Kirchen in Not: Wohin mit der „Judensau“?

von Klaus Lelek

Köln – Während der neue Antisemitismus, wie die Israel feindliche Ausstellung „Nakba“ beweist, der Kirche kaum Kopfzerbrechen bereitet, schmerzt der alte Antisemitismus umso mehr. Erst recht, wenn er als unzugänglicher Wasserspeier am Dach von Kathedralen prangt, oder sich kaum sichtbar im Chorgestühl verbirgt.

Die Rede ist von der „Judensau“.

Dieser unrühmlichen Chimäre vergessener Bildhauerkunst hat die bischöfliche Nachrichtenplattform Domradio ein langes Kapitel gewidmet und gleichzeitig die Frage aufgeworfen, wie man im Zeichen von interreligiösen Dialogen mit so einem mittelalterlichen Monster, das als Replik sogar bis ins 19. Jahrhundert seinen Rüssel ausstreckt, umgehen soll. Einfach zu Pellets verarbeiten geht schlecht, und auf die Bauschuttdeponie will die lüsternen Borstentiere auch keiner bringen. Bleibt also nur die pädagogisch didaktische Aufarbeitung der peinlichen Spezies.

Dabei soll unter anderem ein Buch helfen, das gerade in einer Neuauflage erschienen ist. Es heißt – der Dom und die Juden – und setzt sich intensiv mit dem Antijudaismus im und am Kölner Dom auseinander. Wo immer bei der Kirche ein tatsächliches oder vermeintliches Problem ist, gibt es dazu auch einen passenden Arbeitskreis. Der will nun gemeinsam mit dem Kölner Domkapitel nach Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit antijüdischen Darstellungen am Dom suchen und den Saustall wenigstens wissenschaftlich ausmisten.

„Es geht uns darum, diese Darstellungen im historischen Kontext zu erklären und zu problematisieren, dass Antijudaismus Teil der christlichen Kirchen ist, übrigens nicht nur der katholischen Kirche“,

sagt Prof. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

Insgesamt zehn dieser gefährlichen Artefakte sollen im Dom ihr Unwesen treiben. Die anstößigste prangt im Chorgestühl. Relieffiguren mit Spitzhüten, die sie als Juden ausweisen. Die Künstler sind nicht gerade zimperlich mit dem Thema umgegangen: Ein Mann hält eine Sau fest, ein Zweiter füttert sie und ein Dritter kniet nieder, um an ihren Zitzen zu trinken: 700 Jahre hat das frivole Kölner Decamerone inzwischen auf dem Buckel.

Zur Entlastung der Schnitzer muss man jedoch sagen, dass es auch derbe Karikaturen und Schmähfiguren gegen den Klerus gibt. Am Tympanon der Kirche von Gelnhausen werden Bischöfe in die Hölle geschickt. Auch sozialkritische Themen wurden in Stein gehauen, ebenso wie die beiden Knabenliebhaber Platon und Sokrates, Liebespaare und sündige Weiber.

Die bekannteste Schmähskulptur, so Domradio, steht allerdings nicht Köln, sondern prangt als „Judensau“ an der evangelischen Wittenberger Stadtkirche. Sie stammt aus dem 14. Jahrhundert und zeigt einen Mann, der dem Rüsseltier in den After schaut.

Im Jahre 1988 wurde dort eine Gedenkplatte angebracht, um an die Folgen des Judenhasses zu erinnern. Vor Gericht wird gerade um die Entfernung der Skulptur gerungen. In Köln will man mit den Artefakten des Antisemitismus anders umgeben:

„Bilderstürmerei ist keine Antwort“, so Professor Wilhelm. Antijudaismus sei Teil des Kölner Domes, wenn auch kein schöner.

„Sich damit auseinanderzusetzen, hält der Arbeitskreis für wirkungsvoller als mit Hammer und Meißel loszuziehen. Weiterhin seien zahlreiche Maßnahmen geplant, so der Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit: Er kündigt für die kommenden Jahre thematische Führungen, Ausstellungen und Flyer an, die über das Thema informieren.

Ein ausgiebiges Thema für wahr, aber warum wird es gerade jetzt aufgegriffen? Längst hat das böse Untier wie in Ovids Metamorphosen eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Der Antisemitismus hockt nicht mehr als hölzerne Sau im Chorgestühl, das wenn überhaupt nur Kunstkenner oder chinesische Touristen interessiert – dort ist das Schwein ein heiliges Tier – sondern galoppiert „quieklebendig“ im Schweinsgalopp durch die Kölner Innenstadt.

Auch in einem großen Vorort wurde das Monster schon gesichtet. Vornehmlich dort wo eine bestimmte Bevölkerungsgruppe „Andersgläubige“ als „Schweine“ tituliert. (KL)


Quelle und Kommentare hier:
https://www.journalistenwatch.com/2018/10/26/kirchen-not-wohin/