Befriedigendere Beschäftigungen

von Egon W. Kreutzer

Inzwischen bin ich ein Stück weiter, habe noch kräftig abgeschliffen, alles noch zweimal lasiert und warte jetzt auf gutes Wetter, um den Schlussanstrich mit seewasserfestem Bootslack anzubringen. Irgendwann in der nächsten Woche wird die Bank dann an ihrem Platz stehen und ich werde drauf sitzen und mich daran erfreuen.

Es ist ein Unterschied, ob man seine Zeit damit verbringt, mehr oder minder kluge Kommentare in die Tastatur zu hacken und dann online zu stellen, wo sie nach ein paar Tagen keiner mehr liest, oder ob man etwas Nützliches gestaltet, was viele Jahre überdauern wird und täglich vor Augen ist. Das kann süchtig machen.

Daher verstehe ich alle, die sich lieber um das eigene, nähere Umfeld kümmern und alles was sich außerhalb des Gartenzaunes abspielt so lange ignorieren, bis sie selbst – ganz unerwartet – bestürzt feststellen, betroffen zu sein. Da ist das Jammern und Wehklagen groß. Schuldige werden gesucht und beschimpft. Doch nur selten kann das in den Brunnen gefallene Kind noch gerettet werden.

Dass man selbst jahrelang alle Warnungen ignoriert hat, dass ein Unglück geschehen wird, wenn man nicht endlich einen Deckel auf den Brunnen macht, das ist so weit verdrängt, dass niemand Anstoß daran nimmt, wenn die Kindergärtnerin, die mit 23 Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren unterwegs war, wegen fahrlässiger Tötung infolge der Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht abgeurteilt wird.

Dabei hätte ein von Anfang an angebrachter Brunnendeckel das Unheil sicher verhindert. Auch wenn im Elternhaus darauf geachtet worden wäre, die Kinder so zu erziehen, dass sie den Anweisungen der Kindergärtnerin folgen, statt sich einen Jux daraus zu machen, bei jeder Gelegenheit auszubüchsen und sich in der Gruppe wie der berühmte Sack Flöhe zu verhalten, würde so manches Kind nicht in den Brunnen oder vom Baugerüst gefallen sein, so manches wäre nicht vom Auto angefahren worden, und so weiter.

Doch sowohl die Herstellung eines Brunnendeckels als auch die Erziehung von Kindern ist mit Mühe verbunden, so dass beides unterbleibt. Wer warnt, ist ein Miesmacher, ein Bedenkenträger, oder weiß einfach nicht, dass „Erziehung“ das Schlimmste ist, was man einem Kind antun kann, weil es daran gehindert wird, sich frei zu entfalten.

Da gibt es eine Gruppe mit dem Namen „KinderRÄchTsZÄnker“ in Berlin, Prenzlauer Berg, die sich für die „Gleichberechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen“ einsetzt. Dort heißt es in einem Text über Erziehung:

„Erziehung bedeutet, dass Erwachsene ihre Vorstellung darüber, wie ein Kind sein soll – wenn ’nötig‘ auch gegen den Willen des Kindes – durchsetzen. Der Erzieher versucht zu erreichen, dass das Kind in der von ihm festgelegten Zeit zu den von ihm festgelegten Zielen gelangt. Er stellt Ge- und Verbote auf und sorgt für deren Einhaltung, indem er nach entsprechender Androhung auch seine Machtmittel einsetzt. Das ist zweifellos eine Form von Gewalt. Die Rede von „gewaltfreier Erziehung“ ist daher verwirrend und falsch.

Erziehung respektiert junge Menschen nicht. (…) Der Erzieher glaubt, er handele im Interesse des Kindes, so wie die Kolonialherren auch glaubten oder vorgaben, im Interesse der Kolonisierten zu handeln.“

(mehr davon ist hier zu finden)

Es wäre ja noch hinnehmbar, wenn diese Grundhaltung nur in einer versprengten Gruppe Autonomer am Prenzlauer Berg zu finden wäre. Schließlich handelt es sich um eine Anleitung zur Herstellung von lebensuntauglichen Idioten.

Wie Kaspar Hauser sollen Kinder unbeeinflusst und unbelehrt alleine sehen, wie weit sie in dieser Welt kommen. Moral und Ethik sollen sie ebenso selbst entwickeln, wie die zum gedeihlichen Zusammenleben erforderlichen Mindestregeln von Höflichkeit und Anstand, Taktgefühl und Unrechtsbewusstsein.

Doch unglücklicherweise sind bereits weite Teile der Gesellschaft infiziert. Der törichte Egoismus, aus dem Glauben erwachsen, selbst alles am besten zu wissen, keinem Rat, keiner Empfehlung, keiner Erfahrung, keiner Spielregel und keinem Gesetz folgen zu müssen, ist unter anderem mitursächlich dafür, dass immer mehr Schüler die Schule verlassen, ohne die Lernziele auch nur annähernd erreicht zu haben.

Er ist mitursächlich dafür, dass alles was nicht ganz einfach ist und klar auf der Hand zu liegen scheint, als „komplex“ und „undurchschaubar“ angesehen und – wegen der mit dem Begreifen verbundenen Anstrengung – von vornherein nicht beachtet, allenfalls mit Spott überhäuft wird.

Sicherlich, die Entwicklung der Menschheit war weder geradlinig, noch fehlerfrei, doch die Summe der bewährten Erfahrungen einfach über Bord zu werfen, weil „ICH“ es doch besser weiß, ist Idiotie, und wo die Erziehung genau dies begünstigt, weil sie nicht mehr stattfindet, wächst ein Volk von Idioten heran, dessen gesellschaftlicher Zusammenhalt noch unterhalb des Levels bleibt, den eine Affenhorde oder ein Wolfsrudel vorzuweisen vermag.

Doch zugleich ist diese Gesellschaft so leicht verführbar, wie kaum jemals zuvor. Wer ohne „Werte“ lebt, oder nur nur sich selbst als den einzigen „Wert“ akzeptiert, wird jedes Angebot, sich anstrengungslos zu zerstreuen, und den eigenen Wert zu erhöhen, ebenso verlockend finden, wie die Wespe die Bierfalle. Und je weiter die Gesellschaft von dieser Grundhaltung durchsetzt ist, desto weniger Widerstand findet der Blödsinn.

Ich hätte mir vor fünfzig Jahren nie träumen lassen, dass die deutsche Bundesregierung einmal bierernst davon überzeugt sein wird, dass es neben Männern und Frauen auch ein „drittes Geschlecht“ geben müsse, und erbittert darüber streiten könnte, wie dieses „dritte Geschlecht“ in den Personenstandsurkunden zu vermerken sei. Seehofer, der Innen- und Heimatminister, wollte „anderes“ eintragen lassen.

Das hatte – bierernst – der Ethikrat empfohlen, doch was der Ethikrat empfiehlt, wird von den Damen Barley (SPD, Justiz) und Giffey (SPD, Familie) als herabsetzend aufgefasst! Nein. Die mit dem dritten Geschlecht, die wollen keinesfalls „anders“ sein, da wäre „weiteres“ schon besser, oder „divers“, oder „inter“.

Wer sich über solche „wichtigen“ Entscheidungen streiten kann, ohne in einen nicht enden wollenden Lachkrampf zu fallen, legt etwas an den Tag, was ich als „infantile Ernsthaftigkeit“ bezeichne. Diese ist – im Kindesalter – durchaus angebracht, um sich an Nichtigkeiten in der argumentativen Durchsetzung des eigenen Willens zu üben, wenn es später einmal um Wichtiges geht.

Das Wichtige scheint man jedoch nicht mehr vom Nichtigen unterscheiden zu können. Aber es ist ja nicht nur der Genderwahnsinn, der im Volk ohne Werte auf fruchtbaren Boden fällt, nicht ohne zugleich eine Anti-Gender-Gegenstimmung hervorzubringen; der Hype der „Willkommenskultur“ wäre nicht möglich gewesen, hätte sich da nicht eine Gelegenheit ergeben, den eigenen Wert in schwindelnde Höhen zu treiben.

Teddybären-Werfen ist einfach. Recht und Gesetz? Viel zu kompliziert! Leicht wird es wiederum, wenn aufgerufen wird, den Hass zu bekämpfen! Oh wie toll ist es, sich moralisch hoch über jene zu stellen, von denen behauptet wird, sie würden Hate-Speech und Fake-News verbreiten. Da muss man gar nichts verstehen, weder etwas gelesen, noch etwas gehört haben, Hauptsache, man weiß, wer der Feind ist, und was der alles Böses will!

Fundierte Kritik zur Kenntnis nehmen, darüber nachdenken, sich selbst entscheiden? Viel zu kompliziert! Wenn dann noch die bösen Ami-Konzerne, die Datenkraken mit ihren gigantischen, hierzulande unversteuerten Gewinnen zum Feindbild aufgebaut werden, dann wird über Netzwerkdurchsetzungsgesetze und Datenschutzgrundverordnungen nicht nachgedacht. Das geschieht denen doch recht!

Dass da sonst noch wer betroffen sein könnte, von der privaten Kita bis zum dörflichen Sportverein: Ach was! Viel zu kompliziert!

Noch komplizierter wird es, wenn es ums Geld geht. Da sagt der autistische Egomane: Geld hat man. Punkt. Euro-Rettung – ja! Rettung ist doch besser als Krise! Rettungsschirme sind besser als Rettung! Exportüberschüsse: Klasse! Wir sind Weltmeister!

Manchmal zweifle ich daran, ob es jene hauchdünne Oberschicht, die Eliten, die das alles in ihrem Interesse inszenieren und lenken, hier in Deutschland überhaupt noch gibt. Jene, die nicht über die nächsten Quartalszahlen hinausdenken können, würde ich nicht zur vernunftbegabten, langfristig planenden Oberschicht zählen, und jene, die ihre Programme von Wahl zu Wahl verändern, also ihre Fähnchen in den jeweils wehenden Wind hängen, ebenfalls nicht.

Der Eindruck, Deutschland sei vollkommen führungslos, der jetzt allgemein entsteht, ist doch nur sichtbar geworden, weil das transatlantische Unterseekabel beschädigt ist und die Mitteilungen aus Washington nicht mehr korrekt entschlüsselt werden können.

Wer vor „komplizierten Fragen“ nicht zurückgescheut hat, dem war schon länger klar, dass an der Spitze der Republik ein Vakuum sitzt, ein Wertevakuum, ein Zielevakuum, ein Selbstverständnisvakuum, auch ein Wissens- und Erfahrungsvakuum, dessen einzige Fähigkeit darin zu bestehen scheint, allem, was noch nicht oder nicht mehr Vakuum ist, den Kampf – gegen rechts – anzusagen.

Hätten nicht Konservative von Generation zu Generation Wissen, Erfahrung, Fähigkeiten, erhalten, das Recht gepflegt und Kunstschätze bewahrt, hätte jede Generation das Rad immer wieder neu erfinden müssen, wie es uns jetzt, wie es Horst Seehofer formulierte, „unter der Herrschaft des Unrechts“ abverlangt wird, so manche Generation wäre daran gescheitert. Wir scheitern derzeit in jeder Hinsicht, an der Fähigkeit, Grenzen zu ziehen, und an der Fähigkeit, Unterscheidungen zu treffen, bzw. Unterschiede zu analysieren und zu bewerten.

Das ist alles viel zu kompliziert! Der Idiot, dem alles gleich viel oder wenig wert ist, stellt den Idealtypus des Menschen unserer Tage dar. Alles andere ist viel zu kompliziert. Alles andere ist Nazi.

Wem nützt das – wer nutzt das?

Glücklicherweise gibt es immer noch einige Menschen, die versuchen, gegen den Strom zu schwimmen. Ob es hilft, oder ob am Ende auch sie – erschöpft – dort ankommen, wo alle anderen schon länger wohnen, weiß man nicht. Aber versuchen, versuchen sollte man es. Immer wieder. Auch wenn die Hürden, die das Vakuum dem Informationsaustausch in den Weg stellt, immer höher werden.


Selbstverständlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf Ihnen allen schon jetzt recht herzlich gratuliert werden, denn schließlich haben Sie durch Ihre fortgesetzten demokratischen Entscheidungen diese Entwicklung, die jetzt kurz vor dem Ziel steht, ja herbeigeführt – und ich denke, Sie haben sich da durchaus etwas dabei gedacht, sich etwas davon versprochen, was jetzt zum Greifen nahe ist. Sie wollten das alles nicht? Wirklich? Warum kommt es dann jetzt so, wo doch in der Demokratie das Volk – also Sie! – der Souverän ist?

Antworten auf diese Frage finden Sie hier:

Darin gibt es nicht nur die Zustandsbeschreibung und deren Analyse, sondern auch konstruktive Ansätze, den Karren in letzter Minute noch aus dem Dreck zu ziehen.

 


Quelle und Kommentare hier:
http://egon-w-kreutzer.de/005/pad202018.html