Deutsche Ostgebiete: „Die Schlesier“

von VA

Schlesien-WappenSchlesien mißt – von der Oder durchzogen – von Görlitz im Nordwesten bis zum Süden Oberschlesiens rund 400 Kilometer, vom Südwesten der Sudeten bis zur alten deutsch-polnischen Grenze im Nordosten rund 150 und ist im Laufe seiner Geschichte trotz vielfacher Zersplitterung immer eine geschichtliche Einheit geblieben. Seit dem frühen Mittelalter nach dem mehrheitlichen Wegzug der germanisch-wandalischen und dem Land den Namen hinterlassenden Silingen (5. Jahrhundert) nur dünn mit nachrückenden Slawen besetzt, wurde das Land im 12. Jahrhundert Zielgebiet der deutschen Ostkolonisation.

Initiatoren waren die schlesischen Piasten-Herzöge, die sich zu dieser Zeit – endgültig dann 1163 – jedem Zusammenhang mit den polnischen Piasten entzogen und nicht zuletzt durch kontinuierliche “Heiratspolitik” – die von deutschen wie polnischen Schlesiern verehrte Landespatronin war und ist bis heute die Gemahlin Herzog Heinrichs I., die Heilige Hedwig aus dem fränkischen Geschlecht Andechs-Meran (†1243) – sehr bald Deutschland und dem Reich zuwandten. Kristallisationspunkte der friedlichen Kolonisation waren anfangs vor allem die Klöster der ins Land gerufenen Prämonstratenser (St.Vincenz in Breslau um 1120, 1228 Czarnowanz bei Oppeln) und Zisterzienser (1175 Leubus, 1202/03 Trebnitz, 1227/28 Heinrichau, 1242 Grüssau, 1247 Kamenz usw.). Den Leubuser Zisterziensern wurde 1175 ausdrücklich als Privileg zuerkannt, deutsche Siedler ins Land zu holen, die “für alle Zeit und ausnahmslos von allem polnischen Recht frei sein sollen.” Allein zwischen 1200 und 1350 wurden in Nieder- und Mittelschlesien nach deutschem Recht 63 Städte und fast 1.500 neue Dörfer gegründet, in Oberschlesien weitere 20 Städte und über 200 deutsche Dörfer. Schon um 1300 lebten in Schlesien nach Schätzungen 175.000 Deutsche.

Unumstrittenes Zentrum des Landes und Anziehungspunkt deutscher Kolonisten war aber zu jeder Zeit das um das Jahr 1000 entstandene Breslau, seit etwa 1250 mit deutschem Stadtrecht, das schon im 14. Jahrhundert mit 20.000 Einwohnern für damalige Verhältnisse eine europäische Großstadt war.

Große Rückschläge für die Besiedlung waren der verheerende Einfall der Mongolen 1241, dem in der Schlacht bei Wahlstatt der Großteil des schlesischen Adels mit Herzog Heinrich II. – Hedwigs Sohn – an der Spitze zum Opfer fiel, und die Große Pest von 1347/48, die zwar in Schlesien vergleichsweise weniger als in anderen Ländern grassierte, aber den Siedlerzuzug aus dem Westen stark abschwächte. Ab den 1420er Jahren war Schlesien für Jahrzehnte eines der Hauptangriffs- und Plünderungsziele der aus Böhmen immer wieder vordringenden tschechischen Hussiten. 40 Städte wurden zerstört. In dieser Zeit – 1420 – fand unter Kaiser Sigismund in Breslau der erste und einzige kaiserliche Reichstag in Ostdeutschland statt.

Die staatsrechtliche Trennung von Polen hatte schon zuvor in den 1320/30er Jahren ihren Abschluß gefunden, als sich nacheinander alle die in etliche Teil-Linien zersplitterten piastischen Herzogtümer (1327 waren es 17!) der Lehnsoberhoheit der Böhmischen Krone unterstellten: So 1327 die Oppelner Herzöge (siehe Oberschlesien), 1329 die von Liegnitz, Brieg, Sagan, Oels und Steinau, 1331 Glogau und 1336 Münsterberg. Breslau, mächtiges Herzogtum ohne Herzog, sondern seit dem Aussterben der dortigen Piasten 1335 faktisch eine eigensinnige patrizische Bürger-Republik, die selbst den Breslauer Bischof nach Neisse vergraulte, hatte auch schon 1327 die böhmische Oberhoheit erbeten und erhalten. Länger als drei Jahrhunderte, bis 1635 war der von der Bürgerschaft gewählte Breslauer Stadtrat kollektiver “Landeshauptmann” des ganzen Landes. Zu den schlesischen Fürstentagen hatten sich die Herzöge zu den Bürgerrepräsentanten Breslaus ins Rathaus zu begeben.

Seither gehörte das ganze Land zum Heiligen Römischen Reich (deutscher Nation). Polens König Kasimir III. verzichtete gegenüber Böhmen im Vertrag von Trentschin 1335 “auf ewige Zeiten”, Ansprüche auf Schlesien geltend zu machen. Spätestens mit diesem Übergang an Böhmen war Schlesien Bestandteil des Hl. Römischen Reiches geworden. Dies entsprach naturgemäß der in dieser Zeit in Nieder- und Mittelschlesien und im westlichen Oberschlesien weitgehend abgeschlossenen friedlichen Eindeutschung.

Nacheinander starben die schlesischen Piasten, die sich – außer zeitweise in Oberschlesien – ungeachtet der manchmal nur einige hundert qkm zählenden Herrschaftsbereiche alle immer nur Herzöge von Schlesien nannten, aus: 1335 die Linie Breslau, 1392 Schweidnitz-Jauer, 1417 Liegnitz, 1428 Münsterberg, 1472 Oels, 1476 Glogau, 1504 Sagan, 1532 Oppeln usw. Einzelne Herzogtümer gelangten vorübergehend an Dynastien wie die Hohenzollern, die sächsischen Wettiner, die böhmischen Premysliden und die Podiebrad. 1675 schließlich starb mit dem erst 15-jährigen Herzog Georg Wilhelm von Liegnitz, Brieg und Wohlau der allerletzte Piast in der 17.Generation seit Herzog Heinrich I. Ganz Schlesien gehörte nun unmittelbar zu den Ländern der seit 1526 von den Habsburgern getragenen Böhmischen Krone.

Dem vorausgegangen war auch der Übertritt der meisten Herzogtümer zur lutheranischen Konfession. Schon in den 1520/30er Jahren wurden Liegnitz, Breslau, Schweidnitz-Jauer, Oels usw. und auch große Teile der oberschlesischen Herzogtümer (siehe dort) evangelisch. Die im 17. Jahrhundert, vor allem seit Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) massiv einsetzende und maßgeblich von Jesuiten betriebene Gegenreformation führte zur teilweisen Rekatholisierung des Landes, das aber danach immer konfessionell gespalten blieb. Der Anteil der Lutheraner nahm von Nordwesten nach Südosten ab, der der Katholiken ziemlich gleichmäßig zu (siehe unten). Die Hauptstadt Breslau blieb immer bikonfessionell, wobei nebenher die jüdische Gemeinde durch Zuwanderung aus Polen und Rußland später zur größten Ostdeutschlands wurde.

1742 kam der größte Teil Schlesiens und zusätzlich die Grafschaft Glatz nach dem 1.Schlesischen Krieg und endgültig durch den Frieden von Hubertusburg (1763) an Preußen. Nur die – längst herzogslosen – Herzogtümer Troppau-Jägerndorf und Teschen blieben bei Österreich (siehe Sudetendeutsche). Unter Friedrich II. wurden umfangreiche Kolonisationsprojekte vorangetrieben, die gesamte Provinzialverwaltung modernisiert. Etwa eine Million Menschen lebten um 1740 in dem Land, 1779 zählte man 1,5 Millionen.

Preußens Provinz Schlesien, seit 1815 im Deutschen Bund, seit 1871 im Deutschen Reich, hatte 1885 bereits 4,1 Millionen Einwohner, darunter 3,2 Millionen Deutsch- und 850.000 Polnisch- bzw. Oberschlesisch-Sprachige. Im südwestlichen Oberschlesien um Ratibor lebten 60.000 Tschechisch/Mährisch-sprachige “Schlonsaken”. Die Bevölkerung der Provinz war zu 52 Prozent katholisch, insbesondere in Oberschlesien und der Grafschaft Glatz. In Breslau lebte überdies die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands.

1920 kam es nach dem Ersten Weltkrieg und einer Volksabstimmung in Teilen Oberschlesiens zur Abtrennung Ost-Oberschlesiens an Polen (siehe Oberschlesier). Die Abstimmung selber hatte bewiesen, daß gerade in Oberschlesien die Sprache kein Nationalitätskriterium war: In einem Kreis wie Groß-Strehlitz, dessen Bevölkerung sich 1910 nur zu17 Prozent als deutschsprachig erklärt hatte, stimmten 1921 49,3 Prozent für den Verbleib bei Preußen und Deutschland. Im Kreis Kreuzburg, einem der wenigen evangelischen Oberschlesiens, stimmte die Bevölkerung (1910 nur zu 47 Prozent deutschsprachig) mit 96 Prozent gegen den Anschluß an Polen. Auch in den großen Städten des abzutretenden Gebiets hatte die Mehrheit für Deutschland optiert (Königshütte 75 Prozent, Kattowitz 85 Prozent). In Ratibor oder Oppeln, die dann auch bei Deutschland blieben, hatten über 90 bzw. 95 Prozent für Deutschland gestimmt usw.

In den zwei Dritteln Oberschlesiens, die nicht an Polen fielen, stimmten 1922 in einer weiteren Abstimmung über 90 Prozent gegen eine Eigenstaatlichkeit innerhalb des Deutschen Reiches und für den Verbleib bei Preußen.

In den drei preußischen Regierungsbezirken Schlesiens (rund 35.000qkm) lebten 1939 4,6 Millionen Menschen, im Bezirk Liegnitz (östlich der Neiße) 1.070.000, in Breslau 1.970.000 und in Oppeln 1.530.000. Der Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung lag in Nieder- und Mittelschlesien unter einem Prozent, in sehr vielen Städten und Gemeinden bei Null. Der Regierungsbezirk Liegnitz war 1933 zu 81 Prozent, Breslau zu 58 Prozent evangelisch, Oppeln/Oberschlesien zu 89 Prozent katholisch. Etwa 0,8 Prozent der Schlesier (35.000) waren jüdischen Glaubens.

Aus diesem Gebiet fielen als Soldaten im Krieg 280.000 Schlesier. Etwa 60.000 Zivilisten kamen während der sowjetischen Belagerung und Beschießung von Breslau Februar-Mai 1945 um. Zehntausende Flüchtlinge aus Schlesien verbrannten im Februar 1945 im unverteidigten Dresden. Bei Flucht und Vertreibung und in polnischen Konzentrationslagern wie den berüchtigten Lagern Lamsdorf, Zgoda bei Schwientochlowitz oder in Gleiwitz starben 1945/47 400.000 Zivilisten an Erschöpfung, Hunger oder durch Mord und Totschlag. Jeder sechste Schlesier ist in den 40er Jahren keines natürlichen Todes gestorben. Die Vertreibung aus Nieder- und Mittelschlesien war nahezu total, in Oberschlesien wurde ein Teil der Bevölkerung zum Teil aus ökonomischen (Bergleute), zum Teil aus rassistischen Gründen (als “autochthone” Slawen) zurückgehalten (siehe Oberschlesier).

Zwar kamen vor allem nach Breslau besonders viele polnische Vertriebene aus dem 1939 und 1944 wieder an die Sowjet-Ukraine gefallenen Lemberg (poln. Lwów, ukr. Lwiw), aber die Mehrzahl der Neusiedler in Schlesien stammte aus Zentralpolen oder waren Remigranten aus Westeuropa.

Nur der westlich der Neiße gelegene Zipfel Schlesiens um (West-)Görlitz, Weißwasser, Hoyerswerda und Niesky kam 1945 nicht unter polnisches Regime, sondern zur Sowjetischen Besatzungszone, 1949 zur DDR und gehört seit 1990 zur Bundesrepublik Deutschland.

1950 lebten in Westdeutschland (mit West-Berlin) 2,1 Millionen, in der DDR (mit Ost-Berlin) 1,1 Millionen aus der Provinz Schlesien in ihren Vorkriegsgrenzen Vertriebene. Hinzuzurechnen sind die Ost-Oberschlesier (siehe Oberschlesier) und Sudetenschlesier (siehe Sudetendeutsche).

In den folgenden Jahrzehnten, zumal Mitte der 50er, zu Beginn der 70er und massiv Ende der 80er Jahre verließen hunderttausende Schlesier als Aussiedler das Land und stellten mit Abstand den größten Teil der deutschen Aussiedler aus der Volksrepublik (seit 1989 Republik) Polen, alleine in den Jahren 1988-91 etwa 470.000 von 540.000.

Heute leben noch etwa 300-500.000 Deutsche in den Woiwodschaften Oppeln und “Schlesien” (Slask; = Ost-Oberschlesien mit Kattowitz). In der seit 1997 bestehenden Woiwodschaft Niederschlesien (Dolny Slask) leben einige tausend Deutsche nur in zerstreuter Lage. Etwa 150.000 haben sich seit Anfang der 90er Jahre ihre fortbestehende deutsche Staatsangehörigkeit durch die Ausstellung deutscher Pässe bestätigen lassen. Im polnischen Sejm ist die Volksgruppe seit 1991 mit eigenen Abgeordneten vertreten. Die Aussiedlungsbewegung ist auch wegen der seit 1990 herrschenden Freizügigkeit und Reisefreiheit, aber auch wegen deutscherseits erhöhter bürokratischer Hürden seit Mitte der 90er Jahre gegen Null zurückgegangen.

In der Bundesrepublik organisierten sich die Schlesier in der im März 1950 gegründeten Landsmannschaft Schlesien – Nieder-und Oberschlesien, die heute in Königswinter sitzt, ein Teil der Oberschlesier in der 1949/50 entstandenen Landsmannschaft der Oberschlesier (Sitz: Ratingen-Hösel). Eine Patenschaft über die Schlesier übte von 1955-90 das Land Niedersachsen aus, Pate der Oberschlesier ist seit 1964 Nordrhein-Westfalen.


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