2077: Ein Blick zurück aus der Zukunft

von Jürgen Fritz

Wir schreiben das Jahr 2077. In nur wenigen Jahrzehnten hat Europa sein Antlitz vollkommen verändert. Ganze Staaten zerfielen, sind vom Erdboden verschwunden, andere neu entstanden. In den Genfer Verträgen versucht man nun erstmals seit der zweiten großen Völkerwanderung, die gemeinsamen Geschicke Europas auf ein neues Fundament zu stellen, in der Hoffnung den Frieden so sichern zu können. Doch wie kam es überhaupt zu dieser ganzen Entwicklung, die in atemberaubender Geschwindigkeit den ganzen Kontinent so sehr veränderte? Ein Blick zurück aus der Zukunft.

Das Europa des Jahres 2077

Mehr als drei Viertel des 21. Jahrhunderts sind nun vergangen.  Wirtschaftlich steht Europa insgesamt bei ca. 70 Prozent des Bruttosozialproduktes des Jahres 2000. Allerdings sind die Unterschiede auf dem Kontinent deutlich größer als sie dies vor 77 Jahren waren. An der Spitze steht Großbritannien, das einzige Land, welches eine liberale Gesellschaft dauerhaft bewahren konnte, nachdem es sich im ersten Drittel des Jahrhunderts zu drastischen Maßnahmen und Korrekturen entschlossen hatte und vor allem seine Grenzen sicherte, was wiederum wegen der Insellage leichter fiel als den meisten Festlandstaaten.

Am zweitbesten steht heute die Ostdeutsche Republik da, welcher der wichtigste Partner der Osteuropäischen Zollunion ist, die an dritter Stelle steht. An vierter Stelle sehen wir die Länder der West-Ost-Achse Frankreich, Schweiz und Österreich. Auch diese Länder haben sich nach entsprechend tiefgreifenden Reformen innerlich gut entwickelt, allerdings belasten die Ausgaben für die Grenzsicherung zu Italien und dem Islamischen Bund die Staatsfinanzen ganz erheblich.

Im unteren Drittel der Entwicklung sehen wir heute zum Einen den Islamischen Bund, zum Anderen das Kalifat von Antwerpen. Beide Länder bewegen sich auf eher niedrigem Niveau, verzeichnen aber immerhin stabile Wachstumsdaten. Die Umstellung auf die streng islamische Rechtsgrundlage, die Scharia, ist in beiden Ländern weitgehend abgeschlossen. Zwar gibt es hin und wieder noch Androhungen von Sanktionen seitens der UN wegen der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, aber da die UN schon seit Ende des 20. Jahrhunderts, also seit inzwischen fast hundert Jahren immer mehr durch islamische Länder maßgeblich beeinflusst ist, übt die UN hier anders als in anderen Ländern viel mehr Zurückhaltung und belässt es meist bei rein verbalen Verurteilungen.

Ganz am Ende der Skala befindet sich heute das ehemalige Italien. Praktisch die gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Elite hat das Land schon vor Jahrzehnten verlassen. Auf der Halbinsel herrschen das nackte Chaos und Elend. Italien gehört heute im Grunde zu Afrika. Ohne die dauerhafte Unterstützung der UN wäre das Land vollständig kollabiert, die Zustände noch schlimmer als in den meisten afrikanischen Ländern.

Das Ende des Liberalismus auf dem Festland

Insgesamt ist von der Idee des Liberalismus, von welcher Europa noch zu Beginn des Jahrhunderts regelrecht beseelt war, so gut wie nichts übrig geblieben. Auf dem Gebiet des ehemaligen Spanien und Portugal sehen wir heute die iberische Militärunion, die nicht nur autoritäre, sondern offen faschistische Züge trägt. Das Kalifat von Antwerpen, der Islamische Bund und die katholische Republik Polen werden von religiösen Führern regiert. Der Ostdeutsche Bund und Frankreich sind längst streng nationalistische Gesellschaften und wollen von Liberalismus nicht mehr das Geringste wissen. Einige träumen von einer „deutschen Reconquista“, angesichts der tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse – der Islamische Bund ist zwar wirtschaftlich deutlich schwächer, hat aber viel mehr Einwohner und viel höhere Geburtenraten – scheinen solche Träume aber nicht gerade sehr realistisch.

Auch im Kalifat von Antwerpen und dem Islamischen Bund gab es immer wieder Rufe nach einer Vereinigung Europas und der weiteren Expansion des Islam, nicht wenige träumen hier vom großen „heiligen Krieg“, doch haben sich Frankreich, der Ostdeutsche Bund und die osteuropäische Zollunion – Großbritannien ohnehin – längst so aufgerüstet, dass ein militärischer Angriff trotz zahlenmäßiger Überlegenheit an Soldaten, die kurzfristig rekrutiert werden können, nahezu aussichtslos scheint. Und all jene Länder möchten ihre Militärausgaben weiter steigern, nachdem sie erkannt haben, dass die äußere Sicherheit Das A und O eines jeden Gemeinwesens darstellt und die Fehler, die man früher gemacht hatte, auf keinen Fall wiederholen will. Aus Schaden wird man klug, wie das Sprichwort sagt.

Das Problem der Massenimmigration ist verschwunden

Das große Problem des ersten und zweiten Drittels des 21. Jahrhunderts, welches letztlich hauptverantwortlich war für diese völlige Veränderung der europäischen Tektonik, das Problem der Massenmigration hat man fast vollständig in den Griff bekommen. Dies hängt zum Einen damit zusammen, dass Europa auf Grund des deutlich gefallenen Wohlstandes und Lebensstandards – im Durchschnitt um ca. 30 Prozent – auch nicht mehr die gleiche Anziehungskraft besitzt wie noch vor 50, 60, 70 Jahren. Hinzu kommt, dass auch die Sicherheitslage nicht mehr die von einst ist. Auch dies mindert die Attraktivität.

Vor allem aber bilden zwei mächtige und rücksichtlose militärische Bollwerke einen Schutzwall sowohl nach Süden als auch nach Osten. Die Militärjunta der iberischen Halbinsel hat in Genf angekündigt, sie werde eine weitere Invasion aus dem Süden „mit allen Mitteln“ zu verhindern wissen. Und wie die letzten Jahre zeigten, wird sie das auch gnadenlos durchsetzen. Und im Südosten sehen wir heute das Türkische Großreich, welches am meisten vom großen sunnitisch-schiitischen Krieg von 2035 – 2037 profitiert hat.

Einfluss und Macht des Türkenreiches sind seither in einem Ausmaß angestiegen, wie das wohl noch vor hundert Jahren kein Mensch für möglich gehalten hätte. Doch dies hat durchaus auch Vorteile für Europa, insbesondere für Griechenland, dem es ansonsten wohl wie Italien gegangen wäre, sprich das heute sonst ebenfalls zu Afrika gehören würde. Das Türkische Großreich garantiert dem kleinen „armen Bruder“ Griechenland seine Existenz und schützt dessen Grenzen, dafür hat Griechenland sein gesamtes Militär eingestampft, die Ägäis und das östliche Mittelmeer vollkommen der türkischen Vorherrschaft überlassen, Zypern, Kreta und einige kleine Inseln abgetreten und zahlt jedes Jahr eine Art Schutzgebühr an das Türkische Reich, die dieses nach Belieben festsetzt. Doch wie ist es zu dieser ganzen Entwicklung gekommen? Nach der ersten kleinen Flüchtlingswelle von 2015, ging der Zustrom nach Europa doch merklich zurück und alles sah für einige Jahre gar nicht so schlecht aus.

Der sunnitisch-schiitische Krieg von 2035 bis 2037

In der Tat hatte sich die Lage nach 2015 erst einmal stabilisiert. Aber ab 2022 stieg die Zahl der Immigranten wieder stetig an, da sich die Zustände in Afrika und im Nahen Osten zunehmend verschlechterten. Insbesondere die ständig weiter wachsende Bevölkerungen in Afrika und die immer stärker werdenden Spannungen zwischen Sunniten, vor allem Saudi-Arabien und Türkei, und Schiiten im Iran waren hierfür ausschlaggebend. Die Rüstungsausgaben dieser Länder stiegen und stiegen und vielen war klar, wo das Ganze nur hinführen könne. Bis 2035 wurden stets nur Stellvertreterkriege geführt, 2015 im Jemen, ab 2021 in Jordanien, ab 2029 in Afghanistan. Doch dann kam es 2035 endlich zur direkten Konfrontation.

Im Mai 2035 verübten saudische Sicherheitskräfte ein Massaker an iranischen Pilgern, bei dem fast zweitausend Menschen ums Leben kamen. Nun gab es kein Halten mehr. Ein iranisches U-Boot versenkte als Gegenschlag die saudische Fregatte „Al Dammam“. Tausende starben auch hier. Zwei Tage später erklärte der saudische König dem Iran den Krieg. Russland und die USA hielten sich in dem zweieinhalb Jahre anhaltenden mit unglaublicher Brutalität geführten Krieg zwar offiziell zurück, Russland unterstützte jedoch logistisch und materiell den Iran, während die USA Saudi-Arabien versorgte.

Dank der Luftüberlegenheit der Saudis konnten diese anfangs große Erfolge erzielen, doch dann ging es in einen blutigen, zermürbenden Stellungskrieg über. Millionen von Menschen verloren ihr Leben, nicht nur Soldaten. Denn der Bombenhagel und Raketenbeschuss, der von 2035 bis 2037 auf die Städte niederging, zerstörte den Lebensraum von zig Millionen Menschen. Nun setzte eine Fluchtwelle ein, wie sie die Welt selten zuvor gesehen hatte.

Zwölf Millionen bahnten sich nun innerhalb kürzester Zeit den Weg über die Türkei und Nordafrika nach Mitteleuropa. Die osteuropäischen Staaten reagierten sofort, sie hatten lange zuvor alles genau geplant und waren exzellent vorbereitet, und schlossen ihre Grenzen hermetisch ab. Österreich und die Schweiz zogen nach. Deutschland erklärte, die Mehrzahl der Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, falls Frankreich und die Beneluxstaaten sich verpflichten würden, einen Teil zu übernehmen. Angesichts der ungeheuren Not der Flüchtenden, schaffte man es tatsächlich noch einmal sich zu einigen. Frankreich, Belgien, die Niederlande und Luxemburg stimmten zu.

Daraufhin richtete Österreich verplombte Durchgangszüge ein, um die Flüchtlinge über den Brenner zu leiten und nach Deutschland zu bringen. Die Bundesrepublik nahm innerhalb von zwei Jahren 6 bis 7 Millionen Flüchtlinge auf, von denen die meisten für immer blieben, Frankreich fast 3 Millionen und die Beneluxstaaten 2 bis 3 Millionen. Davon sollten sich all diese Länder nie wieder erholen. In den folgenden Jahren stieg der Anteil der Muslime in all den genannten Länder auf über 30 Prozent, in vielen Städten auf 50 bis 70 Prozent, teilweise sogar darüber.

Der Niedergang der EU

Die Europäische Union (EU) war in der Zwischenzeit nur noch auf dem Papier wirklich operationsfähig. Bereits 2019 hatten die Briten das Ausscheiden aus der EU vollständig vollzogen. 2026 folgte Österreich, 2017 die Niederlande. 2028 wurde dann das völlig bankrotte Italien zunächst aus dem Euro, dann der EU rausgedrängt. Den Todesstoß versetzte schließlich das geschlossene Austreten von Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn im Jahr 2029.

Schon zuvor waren zuerst das griechische, dann das französische und das spanische Bankensystem vollständig zusammengebrochen und rissen große Teile der Wirtschaft mit sich. Nur durch die enormen Aufwendungen Deutschlands und der baltischen Staaten war der Bankrott der EU noch aufzuhalten gewesen. Doch dies führte dazu, dass auch die deutsche Verschuldung astronomische Höhen erreichte. Nachdem man es über viele Jahre der soliden Haushaltsfinanzierung erfolgreich geschafft hatte, die Staatsverschuldung von ca. 80 Prozent auf unter 60 zu reduzieren, schoss sie nun immer mehr in die Höhe in völlig neue Dimensionen.

Als dann ab 2035 die sechs bis sieben Millionen Flüchtlinge in Deutschland ankamen, kündigte die deutsche Bundeskanzlerin an, wegen der immensen Sozialausgaben und der exorbitanten Überschuldung keine weiteren Zahlungen nach Brüssel mehr leisten zu können. Daraufhin traten Belgien und Luxemburg sofort aus dem Euro und aus der EU aus. Nun wurden etliche bilaterale Handels- und Zollvereinbarungen getroffen. Die EU aber gab es bald nicht mehr. 2038 gründeten die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn zusammen mit den baltischen Staaten (Estland, Lettland, Litauen) die Osteuropäische Zollunion. 2042 stieß Österreich dazu, 2051 auch die Schweiz.

Die zweite große Welle

Europa hatte sich von der großen Flüchtlingswelle ab 2035 noch nicht ansatzweise erholt, da brach bereits die nächste über den Kontinent herein, dieses Mal nicht aus dem Südosten, sondern aus dem Süden. Die Bevölkerung Afrikas war bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts in unfassbarer Geschwindigkeit angewachsen. Waren es um 1950 ca. 230 Millionen Bewohner, so steig die Zahl bis 2015 auf 1,1 bis 1,2 Milliarden, verfünffachte sich also innerhalb von nur 65 Jahren. 2017 warnte die UNICEF noch, das rapide Bevölkerungswachstum könnte eine Massenflucht auslösen, aber geschehen ist auch in den folgenden Jahren wie schon all die Jahrzehnte zuvor wenig.

Zwar stellte man ab 2022 vom Gießkannenprinzip auf ein Staatspatenschaften-Prinzip um und dies war wirtschaftlich durchaus ein Erfolg. Viele afrikanische Staaten nahmen einen moderaten, aber stetigen ökonomischen Aufschwung. Am größten Problem aber, der immer weiter steigenden Überbevölkerung änderte dies gar nichts. Lediglich in den Partnerstaaten Chinas zeigten sich Erfolge, hier allerdings sogar drastisch. Denn die Chinesen forderten vor ihren Patenkindern als Gegenleistung für ihr Engagement die Umsetzung der Ein-Kind-Ehe. Wurde dies von einem Staat nicht eingehalten, wurden alle Leistungen abgezogen und kamen den Ländern zusätzlich zu Gute, die diese Politik konsequent umsetzten. Das führte in den letztgenannten Ländern bereits ab 2030 zu einem Rückgang der Bevölkerung, bei gleichzeitig enorm steigendem Wohlstand und Befriedung der Gesellschaft.

Alle westlichen Staaten lehnten solche Maßnahmen, die vor allem von den Grünen, der Linkspartei und der SPD als „Kolonialismus 2.0“ gebrandmarkt wurden, kategorisch ab. In den Partnerstaaten dieser westlichen Ländern kam es dann ab Mitte der 2040er Jahre zu einer noch größeren Menschenflucht als im sunnitisch-schiitischen Krieg von 2035 bis 2037. Auf Grund der stetig weiterexplodierenden Bevölkerungszahlen und Missernten kam es bereits in den 2020ern und 2030ern wiederholt zu Hungernöten ungeahnten Ausmaßes. Doch das Fass zum Überlaufen brachten Mitte der 2040er Jahre drei Ereignisse, die verhängnisvoll miteinander koinzidierten.

Spanien und Italien werden zu Teilen Afrikas

In Nigeria brach 2044 ein Bürgerkrieg zwischen den den Hausa und den Yourabam aus. Infolge der Kämpfe um die Erdöleinnahmen kam es zu einer großen Hungersnot mit mehreren innerafrikanischen Fluchtwellen, die auch die Nachbarländer destabilisierten. Gleichzeitig kam es zuerst in Algerien (2044), dann in Libyen (2045) zu islamischen Revolutionen. Beide Länder zerfielen in zahlreiche, von regionalen Warlords dominierte Gebiete, eine Zentralregierung und einen Ansprechpartner für Europa gab es damit nicht mehr. Nun war der Weg nach Norden ins gelobte Land frei für zig Millionen Flüchtlinge. Die Kunde über diese neuen, offenen Wege nach Europa verbreitete sich in ganz Afrika wie ein Lauffeuer. Immer weitere Menschen aus den völlig überfüllten Flüchtlingslagern machten sich auf den Weg.

Diesem gigantischen Ansturm von 2046 hatten Spanien und Italien, beide durch Banken-, Finanzkrise und dem Zerfall der EU ohnehin schon völlig verarmt, nichts mehr entgegenzusetzen. Angesichts der nicht enden wollenden Menge an Flüchtlingen bekamen es alle anderen Länder mit der Panik zu tun. Niemand war mehr bereit, Spanien und Italien zu helfen. Im Gegenteil, alle Nachbarn riegelten ihre Grenzen hermetisch ab. Die Sozialsysteme in Spanien und Italien brachen völlig zusammen, Wirtschaft, Handel und Verwaltung kamen zum Großteil zum Erliegen. Nun begannen die einheimischen Bevölkerungen selbst gen Norden zu fliehen. In den nächsten sechs Jahren verschlechterte sie die Lage in beiden Ländern so sehr, bis sie schließlich afrikanisches Niveau erreicht hatte. Jetzt erst war der Anreiz, von Afrika nach Europa überzusetzen, verschwunden, denn Spanien und Italien waren jetzt zu Teilen Afrikas geworden. In Italien waren innerhalb weniger Jahre 30 bis 40 Millionen afrikanische Flüchtlinge an Land gekommen, in Spanien über 25 Millionen.

Der Militärstaat Iberia führt Zwangsdeportationen durch

In diesen Jahren verließen ca. 60 Prozent der Spanier ihre Heimat und flohen nach Portugal oder Frankreich. Schließlich wurde das portugiesische Militär mit dem spanischen verschmolzen, um die Grenzen Portugals zu sichern. Die Militärführung übernahm ab 2052 die Regierungsgeschäfte, zunächst befristet für zwei Jahre, dann ab 2054 auf unbestimmte Zeit. Der Militärrat unter Führung von General Martinez beschloss 2055 die Rückeroberung des spanischen Territoriums „mit allen notwendigen Mitteln“. Am 22. Mai 2056 begann die Operation „Toledo“. Die spanisch-portugiesischen Truppen übernahmen in den folgenden Jahren von Norden und Westen aus jedes Dorf und jede Stadt. Die afrikanischen Immigranten durften nur das Notwendigste mitnehmen und wurden umgehend zum nächstliegenden Hafen deportiert. Jeglicher Widerstand wurde brutal niedergeschlagen. Zigtausende verloren dabei ihr Leben.

In Marokko eroberten die iberischen Truppen völkerrechtswidrig das Hinterland der Stadt Melilla und errichteten dort eine riesige Evakuierungszone. Dort wurden die Migranten hin transportiert. Es war das größte Zentrum dieser Art weltweit. Gleichwohl bot es nur Platz für ca. zwei Millionen Menschen. So viele kamen aber pro Quartal an. Schon nach wenigen Monaten waren die Zustände in dem Lager so katastrophal, dass die Menschen zu Tausenden und Abertausenden flohen. Viele kamen dabei in der Wüste ums Leben. UN, Rotes Kreuz und andere Hilfsorganisationen versuchten alles, um neue gigantische Zeltstädte aus dem Boden zu stampfen, aber sie kamen einfach nicht hinterher. Die iberischen Truppen schafften die Leute so schnell herbei, dass alle überfordert waren und letztlich hilflos zusehen mussten, wie Millionen Menschen ums Leben kamen.

Frankreich wird zu Indien, die Beneluxstaaten zu Pakistan

In Frankreich hatte sich die Lage nach der Flüchtlingswelle aus dem sunnitisch-schiitischen Krieg 2035 – 2037 dramatisch verschlimmert. Bei den Wahlen 2037 erzielte der Front National eine klare Mehrheit und übernahm alle Regierungsgeschäfte. Die Sozialleistungen für Franzosen wurden drastisch erhöht, die für Immigranten dramatisch gesenkt. Die Folge waren permanente Anschläge und Aufstände. Nach 20 Jahren hatte man davon genug und sah nun, wie die Iberer das Problem lösten.

Um das Allerschlimmste zu verhindern, arbeitete die UN Ende der 2050er Jahre einen gigantischen Umsiedlungsplan nach dem Vorbild der Teilung Indiens und Pakistans 1947. Unter der Aufsicht von Blauhelmtruppen wurden fast 20 Millionen Muslime in die Gebiete des ehemaligen Belgien und der Niederlande geleitet, in das neu entstandene Kalifat Antwerpen, die Europäer, ebenfalls fast 20 Millionen aus diesen Ländern im Gegenzug nach Frankreich.

Deutschland: der Weg in die Teilung

Bis 2032 war Deutschland noch immer der Wirtschaftsmotor der EU gewesen. Anfang der 2030er Jahre überschritt die Sozialausgabenquote aber bereits die 50 Prozent-Marke. Immer mehr Hochqualifizierte wanderten aus Deutschland ab. Teile der Wirtschaft folgten dem Trend und zogen bevorzugt nach Osteuropa. Als dann die riesige Flüchtlingswelle von 2035 mit 6 bis 7 Millionen Migranten kam, stiegen die Sozialausgaben auf zwei Drittel. Sozial- und Rentensysteme kollabierten. Weite Teile Deutschlands verarmten immer mehr und erholten sich auch nie wieder.

Das Bildungssystem wurde über Jahrzehnte völlig vernachlässigt, so dass zu den völlig unqualifizierten Immigranten auch immer mehr schlecht ausgebildete Einheimische hinzukamen. Am stärksten waren von dieser Entwicklung die westlichen Bundesländer betroffen, vor allem Bremen, Hamburg und NRW. Die Kriminalität stieg immer weiter an. Hinzu kamen besonders ab den 2030er Jahren die Rivalitäten zwischen Sunniten und Schiiten, die ab dem Krieg von 2035 einen Höhepunkt erreichten. Waren Clankriege und Terroranschläge schon in den Jahren zuvor ein Riesenproblem, so eskalierte die Situation nun vollends. Nun kam es auch zu den ersten größeren Pogromen an Juden und Homosexuellen.

Die staatliche Macht war inzwischen angesichts der Anzahl von Muslimen nicht mehr imstande, die Lage und die explodierende Gewalt unter Kontrolle zu bringen. In der Verzweiflung übertrug man ab 2041 die Staatsgewalt mehr und mehr an religiöse Führer in den einzelnen Städten, die versprachen für Ruhe zu sorgen. Schließlich entschloss man sich in Baden-Württemberg eine Schutzzone für schiitische Mitbürger zu schaffen. Schiiten durften nur noch in diese Zone ziehen, die einheimischen Sunniten versuchte man mit Geldprämien zum Wegzug aus BW zu animieren. Bundesland für Bundesland wurde im Laufe der Jahre im Westen der Scharia unterstellt.

In den östlichen Bundesländern ging man einen anderen Weg. Hier versuchte man, die relativ wenigen Muslime, die sich hier angesiedelt hatten, zum Wegzug zu bewegen, was sehr gut gelang, da die westlichen Bundesländer mit dem Schariarecht und der sukzessiven muslimischen Machtübernahme für die wenigen im Osten wie ein Magnet wirkte. Das einzige größere Problem war Berlin. Aber auch hier schaffte man es, von 2048 bis 2055 nahezu alle radikalen und orthodoxen Muslime zum Wegzug zu bewegen.

Die Entstehung der Ostdeutschen Republik

West- und Ostdeutschland entfernten sich nun immer weiter voneinander. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die Wahl von 2058. Das Grünlinke Bündnis erhielt ebenso wie die islamischen Unionsparteien und das nationalkonservative Lager jeder ca. ein Drittel der Stimmen. Das Grünlinke Bündnis koalierte nun erstmals mit der islamischen Union, dem „ökologischen Islam“. Dies bedeutete den endgültigen Riss.

Die ostdeutschen Bundesländer inklusive Bayern trafen sich im Osten, tagten mehrere Wochen lang und verkündeten dann im Erfurter Beschluss den Austritt aus der Bundesrepublik. Nur wenige Monate später gründeten sie die Ostdeutsche Republik. Alle Vertreter der restlichen Bundesländer wurden in den Westen ausgewiesen. Die Restländer im Westen formierten sich neu im „Islamischen Bund“ und machten Bonn zur neuen Hauptstadt.

Die Ostdeutsche Republik schloss sofort Verträge und Bündnisse mit der Osteuropäischen Zollunion und Österreich. Nachdem die Grenze zum Westen in den folgenden Jahren mehrfach von radikalmuslimischen Attentätern durchbrochen wurde, welche Anschläge im Osten verübten, wurde die Grenze zum Westen vollkommen geschlossen. Diese gleicht heute dem Eisernen Vorhang, der Deutschland bereits nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1990 trennte.

Das Scheitern des Liberalismus

Der Islamische Bund suchte dagegen sofort den Schulterschluss mit dem Kalifat von Antwerpen und entwickelt sich seither zu einem Religionsstaat nach pakistanischem Vorbild. Die spärlichen Nachrichten aus dem Innern lassen nichts Gutes erahnen. Vom Grünlinken Bündnis ist seit vielen Jahren immer weniger zu hören, in den letzten Jahren so gut wie nichts mehr.

Von der Idee des Liberalismus, die wie bereits beschrieben, Europa noch vor 60 Jahren beseelte, ist inzwischen auf dem Festland nichts mehr übrig. Lediglich auf der englischen Insel hat der Liberalismus in abgeschwächter Form überlebt. Die meisten Historiker sind sich einig, der Liberalismus, diese wunderbare Grundidee einer freien, gleichen, menschenrechtsorientierten Gesellschaft ist daran gescheitert, dass die Idee überstrapaziert wurde, dass deren Anhänger sich nie bewusst gemacht haben, dass Freiheit im Landesinnern nach außen verteidigt werden muss. Die Verteidigung nach außen mussten schließlich irgendwann, als es nicht mehr anders ging, andere übernehmen, die den Liberalismus dann aber auch im Innern abschafften.

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Literaturempfehlung: Die Inspiration zu diesem Text entstammt zum allergrößten Teil dem folgenden Büchlein, das ich Ihnen zur Vertiefung sehr ans Herz legen möchte. Es kostet nur 11,95 EUR und lohnt sich sehr! Hier wird die – wie ich meine sehr realistische – Dystopie, die natürlich nur eine von vielen möglichen ist, noch weiter entfaltet. Irgendwie werden aber wahrscheinlich viele von uns spüren oder ahnen, irgendwie wird es in so eine Richtung gehen.

  • Martin Dobry: 2077 – Europa nach der zweiten Völkerwanderung Verlag Blackbox, August 2018

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