von Thomas Schwarz
Zurückkehrende IS-Terroristen, die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die Nation und der Missbrauch von Lügde: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für eine verzerrende Berichterstattung.
Die gescheiterte westliche „Revolution“ in Syrien frisst nicht ihre Kinder – sie schickt ihre Kinder: So könnte man den Vorgang um die Rückkehr deutscher IS-Kämpfer aus Syrien betiteln. Denn zum einen wäre der IS ohne die illegalen Interventionen des Westens im Irak und in Syrien gar nicht entstanden. Zum anderen drängte sich nach der Etablierung des IS-Terror-„Staates“ der Eindruck auf, dass die westlichen Armeen diese Islamisten jahrelang gar nicht, oder nur halbherzig bekämpft haben. Denn der IS war eine mutmaßlich willkommene, zusätzliche Front gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.
Nun, da das militärische und propagandistische Kartenhaus des westlichen Angriffs gegen Syrien kollabiert, geht es für die medialen und politischen Verantwortlichen dieses Feldzugs um Schadensbegrenzung: Über die genaue Entstehung des Krieges und des IS sowie die Unterstützung dieser Vorgänge durch deutsche Medien und Politik wird ein Mantel des Schweigens ausgebreitet – von zahlreichen Redakteuren und Politikern wird nun so getan, als hätten sie mit der Zerrüttung Syriens und der Motivation auch der deutschen Islamisten nie etwas zu tun gehabt. Die Syrien-Erzählungen des Mainstreams setzen meist erst mit „russischen Bombardements auf die Zivilbevölkerung“ ein. Und kaum ein Medium zweifelt diese Verkürzungen und Verzerrungen an.
Der IS: Ein unberechenbares „Naturereignis“
Es soll dadurch der Eindruck entstehen, syrische Terror-Banden wie der IS hätten sich wie ein Naturereignis und ohne westliches Zutun einfach so „gebildet“ und sie seien darum autonom und unberechenbar. Um diesen Eindruck aufrechtzuerhalten, wird auf jede noch so vorhersehbare Entwicklung zum IS reagiert, wie auf einen Wolkenbruch aus heiterem Himmel: mit gespielter Überraschung.
Diesen Aspekt greift die Rheinische Post auf, und schreibt:
„Dass Hunderte von Deutschen – darunter rund 40 gefangen gehaltene IS-Kämpfer – schon bald die deutschen Grenzen in umgekehrter Richtung passieren würden, wenn der IS geschlagen ist, war seit Jahren abzusehen. Lag denn wirklich kein Plan in der Schublade, wie IS-Kämpfer vor ihrer Überführung in die Hände der deutschen Justiz an Ort und Stelle identifiziert werden können?“
Der Terror trifft die „normalen“ Bürger – In Syrien und in Deutschland
Überraschend offen spricht im Gegensatz zu fast allen großen Medien das Straubinger Tagblatt die deutsche Mitverantwortung für die syrische Eskalation an:
„Man kann es drehen und wenden, wie man will: Politisch bleiben Deutschland und andere Herkunftsländer in jedem Fall verantwortlich. Sie haben nicht verhindert, dass sich ihre Staatsbürger radikalisieren und ins Kampfgebiet absetzen. Nun können sie andere nicht mit den Folgen ihres Versagens allein lassen.“
Das ist einerseits zutreffend – und man kann durchaus die Position vertreten, dass die westlichen Verursacher des Syrien-Kriegs sich nun auch bitteschön mit den terroristischen Überresten befassen müssen.
Das Problem: Jene westlichen Verursacher in Medien und Politik werden (einmal mehr) nicht die Leidtragenden eines eventuell von den IS-Rückkehrern entfalteten Terrors sein – von diesem Terror würden (wie in Syrien) jene „normalen“ Bürger getroffen, die den Syrien-Krieg schon immer abgelehnt haben.
Dass US-Präsident Donald Trump sich vor Freude auf die Schenkel klopfen würde darüber,
„wie leicht er die europäische Politik in einen aufgescheuchten Hühnerhaufen verwandeln kann‘, mutmaßt der Donaukurier:
‚Es reicht, mal eben per Twitter mit der Freilassung von IS-Kämpfern zu drohen. Von IS-Kämpfern wohlgemerkt, die gar nicht im Gewahrsam der USA sind. Gleichzeitig mahnt er bei den Verbündeten rechtsstaatliche Verantwortung an – als Präsident eines Landes, das sich seit Jahren den juristischen wie menschenrechtlichen Sündenfall Guantanamo leistet.“
Die Völkerrechtsbrecher pochen auf den „Rechtsstaat“
Auf diese Heuchelei geht (in umgekehrter Zielrichtung) auch die Badische Zeitung ein: „Wer jetzt etwa darauf hofft, dass US-Präsident Trump eine Reihe von Kämpfern, denen man angesichts schwieriger Beweislage vor westlichen Gerichten nur schwer beikommen könnte, nach Guantánamo verfrachtet, macht sich doppelt unglaubwürdig.
Hat man nicht jahrelang die USA für genau diese rechtsstaatlich so schwer tragbare Praxis gescholten?“ Die Zeitung ordnet auch die Zukunft eines internationalen Gremiums realistisch ein:
„Klar ist, dass die kurdische Idee eines internationalen Gerichtshofes auf syrischem Territorium zur Aburteilung der Kämpfer, Stand heute, illusorisch ist. Dies würde bedeuten, dass die faktischen Sieger in Syrien, das Assad-Regime, der Iran und Russland, auf Souveränität verzichten würden.“
Die Süddeutsche Zeitung plädiert für eine Aufnahme der mutmaßlichen Terroristen:
„Deutsche, die für den Islamischen Staat in Syrien gekämpft haben, sind in Deutschland vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen. Ist ihnen keine Tat nachzuweisen, gelten sie aber als gefährlich, müssen sie überwacht werden.“
Dann offenbart das Medium seine Doppelzüngigkeit:
„Das alles ist anstrengend, teuer und wenig populär. Aber in einem Rechtsstaat gibt es dazu keine Alternative.“
Man hätte sich von der Süddeutschen Zeitung gewünscht, dass sie in Bezug auf Syrien schon früher auf rechtsstaatliche Prinzipien gepocht hätte – und nicht erst, wenn sich die Folgen der eigenen Kriegstrommelei gegen das „Assad-Regime“ abzeichnen.
Die Manipulatoren und die Putin-Rede
Die Reden des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die Nation sind stets ein gefundenes Fressen für Manipulatoren westlicher Medien. Zum einen können die großen Medien leider noch immer darauf vertrauen, dass die meisten Konsumenten Original-Quellen nicht selber studieren – und sich dadurch zum Spielball der westliche-medialen Interpretationen machen.
Zu anderen wird die Putin-Rede nicht behandelt wie vergleichbare Reden westlicher Politiker: Politisches Lokalkolorit und die allen Politiker-Reden anhaftende Phrasenhaftigkeit werden bei Putin – so wie auch etwa bei Maduro oder Erdogan – nicht entlastend in die Berichterstattung „eingepreist“: Jedes Wort wird „wörtlich“ auf die Goldwaage gelegt.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht dementsprechend in der Rede
„eine Aneinanderreihung leerer Versprechen und eine Demonstration der Schwäche. Nicht ein einziges der realen sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die Putin in seiner Rede angesprochen hat, ist neu. Und auch die Ankündigung, sie in naher Zukunft zu beseitigen, hat man von ihm schon vor Jahren gehört.
Es wird kommen wie immer: Nichts wird sich ändern“,
das weiß die FAZ genau.
Der Tagesspiegel verkündet unterdessen, dass „nur noch“ 56 Prozent Putin wählen wollten und hält den Mythos vom „breiten Protest“ aufrecht:
„Zum ersten Mal seit langer Zeit gingen im vergangenen Jahr wieder Tausende auf die Straße: Sie protestierten gegen den Beschluss der Regierung, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Doch ob Putins Strategie, die Kritik von sich fernzuhalten, weiterhin aufgeht, ist keineswegs sicher.“
Die alte Leier: „Krim-Annexion“, „Giftanschläge“, „MH-17-Abschuss“
Der Deutschlandfunk packt seine Diffamierungen gleich in die Überschrift: „Hochmut, Arroganz und Aggressivität“ sind die Vokabeln, die dem Sender zur Putin-Rede in den Sinn kommen. Und die Augsburger Allgemeine fällt zurück in eine eigentlich bereits überstanden geglaubte mediale Taktik: Die Zeitung stapelt antirussische Vorwürfe auf Vorwürfe, in der Hoffnung, dass allein diese schiere Quantität den Leser überrumpelt und er die einzelnen (unbelegten) Angriffe nicht mehr prüft:
„Die Annektierung der Krim, Giftanschläge, abgeschossene Passagiermaschinen, die Komplizenschaft mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad, Menschenrechtsverletzungen und die Ausbremsung des demokratischen Wandels – tief bestürzt starren Deutschland und Europa auf Präsident Putin, der die Eskalationsspirale immer schneller drehen lässt. Doch Entspannungspolitik setzt Vertrauen voraus. Und dass Wladimir Putin nicht gewillt ist, dieses zurückzugewinnen, macht er mit jeder seiner Aussagen deutlich.“
Was hat Putin eigentlich gesagt?
Positiv hebt sich von solch altmodischer Propaganda etwa die Junge Welt ab, die den russischen Präsidenten auch mal selber zu Wort kommen lässt:
„Man kann die Menschen nicht betrügen. Sie haben ein feines Gefühl für Heuchelei und Herablassung ihnen gegenüber, für jede Ungerechtigkeit. Bürokratische Trägheit und Papierkrieg interessieren sie nicht. Für die Menschen ist wichtig, was real getan wird, um ihr Leben und das ihrer Familien zu verbessern. Und zwar nicht irgendwann, sondern sofort.“
Die Zeitung geht auch als eine der wenigen Stimmen konkret auf das von vielen Medien als „Wahlgeschenk“ abgetane Sozialprogramm ein:
„Diese taktischen Hintergründe eingerechnet, enthält Putins Sozialprogramm für eine Zeit, in der nach außen die Kanonen gezählt werden, tatsächlich bemerkenswert viel Butter. So soll das Kindergeld nicht nur erhöht, sondern insbesondere der Kreis derer, die es beziehen können, stark ausgeweitet werden: auf alle Familien, die pro Kopf weniger als das Doppelte des offiziellen Existenzminimums verdienen. Für die statistische Zwei-Kinder-Familie wären das künftig gut 80.000 Rubel (1.100 Euro) monatlich, in Moskau um etwa die Hälfte mehr. Das schließt den Facharbeiter ebenso ein wie die sprichwörtliche Krankenschwester oder die Lehrerin.“
Die – gesellschaftlichen und behördlichen – Abgründe von Lügde
Die erschütternden Missbrauchsfälle von Lügde und die folgende Vertuschung sind weniger ein Medienskandal als einer der Polizei und der Jugendämter. Vielen Medien muss man zugute halten, dass sie bei diesem Thema teils treffend kommentieren. So fragt die Neue Osnabrücker Zeitung:
„Was ist nur los im Staat? Es gibt nichts zu beschönigen: Im Fall des tausendfachen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz offenbart sich ein Behördenversagen, das erschüttert. Beschlagnahmte Beweismittel verschwinden auf einer Polizeiwache. Akten in einem Jugendamt werden offenbar frisiert, um Fehler zu vertuschen. Hinweise auf Kindesmissbrauch werden nicht ausreichend verfolgt. Stattdessen vertraut das Amt dem Hauptverdächtigen ein Pflegekind an, an dem er sich ebenfalls vergangen haben soll. Ein Skandal, der schonungslos aufgeklärt werden muss. Dabei muss auch die Frage beantwortet werden, ob individuelle Fehler oder strukturelle Defizite das Desaster auf Behördenseite mit verschuldet haben.“
Der Kölner Stadtanzeiger kann das nur unterstreichen:
„Schlamperei und Chaos oder kriminelle Energie – beides erschüttert das Vertrauen in die Polizei und damit in den Rechtsstaat. Das macht den Vorgang – über das konkrete Geschehen hinaus – so brisant. Die Serie von Unterlassungen und Falscheinschätzungen verstärkt aber auch die bittere Erkenntnis, dass es gegen eines der schlimmsten Vergehen überhaupt – den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen – immer noch kein Alarm- und Frühwarnsystem gibt, das in jedem Kopf anspringt.“
In Lügde und im Vatikan: Täter und Vertuscher
Die Vorgänge von Lügde werfen auch ein Licht auf einen noch weitaus größeren – um nicht zu sagen: monumentalen – Missbrauchsskandal: jenen in der katholischen Kirche, der aktuell in einer Konferenz „aufgeklärt“ werden soll. Wie in Lügde gibt es auch im Vatikan zwei schuldige Parteien: Die Täter und die Vertuscher.
Der Spiegel bringt die aktuellen „Bemühungen“ der Kirchenfürsten um Transparenz in einer Schlagzeile auf den Punkt: „Posterboys der Untätigkeit“.