Die zwei Taktiken der Angela Merkel

von Thomas Rietzschel

Angela Merkel weiß, was zu tun ist. Sie hat ihren Lenin gelesen. Seine Schrift „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ stand auf dem Lehrplan des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums, das jeder Studierende in der DDR zu absolvieren hatte, gleich, ob er Turnlehrer, Arzt, Germanist oder Physiker werden wollte.

Der 1905 verfasste Text zählt zu den Gründungsdokumenten des Bolschewismus, damals noch organisiert in der radikalen Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands.

Lenin entwickelt darin eine Doppelstrategie, die schnell zur Richtschnur für den Machtkampf der kommunistischen Parteifunktionäre wurde. Zuerst galt es danach, die bürgerliche Gesellschaft durch eine Teilhabe an der parlamentarischen Demokratie zu unterwandern. So sollten nicht nur jene Kräfte eingebunden werden, die ohnehin schon linke Positionen vertraten, sondern mehr noch deren Gegner. Mit taktischem Kalkül wurden Themen verfolgt, die, losgelöst von der Ideologie, auch dem kritischer gesinnten Bürgertum am Herzen lagen.

Beispielhaft hierfür ist der Kampf um das Frauenwahlrecht. Indem sie sich rhetorisch zu Vorkämpfern der Emanzipation aufschwangen, wollten die Kommunisten Teile des bürgerlichen Lagers auf ihre Seite ziehen. Das gelang in diesem wie in anderen Fällen nicht immer, war aber auch nicht ganz erfolglos. Lenin hatte durchaus auf das richtige Pferd gesetzt, wenn er zunächst verlangte, die bürgerlichen Parteien durch partielle Aneignung ihrer Anliegen so weit zu spalten und zu schwächen, dass sie in einem zweiten taktischen Schritt an den Rand gedrängt werden können, der Weg frei ist für Politiker mit autokratischem Machtanspruch.

Raus aus der Mitte!

Dazu die Probe aufs Exempel zu machen, ist Angela Merkel beinah gelungen. Mit der von ihr betriebenen Öffnung der CDU zur Mitte hin, hat sie die Partei aus eben dieser Mitte, ihrem angestammten Platz, von Anfang an nach links geführt. Alles, was ihr zuzuschreiben ist, die Energiewende, die Grenzöffnung, die Kampagne für das Elektroauto, die Haftung Deutschlands für die europäische Schuldenpolitik, die klammheimliche Einführung der Zensur durch das „Netzwerkdurchsetzunggesetz“, diente diesem Linksschwenk.

Freilich war es auch nicht sonderlich schwer, das Bürgertum bis zur Selbstverleugnung einzuwickeln. Weil dessen politische Vertreter sich nie ernsthaft für die Strategien des Kommunismus interessierten, zum Beispiel keinen blassen Schimmer von Lenins Lehre der „Zwei Taktiken“ hatten, sie nicht kannten, weil sie es im Bewusstsein ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit nicht für nötig erachteten, sich damit zu beschäftigen, waren sie leicht zu übertölpeln.

Ein armseliges Schauspiel

Ohne es zu merken, tappten sie in die Falle ihres Hochmuts, bis sie geradezu begierig schienen, gegen ihre eigenen Interessen und vor allem gegen die der bürgerlichen Gesellschaft zu handeln. Ein armseliges Schauspiel, genauso inszeniert, wie es sich Lenin vorgestellt hatte. Noch ein knappes Jahrhundert nach seinem Tod wäre die Rechnung aufgegangen, hätte Angela Merkel nicht zu früh geglaubt, alles schon im Griff zu haben, hätte sie den Bogen nicht mit der selbstherrlich verfügten Grenzöffnung überspannt.

Deren Folgen haben viele wach gerüttelt. Zusehends wächst die Zahl derer, die mehr oder weniger überrascht erkennen, dass es unter Merkel schon lange an das Eingemachte der bürgerlichen Gesellschaft geht. Selbst in der hasenfüßigen CDU bilden sich Gruppierungen, die ihre Kanzlerin endlich vom Hof jagen möchten, so zum Beispiel die neu gegründete „WerteUnion“.

Kein Zufall aber auch, dass es die Ostdeutschen waren, die ihrer Landsmännin zuerst auf die Schliche kamen. Mussten sie doch durch die selbe Schule wie die marxistisch-leninistisch ausgebildete Angela Merkel gehen.


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