Neues BND-Gesetz: Weltpolizist BRD im rechtlosen Raum

von Thomas Moser

Am 21. Oktober Abstimmung im Bundestag – Illegales Handeln soll nun legalisiert werden

Die gute Nachricht zuerst: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss über den US-amerikanischen Nachrichtendienst NSA hat illegale Praktiken des bundesdeutschen Nachrichtendienstes BND enthüllt und eine Debatte darüber erzwungen. Nun die schlechte: Der Auslandsgeheimdienst lässt sich sein Handeln in Zukunft mit einem Gesetz legalisieren – wieder einmal.

Doch drehen wir dieses Mal die Reihenfolge um und beginnen mit der schlechten Nachricht: Ein Geheimdienst nutzt seine Verfehlungen, um sich zu restaurieren. Die gute Nachricht ist aber: Er ist ertappt, die Methode erkannt und öffentlich angeprangert.

Wie bei der Anhörung im Innenausschuss des Bundestages Ende September, als vor gut gefüllten Zuhörerrängen Dinge zur Sprache kamen, die Sicherheitsdiensten wie Sicherheitspolitikern nicht schmecken können.

„Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“

Die gesetzlosen Praktiken des BND, das sind vor allem Telefonüberwachungen von Ausländern im Ausland und zwar vom Inland aus – „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ genannt. Sie berührt die Rechte von Nicht-Bundesbürgern, die Rechte fremder Staaten, aber zugleich auch die Rechte von Bundesbürgern, die vom BND-Daten-Staubsauger automatisch mit erfasst werden. Denn eine Unterscheidung, ob ein Ausländer oder ein Bundesbürger gerade telefoniert, ist nach allgemeiner Übereinstimmung nicht nur von IT-Experten technisch unmöglich.

Lassen wir für einen Moment die Sachverständigen sprechen. Für Matthias Bäcker vom Institut für Technologie in Karlsruhe ist, wie er bei der Anhörung ausführte, die Grundannahme des angepassten BND-Gesetzes, ausländische Bürger könnten gegenüber Bundesbürgern rechtlich schlechter gestellt werden und gegen Abhöraktivitäten weniger geschützt sein, falsch und verfassungswidrig.

Der Politologe Thorsten Wetzling von der Stiftung Neue Verantwortung befand die Kontrolle des BND als zu schwach. Der Dienst werde nach wie vor ein Eigenleben führen und das Risiko bergen, diplomatischen und strategischen Flurschaden anzurichten. Sein bedenkenswerter Vorschlag: Parlamentsvertreter sollten jederzeit Zutritt zu den Diensträumen des BND sowie Zugriff auf dessen erhobene Daten haben.

Heinrich Amadeus Wolff von der Universität Bayreuth bemängelte einen Konstruktionsfehler im gleichzeitig geplanten BND-Kontrollgremium, genannt „Unabhängiges Gremium“: Dessen Mitglieder sollen nämlich von der Regierung und nicht vom Parlament bestellt werden, auf gut Deutsch: Der zu Kontrollierende sucht sich seine Kontrolleure selber aus. Worin die Kontrollrechte des geheim arbeitenden Gremiums tatsächlich bestehen, weiß allerdings niemand.

Einen Geheimdienst demokratisch zu kontrollieren, läuft auf seine Abschaffung hinaus

Geheimdienst-Freiheiten versus Geheimdienst-Kontrolle – um diese Grundentscheidung geht es letztendlich, mit allen Konsequenzen. Sprich: Einen Geheimdienst demokratisch zu kontrollieren, läuft auf seine Abschaffung hinaus. Bei zu viel Transparenz stirbt er den Lichttod.

Einen Dienst umgekehrt aber um jeden Preis behalten zu wollen, bedeutet, einen rechtlosen Zustand zu akzeptieren, der der Demokratie entzogen ist, wo die Demokratie ihrerseits abgeschafft ist. Ein bisschen Kontrolle heißt keine Kontrolle. Geheimdienste und Demokratie sind dauerhaft nicht kompatibel.

Auch Kurt Graulich, Ex-Richter am Bundesverwaltungsgericht, sieht dieses Dilemma. Er versuchte einen Spagat mittels der Formel, das Gesetz stelle eine „Art pragmatisches Notprogramm“ dar. Er meint damit, der Gesetzgeber könne dem Nachrichtendienst lediglich Voraussetzungen für sein Handeln benennen, aber nicht alles festlegen und kontrollieren. Eine Position, die in Kauf nimmt, dass ein Land sich seinem eigenen Geheimdienst ausliefert.

Gerhard Schindler, ein Sachverständiger der besonderen Art

Aufmerksamkeit verdient, was Gerhard Schindler von sich gab, als Ex-BND-Präsident ein Sachverständiger der besonderen Art und als solcher ebenfalls zur Anhörung im Bundestag geladen. „Eine bessere Kontrolle ist im Sinne des BND“, sagte Schindler überraschenderweise, was ihn für den ARD-Reporter direkt zum Dissidenten machte.

Jedoch: Schindler ist nicht etwa ein Reformer, der für Transparenz des Geheimdienstes steht, deshalb geschasst und zum 1. Juli 2016 von Bruno Kahl abgelöst wurde, wie Medien immer wieder kolportieren. Schindler sagte nämlich gleichzeitig auch, es gehe darum „die Leistungsfähigkeit des BND zu stärken“, was wiederum mit dem geplanten Gesetz möglich sei. Der BND brauche die nötige Legitimation, damit es, wenn Fehler passierten, nicht wieder heiße, der BND sei schuld.

Freibrief mittels Gesetz

Damit kommen wir der Sache näher. Der Dienst möchte einen Freibrief mittels Gesetz. Er möchte handeln können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Die sollte an seiner Stelle die Politik tragen. Wenn eine Institution, die im Verborgenen agiert, besser agiert, wenn sie besser kontrolliert wird, wie Schindler es propagiert, müssten sich dann nicht alle Geheimdienste um eine solche Kontrolle reißen?

Das Gegenteil ist aber der Fall, und eine Logik ergibt nur der Umkehrschluss: Ein angebliches Kontrollgesetz, das ein Geheimdienst lobt, ist seinen Namen nicht wert. Tatsächlich entlarvt das Urteil des ehemaligen BND-Vertreters dieses Gesetz als Feigenblatt für fehlende Kontrolle. Schindler will nicht reformieren, er will den BND unabhängiger machen. Nebenbei schlug er auch vor, die Vorratsdatenspeicherung von sechs Monaten auf zwei Jahre auszuweiten und ging damit weiter, als die Regierung mit ihrem Gesetz gehen will.

Neskovic: „Mit dem Schein des Rechts betrügt die Bundesregierung das Recht“

Der Nachrichtendienst werde mit diesem Gesetz „von der Leine gelassen“, befindet Wolfgang Neskovic, ehemals Richter am Bundesgerichtshof und als Bundestagsabgeordneter jahrelang Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Bundestages, das die Geheimdienste kontrollieren soll. Und, so Neskovic weiter: Mit dem Schein des Rechts betrüge die Bundesregierung das Recht.

Parallel zum BND-Gesetz soll ein neuer Posten im Bundestag geschaffen werden: Der des Geheimdienstbeauftragten, „Ständiger Bevollmächtigter“ genannt. Angesiedelt beim PKGr soll er die Nachrichtendienste Verfassungsschutz, BND und MAD kontrollieren, auf „Augenhöhe mit deren Präsidenten“, wie es heißt. Welche Befugnisse dieser Bevollmächtigte hat, die das PKGr nicht, ist, wie beim Unabhängigen Gremium, unklar.

Parlament im Griff des Sicherheitsapparates

Man kann in der Einrichtung dieses Postens auch das unfreiwillige Eingeständnis sehen, dass die bisherige Kontrolle der Geheimdienste durch den Bundestag so wirkungsvoll nicht gewesen sein kann. Wie ein Treppenwitz erscheint nun, wer als dieser Geheimdienstbeauftragte gehandelt wird: Der derzeitige Vizepräsident des BND nämlich, Guido Müller, obendrein Geheimschutzbeauftragter des BND, also so etwas wie ein weltlicher Großinquisitor. Ein Parlament im Griff des Sicherheitsapparates.

Worum geht es bei dem erweiterten BND-Gesetz tatsächlich?

„Es geht allein um die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik“, so der Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, „und dafür werden Grundrechte eingeschränkt.“

Das ist der Hintergrund: Das Handeln der BRD im Ausland, als Weltpolizist, mittels Bundeswehr und mittels Nachrichtendiensten. Das jedoch ist nicht allein mit deutschen Gesetzen regel- und legitimierbar. Tangiert sind mögliche Partnerstaaten und deren Staatsbürger, aber auch fremde Zielstaaten und deren Staatsbürger.

Auch dem Sicherheitspolitiker der Union, Clemens Binninger, sind diese Komplikationen bewusst:

„Was kann man von der Bundesrepublik aus überhaupt regeln, ohne in Kollision mit dem Partner zu geraten? Wie kann man bei gemeinsamen Operationen sagen: Hier gilt unser Grundgesetz! Und der Partner sagt dann: Hier gilt unsere Verfassung!“

Problem erkannt, aber nicht gebannt. Denn, dass Binninger der Gesetzesnovelle als Konsequenz nicht zustimmt, ist nicht zu erwarten.

Der Weltpolizist BRD handelt ohne durchgehende gesetzliche Basis. Siehe Fall Kunduz. Auf Befehl eines Bundeswehroffiziers wurden im September 2009 in der nordafghanischen Stadt zwei Tanklastzüge bombardiert und etwa 100 Zivilisten getötet. Afghanische Opferangehörige beklagten die Bundesrepublik auf Schadensersatz.

Jetzt, Anfang Oktober 2016, wies der Bundesgerichtshof die Klage zurück. Begründung: Es gebe kein persönliches Klagerecht der afghanischen Opfer, weil das deutsche Amtshaftungsrecht nicht gegenüber ausländischen Staatsbürgern gelte. Das deutsche Amtshaftungsrecht sei auf bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht anwendbar. Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen stünden grundsätzlich nur dem Heimatstaat zu. Für Rechte von Einzelnen gebe es im Völkerrecht aber „nach wie vor keine allgemeine Regel“.

Man beansprucht Rechte, gewährt aber keine und kennt keine Pflichten – das scheint die allgemeine Regel der militarisierten deutschen Außenpolitik zu sein.

Armeen brauchen Nachrichtendienste, deshalb ist der BND im Ausland aktiv. Entweder, wie in Afghanistan, zur Unterstützung der Bundeswehr, oder, wie im Irak, zur Unterstützung der US-Armee. Dieser Kriegsauftrag scheint sich in der Rhetorik niederzuschlagen: „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“, das hört sich nach „Boden-Boden-Raketen“ an.

Die Frage ist aber nicht nur, wen der BND alles abhört, sondern auch, mit wem er seine Informationen teilt. Auch mit dem syrischen Regime zum Beispiel? Es wäre nicht die erste Zusammenarbeit im Namen des sogenannten Anti-Terror-Kampfes. Schon vor Jahren konnten bundesdeutsche Ermittler in syrischen Knästen Terrorverdächtige befragen, Folterungen zum Trotz. Unrechtsstaaten werden erst kritisiert, wenn sie untergegangen sind.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.heise.de/tp/artikel/49/49708/1.html


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