernst von Bülow. Hier lernte er auch seine spätere Frau Johanna, geb. von Puttkamer kennen.

Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1845 übernahm er neben Kniephof auch das Familienstammgut Schönhausen (500 ha). Zwangsläufig übersiedelte Otto von Bismarck dorthin, weil er auch für seine berufliche Lebensplanung die Nähe zu Magdeburg und Berlin als Vorteil ansah.

Für das gesellschaftliche Amt als Deichhauptmann des Kreises Jerichow zu arbeiten, befreite ihn aus der Eintönigkeit des Lebens in Hinterpommern. Hier in der Altmark begann seine steile politische Karriere. Schönhausen übernahm er stark verschuldet.

Mit Zunahme der politischen Ämter war die direkte Leitung der Güter in Pommern und der Altmark äußerst kompliziert geworden und so verpachtete er Kniephof und Schönhausen für insgesamt 7300 Taler/p.A., von denen über die Hälfte für die Schuldentilgung benötigt wurden. Nach dem Umzug der jungen Familie nach Frankfurt/Main wurde auch das Gutshaus Schönhausen vermietet, welches ursprünglich als Sommerurlaubsstätte für die Familie genutzt werden sollte.

Häufig musste sich Bismarck im Preußischen Landtag und Deutschen Reichstag den Vorwürfen widersetzen, er betreibe Wirtschaftspolitik nach Gutsherrenart und bevorzuge seine Klasse der Großgrundbesitzer. Natürlich kannte er als Gutsherr die Probleme der Land- und Forstwirschaft aus erster Hand und unterließ es, sich auf „Berater“ einzulassen. Wirtschaftliche Vorteilsnahme war Bismarck nicht nachweisbar.

Dazu nur zwei Beispiele: Als 1867 der Preußische Landtag ihrem Ministerpräsidenten eine Dotation in Höhe von 400.000 Taler zum Ankauf von Varzin bewilligte, lag die nächste Bahnstation ca. 56 km entfernt. Nicht eine Bahnstrecke wurde sofort gebaut (was in seinen Entscheidungsbefugnissen gelegen hätte), sondern es wurde Gewerbe der Verarbeitung örtlicher Rohstoffe angesiedelt und erst 11 Jahre später die Eisenbahn nach Varzin in Betrieb gesetzt.

Auch war der Besitz des Reichskanzlers von 3620 ha auf 5000 ha angewachsen, was er überwiegend durch den Verkauf von Wertpapieren bezahlen konnte.

Ein nächstes Beispiel: Der steigende Kartoffelanbau in Pommern brachte den Gütern mit Brennereien ansehnliche Gewinne. Überall im Norden und Osten Deutschlands wuchsen die Brennereien wie Pilze aus der Erde und brachten den Gütern Wohlstand.

Um 1886/87 verarbeiteten 6268 Kartoffelbrennereien die Erdfrucht zu Alkohol, der immer billiger wurde. Lag der Verbrauch um 1800 bei 2 Liter reinem Alkohol pro Kopf, so stieg er in Brandenburg und Berlin auf 13 Liter an. Es kam zur Entwicklung einer Branntweinpest, deren Folgen für die Bevölkerung verheerend waren.

Reichskanzler Bismarck, der auf seinen Gütern 180.000 Liter Alkohol produzierte, hatte die grenzenlose Schnapsherstellung sowie die vernichtende Wirkung auf die Volksgesundheit erkannt und führte zum eigenen Nachteil 1887 eine Branntweinsteuer ein.

Große Teile der Gutsbesitzer appellierten an die Loyalität des Reichskanzlers. Er setzte das Maximum der Besteuerung durch, zum Wohle vieler deutscher Familien. Die Güter verdienten weniger – der Staat mehr.

Anlässlich des 70. Geburtstages des Reichskanzlers schenkte der Preußische Landtag dem Jubilar das Gut Schönhausen, um die ursprüngliche Größe des alten Familienstammsitzes von 1000 ha wieder herzustellen.

Als Anerkennung für den Sieg über Frankreich und zum Dank für die Reichsgründung von 1871 schenkte Kaiser Wilhelm I. seinem Kanzler aus seinem Besitz den lauenburgischen Sachsenwald östlich von Hamburg; mit einer Größe von 6000 ha überwiegender Waldfläche. Der deutsche Monarch hatte ihm den Titel „Fürst“ und „Herzog“ verliehen.

Trotz der umfangreichen Schenkungen war der in traditioneller, adliger Mentalität lebende Politiker Otto von Bismarck stets krampfhaft um die Arrondierung seines Besitzes bemüht. Der Zukauf weiterer Güter in Pommern war nicht immer von ökonomischen Überlegungen getragen.

Er unterschied sich wesentlich von seinen Standesgenossen in der Art und Weise der Strukturierung des privaten Besitzes. Den größten Teil der Landwirtschaft verpachtete er, auch die von ihm errichteten Industrie- und Handwerksbetriebe. Die lukrativen Schnapsbrennereien blieben ihm direkt unterstellt. Ebenso der Wald in Pommern und im Sachsenwald.

Nach eigenen Angaben des Fürsten war die Rendite aus der Forstwirtschaft fast doppelt so hoch wie die der Landwirtschaft; dabei nutzte er geschickt die Verbindungen zur boomenden Schwerindustrie an Rhein und Ruhr. Otto von Bismarck managte seinen großen Besitz bis ins hohe Alter gut.

Die immer wieder auftauchenden Gedankensplitter, dass er die Agrargesetzgebung bevorzuge, ließen seine Popularität und Verehrung im deutschen Volk nur wachsen.Die deutsche Landwirtschaft gesundete während seiner Regierungszeit, was erst nach der Amtsabgabe sichtbar wurde.

Er persönlich hatte es von einem verschuldeten, unbedeutenden hinterpommerschen Gutsbesitzer zu einem Großgrundbesitzer mit über 15.000 ha gebracht. Kein Kanzler nach ihm hat so engagiert für die deutsche Land- und Forstwirtschaft gearbeitet wie Fürst Otto von Bismarck. Er starb am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh/Sachsenwald.

Quellen:

Rainer F. Schmidt, Bismarck-Realpolitik und Revolution, Diederichs, Stuttgart 2004

Andreas von Seggern, Bismarck als Gutsherr, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Band 36


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