Volk oder Bevölkerung? – Von den Quellen der deutschen Kultur

von hwludwig

 „Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht..”
Heinrich Heine

schicksalsgemeinschaft-deutsches-volk kopie_cf5581bf949b51f879f027440cacf126Die Begriffe Volk und Volksgemeinschaft sind durch die nationalsozialistische Ideologie als blutsgebundenes Kollektiv einer auserwählten Rasse missbraucht worden, das einen übergeordneten personellen Gesamtwillen besitze, der durch den Führer repräsentiert und ausgeführt werde. Damit war auch der Begriff Volksgeist diskreditiert, der als Zusammenfassung dessen verstanden wird, was als seelisch-geistige Besonderheit ein Volk charakterisiert.

Teile der Wissenschaft sehen die Wurzeln der Ideologie des Nationalsozialismus in der Veranlagung des deutschen Volkes selbst und in manchen seiner Philosophen. Die meisten Politiker wünschen und betreiben die Integration des deutschen wie auch der anderen europäischen Völker in einen zentralistischen europäischen Bundesstaat, weil sie so die nationalistische Selbstzerfleischung der Völker meinen auszuschließen zu können. Vertreter des linken politischen Spektrums sehnen vielfach gar die direkte Auflösung des deutschen Volkes herbei und begrüßen sein Aussterben, das durch die derzeitige demographische Entwicklung absehbar scheint.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer von den Grünen sagte laut „Die Welt“ vom 7.2.2005:

„Deutschland muss von außen eingehegt, und von innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi verdünnt werden.“

Sieglinde Frieß, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Verdi-Fachbereichsleiterin, meinte lt. FAZ vom 6.9.1989 vor dem Parlament:

„Ich wollte, dass Frankreich bis zur Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.”

Am unverhohlensten äußern sich in dieser Beziehung die linksextremen Terrorgruppen. So heißt es in einem antifaschistischen Aufruf von 2012:

Die größte Gefahr eines faschistischen Wiedererstarkens geht nicht von den marginalisierten Nazis aus, sondern von der bürgerlichen Ideologie des „geläuterten“ Deutschlands selber, in welcher die Ursachen für die faschistische Barbarei fortwesen und in der Kategorien wie Volk und Nation Ausdruck anti-emanzipatorischen Denkens sind. … Das Volk ist kein Begriff, den die Nazis erst ruinieren mussten, sondern seit hundert Jahren schon die Lüge von der notwendigen schicksalhaften Verbundenheit der einzelnen im nationalen Zwangskollektiv.“ 1 Und auf den Straßen skandieren sie ganz offen: „Nie wieder Deutschland!“ und: „Deutschland verrecke!“

Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, dass in der seit Jahren stattfindenden großen und gegenwärtig dramatisch anschwellenden Zuwanderung bei den Politikern der Begriff Volk als zu schützende Einheit keine Rolle spielt. Deutschland wird als quantitatives Reservoir betrachtet, das es bei eigenem Bevölkerungs- und Arbeitssklavenrückgang irgendwie aufzufüllen gilt. Vizekanzler Gabriel z. B. hält es für verkraftbar, dass Deutschland jährlich eine halbe Million Flüchtlinge für die nächsten Jahre aufnehmen könne (Spiegel Online 8.9.15). Und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sagte lt. SZ.de vom 4. 9. 2015:

“Wir brauchen in den nächsten 20 Jahren viel mehr Arbeitskräfte, als dieses Land hervorbringen wird” und sprach von 500 000 freien Stellen in Deutschland.

Wer da noch auf die Eigenqualität des Volkes und ihres notwendigen Schutzes hinzuweisen wagt, wird sofort in die rechtsextreme Ecke gestellt. Wir betreten also im Folgenden stark vermintes Gelände. Aber es geht um die Erkenntnis der Wirklichkeit. Und diejenigen, die noch gefühlsmäßig die historisch überkommene Nation verteidigen, müssen erkennen, dass dies nicht mehr ausreicht, sondern dass sie sich mit der tieferen geistigen Realität des Volkes verbinden müssen, um sie vor dem allseitig anstürmenden Nihilismus zu retten.

Vom Wesen des Volkes

Dem unverstellten kulturgeschichtlichen Blick zeigt sich, dass jedes Volk eine historisch gewachsene Kulturgemeinschaft bildet, in der die Menschen eine ganz spezifische seelische Grundhaltung zur Welt einnehmen und zu einer besonderen Art des gedanklichen, künstlerischen und religiösen Strebens hinneigen. In der Sprache, in Wortbildung und Wortgebrauch, in Grammatik und Syntax, in Redewendungen und bildhaften Ausdrücken offenbart sich am unmittelbarsten die seelische Konfiguration einer Volksgemeinschaft, die sich in Dichtung und Literatur ihren höchsten künstlerischen Ausdruck verschafft. Aber auch in den anderen Künsten wie der Malerei und der Musik, sowie in Wissenschaft, Recht und religiösem Leben prägt sich die seelische Eigentümlichkeit eines Volkes in einer besonderen Form und eigenem Stil deutlich aus. In dem Artikel Das eigentliche Europa – Eine Besinnung in Zeiten der Entmündigung habe ich das am Beispiel von fünf europäischen Völkern etwas zu skizzieren versucht. Der Verlust auch nur eines der Kulturbeiträge eines Volkes würde einen nicht gut zu machenden Schaden für die Menschheit bedeuten. Wozu sollte es sonst die verschiedenen Völker überhaupt geben?

Um einem Missverständnis gleich vorzubeugen: Die Kultur eines Volkes ist nicht abhängig von dessen ethnischer Geschlossenheit. Die Kultur steigt nicht aus einer blutsgebundenen Veranlagung auf, sondern bildet sich unabhängig davon aus rein seelischen Kräften. In sie können also auch Menschen aus anderen Völkern hineinwachsen, was ja in der Vergangenheit auch immer wieder geschehen ist. Wenn aber das massenhafte Einströmen von Menschen völlig fremder Kulturen und einer überwiegend antichristlichen und antifreiheitlichen Religion nach Deutschland stattfindet (s. Islam), die so in die Kultur gar nicht integrierbar und zum größten Teil dazu auch nicht willig sind, verliert das einheimische Volk immer mehr eine aus der eigenen Kultur hervorgehende und sie fördernde Gestaltungsmöglichkeit der Gesellschaft.

Woher kommt es, dass die Menschen eines Volkes in einer besonderen Weise seelisch konfiguriert sind, dass wir von typisch italienisch, typisch britisch oder typisch deutsch sprechen? Dieses Besondere wird ja nicht zwischen den Menschen abgesprochen und herbeigeführt. Es gibt keine Vereinbarung, dass sich jetzt alle so verhalten wollen, weder irgendwann in der Vergangenheit noch später. Erst recht nicht entspringt die Sprache mit ihrem weisheits- und kunstvollen Aufbau irgendeiner bewussten menschlichen Konstruktion.

Der Mensch wächst unbewusst in sie hinein, bewegt sich in ihr und wird von ihr ergriffen und gebildet. Er bildet sie zwar etwas weiter, aber aus den Impulsen der seelischen Konfiguration des Volkstums, die ihm ganz unbewusst bleiben. Das lässt nur den vernünftigen Schluss zu, dass Sprache und einheitlicher Duktus einer Volkskultur auf den Einfluss von über dem Menschen stehenden Wesen zurückgehen müssen.

Wenn jemand irgendwo einen ihm unbekannten komplizierten Motor findet, wird er nicht auf die schwachsinnige Idee kommen, die verschiedenen Teile hätten sich an dieser Stelle zufällig so zusammengefügt, sondern er wird den Motor vernünftigerweise auf den gedankenvollen Bauplan eines Menschen, also eines intelligenten Wesens zurückführen, nach dem er konstruiert und in seine funktionsfähige Form gebracht worden ist. Vor dem menschlichen Organismus setzt aber bei vielen Menschen ein solch vernünftiges Denken plötzlich aus. Seine hochkomplexen Funktionsabläufe und Zusammenhänge sinnvollerweise auf einen intelligenten Bauplan zurückzuführen, scheitert am versteckten Hochmut des materialistischen Intellekts, der kein höheres intelligentes Wesen über sich anerkennen kann, und sich deshalb in den gedankenlosen neuen Aberglauben flüchtet, die Teile des Menschen hätten sich halt irgendwann durch einen wundersamen Zufall so zusammengefügt. Entsprechend hält man das Kunstwerk der Sprache und den einheitlichen Charakter der Kultur eines Volkes für zufällige Entwicklungsprodukte.

Doch bereits Johann Gottfried Herder bildete Ende des 18. Jahrhunderts den Begriff des Volksgeistes als einer übermenschlichen Wesenheit, die jedem Volk als inspirierendes Wesen zugehöre. Rudolf Steiner hat dies aus seinen geistigen Forschungen konkretisiert und dahin differenziert, dass es sich um zwei zusammenwirkende Wesen handele, einen Sprachgeist und einen Volksgeist, die in der christlichen Engelhierarchie, wie sie auf den Paulus-Schüler Dionysius Areopagita zurückgeht, jeweils dem geistigen Range der Erzengel angehörten.2 Es sind gewaltige Wesen, die mit ihrer Seele ein ganzes Volk umfassen und unterbewusst deren Seele und Lebensorganisation durchdringen und im Sinne einer bestimmten Sprache bzw. eines besonderen Volkscharakters und Volkstemperamentes inspirieren. Der Volksgeist durchdringt aber auch die Lebensvorgänge der Landschaft, in der das Volk lebt, und wirkt so prägend auch von außen. Es gehen unterschiedliche Einflüsse auf den Menschen aus, je nachdem wie die Elemente Erde, Wasser, Luft, Wärme und Licht im Gebirge, im Flachland, am Meer oder im Innern des Kontinents verteilt sind.3 Der Volksgeist ist die Quelle der Volks-Kultur.

Vom Wesen der deutschen Kultur

Eine der zentralen Eigenschaften des Deutschen ist sein Hang nach Gründlichkeit. Sie kommt nicht nur in der Qualität seiner materiellen Produkte, die aus einer vollständigen Durchdringung der naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und ihrer perfekten technischen Umsetzung hervorgehen, sondern auch in allem geistigen Streben zum Ausdruck. Es ist der generelle Drang, den Dingen auf den Grund zu gehen, nicht an der Oberfläche zu bleiben, sondern zu den letzten Ursachen zu dringen, aus denen alles hervorwächst. Goethe hat dies Streben in seinem „Faust“ personifiziert. Der Professor Faust hat viele Wissenschaften studiert, aber unbefriedigt muss er sich gestehen, dass alles Sinnes- und Verstandeswissen seine Fragen nach den Tiefen des Seins nicht beantwortet:

„Habe nun, ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. / Da steh ich nun, ich armer Tor, / Und bin so klug als wie zuvor!“

Faust empfindet: Den Sinnen zeigt sich nur die Oberfläche der Dinge und Wesen, und die auf sie gerichteten Gedanken des Verstandes können nur die äußeren Elemente der Oberfläche erfassen und kombinieren. Unter dem Schleier der Oberfläche aber muss etwas sein, das dort geistig wirkt und lebt und alles Materielle hervortreibt, wie hinter der materiellen Oberfläche des Menschen sein Geistig-Seelisches wirksam ist. Um in die Tiefen des Daseins zu dringen, kann man nicht beim Verstandesdenken stehen bleiben; man muss seine Seelenkräfte erweitern. Faust greift zu alten Methoden der Intensivierung des Willens in der Magie, die ihm den Blick auf die Offenbarung eines überwältigenden Geistes öffnet:

In Lebensfluten, im Tatensturm / Wall ich auf und ab, / Webe hin und her! / Geburt und Grab, / ein ewiges Meer, / Ein wechselnd Weben, / Ein glühend Leben: / So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit / Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.“ Aber er kann das Erlebnis noch nicht festhalten.

Doch schließlich steht er erkennend vor ihm und spricht ihm in hymnischer Weise seinen tiefen Dankfür alles aus, was er durch ihn an geistiger Welt- und Selbsterkenntnis hat erringen können:

„Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust
Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.
Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste
Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert,
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.“

Was Goethe hier wie aus eigener Erfahrung mit den Mitteln hoher Dichtkunst beschreibt, liegt als mehr oder weniger unbewusstes Sehnen in den Seelen aller, die sich als deutsch empfinden. Den Deutschen zieht es immer wieder in die Natur, insbesondere in den Wald, um den unsichtbar wirkenden Wachstums- und Bildekräften nahe zu sein. „Frische Säfte rieseln laut, / Rieseln durch die Stille. / Um mich, in mir webt und baut / Ewger Lebenswille“, dichtete Konrad Ferdinand Meyer. Ob wir die hohen Säulenhallen eines Buchenwaldes betreten, die dunklen Schatten der Nadelwälder durchstreifen oder durch lichtdurchflutete Mischwälder wandern, immer umfängt uns ein geheimnisvolles und zugleich vertrautes Dämmerlicht, das uns Geborgenheit gibt. Der lauten Welt entrückt, strömen uns in seiner Stille heilende, aufbauende Lebenskräfte zu, öffnen unsere Seele einer hier webenden höheren Welt und führen uns zugleich zu uns selbst. Doch: „Willst du im Walde weilen, / Um deine Brust zu heilen, / So muss dein Herz verstehen / Die Stimmen, die dort wehen“, mahnt Nikolaus Lenau. Wer mit verschlossenem Herzen und stumpfen Sinnen gedankenlos lärmend hindurchzieht, dem bleibt das Eigentliche der Natur des Waldes verborgen.

Die Philosophie des deutschen Idealismus

Was Goethe an Erkenntnis- und Erlebniserweiterung in eine uns umgebende geistig-schöpferische Welt mit dramatischen und poetischen Mitteln dargestellt hat, versuchten die Philosophen des deutschen Idealismus durch die Untersuchung und Vertiefung unserer höchsten Erkenntniskraft, des Denkens, zu erreichen. Wie Goethe erlebten sie in leidvoller Intensität, die den meisten Menschen heute verloren gegangen ist, dass die gewöhnlichen Begriffe des an die Wahrnehmungen der Sinne gebundenen Verstandes nur die Außenseite der Dinge, ihre physische Erscheinung, ihren irdischen Schein erfassen, nicht aber in die Tiefen der Wirkenskräfte vordringen können, aus denen alle Dinge und Wesen erst unaufhörlich hervorquellen und in die Erscheinung treten. Johann Gottlieb Fichte bezeichnete die Begriffe des Alltagsbewusstseins geradezu als Bilder eines Traumzustandes, in dem der Mensch noch nicht zur vollen Wirklichkeit erwacht sei. Er verkannte damit nicht den relativen Erkenntniswert der Verstandesbegriffe. Sie begreifen ja in gewisser Weise die Wirklichkeit der äußeren Welt, die aber eben als Außenseite nur einen geringen Teil der vollen Wirklichkeit bildet und letztlich auch erst von dieser aus voll verstanden werden kann.

Unser waches Bewusstsein wird durch das Denken gebildet. Nur in den klaren Begriffen und Ideen des Denkens sind wir hellwach. Alles andere bleibt außerhalb des Denkens dunkel und unbekannt und wird erst von ihm beleuchtet und in das Licht des Bewusstseins gehoben. Soll sich also das Bewusstsein auf dasjenige erstrecken, was unter der materiellen Oberfläche geistig wirkt und webt, muss das Denken erweitert und vertieft werden. Das geschieht nicht von alleine. In der Entwicklungsphase der Freiheit hängt es vom Menschen selbst ab, ob der Leidensdruck, davon ausgeschlossen zu sein, groß genug ist, dass er das will. Es ist eine Willensfrage.

So sagte sich Fichte: Mein Wille muss gleicher Natur sein mit dem Lebenswillen, der schöpferisch bildend die Natur durchzieht und der auch mich in die Natur hereingestellt hat. Indem ich mich in meinen in mir waltenden Willen versenke, ihn in mir lebendig mache, erlebe ich den Weltenwillen in ihn einströmen, der das innerste Wesen der Welt lebendig durchpulst. In meiner Seele leben Kräfte auf, die eins sind mit den schöpferischen Kräften des ganzen Daseins. Sie lassen in meinem reinen Denken Begriffe und Ideen erstehen, die nicht nur flaches, lebloses Bild sind wie die des Verstandes, sondern plastisch lebendig die Realität des geistigen Seins in sich tragen. Bewusstsein ist dann nicht mehr nur in sich abgeschlossenes bloßes Bewusst-sein, das auf ein irgendwo befindliches Sein hindeutet, sondern bewusstes – Sein; es ist mit der Realität des Seins erfüllt. (Die Bestimmung des Menschen)

Mit dieser Verlebendigung und Erkraftung der eigenen Willenstätigkeit ist für Fichte verbunden, dass auch in das Ich, das gewöhnlich nur eine gedankliche Vorstellung ist, die Realität des eigenen Seins einzieht. Das Ich ergreift sich selbst, hebt sich durch seine eigene Willenstätigkeit real ins Bewusstsein und erlebt sich als ein in sich selbst gegründetes geistiges Wesen in einer geistig-göttlichen Welt, die allem Physischen zugrunde liegt. Dies ist für Fichte zugleich Ausübung der Religion.

„Darin besteht die Religion, dass man in seiner eigenen Person, und nicht in einer fremden, mit seinem eigenen geistigen Auge, und nicht durch ein fremdes, Gott unmittelbar anschaue, habe und besitze. Dies aber ist nur durch das reine und selbständige Denken möglich; denn nur durch dieses wird man eine eigene Person, und dieses allein ist das Auge, dem Gott sichtbar werden kann. Das reine Denken ist selbst das göttliche Dasein, und umgekehrt: das göttliche Dasein in seiner Unmittelbarkeit ist nichts anderes, denn als das reine Denken.“ (Die Anweisung zum seligen Leben, 2. Vorlesung)

Friedrich Wilhelm Schelling, der die Philosophie Fichtes fortsetzte und über sie hinausging, sah in diesem klaren Hineinführen des Denkens in die uns umgebende geistig-göttliche Welt die notwendige Vereinigung von Wissenschaft und Religion, zu der er die Deutschen veranlagt sah:

Die deutsche Nation strebt mit ihrem ganzen Wesen nach Religion, die mit Erkenntnis verbunden und auf Wissenschaft begründet ist. … Wiedergeburt der Religion durch die höchste Wissenschaft, dieses ist eigentlich die Aufgabe des deutschen Geistes, das be­stimmte Ziel aller seiner Bemühungen.“ (Siehe auch: Die Aufgabe Europas)

In Schelling lebte der faustische Drang nach dem Inneren der Natur so, dass er mehr mit dem Gefühl, dem Gemüt in die wirkenden Kräfte einzutauchen strebte, um sie in der eigenen Seele in innerer Anschauung als lebendige, geisterfüllte Gedanken aufsteigen zu lassen. Darin sah er neben dem Willensweg Fichtes eine weitere Möglichkeit, die Oberfläche der Sinneswahrnehmung und der flachen Verstandesbegriffe zu durchdringen. Für ihn besteht eine Verwandtschaft zwischen dem Geist in der eigenen Seele und dem in der Natur wirkenden Geist. Dieser ist hinter einem äußeren Schleier verborgen, gleichsam in den physischen Erscheinungen verzaubert, die ihn aber wie eine Physiognomie zum Ausdruck bringen. Und wie man bei den Gesichtszügen des Menschen nicht die Bewegungen der Muskulatur beschreibt, sondern durch sie hindurch die Seelenregungen des menschlichen Geistes erlebt, so muss man das vielfältige Antlitz der Natur so lesen lernen, dass man sich in das einlebt, was seelenhaft und geistig in ihm webt und wirkt.

Hegel sah zunächst von aller Natur ab und konzentrierte sich unmittelbar ganz auf die Begriffe und Ideen in ihrer reinen, kristallklaren Durchsichtigkeit. Er überließ sich der in ihnen wirkenden inneren Gesetzmäßigkeit, verfolgte, wie ein Begriff logisch aus dem anderen hervorwächst, den nächsten aus sich heraustreibt und wieder zu einem anderen hinstrebt, mit dem er innerlich zusammenhängt. Und er erkannte, sie haben ein unabhängig vom Menschen bestehendes Eigenleben. Der Mensch gibt ihnen in seinem Denken nur die Möglichkeit, in aller Reinheit zu erscheinen. Hegel erlebte in diesem Hineinfließen der Begriffe eine Vereinigung seines Geistes mit dem alles Dasein durchwaltenden Weltengeist, der sich in Begriffen und Ideen im Menschen auslebt. Draußen lässt er aus der Verdichtung dieser göttlichen Gedanken die äußere Welt hervorgehen, verzaubert die Ideen in die physischen Erscheinungen hinein, und der Mensch kann sie in seinem Denken wieder erwecken und in ursprünglicher Reinheit anschauen und erkennen. Das bedeutet zugleich, dass der Weltengeist sich im Geiste des Menschen gleichsam selber anschaut, erkennend zu sich selbst kommt.

Gegenwärtige Situation

Von der spirituellen Höhe dieser Zeit hat es, insgesamt gesehen, im Grunde nur einen kontinuierlichen Abstieg der deutschen Kultur gegeben. Spätestens von der Mitte des 19. Jahrhunderts an begann der aus dem westlichen einseitigen Empirismus hervorgehende Materialismus den zentralen spirituellen Ansatz Mitteleuropas zu überwältigen und nicht nur die Natur-, sondern auch die Geisteswissenschaften in Mitteleuropa zu beherrschen. Lediglich Rudolf Steiner griff Anfang des 20 Jahrhunderts mit der Anthroposophie in umfassender Weise die Ansätze Goethes, Schillers und der Philosophen des deutschen Idealismus auf und zeigte Wege, das reine lebendige Denken in ein schauendes Bewusstsein hineinzuführen, das „in der Lage ist, die geistige Welt erlebend zu erkennen.“4 Die Anthroposophie ist aber bis heute eine verkannte Randerscheinung des allgemeinen Kulturlebens geblieben.

Der absolute Tiefpunkt des kulturellen Niedergangs wurde im Nationalsozialismus erreicht, der geradezu als der Gegenpol, die fürchterlichste Verzerrung und Perversion deutscher Kultur zu bezeichnen ist. Danach hat nur wenig grundsätzliche Selbstbesinnung stattgefunden. Nicht nur Deutschland, ganz Europa ist heute vom materialistischen Firnis westlicher Zivilisation, vom „american way of live“ überzogen, der die originären Kulturen der Völker vollends zu ersticken droht.

Es scheint lebensentscheidend für die Zukunft Europas zu sein, dass insbesondere die Deutschen in der Mitte Europas die Sackgasse des Materialismus in ihrer zerstörerischen Sinnleere erkennen und sich wieder ihren eigenen kulturellen Anlagen zuwenden, mit denen sie mit den Kulturen der anderen europäischen Völker in einem organischen Zusammenhang stehen (s. Das eigentliche Europa). Die Quelle der deutschen Kultur ist verstopft. Sie muss wieder geöffnet werden. Aber es werden offensichtlich alle Anstrengungen unternommen, dies unmöglich zu machen.

(Die Thematik wird fortgesetzt)
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1   http://www.afaction.info/meiningen-2012/aufruf.html
2   Rudolf Steiner: Die Mission einzelner Volksseelen, Gesamtausgabe Bd. 121
3   Vgl. Hans Erhard Lauer: Die Volksseelen Europas, Stuttgart 1965, S. 40 f.
4   Rudolf Steiner: Vom Menschenrätsel, Dornach 1957, S. 164


Quelle und Kommentare hier:
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2015/10/07/volk-oder-bevoelkerung-von-den-quellen-der-deutschen-kultur/