Adolf Hitler – »geboren« in Versailles? (8)

Michael Grandt

Der »Friedensvertrag« von Versailles gilt in den Augen politisch korrekter Geschichtswissenschaftler nicht als Grund für Hitlers Aufstieg, sonst könnte ja der Schluss gezogen werden, dass dessen Erfolg durch die unmenschlichen Bedingungen der Alliierten ermöglicht worden wäre, was die gängige Geschichtsschreibung auf den Kopf stellen würde – und doch spricht vieles dafür.

Vorbemerkung:

Wir sind immer noch massiven Geschichtsverfälschungen ausgesetzt. Das gilt besonders für die Zeit zwischen 1914 und 1945 und speziell für das Dritte Reich. Überaus eifrig damit beschäftigt, uns die »Wahrheit« näher zu bringen, ist dabei der mit vielen Aufzeichnungen und Preisen geehrte Prof. Dr. Guido Knopp, der zwischenzeitlich fast alle Dokumentationen über die Zeit des Nationalsozialismus, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden, betreut. Aber auch seine Bücher sind überaus erfolgreich, obwohl sie für einen Historiker der wahre Albtraum sind: häufig keine Fußnoten, keine Quellenangaben und Zitate, die einfach so im Raum stehen. Nicht umsonst bemängeln Kritiker, dass die Knoppsche Geschichtsdarstellung zu oberflächlich sei und die Zusammenhänge stark vereinfacht werden. Doch wie kaum ein anderer Historiker beeinflusst Knopp mit seinen Dokumentationen und Büchern die Meinung der Menschen. Zeit also, ihm und seinen Mainstream-Kollegen auf die Finger zu schauen und ihre Behauptungen unter die Lupe zu nehmen. In unregelmäßigen Abständen werde ich deshalb zu diesem Thema Contents veröffentlichen.

Ich agiere dabei als Journalist und fühle mich nichts anderem als der objektiven Recherche verpflichtet. Der Leser kann sich so ein eigenes Bild machen. Kritikern sei angeraten, nicht polemisch zu reagieren, sondern die angegebenen Quellen zu widerlegen.


Warum fand eine Partei wie die NSDAP überhaupt eine so große Akzeptanz bei den Wählern? Einer der Gründe resultierte sicherlich aus dem Versailler Vertrag, dem

»Schmachfrieden«, den die Mehrheit der Deutschen als höchst ungerecht empfand. Dieser Unmut hatte sicher einen gehörigen Einfluss auf das spätere Wahlverhalten der Deutschen, das Adolf Hitler unterstützte, einen Mann, der ohne Wenn und Aber für die Revision dieses Vertrages und die Wiedergutmachung dieser »Schande« stand.

Brünings Angst vor den Nationalsozialisten

Mainstream-Historiker weisen jedoch immer wieder darauf hin, dass der Versailler Vertrag bereits vor Hitler revidiert worden war und deshalb für den Aufstieg der Nationalsozialisten nur eine untergeordnete Rolle spielte. So schreibt Guido Knopp in seinem Buch Hitler – Eine Bilanz: »Von der Hypothek der Reparationszahlungen war das Deutsche Reich schon ohne Hitlers Zutun befreit.« (1)

Das ist allerdings eine Halbwahrheit, die ich aufklären möchte:

Am 30. März 1930 übernahm Heinrich Brüning von der Katholischen Zentrumspartei die Amtsgeschäfte als Reichskanzler. Bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 erzielten die Nationalsozialisten mit plus 15,7 auf 18,2 Prozent den höchsten Stimmenzuwachs aller Parteien. Brünings Zentrumspartei verlor leicht an Wählerzuspruch und rangierte mit nur 11,8 Prozent jetzt sogar hinter den Nazis, die sich seit ihrer Gründung für eine Revision des Versailler Vertrages ausgesprochen hatten.

Das ließ Brüning hellhörig hören und er trieb seine außenpolitische Offensive daraufhin noch weiter voran, um den Aufstieg der Nationalsozialisten und ihrer Partei Einhalt zu gebieten. (2) Kurzerhand stellte Brüning die Reparationszahlungen ein, was dann auch auf der Konferenz von 1932 in Lausanne von den Alliierten hingenommen wurde. Brünings Motiv für diesen Schritt war demnach die Angst vor weiteren Wahlerfolgen der Nationalsozialisten. Diesen wichtigen Umstand erwähnen Knopp und seine politisch korrekten Anhänger nicht.

Keine Gleichberechtigung unter den Völkern

Der Versailler Vertrag wurde von der Mehrheit der Bevölkerung als so ungerecht empfunden, dass die Nationalsozialisten ihn von Anfang an nutzten, um die junge Weimar-Demokratie zu diskreditieren (3) – und sie hatten Erfolg damit.

Als das Deutsche Reich in Erfüllung des Friedensvertrags von Versailles abgerüstet hatte, erwartete es mit Recht, dass auch die Siegermächte entsprechend ihrer im Vertrag übernommenen Verpflichtung abrüsten würden. Dies geschah jedoch nicht. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass diese Verweigerung der Gleichberechtigung beziehungsweise die Weigerung, nun auch selbst abzurüsten, mit einer der wesentlichsten Gründe für den Aufstieg des Nationalsozialismus in den Jahren 1931 und 1932 darstellte. Und wenn überhaupt ein Argument Hitlers im deutschen Volk einen Widerhall gefunden hatte, dann war es jenes, dass man einem Volk wie dem deutschen, einem Volk, das über eine Bevölkerung von mehr als 75 Millionen Menschen verfügte, auf die Dauer auch nach einem verlorenen Krieg die völkerrechtliche Gleichberechtigung nicht versagen und es nicht auf unbeschränkte Zeit als Volk minderen Ranges behandeln durfte.

Immer und immer wieder verwies Hitler auf die Tatsache, dass die Staatsmänner der Weimarer Republik kein Mittel unversucht ließen, um auf friedliche Weise die Revision der untragbarsten Bestimmungen des Versailler Vertrags zu erreichen. Acht Jahre lang gingen die Politiker des demokratischen Deutschlands nach Genf, um die immer wieder versprochene Gleichberechtigung Deutschlands endlich zu erreichen, und immer wieder wurden sie mit leeren Händen nach Hause geschickt.

Die sich daraus ergebenden Gefahren konnten niemandem verborgen bleiben. Und in der Tat wurde die Welt durch deutsche als auch durch ausländische Politiker wieder und wieder vor dem Sprengstoff gewarnt, der nur auf einen Zünder wartete. Aber das wurde aus Gier und Eigennutz in den Wind geschlagen (4), obwohl fast die gesamte deutsche Bevölkerung sich geeint in ihrer Wut und Enttäuschung über den »Schmachfrieden von Versailles« fand (5).

Immer neue Demütigungen

Selbst Churchill stellte fest:

»[…] die siegreichen Alliierten versicherten nach wie vor, dass sie Deutschland ausquetschen würden, ›bis die Kerne krachen‹. Das alles übte auf das Gedeihen der Welt und auf die Stimmung des deutschen Volkes gewaltigen Einfluss aus. «(6) An anderer Stelle ließ er verlauten: »Die Weimarer Republik wurde mit all ihren liberalen Dekorationsstücken und Segenssprüchen als etwas durch den Feind Aufgezwungenes empfunden. Sie konnte weder die Treue noch die politische Fantasie des deutschen Volkes an sich fesseln.« (7)

Paul Cambron, französischer Diplomat und Botschafter in London, schrieb:

»Jetzt ist der Friede also unterzeichnet. Mir kommt es vor wie ein Haufen Sprengkörper, die eines Tages in allen Teilen der Welt losgehen.«(8)

Zudem wurde mit der Schaffung des Polnischen Korridors das Selbstbestimmungsrecht der Völker verletzt. Über zwei Millionen Deutsche kamen dadurch unter polnische Herrschaft und auch dieser unglückliche Zustand sollte knapp zwei Jahrzehnte später eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges spielen.

Eine weitere Folge des Versailler Vertrages betraf die Rohstoffausbeutung im Deutschen Reich. Der französische Präsident Raymond Poincaré wollte ein unabhängiges Rheinland unter dem Schutz und der Überwachung seines Landes schaffen und zögerte nicht, durch die Besetzung des Ruhrgebietes Reparationsleistungen von Deutschland zu erzwingen, weil dieses seinen Zahlungen nicht nachkam. (9)

Aber das Deutsche Reich stellte seine Zahlungen nicht etwa ein, sondern geriet lediglich in Verzug (10): Von 200.000 Metern Telegrafenmasten waren erst 65.000 Meter geliefert und es fehlten Kohlelieferungen im Gegenwert von 24 Millionen Goldmark. (11) Doch die Franzosen blieben unerbittlich und besetzten kurzerhand das Rheinland. Von der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten und Großbritannien wurde dieses eigenmächtige französische Vorgehen daraufhin scharf verurteilt. (12)

Die allgemeine wirtschaftliche Lage und die mitleidlose Durchsetzung der französischen Reparationszahlungen führten letztendlich auch zum Zusammenbruch der Mark und zu einer Inflation. Die wirtschaftlichen Folgen der Inflation waren verhängnisvoll und begünstigten wiederum den Aufstieg der Nationalsozialisten.

Die Politik der Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg demütigte Deutschland, quälte es auf mehrere Generationen hinaus und erzeugte Hass. So konnte der »Frieden« von Versailles schwerlich als »gerecht« empfunden werden (13), und die Reparationsfrage stellte vor allem für das innenpolitische Klima der Weimarer Republik eine schwere Belastung dar (14).

»Nieder mit dem Versailler Vertrag!«

Später gaben führende Köpfe des NS-Regimes zu, durch das Diktat von Versailles Hitler und der NSDAP näher gekommen zu sein. Walther Funk, der ehemalige Reichswirtschaftsminister, äußerte sich dazu folgendermaßen:

»Ich hatte mich immer öffentlich gegen den Versailler Vertrag ausgesprochen, meiner Überzeugung nach die Ursache für die schlimmen Zustände in Deutschland.« (15)

Und auch Hermann Göring, nach Adolf Hitler einer der mächtigsten Männer im Deutschen Reich, gab zu verstehen:

»Was mich an der Partei anzog, war ihr politisches Programm. Ich meine den Plan zur Schaffung eines größeren Deutschland und zur Aufhebung des Versailler Vertrags.«(16)

An anderer Stelle meinte er:

»Ich habe ausgeführt, dass mir aufgefallen war, dass Hitler eine klare Auffassung über den Zweck nutzloser Proteste hatte, dass er zum Zweiten die Auffassung vertrat, dass Deutschland von dem Diktat von Versailles freikommen müsste. Nun war das nicht Adolf Hitler allein, sondern jeder patriotische Deutsche fühlte das ebenso; und weil ich als glühender Patriot die Schmach und das Diktat und die Schande von Versailles unablässig für mein Volk fühlte, vereinigte ich mich mit dem Manne, von dem ich das Gefühl hatte, dass er am klarsten die Folgen des Diktats erkannte und dass er einer derjenigen sein würde, die vielleicht die richtigen Wege zur Beseitigung gehen würden. Das andere, was sonst in der Partei von Versailles geredet wurde, war, verzeihen Sie mir den Ausdruck, ›Geschwafel‹.« (17)

Wilhelm Keitel, Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, erklärte:

»Es geht alles auf Versailles zurück. Alle Leute – alle Deutschen – sagten: ›Nieder mit dem Versailler Vertrag.‹ Sie machten den Versailler Vertrag für unsere Arbeitslosigkeit und die inneren Schwierigkeiten verantwortlich.« (18)

Auch der ehemalige Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop bekundete gegenüber seinem Gerichtspsychiater:

»Ich weiß, der Versailler Vertrag ist kein Thema, das Sie mögen, aber Sie und alle anderen wissen, dass dieser Vertrag ein großes Unrecht war. Hitlers Aufstieg war das Ergebnis dieses ungeheuren Unrechts, das Deutschland angetan wurde.« (19)

Ribbentrop gab dann auch beim Prozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg Protokoll an:

»Ich möchte noch hinzufügen und ganz offen sagen, dass ich von Anfang an, am ersten Tage, an dem ich den Versailler Vertrag gesehen und gelesen habe, mich als Deutscher verpflichtet gesehen habe, gegen diesen Stellung zu nehmen und zu versuchen, alles zu tun, damit hier an der Stelle dieses Vertrages ein besserer treten könnte. Es war gerade das Eintreten Adolf Hitlers gegen Versailles, das mich damals zum Ersten überhaupt mit ihm und mit der Nationalsozialistischen Partei zusammenbrachte.« (20)

Fritz Sauckel, ehemaliger Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz:

»Die Gründe für den Krieg muss man im Versailler Vertrag und im wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands seit dem Ende des letzten Krieges suchen, sie wurden durch die Weigerung anderer Länder verstärkt, deutsche Produkte gegen Weizen einzutauschen, ohne den Deutschland Hunger litt.« (21)

Und genau in dieser Zeit entstand eine Partei, die trotz allem den Glauben an den Aufstieg nicht verloren gab und die Wiedergeburt eines Deutschen Reiches verkündete: die NSDAP. (22)

Demzufolge lautete auch Punkt zwei des Parteiprogramms der Deutschen Arbeiter Partei, kurz DAP, aus der später die NSDAP hervorging:

»Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und Saint-Germain.« (23)

In der letzten Folge der Reihe: Adolf Hitler und Versailles – Analyse seiner Reden

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Quellen:

(1) Guido Knopp: Hitler – Eine Bilanz, München 2005 (Sonderausgabe), S. 79

(2) David Stevenson: Der Erste Weltkrieg, Düsseldorf 2006, S. 662

(3) Klaus Wiegrefe: »Der Unfriede von Versailles«, in: Die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, Spiegel Special, 1/2004, S. 132

(4) Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 bis 1. Oktober 1946, veröffentlicht in Nürnberg, Deutschland 1947 (künftig zitiert unter IMT-Protokolle), amtlicher Wortlaut in deutscher Sprache, München/Zürich 1984, Band 19, S. 392 f.

(5) Weitere Bücher zum Thema »Versailler Vertrag«: P. Krüger: Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung, München 1986; K. Schwabe (Hrsg): Quellen zum Friedensschluss von Versailles, Darmstadt 1997; M. F. Boemke/G. D. Feldman/E. Glaser (Hrsg): The Versailles Treaty. A Reassessment after 75 Years, Cambridge 1998; G. Krumeich (Hrsg): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001

(6) Winston Churchill: Der Zweite Weltkrieg, Frankfurt/M. 2004, S. 19

(7) Ebd., S. 20

(8) Paul Cambron: Correspondance 1870–1924, Teil 2, Paris 1940, S. 341

(9) Churchill, S. 22

(10) Janusz Piekalkiewicz: Der Zweite Weltkrieg, Düsseldorf/Wien 1985, S. 16

(11) Ian Kershaw: Hitler.1889–1936, Stuttgart 1998, S. 243

(12) Churchill, S. 22

(13) Vittorio Hösle: Moral und Politik, München 1997, S. 1054

(14) Dorothee Klienksiek: Herrschafts- und Manipulationstechniken des Nationalsozialismus, Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen, 1983, S. 112

(15) Leon Goldensohn: Die Nürnberger Interviews. Gespräche mit Angeklagten und Zeugen, Düsseldorf/Zürich, 2005, S. 133

(16) Goldensohn, S. 176

(17) IMT-Protokoll, Sitzung vom 18.03.1946 (IMT-Band 9, S. 487)

(18) Goldensohn, S. 224

(19) Ebd., S. 254

(20) IMT-Protokoll, Sitzung vom 28.03.1946 (IMT-Band 10, S. 259)

(21) Goldensohn, S. 272; während des Ersten Weltkrieges versuchten die Alliierten Deutschland und Österreich die Lebensmittelzufuhr abzuschneiden. Die Auswirkungen dieser Blockade hatten wenig Auswirkungen auf das eigentliche Kriegsgeschehen, aber die Versorgung der Zivilbevölkerung verschlimmerte sich dramatisch. Diese Hungerblockade wurde auch nach dem Waffenstillstand fortgeführt, um Deutschland zur Annahme des Versailler Vertrages zu zwingen (Werner Abelshauser/Anselm Faust: Wirtschafts- und Sozialpolitik: Eine nationalsozialistische Sozialrevolution?, Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen, Tübingen 1983, S. 121)

(22) Klienksiek, S. 15; die NSDAP war aus der am 05.01.1919 gegründeten Deutsche Arbeiterpartei (DAP) hervorgegangen

(23) IMT-Protokoll, Urteil vom 01.10.1946 (IMT-Band 1, S. 193)


Quelle und Kommentare hier:
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/zeitgeschichte/michael-grandt/adolf-hitler-geboren-in-versailles-8-.html