Das Friedensdiktat von Versailles 1919

“Noch niemals ist ein ernstlicher und dauerhafter Friede auf die Ausplünderung, die Quälerei und den Ruin eines Besiegten, geschweige denn auf den eines besiegten großen Volkes gegründet worden. Und dies und nichts anderes ist der Vertrag von Versailles!” – Francesco Nitti, damaliger Ministerpräsident Italiens 1924 über das Versailler Friedensdiktat von 1919

Von Wolfgang Popp

Einer der entscheidenden Fakten, die im Herbst 1939 zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Europa geführt haben, war der glücklose Ausgang des Ersten Weltkrieges für das deutsche und österreichische Kaiserreich mit den Friedensdiktaten von Versailles (28.6.1919) und Saint- Germain (10.9.1919), welche die politischen, wirtschaftlichen und ethnischen Gegebenheiten in Europa erschütterten und völlig veränderten. Wie war es aber zu diesem Desaster der mitteleuropäischen Mächte gekommen, nachdem seit 1871 Deutschland keinen Krieg mehr gegen einen seiner Nachbarn geführt hatte?

Die Ursachen des Ersten Weltkrieges lagen nach [1] in der durch die französische Revanche-Hoffnungen seit dem Krieg von 1870/71 verschärften deutsch-französischen Spannung und in der wachsenden panslawistischen Bewegung, die Rußland nach der Niederlage in Ostasien zu einer Expansionspolitik auf dem Balkan trieb und dadurch in immer stärkeren Gegensatz zu Österreich-Ungarn brachte. Das Deutsche Reich zog sich durch Unterstützung der Donaumonarchie die Feindschaft Rußlands und durch seinen als reine Defensivmaßnahme gedachten, von den Engländern aber als Bedrohung empfundenen Flottenbau die Gegnerschaft Großbritanniens zu. Die friedliche, dennoch unsichere und schwankende deutsche Politik war nicht dazu angetan, die sich aus der außenpolitischen Isolierung ergebenden Gefahren zu bannen. Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gattin durch serbische Verschwörer am 28.6.1914 in Sarajewo veranlaßte Österreich-Ungarn zu einem scharfen Gegenschlag. Sein Ultimatum an Serbien vom 23.7.1914 rief Rußland auf den Plan und führte damit infolge der europäischen Bündnisverflechtungen und Generalstabsabmachungen trotz deutscher und englischer Vermittlungsversuche zur Katastrophe. Österreich-Ungarn erklärte am 28.7.1914 an Serbien, Deutschland wegen der russischen Gesamtmobilmachung am 1.8. an Rußland und am 3.8.1914 an Frankreich den Krieg, nachdem dieses eine deutsche Anfrage nach seiner Haltung ausweichend beantwortet hatte. England nahm den deutschen Einmarsch in Belgien am 4.8. zum Anlaß seiner Kriegserklärung an das Deutsche Reich. Durch den Londoner Vertrag vom 6.9.1914 verpflichteten sich die Alliierten, keinen Sonderfrieden (wie auch später im Zweiten Weltkrieg) mit Deutschland abzuschließen.

So kam es zu einem harten und gnadenlosen Waffengang (in dessen Verlauf insgesamt 65 Millionen Soldaten mobilisiert wurden, von denen 8,5 Millionen fielen, über 21 Millionen verwundet wurden und rund 7,8 Millionen in Kriegsgefangenschaft gerieten oder vermißt blieben [2] an den Fronten im Westen (am 6.4.1917 hatten auch die Vereinigten Staaten von Amerika Deutschland den Krieg erklärt), Süden (Italien war am 23.5.1915 mit einer Kriegserklärung an Österreich-Ungarn in den Weltkrieg eingetreten), Südosten und Osten, der aber durch die Verschlechterung der Ernährungs- und Rohstofflage, durch politische Zersetzungserscheinungen in der Donaumonarchie und durch wachsende innenpolitische Spannungen im Reich zu einer allgemeinen Kriegsmüdigkeit führte, wobei der Wunsch nach baldiger Beendigung des Krieges immer lauter wurde. [3] So forderte am 28.9.1918 die deutsche Oberste Heeresleitung von der Reichsregierung infolge der aussichtslosen Kriegslage ein Friedens- und Waffenstillstandsangebot an die Alliierten. Daraufhin ersuchte die Reichsregierung in der Note vom 3.10.1918 den damaligen US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson um Vermittlung des Friedens auf der Grundlage seiner am 8.1.1918 verkündeten „Vierzehn Punkte“ sowie der daran anschließenden programmatischen Friedensäußerungen Wilsons. In seiner Note vom 5.11.1918 erklärte er, daß die Bereitschaft zum Friedensschluß auf der Grundlage der „Vierzehn Punkte“ bestehe; Ausnahmen wurden gemacht über den Grundsatz der „Freiheit der Meere“ und über den von Deutschland zu verlangenden Schadensersatz „für allen durch seine Angriffe zu Wasser und zu Lande und in der Luft der Zivilbevölkerung der Alliierten und ihrem Eigentum zugefügten Schaden“ (= Reparationen).

Die aufgrund der Note abgesandte deutsche Waffenstillstandskommission mußte am 11.11.1918 auf Weisung der Obersten Heeresleitung die Waffenstillstandsbedingungen im Wald von Compiegne/ Frankreich unterzeichnen, die eine Wiederaufnahme von Kriegshandlungen durch Deutschland unmöglich machten. Sie enthielten unter anderem die Räumung Belgiens, Frankreichs, Elsaß-Lothringens und Luxemburgs in fünfzehn Tagen, die Auslieferung der deutschen Kriegsflotte (die dann am 21.6.1919 im englischen Hafen Scapa-Flow auf Befehl ihres Admirals von Reuter versenkt wurde), die Ablieferung sämtlichen Kriegsmaterials, die Ungültigkeit der im Osten und Südosten bereits geschlossenen Friedensverträge. Da die Hungerblockade (die schon zu Beginn des Krieges 1914 von den Engländern verhängt worden war und in Deutschland zu erheblichen Notlagen wie den ‚Steckrübenwinter‘ 1916/17, erhöhter Sterblichkeit und Geburtenausfall geführt hatte) im Waffenstillstandsvertrag ausdrücklich aufrechterhalten blieb und bis zum Abschluß des Friedensvertrages nicht aufgehoben werden sollte, befand sich das durch innere Wirren (Gewalt, kommunistische Umsturzversuche, Revolten und Mord) geschwächte Deutsche Reich in einer taktisch schlechten Position für die kommenden Friedensverhandlungen. Deutschland vertraute auf die Zusicherung, daß Wilsons „Vierzehn Punkte“ die Grundlage für die Friedensbedingungen sein sollten. Doch waren Frankreich und Großbritannien in ihren internen Plänen nicht bereit, einen solchen Vorvertrag anzuerkennen. Die Geheimverträge aus dem Weltkrieg sowie die durch maßlose und bösartige Kriegspropaganda aufgehetzte ‚Öffentliche Meinung‘ standen dem entgegen. So zog sich das deutsche Heer, im Felde unbesiegt, unter Generalfeldmarschall von Hindenburg in mustergültiger Ordnung aus den besetzten Ländern zurück und löste sich in Deutschland auf.

Erst am 18. 1. 1919 trat die Friedenskonferenz in Paris zusammen. Die besiegten Staaten Deutschland und Österreich waren von der Teilnahme ausgeschlossen. Auch Rußland (dort hatten inzwischen die Bolschewisten die Macht übernommen) nahm nicht teil. Unter den anwesenden Staaten galt von Anfang an eine betonte Rangordnung, die den großen Mächten (‚Kriegführende Mächte mit allgemein umfassenden Interessen‘) das Übergewicht verlieh: Großbritannien, Frankreich, USA, Italien und Japan. Entgegen Wilsons Grundsatz der offenen Diplomatie waren die Verhandlungen fast stets geheim; nur sechs öffentliche Vollversammlungen fanden statt. Das maßgebende Gremium wurde der ‚Rat der Zehn‘ mit je zwei Vertretern der fünf Großmächte. Dieser wurde im März auf den ‚Rat der Vier‘ reduziert (Wilson, Lloyd George, Clemenceau und Orlando = die ‚Großen Vier‘).

Die Hauptarbeit der Konferenz wurde in 58 Sonderausschüssen geleistet. Die politische Entscheidung lag allein bei den ‚Großen Vier‘; der italienische Außenminister Orlando spielte besonders in den deutschen Fragen eine geringere Rolle und verließ mit seiner Delegation zeitweilig die Konferenz, um den Protest gegen die Geringschätzung der italienischen Forderungen bei den Verbündeten auszudrücken.

Auffassungen und Ziele der drei Politiker Wilson, Lloyd George und Clemenceau widersprachen sich vielfach. Wilson, vom utopischen Glauben an eine politische Weltreform und Friedensordnung erfüllt, setzte sich vor allem für den Plan einer Liga der Nationen ein und unterlag in allen Einzelfragen der Verteilung des Kriegsgewinns dem härteren politischen Willen der britischen und französischen Staatsmänner. Deren Verhältnis war infolge der unterschiedlichen maritimen und kontinentalen Interessen zum Teil erheblich gespannt. Lloyd George war zudem beunruhigt über die Folgen zu harter und ungerechter Friedensbedingungen und versuchte besonders in der letzten Phase der Beratungen in Einzelfragen mildernd zu wirken. Es kam ihm in erster Linie auf die Vernichtung der deutschen Kolonial- und Seemacht an, während Clemenceau – schärfer noch General Foch – das französische Sicherheitsbedürfnis durch große Forderungen im Rheingebiet zu befriedigen suchte. Alle drei waren sich jedoch darin einig, ihre Differenzen hinter dem Ziel, mit Deutschland zum Friedensschluß zu kommen, zurücktreten zu lassen. Sie waren sich ferner einig in der moralischen Verurteilung der deutschen Führung, besonders des Kaisers, dem die ‚alleinige Kriegsschuld‘ zugesprochen wurde.

Am 7.5.1919 wurden die Friedensbedingungen der kurz vorher eingeladenen deutschen Delegation (Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau) unter entehrenden Umständen überreicht; mündliche Verhandlungen wurden abgelehnt. In zahlreichen Denkschriften suchte jedoch die deutsche Delegation eine Zurückführung auf die Grundsätze zu erreichen, unter denen sich Deutschland zum Frieden bereit erklärt hatte. In der Mantelnote der Alliierten und Assoziierten vom 16.6.1919 wurden fast alle deutschen Gegenvorschläge abgewiesen (!) und die deutsche Alleinschuld am Krieg als dem „größten Verbrechen gegen die Menschheit und gegen die Freiheit der Völker“ in scharfer Form festgestellt. Die vorbehaltlose Unterzeichnung wurde ultimativ in fünf Tagen gefordert.

Die harten, unterdrückenden und entehrenden Klauseln des Versailler Vertrages, die ohne deutsche Mitwirkung zustande gekommen waren, erregten in Deutschland tiefe Erbitterung. Trotz Fortdauer der Hungerblockade stießen sie in weiten Kreisen auf Ablehnung. Die Reichsregierung unter ihrem Reichskanzler Philipp Scheidemann erklärte sie für unannehmbar und trat deswegen zurück. (Er hatte am 8.5.1919 vor dem Reichstag den Versailler Vertrag als „Dokument des Hasses und der Verblendung“ bezeichnet.) Sie überließ die Entscheidung der Nationalversammlung, die am 22.6.1919 mit 237 gegen 138 bei 6 Enthaltungen sich mit der Unterzeichnung des Versailler Diktats einverstanden erklärte. Gegen die Unterzeichnung stimmten die Deutschnationalen und die Deutsche Volkspartei sowie der überwiegende Teil der Deutschen Demokratischen Partei.

Nach dem Rücktritt Scheidemanns, Brockdorff-Rantzaus und anderer Minister nahm die neue Regierung aus Zentrum und Sozialdemokraten schließlich am 23. Juni den Vertrag an, sträubte sich jedoch noch gegen die anzuerkennende Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg. Daraufhin drohten die Siegermächte dem wehrlosen deutschen Staat in einem Ultimatum mit Gewaltmaßnahmen.

Daraufhin wurde der sogenannte Friedensvertrag am 28.6.1919 im Spiegelsaal des Versailler Schlosses unterzeichnet, an dem Ort, wo am 18.1.1871 König Wilhelm I. von Preußen zum Deutschen Kaiser proklamiert worden war. Der Norddeutsche Bund hatte damals durch Reichstagsbeschluß vom 9.12.1870 den Namen ‚Deutsches Reich‘ beschlossen, dem die Länder Baden, Hessen, Bayern und Württemberg im November 1870 beigetreten waren. Die Reichsverfassung (eine Ausgestaltung der Verfassung des Norddeutschen Bundes) war am 16.4.1871 Gesetz geworden.

GEBIETSABTRETUNGEN UND REPARATIONEN

Vertreter der 27 ‚Alliierten und assoziierten Mächte‘, wie sich die Kriegsgegner Deutschlands bezeichneten, und zwei Bevollmächtigte der deutschen Reichsregierung (Außenminister Hermann Müller-Franken, SPD, und Johannes Bell, Zentrum) setzten am 28.6.1919 ihre Unterschrift unter das Vertragswerk. Abgesehen von einigen geringfügigen Änderungen, war ihre Unterschrift der einzige Beitrag, den die deutsche Seite zum sogenannten Friedensvertrag leisten durfte. (Siehe dazu die ins Auge springenden Parallelen zum ‚Münchner Abkommen‘ von 1938, für dessen spätere ‚Ungültigkeitserklärung‘ die tschechoslowakische Regierung deren Nichtanwesenheit bei der Unterzeichnung geltend machte und recht bekam, obwohl der Fall juristisch ganz anders lag!) Er trat am 10.1.1920 in Kraft. So mußte sich die deutsche Reichsregierung dem Diktat der ‚Großen Vier‘ (England, Frankreich, Italien und die USA) beugen und unter anderem folgende Punkte anerkennen und durchführen:

Deutschland
Der Versailler Vertrag umfaßte 15 Teile mit insgesamt 440 Artikeln, inklusive von 26 Artikeln der Völkerbundakte. Darin wurde unter anderem festgelegt:

Deutschland muß wertvolle und alte Reichsgebiete in Europa mit einer Fläche von rund 3 Mio qkm abtreten, das sind 13% deutschen Bodens mit einer Bevölkerung, die 10% ausmachte. An Eisenerzvorkommen fielen 75%, an Zinkerzen 68% und an deutschen Steinkohlevorkommen 26% an seine Nachbarn. Im Westen und Norden kamen Eupen, Malmedy und Moresnet an Belgien, Elsaß und Lothringen an Frankreich, Nordschleswig (Hadersleben, Apenrade, Tondern und die Insel Alsen) an Dänemark und das Saarland an den Völkerbund. Im Osten: Teile von Schlesien und Ostpreußen, fast ganz Westpreußen und Posen an Polen, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei, das Memelland an den Völkerbund unter Litauens Verwaltung und ebenso Danzig an den Völkerbund.

Auch alle Kolonien in Afrika und Asien (Deutsch-Südwest-Afrika, Deutsch-Ost-Afrika, Kamerun, Togo sowie Deutsch-Neu-Guinea, Samoa und Kiautschou) mit einer Gesamtfläche von 2 962 842 qkm und einer Bevölkerung von rund 12 Millionen wurden Deutschland genommen und als Mandate des Völkerbundes an verschiedene Länder verteilt, da sich „Deutschland als unfähig und unwürdig zum Kolonisieren“ erwiesen habe.

Die Gebietsabtretungen an Polen und die am 28.10.1918 erstmals gegründete Tschechoslowakei wurden entgegen vielfach geäußerter Proteste und Resolutionen der betroffenen Bevölkerung erzwungen – unter Mißachtung des von US-Präsident Wilson in seinen „Vierzehn Punkten“ versprochenen Selbstbestimmungsrechtes und ohne Volksabstimmung [4] obwohl

a) sich in den 12 dann an Polen abzutretenden Wahlkreisen Westpreußens bei der Wahl zur deutschen Nationalversammlung am 19.1.1919 eine deutsche Mehrheit von 51,4% der Wahlberechtigten ergab (die Polen hatten zur Wahlenthaltung aufgerufen; da die Wahlbeteiligung mit 58% nur um 28% niedriger als bei der Reichstagswahl von 1910 lag, kann daraus auf einen Anteil der polnisch Gesinnten von rund 30% geschlossen werden);

b) bei den später zugelassenen Volksabstimmungen in den vier nordöstlichen westpreußischen Kreisen Rosenberg, Stuhm, Marienwerder und Marienburg am 11.7.1920 92,43% für Deutschland und nur 7,57% für Polen stimmten (obwohl 1910 bei der Sprachfeststellung 15,94% Polnisch als ihre Muttersprache angegeben hatten);

c) bei der späteren Volksabstimmung in Masuren im benachbarten südlichen Ostpreußen am 11.7.1920 sogar 97,8% für Deutschland und nur 2,1% für Polen stimmten; (auch hier 1910: 30,87% Masurisch und 12,85% Polnisch als Muttersprache). Im östlichsten ostpreußischen Abstimmungskreis Oletzko gab es 1910 in der Sprachenstatistik 1117 Polen, 406 Masuren und 9981 zweisprachige, bei der Volksabstimmung am 11.7.1920 aber bei 28 627 Stimmen nur zwei (!) Stimmen für Polen. Der Kreis Ortelsburg mit 63,4% masurisch Sprechenden 1910 ergab am 11.7.1920 nur 1,05% der Stimmen für Polen, dagegen 98,95% für Deutschland. Aus diesen eindeutigen Ergebnissen kann mit Sicherheit geschlossen werden, daß Volksabstimrnungen, wenn sie in den anderen Kreisen Westpreußens (oder Posens) zugelassen worden wären, ebenfalls hohe deutsche Mehrheiten erbracht hätten. Die Abtretung Westpreußens geschah also eindeutig gegen das Selbstbestimmungsrecht und die völkische Zugehörigkeit.

Die an Polen abgetretenen Provinzen Westpreußen und Posen hatten folgende Einwohnerzahlen:

Provinz qkm Einwohner davon Deutsche
von Westpreußen
(Reg.-Bezirk Danzig und Marienwerder
17 778 1 296 000 727 000
von Posen
(Reg.-Bezirk Bromberg und Posen)
26 041 1 946 000 670 000
Insgesamt 43 819 3 242 000 1 397 000

Ab 1919 führte der polnische Staat eine systematische Entdeutschung der neugewonnenen Gebiete des Kaiserreiches durch. Eine erste Welle von Zwangsvertriebenen durch Auflösung deutscher Behörden und Garnisonen brachte rund 200 000 Ostflüchtlinge ins verbliebene Reich. Dann mußten alle, die für Deutschland optiert hatten, sowie die Deutschen, die nach 1908 eingewandert waren oder nicht 12 Jahre ununterbrochen im Land gewohnt hatten, die Ostprovinzen verlassen. Beschlagnahme und Auflösung von Pachtverträgen brachten rund 400 000 ha aus deutscher in polnische Hand, die Agrarreform von 1926 vertrieb weitere deutsche Bauern. Allein von 1918-1923 verließen mehr als 800 000 Deutsche ihre nun polnisch gewordene Heimat. Dadurch sank der Deutschenanteil im Korridor (1910) von 65,1% auf 19,6%, in den abgetretenen Gebieten der Provinz Posen von 38,7% auf 14,3% (besonders stark in den Städten Thorn um 92,6%, in Graudenz um 89,6% und in Posen um 90,8%).

Unter Mißachtung des sonst lautstark propagierten Selbstbestimmungsrechtes, gegen eindeutige Abstimmungsergebnisse und unter Bruch der Versprechungen zum Minderheitenschutz raubte so schon nach dem Ersten Weltkrieg der polnische Staat weite Gebiete seit Jahrhunderten deutsch besiedelten Landes. Dieser völkerrechtswidrige Landraub wurde 1945 in noch größerem und brutalerem Ausmaß fortgesetzt und durch eine deutsche Regierung 1990 auch noch sanktioniert und festgeschrieben. Hatte sich die Weimarer Republik bis zu ihrem Ende 1933 noch mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft gegen das Versailler Diktat und seine Folgen gewehrt, so verschenkte eine ‚demokratische‘, ‚rechtssstaatliche‘ und ‚christlich-liberale‘ Bundesregierung ein Viertel des deutschen Vaterlandes ohne Gegenleistung (!) mehr oder weniger freiwillig an seine östlichen Nachbarn.

Österreich-Ungarn

Ähnliche Verluste mußte Österreich-Ungarn durch das Diktat von St. Germain hinnehmen. [4] Die jahrhundertealte Doppelmonarchie wurde zerschlagen; Österreich wurde Republik (wobei Kaiser Karl von Österreich, König von Ungarn, Böhmen, Kroatien usw. mit seiner Familie das Land verlassen mußte und am 1.4.1922 im Exil auf der portugiesischen Insel Madeira verstarb), und Ungarn wurde selbständig. Das seit 1363 zum Habsburger Kaiserreich gehörende deutsche Südtirol kam bis zum Brennerpaß an Italien, die Untersteiermark und Südkärnten mit dem Kanaltal, Tarvis und Ödenburg an das neugebildete Jugoslawien, das Sudetenland an die am 28.10.1918 gegründete Tschechoslowakei, die bis dahin überhaupt nicht existiert hatte. Obwohl die neu zusammengetretene österreichische Nationalversammlung bereits am 12.11.1918 den Anschluß der deutschen Teile Österreichs an das Deutsche Reich beschlossen hatte, wurde der Anschluß von den Alliierten verboten, ja sogar der von der Nationalversammlung beschlossene Name ‚Deutsch-Österreich‘ wurde im Vertrag von St. Germain untersagt. Auch das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen (das Wilson ja in seinem „14-Punkte-Programm“ den europäischen Völkern versprochen hatte) im seit tausend Jahren zum ‚Römischen Reich Deutscher Nation‘ gehörenden Böhmen, die sich im Oktober 1918 ausdrücklich als Teil Österreichs und damit des Deutschen Reiches erklärt hatten, wurde vom ‚Rat der Vier‘ in St. Germain nicht beachtet.

Im Gegenteil, als ab Mitte November 1918 tschechische Truppen überraschend die deutschen Siedlungsgebiete gewaltsam okkupierten, die deutschösterreichische Regierung in treuhändischer Fürsorgepflicht dagegen protestierte und auf die klaren Willensbekundungen der Sudetendeutschen, „ihre Freiheit aufrechtzuerhalten und vom tschechoslowakischen Staat unabhängig zu bleiben“, hinwies, wurde der tschechoslowakischen Regierung auf ihr Ersuchen hin von den Siegermächten Großbritannien, Frankreich und Italien (die USA lehnten dies ab) nachträglich die Ermächtigung zur Besetzung des Sudetenlandes erteilt. Damit wurde das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien wie auch in Österreich klar und unmißverständlich gebrochen. Die übrigen Teile der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie kamen an den 1916 von der deutschen und österreichischen Regierung (!) wiedererrichteten polnischen Staat (den es über 120 Jahre nicht mehr gegeben hatte) sowie an Rumänien.

BESATZUNGSTRUPPEN IN DEUTSCHLAND

Zu den von Frankreich geforderten Friedensbedingungen gehörten neben der Abrüstung des Deutschen Reiches und der Entmilitarisierung der Rheinzone vor allem die Abtrennung des Saargebietes, dessen Kohlegruben der ‚Grande Nation‘ zufielen. Erst nach 15 Jahren sollte die dortige Bevölkerung über ihren weiteren Status entscheiden können. [5] Vom 1.12.1919 bis 1930 besetzten französische und belgische Truppenverbände mit 140 000 Mann Saarbrücken, das Rheinland (mit teilweise farbigen Soldaten, was von der deutschen Bevölkerung zumeist als weitere Demütigung empfunden wurde) und die Pfalz. Als im Frühjahr 1920 reichstreue Truppen (‚Reichswehr‘) erneut einen kommunistischen Aufstand im Ruhrgebiet (der erste war bereits 1919 aufgeflammt) niederschlugen, fühlte sich Frankreich bedroht und besetzte den ‚Maingau‘ mit Frankfurt/Main, Wiesbaden, Homburg und Darmstadt.

Auf alliierten Konferenzen 1920/21 wurde eine von Deutschland zu zahlende Kriegsentschädigung in Höhe von 269 Milliarden Goldmark, zahlbar in 42 Jahren, gefordert – bei Verzug wurden Gewaltmaßnahmen angedroht. Wegen angeblichen ‚Zahlungsverzuges‘ wurden schon im März 1921 als ‚Sanktionsmaßnahme‘ Köln (bis 1926), Koblenz, Düsseldorf, Duisburg, Ruhrort, Mülheim/Ruhr und Oberhausen von den Franzosen besetzt. Ein deutscher Antrag auf Stundung der Zahlungen wurde abgelehnt. Am 27.4.1921 wurden allerdings die Reparationen auf 138 Milliarden Goldmark ermäßigt. [6]

Ende Mai 1921 lebten in Deutschland neben der Stammbevölkerung 1 Million Flüchtlinge aus dem Ausland und den ehemaligen Kolonien, aus Elsaß-Lothringen, Westpreußen, Posen, Oberschlesien, aus Rußland und dem Baltikum, Juden aus Osteuropa sowie im Ausland interniert gewesene Deutsche.

Am 10.1.1923 besetzte Frankreich widerrechtlich zwecks „Kontrolle der deutschen Kohlelieferungen“ das Ruhrgebiet (bis 1930). Die deutsche Reichsregierung rief dagegen zum passiven Widerstand auf, den die Bevölkerung zum Großteil befolgte. Eisenbahn, Post, Strom und Heizung fielen aus. Über 10 000 Deutsche wurden von den Franzosen verhaftet. Erwähnt sei nur das Oster-Massaker am 31.3.1923 in Essen, wo die Besatzungstruppen während einer friedlichen Versammlung auf unbewaffnete Krupp-Arbeiter schossen und 13 Tote und 39 Verwundete verursachten. Weitere 124 Deutsche wurden im Verlauf der französischen Besatzungszeit getötet. [5]

‚ALLEINKRIEGSSCHULD‘ UND ‚KRIEGSVERBRECHER‘

In Artikel 231 des Versailler Vertrags war von den Siegermächten folgendes festgelegt worden:

„Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.“

Dazu wollte man – wie dies dann nach dem Zweiten Weltkrieg mit aller Konsequenz bewerkstelligt wurde – die führenden Köpfe der Reichsregierung sowie den am 28.11.1918 abgedankten deutschen Kaiser Wilhelm II. als ‚Kriegsverbrecher‘ vor ein internationales Tribunal stellen. Zu diesem Zweck übergaben die Westmächte im Februar 1920 eine im Versailler Vertrag vorgesehene Liste ‚deutscher Kriegsverbrecher‘, die 895 Persönlichkeiten – von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg bis zu Kronprinz Rupprecht von Bayern sowie weitere Militärs und Politiker – umfaßte, und forderten deren Auslieferung. Diesem bisher einmaligen Begehren stellte sich jedoch das Deutsche Reichsgericht in Leipzig entgegen und ließ eine Deportation an die Siegermächte nicht zu. Auch die holländische Königin Wilhelmine verweigerte standhaft die Auslieferung des in die Niederlande exilierten deutschen Kaisers, so daß es nicht zu einem Schauprozeß internationalen Ausmaßes kam. Letzterer konnte dann erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945/46 in Nürnberg über die Bühne gehen, nachdem man fast aller führenden und verantwortlichen Personen des Dritten Reiches habhaft geworden war.

ENTMILITARISIERUNG UND KRIEGSENTSCHÄDIGUNGSKOSTEN

Weitere Vertragspunkte des Versailler Friedensdiktates betrafen die Beschränkung des deutschen Militärs auf 100 000 Mann, die Abschaffung der Allgemeinen Wehrpflicht, die Auflösung des Generalstabs, die Auslieferung des gesamten Kriegsmaterials inklusive der Kriegsflotte, Verzicht auf den Bau von Schlachtschiffen, Begrenzung der Marinesoldaten auf 15 000 Mann, die nur für den Küstenschutz eingesetzt werden durften, Einrichtung einer entmilitarisierten Zone 50 km östlich des Rheins, Verbot des Baues von Kriegsflugzeugen.

Als Kriegsentschädigungskosten wurden gefordert: Ablieferung von 90% der bestehenden Handelsflotte, von Maschinen und Fabrikeinrichtungen, Lieferung großer Mengen an Vieh und Kohle, Übergabe des deutschen Überseekabels, Übernahme der gesamten Besatzungskosten, Verpflichtung zu Schuldverschreibungen über 80 Milliarden Goldmark, Einziehung der Vermögenswerte im Ausland, Zahlung einer noch festzusetzenden Gesamtkriegsschuld innerhalb von 30 Jahren, die Wiedergutmachung aller in Frankreich entstandenen Kriegsschäden, der Internationalen Kommission für Wiedergutmachung diktatorische Vollmachten gegenüber allen Instanzen des Deutschen Reiches einzuräumen, die Internationalisierung von Rhein, Donau, Elbe, Oder, Memel und des Kaiser-Wilhelm-Kanals zuzulassen und den vorläufigen Ausschluß Deutschlands aus dem zu gründenden ‚Völkerbund‘ hinzunehmen. Außerdem wurde das Deutsche Reich von den ‚Olympischen Spielen‘ ausgeschlossen und durfte daher an den Olympiaden 1920 in Antwerpen und 1924 in Paris nicht teilnehmen.

Während im Versailler Vertrag die allgemeine Verpflichtung Deutschlands zur Zahlung von Reparationen festgelegt und die Bestimmung der Endsumme einer zu bildenden ‚Reparationskommission‘ überlassen wurde, begannen dann im Frühjahr 1920 die eigentlichen Reparationskonferenzen (Boulogne 1920, Spa 1920, Paris 1921). Die ‚Pariser Beschlüsse‘ sahen insgesamt 269 Milliarden Goldmark vor. Nach Ablehnung dieser horrenden Summe durch die deutsche Reichsregierung (London 1921) besetzten die Franzosen Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort. Das ‚Londoner Ultimatum‘ vom 4.5.1921, das die Anerkennung einer Reparationsschuld von insgesamt 138 Milliarden Goldmark (sie sollten in Jahresraten zu jeweils 2 Milliarden Goldmark getilgt werden, wobei neben den Geld- auch Sachleistungen wie zum Beispiel Kohlelieferungen nach Frankreich vorgesehen waren) und eine jährliche Abgabe in Höhe von 26% des deutschen Ausfuhrwertes forderte, wurde dann zwangsläufig angenommen.

Die wirtschaftlichen Lasten der ungeheuren Reparationsforderungen stellten für die Weimarer Republik eine Bürde dar, der sie in keiner Weise gewachsen war und die deshalb den Prozeß ihres Niedergangs beschleunigte. Nachdem die Reparationskommission auf französischen Antrag festgestellt hatte, daß das Deutsche Reich in den Sachlieferungen (Holz und Kohle) im Sinne einer „absichtlichen Verfehlung“ rückständig geblieben sei (tatsächlich handelte es sich dabei nur um eine geringfügige Unterschreitung des Kontingents), besetzten am 10.1.1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet (siehe oben). Dessen Abschnürung vom Reich und die Last der Reparationszahlungen ließen die deutsche Wirtschaft 1923 zusammenbrechen und die Inflation anschwellen. Auf ihrem Höhepunkt war schließlich 1 US-Dollar 4,2 Billionen Reichsmark wert! Diese Inflation in bisher nicht gekanntem Ausmaß brachte die Sparer um ihren mühsam und oft über Generationen erworbenen Besitz. Im August 1923 gab der neue Reichskanzler Gustav Stresemann den passiven Widerstand gegen die französische Besatzung auf. Durch die Einführung der ‚Rentenmark‘ konnten die Finanzen halbwegs stabilisiert werden.

Am 16.8.1924 nahm der Reichstag auf Veranlassung der USA das sogenannte ‚Dawes-Abkommen‘ an, das die deutsche Finanzverwaltung ganz den Alliierten unterstellte. Die Eisenbahnen, bestimmte Zölle und Steuern wurden den Siegern verpfändet. Außerdem wurden die deutschen Reparationen neu geregelt, das heißt, für 1924/25 wurde eine Senkung der Reparationsraten auf 1 Milliarde Goldmark jährlich bestimmt – die Gesamthöhe der Reparationen wurde jedoch nicht gesenkt! Deutschland erhielt einen 800 Millionen Dollar-Kredit, um seine Währung zu stabilisieren, die Wirtschaft anzukurbeln und die Zahlungsfähigkeit des Reiches sicherzustellen.

Im sogenannten ‚Locarno-Vertrag‘ garantierten die Westmächte 1925 die deutsche Westgrenze. Entgegen ihren Versprechungen in Versailles und im Völkerbund (am 8.9.1926 wurde Deutschland nach demütigender Wartezeit darin aufgenommen und erhielt einen Ratssitz) rüsteten die Entente-Mächte nicht ab, drängten aber verstärkt auf Deutschlands Abrüstung. Erst nachdem im Reich auch Polizei und Jugendbünde entmilitarisiert waren, verließen die französischen Truppen Ende 1926 das Kölner Gebiet. [7]

Bis zum Jahre 1929 kam die Weimarer Republik ihren Zahlungsverpflichtungen im wesentlichen nach, sah sich jedoch genötigt, die Hilfe ausländischer Kapitalgeber in Anspruch zu nehmen, was wiederum zu einer jährlichen Zinsbelastung in Höhe von 1,5 Milliarden Reichsmark führte. Nachdem der ‚Dawes-Plan‘ nicht mehr funktionierte, wurde er 1929 durch den ‚Young-Plan‘ abgelöst, der die Zahlungen der deutschen Reparationsleistungen auf 59 Jahresraten zu je zwei Milliarden RM festlegte (das heißt bis zum Jahre 1988). Gleichzeitig wurde die Zusage der vorzeitigen Räumung des gesamten Rheinlandes gegeben, die dann erst 1930 abgeschlossen war.

Das Krisenjahr 1930/31, die Kündigung von Auslandskrediten, ein starker Gold- und Devisenabfluß erschütterten das Gefüge der deutschen Wirtschaft derart, daß sich Deutschland außerstande sah, überhaupt noch Reparationsleistungen zu erbringen. Die allgemeine Weltwirtschaftskrise wirkte sich auf das Reich besonders verheerend aus. Die Zahl der (registrierten) Arbeitslosen stieg ständig an und erreichte mit 6 129 000 Menschen im Frühjahr 1932 ihren Höhepunkt. Hinzuzurechnen sind nochmals 1,6 Millionen Frauen, Jugendliche, Alte und Gelegenheitsarbeiter, die ebenfalls über keinen festen Arbeitsplatz verfügten. [8]

Mit dem sogenannten ‚Hoover-Moratorium‘ wurden im Juni 1931 die Reparationszahlungen des Reiches zunächst für ein Jahr ausgesetzt. In dem am 9.7.1931 in Lausanne geschlossenen Abkommen wurde nur noch auf eine Restschuld in Höhe von drei Milliarden Reichsmark bestanden, die von Deutschland jedoch nicht mehr beglichen wurde.

Begleichung der Reparationsforderungen des Ersten Weltkrieges bis heute

Nach alliierten Berechnungen habe Deutschland von den insgesamt 138 Milliarden Goldmark des Ersten Weltkrieges nur 21,8 Milliarden Mark beglichen, während es nach deutschen Berechnungen 67,7 Milliarden Mark sind, was mit der unterschiedlichen Bewertung von Sachlieferungen zu tun hat. Doch wer annimmt, daß die Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg nach 80 Jahren (!) inzwischen vom Tisch sind, da ja Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg noch weit höhere Milliardenforderungen zu erfüllen hat, sieht sich leider getäuscht. Mit buchhalterischer Akribie werden die damaligen alliierten ‚Zahlungsbefehle‘ auch heute noch der Bundesrepublik Deutschland präsentiert und müssen zu allen Belastungen, die seit 1945 dem deutschen Volk neuerlich entstanden sind, nach wie vor beglichen werden. So erläutert W. H. Krause [9] diese Absurdität in seinem Beitrag Offene Rechnungen von 1921 unter anderem wie folgt:

„. . . Um den Reparationszahlungen des Ersten Weltkrieges nachkommen zu können, hatte sich damals das Deutsche Reich zur Aufnahme verschiedener Anleihen, so beispielsweise von dem schwedischen Zündholzkönig Ivar Kreuger (1930) veranlaßt gesehen. Hiermit schwappt die unendliche Geschichte in die Neuzeit über. Vom 28. Februar bis zum 8. August 1952 fand in London eine Konferenz statt, deren Gegenstand die Regelung der deutschen Vorkriegsschulden war. Diese Regelung, so ließ auf Anfragen beim Bundesfinanzministerium der zuständige Referent Hammerschlag wissen, war rechtlich und ökonomisch eng verknüpft mit dem Abkommen der drei Westalliierten über die Nachkriegswirtschaftshilfe an Westdeutschland. Rund 22 Gläubigerstaaten waren bei der Londoner Konferenz vertreten. Es kam zu einem Abkommen über die deutschen Vorkriegsschulden (Bundesgesetzblatt 1953 II, S. 331). Bis zum Jahre 1980, so war weiter aus dem Bundesfinanzministerium zu erfahren, entsprach die Bundesrepublik Deutschland wie folgt dem Londoner Schuldenabkommen: Es wurden 990 Millionen DM an die Inhaber von Bonds der ehemaligen Young-Anleihe gezahlt. Für die Besitzer von Bonds aus der Dawes-Anleihe entrichtete die Bundesregierung 341 Millionen DM und für solche der Kreuger-Anleihe 200 Millionen Mark.

Offen sind nach dem heutigen Stand noch die Zinsrückstände aus den Jahren 1945-52, und zwar in Höhe von 40,2 Millionen Mark (Dawes-Anleihe), 175,8 Millionen Mark (Young-Anleihe) sowie 23,4 Millionen Mark (Kreuger-Anleihe)

. . . . Im Londoner Schuldenabkommen wurde die Entscheidung über die Zinsrückstände mit Rücksicht auf die Gebietsverluste Deutschlands bis zur Wiedervereinigung zurückgestellt. Mit dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 traten prompt die Voraussetzungen des Art. 25 Buchstabe a über die ‚Bedienung‘ der Zinsrückstände aus den vorgenannten Anleihen in Kraft.

Zur Begleichung der Zinsrückstände wurden sog. Fundierungsschuldscheine mit einer Laufzeit von 20 Jahren ausgegeben. 1997 leistete die Bundesrepublik Deutschland hierauf eine Zinszahlung von 6,9 Millionen DM sowie eine Tilgung von 3,3 Millionen DM. Die Salven des Ersten Weltkriegs sind noch immer am Rhein zu vernehmen.“

Nur am Rande sei noch folgende Meldung der Mitteldeutschen Zeitung vom 29. 7. 1924 [10] erwähnt; sie zeigt, daß sich die deutschen Besatzungs- und Reparationskosten nicht nur auf die ‚Goldmark‘ beschränkten, sondern auch auf zahlreiche Wirtschafts- und Luxusgüter ausgedehnt wurden, die an die Besatzungstruppen im Gesamtwert von 72 Millionen Goldmark als weitere ‚Kriegsschuldtribute‘ zu entrichten waren:

„2046 Salons, 3550 Polstermöbelgarnituren, 3520 Zimmeruhren, 3514 Herrenzimmer, 25 999 Teppiche, 4400 Zierdecken, 9371 Eßzimmer, 2179 Korbmöbelgarnituren, 7024 Auflaufformen, 22 136 Schlafzimmer, 6121 Kleiderschänke, 18 685 Spiegel, 22 720 Patentmatratzen, 9194 Küchen, 9513 Küchenuhren, 74 044 Sektgläser, 10 905 Teewagen, 1750 Marktkörbe, 2119 Schreibtische, 18 296 Tische, 54 602 Stühle, 21 165 Bilder, 4662 Einzel-Klubsessel, 91 951 Läufer, 59 700 Kochtöpfe, 47 000 Fenstergarnituren, 4000 Pastetenformen, 51 000 Puddingformen, 183 983 Weingläser, 69 822 Rotweingläser, 119 661 Likörgläser, 11 679 Kuchenformen, 12 231 Kronleuchter, 17 951 Nachttischlampen, 10 126 Bügelbretter, 14 563 Tischlampen.Nicht mitgerechnet sind noch 10 000de beschlagnahmte Wohnungen, in denen die Möbel und Einrichtungsgegenstände, Wäsche und Geräte von den Besatzern genutzt werden.“

FAZIT

So haben die zwanziger Jahre unter dem massiven Druck des Versailler Vertrages wirtschaftliche Not, Massenarbeitslosigkeit, den Ruin des Bürgertums in der Inflation mit bisher nicht gekanntem Ausmaß, marxistisch-kommunistische Aufstände, rechtsradikale Gewaltszenen, Verhaftungen und Todesurteile durch die Siegermächte, ein erschreckendes Absinken der Geburtenzahlen, die tiefgreifende Belastung der deutschen Wirtschaft durch die geforderten Kriegsentschädigungen verursacht und die Bürger der Weimarer Republik anfällig für die von rechtsradikalen Gruppen zunehmend stärker betriebene Agitation gemacht. Der als „Sanktionsmaßnahme“ gegen den deutschen Reparations-Zahlungsverzug deklarierte Einmarsch französischer und belgischer Soldaten ins Rheinland und ins Ruhrgebiet löste eine starke, nationale Erregung in Deutschland aus, die von Adolf Hitler und seiner Nationalssozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) propagandistisch sofort ausgenutzt wurde, da der Versailler Vertrag und seine schwerwiegenden Folgen von der Mehrheit des deutschen Volkes als ein ungerechtes Diktat empfunden wurde. [11]

Als auch noch die Unfähigkeit der die Weimarer Republik tragenden demokratischen Parteien von links bis rechts immer offenkundiger wurde, die schwierigen Probleme friedlich und demokratisch zu lösen (entsprechende Hilfsappelle an die Westmächte zeigten wenig Erfolg), zerbrach die erste deutsche Republik an ihrer Widersprüchlichkeit und Hilflosigkeit. Das war die Stunde von Adolf Hitler, der als Führer der stärksten Partei (NSDAP) am 30.1.1933 legal vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Reichskanzler berufen wurde. Am 23.3.1933 stimmte der Reichstag in Berlin mit 441 Stimmen gegen die 94 Stimmen der SPD dem sogenannten „Ermächtigungsgesetz“ zu, das der Regierung Hitlers für vier Jahre erlaubte, Gesetze ohne Reichstag und Reichsrat zu erlassen. Damit hatte das Parlament dem Reichskanzler Adolf Hitler nahezu unbegrenzte Vollmacht gegeben, die er bis zu seinem unrühmlichen Ende am 30.4. 1945 auch diktatorisch ausnutzte.

Bei objektiver und unverfälschter Betrachtung der damaligen historischen Ereignisse darf deshalb nicht übersehen werden, daß mit dem Versailler Diktat und seinen Folgen indirekt der Aufstieg des Nationalsozialismus begünstigt und mit ihm der Untergang des ersten demokratischen Staates auf deutschem Boden herbeigeführt wurde.

Literaturhinweise:
[1] Der Große Brockhaus, 12. Band Unk-Zz, F.A. Brockhaus, Wiesbaden 1957, S. 429
[2] Kirchenzeitung für das Bistum Eichstätt, 60. Jg., Nr. 46 vom 16.11.1997, S. 3
[3] Der Große Brockhaus, 12. Band Unk-Zz, F.A. Brockhaus, Wiesbaden 1957, S. 155
[4] Wendig, Heinrich, Richtigstellung zur Zeitgeschichte, Heft 3, Grabert-Verlag, Tübingen 1992, S. 10
[5] Eckert, Horst, Kriegsschuld. Eine deutsche Abrechnung, Eigenverlag 1995
[6] Hellberg, Rolf, Kleine deutsche Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Grabert-Verlag, Tübingen 1997, S. 112-118
[7] Hellberg, Rolf, Kleine deutsche Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Grabert-Verlag, Tübingen 1997, S. 119-123
[8] Peters, Ludwig, Volkslexikon Drittes Reich. Die Jahre 1933-1945 in Wort und Bild, Grabert-Verlag, Tübingen 1994
[9] Krause, Werner H., „Reparationen: Die Salven des Ersten Weltkrieges sind noch vernehmbar. Offene Rechnung von 1921“, in Junge Freiheit, Nr. 23 vom 4.6.1999, S. 17
[10] Kern, Erich (Hg.), Verheimlichte Dokumente. Was den Deutschen verschwiegen wird, FZ-Verlag, München 1988, S. 75
[11] Schickel, Alfred, „Als ungerechtes Diktat der Sieger empfunden. Vor 70 Jahren: Friedensvertrag von Versailles unterzeichnet“, in Volksbote, Jg. 41, Nr. 25 vom 23.6.1989, S. 3
Quelle: Wolfgang Popp/WEHE DEN BESIEGTEN,
Grabert-Verlag, Tübingen 2000 (S. 25-40)


Quelle und Kommentare hier:
http://read-all-about-it.org/archive/1.weltkrieg/friedensdiktat_versailles.html