ARD Brennpunkt: Mehr Bullshit geht nicht mehr

von Joerg Wellbrock

Ich bin wirklich kein Freund der Theorie, die deutschen Medien seien massenhaft durch die USA gelenkt. War ich nie, weil die deutschen Medien auch ohne amerikanische Hilfe Unsinn verzapften können.

Bild: Screenshot vom “Brennpunkt” am 5. Juli 2015
Bild: Screenshot vom “Brennpunkt” am 5. Juli 2015

Und wenn man sich den „Brennpunkt“ vom 5. Juli 2015 nach dem Referendum der Griechen ansieht, funktioniert besagte Theorie der Gleichschaltung deutscher Medien durch die Amerikaner eh nicht mehr. Weil aus den Vereinigten Staaten schon länger Kritik an der europäischen Austeritätspolitik kommt.

Die ARD allerdings kann tendenziös einseitig auch ganz ohne fremde Hilfe berichten, wie der Brennpunkt vom Sonntag zeigt. Diese 15 Minuten „Berichterstattung“ waren ein Schlag ins Gesicht der Geldgeber für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Und die Geldgeber, das sind wir, die Gebührenzahler.

Sigmund Gottlieb, der durch die Sendung führte, war bereits zuvor mehrfach durch einseitige Berichterstattung aufgefallen. Wobei das doch sehr zurückhaltend formuliert ist. Der Mann hat wochenlang gnadenlos gegen die Griechen gehetzt und war dabei so arrogant und provozierend, dass selbst ein Wolfgang Schäuble davon lernen könnte. Im Brennpunkt machte er damit weiter. Nach Klärung der Fakten (die Griechen haben mit „Nein“ gestimmt und sogar unter Freunden wurde die Frage des Referendums diskutiert – wer hätte das gedacht?) legte Gottlieb los. Er begann mit einem Ausblick auf die möglichen Folgen der Abstimmung.

Wie geht es jetzt weiter in Griechenland? blendete die ARD ein, im Hintergrund die griechische Flagge und Tsipras und Varoufakis, die tuschelnd wie zwei Schuljungs hinter vorgehaltenen Händen an einer griechischen Verschwörung zu basteln schienen.

Regierungschef Tsipras und sein schillernder Finanzminister Varoufakis – sie gehen gestärkt aus dem Referendum hervor.

Solche und ähnliche Formulierungen sagten zwar nichts darüber aus, wie es denn nun tatsächlich weitergehen kann. Dafür aber eine Menge über die Geisteshaltung der Redaktion.

Es folgte ein Interview mit Cristos Katsioulis von der Friedrich-Ebert-Stiftung Athen, das mit der Frage Gottliebs begann, was uns die Griechen mit ihrer Abstimmung sagen wollen.

Innovativ, wirklich. Was will uns der griechische Dichter sagen? Herr Gottlieb rätselt wohl immer noch darüber.

Kurze Zeit später kam diese Fragestellung:

Wie bescheuert sind die Griechen eigentlich genau?

Oh, pardon, nein, Gottlieb fragte:

Haben sie gewusst, worüber sie abstimmen?

Die Antwort folgte auf den Fuß:

Sie haben geglaubt zu wissen, worüber sie abstimmen.

Dann: Ein kleines Referat darüber, dass die Fragestellung des Referendums unklar war, das Sinnieren darüber, wer wie viel Einfluss auf die Abstimmung hatte und natürlich die finale Frage:

Hat die Regierung Tsipras eigentlich einen Plan?

Hat sie nicht, ist doch klar, da ist sich Katsioulis sicher, höchstens für einen oder zwei Tage, danach weiß das niemand so genau. Gottlieb ist zufrieden, Schäuble und Merkel, die im Anschluss zitiert werden, dürften es auch sein. Genauso wie Jean-Claude Juncker und Jeroen Dijsselbloem.

Das Griechenland-Bashing ging weiter.

Aus Sicht der Geldgeber wurden sehr große Zugeständnisse gemacht“,

vermeldete die Off-Stimme während eines Beitrages.

Sehr fraglich, ob man den Griechen noch weiter entgegenkommen will.

Weiter geht’s mit Manfred Weber, dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion im EU-Parlament. Der findet, dass die Abstimmung ein „rabenschwarzes Signal für Griechenland“ ist.

Und gibt sich nobel. Jetzt stehe die humanitäre Frage in den nächsten Tagen im Mittelpunkt. Man müsse jetzt erst einmal den Menschen helfen, zum Beispiel bei der medizinischen Versorgung. Ob mit der griechischen Regierung noch Verhandlungen stattfinden können, weiß der Herr Weber auch nicht.

Vielen Dank, Herr Weber.

Was ist so schlimm gewesen an dieser Sendung? Die Griechen müssen sich Kritik doch gefallen lassen, oder nicht?

Klar, müssen sie, ohne Zweifel. Aber wo blieb der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens? Im ARD-Bericht über die Leitlinien der ARD heißt es unter „Allgemeine Qualitätsrichtlinien“ gleich als erstes, zu den übergeordneten Qualitätskriterien gehöre „Informationsvielfalt“.

Außerdem „Objektivität und Unabhängigkeit“. „Richtigkeit“, „Transparenz“, „Vollständigkeit“ und „Professionalität“ schreibt sich die ARD ebenfalls auf ihre Fahne.

Ja, aber wo war all das am 5. Juli 2015 im Brennpunkt? Wo war es die Wochen und Monate davor? Wann hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen wirklich den Versuch unternommen, objektiv zu berichten? Wie unabhängig sind Medien, die fast ausnahmslos einseitig die Schuldfrage definieren statt beide Seiten zu beleuchten? Wo sind Transparenz und Vollständigkeit, wenn nur eine Fraktion zu Wort kommt, nämlich die der Syriza-Kritiker?

Die öffentlich-rechtlichen Medien wundern sich, wenn sie als „Lügenpresse“ bezeichnet wird. Sie verstehen es gar nicht, dass sich immer mehr Menschen nach alternativen Medien umschauen (und dabei regelmäßig vom Regen in die Traufe hüpfen, weil Internetmedien nicht automatisch für verbriefte Wahrheit oder Objektivität stehen). Sie wehren sich wortgewaltig gegen Vorwürfe, sie würden hetzen.

Wer hetzt denn? fragt ausgerechnet Sigmund Gottlieb, einer der größten Hetzer, die derzeit ihre tendenziösen Weisheiten in Deutschlands Wohnzimmer rotzen.

Die öffentlich-rechtlichen Medien kommen ihrem Auftrag schon sehr lange nicht mehr nach. Und lassen sich dafür von uns,ihren Geldgebern, fürstlich entlohnen.

An einem so wichtigen Tag wie dem des griechischen Referendums wäre ein umfassender Blick auf die Gesamtproblematik extrem wichtig gewesen. Stattdessen hat Sigmund Gottlieb auf die Griechen eingedroschen, als gäbe es kein Morgen mehr.

Mehr Bullshit geht wirklich nicht.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.spiegelfechter.com/wordpress/131951/ard-brennpunkt-mehr-bullshit-geht-nicht-mehr


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