Brief an meinen Sohn – Mitglied des Bundestages

Eine Glosse von Frank Ullrich

Mein lieber Sohn !

Da wir uns eine Ewigkeit nicht persönlich gesehen haben, möchte ich Dir einen Brief schreiben. Und dennoch sehe ich Dich jeden Tag. In Zeitungen kann ich über Dich und Deine Arbeit als Politiker lesen und im Fernsehen bist Du all gegenwärtig.

Es macht mich stolz, wenn ich sehe, wie Du Dich um die Menschen kümmerst, vor allem um die welche Hilfe benötigen, in diesen schlechten Zeiten. Mit Freude und Genugtuung kann ich heute sagen, dass jeder gesparte Cent richtig gewesen ist um Dir eine gute Schulausbildung und Studium zu ermöglichen. Noch heute sehe ich Deine strahlenden Augen, verspüre Deinen Stolz, als Du mir Deinen Abschluss als Sozialpädagoge mit Diplom gezeigt hast. Heute zeigt sich wie wichtig dieses Studium war, erleichtert es Dir doch Entscheidungen zu treffen, als Sozialpolitiker, in verantwortungsvoller Stellung.

Beeindruckt war ich wie Du Dich für die Einführung der Praxisgebühr eingesetzt hast und auch die Menschen davon überzeugtes, wie notwendig es ist, Zusatzbeiträge bei den Beiträgen der Krankenkassen zu erheben. Und keinesfalls will ich die Zuzahlungen bei Medikamente vergessen, die ich nun bezahlen darf.

Als wäre das nicht genug, hast Du ein Jahr lang mit ausgerechnet, wie viel Geld als Grundsicherung ausreichend ist. Das hätte ich Dir gar nicht zugetraut, Mathe war nicht wirklich Deine Stärke. Aber das Ergebnis ist wirklich großzügig. Fünf Euro jeden Monat mehr, damit hätte nun keiner gerechnet. Und wie viele Arbeitsplätze Du und Deine Freunde geschaffen haben und das für ganz wenig Lohn, einfach eine unglaubliche Leistung. Ich bin so stolz auf Dich.

Als nächste Aufgabe willst Du Dich nun um die Alten kümmern. Das zeigt mir, dass Du an Deinen Vater denkst. Ach, da fällt mir ein, dass ich Dir meine neue Adresse noch mitteilen muss.

Nach meinen letzten Schlaganfall konnte ich nicht mehr arbeiten und meine Miete bezahlen. Nun lebe ich in einer WG, wie man heute so sagt. Aus Kostengründen bewohne ich, mit acht älteren Menschen, ein Zimmer im Pflegeheim.

Ich will mich über die Betreuung nicht beklagen. Zweimal am Tag, werde ich gedreht und meine Windeln werden gewechselt. Schade nur, dass wir keinen Fernseher mehr haben, auch aus Kostengründen, dafür bringen uns die Schwestern und Pfleger, Zeitungen aus dem Altpapiercontainer mit. Du siehst also mein Sohn, Deine Politik kommt bei uns an. Wer weiß, wo ich geblieben wäre, hättest Du und Deine Freunde nicht so eine soziale Politik verfolgt und durchgesetzt.

Nun mein Sohn, will ich Deine Deine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.
Mach Dir keine Sorgen um mich Du hast du wichtigeres zu tun !

Dein Vater

PS: Deine Mutter ist im vergangenen Jahr verstorben. Wie es Dein Wunsch war, habe ich aus Rücksicht auf Deine Stellung und unserer Armut, keine Traueranzeige aufgegeben und Mutter in einen Armengrab, ohne Nennung des Namens, beigesetzt.


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