von PPQ
Er ist einer von sieben Männern, die die ganze Wahrheit kennen. Und wie die anderen sechs hat er geschwiegen – 20 Jahre lang geschwiegen aus Selbstschutz, aber auch, um das Land und die Menschen zu schützen.
Jetzt aber kann Werner Hasters nicht mehr anders.
„Ich muss reden, ich muss alles öffentlich machen“,
sagt der 53-jährige Ex-Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, der nach dem Zusammenbruch des Arbeiter- und Bauernstaates das Glück hatte, als Archivmitarbeiter in der Stasi-Unterlagenbehörde weiterarbeiten zu dürfen. Bis jetzt.
Nie habe es Klagen gegeben, nie habe er gegen die Interessen der neuen Heimat gehandelt, versichert Hasters. „Ich war in der DDR Archivmitarbeiter, ich bin es heute“, sagt er. Dennoch wolle man ihn und seine Kollegen nun „abschießen“ und auf einen Posten in der Provinz verbannen.
„Das ist ein Umgang mit einem loyalen Beamten, den ich nicht akzeptieren kann.“
Hasters hat also gehandelt. In langen Überstunden hat er die geheimen Protokolle von jenem 27. September 1991 gescannt, kopiert und unter Lebensgefahr nach und nach aus den streng abgeschirmten Räumen der Unterlagenbehörde in Dresden geschmuggelt, wo sie völlig vergessen seit zwei Jahrzehnten lagen.
Zupaß kam ihm dabei, „dass außer mir ja niemand vom Vorhandensein der Papiere wusste.“ Schließlich sei der gesamte Vorgang „Euro-Falle“ angefertigt worden, als die Staatssicherheit bereits offiziell aufgelöst war. Einige Einheiten aber, so Hasters, hätten trotzdem weitergearbeitet.
„Man glaubte, Gorbatschow werde noch einmal eine Wende einleiten.“
Aus diesem Grund sei auch der Kanzlerbungalow in Bonn in jenem September 1991 noch „raumüberwacht“ worden, wie Hasters erklärt. Acht Monate nach der Wiederwahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler schnitten die staunenden Stasi-Männer dann ein Gespräch zwischen dem Kanzler der Einheit, seinem Finanzminister Theo Waigel, dessen späteren Nachfolger Wolfgang Schäuble, dem Kohl-Vertrauten Rudolf Seiters, Bundeskanzleramtschef Friedrich Bohl und dem „the brain“ genannten Staatsrechtler und Finanzstaatssekretär Joachim Grünewald mit, in dem die sechs Männer einen Plan berieten, der Deutschland Stellung in der Welt über das kommenden Vierteljahrhundert hin grundsätzlich verändern sollte.
Das in der Beratung von Bohl einmal eher scherzhaft „Euro-Falle“ genannte Vorhaben ist sowohl in seinem raffinierten Spiel mit verschiedenen Ebenen als auch in seiner langfristigen Ausrichtung weltweit einzigartig.
„Hades-Plan“
nannten die Väter der Euro-Falle selbst ihr hochgeheimes Unternehmen – ein Beispiel für deutsche Machtpolitik durch die Hintertür, die zuerst zum Vertrag von Maastricht führte, dann zur Einführung des Euro, schließlich zur großen Schuldenkrise, letztlich aber ans Ziel: Der Eroberung Europas durch Deutschland.
Das Protokoll der Sitzung vom 27. September 1991 setzt wegen eines technischen Übertragungsfehlers (eine Orwo-Kassette hatte sich im Tonkopf des „Sonett“-Kassettenrekorders verklemmt) verspätet ein, an Deutlichkeit aber lässt das siebenseitige „Hades“-Papier nichts zu wünschen übrig.
Die Geschichte des Euro muss völlig neu geschrieben werden, es ist Zeit, auch die Rolle der Männer aus der Sechsergruppe neu zu bewerten, deren Ziele ganz andere waren, als es über Jahre den Anschein hatte. Die Wiedergabe der Stasi-Aufzeichnung, die Werner Hasters uns aus Seelenpein zur Verfügung gestellt hat, erfolgt ungekürzt und unredigiert:
Kohl: …und was haben wir davon?
Bohl: Sie als Kanzler, Herr Bundeskanzler, werden natürlich als Vater der europäischen Einigung..
Kohl: Bohl, das interessiert mich nicht. Ich frage für das deutsche Volk.
Waigel: Nun, ich glaube, es ist eine Chance, Deutschland nach vorn…
Kohl: Ja, Theo, habe ich verstanden. Aber die Risiken sind, ich weiß nicht.
Grünewald: Wenn ich das sagen darf, nach unseren Berechnungen sind die Risiken, nun ja, überschaubar.
Seiters: Vorausgesetzt, alles klappt so, wie sie das hier (klopft auf einen Tisch) in diesem Papier vorausplanen.
Grünewald: Das sollte klappen. Ich habe keinen Zweifel. Die Hochrechnungen sind da eindeutig.
Kohl: Danach brauchen wir eine gemeinsame Währung mit den Franzosen, den Österreichern, Italienern und Griechen, um deren Wirtschaft zu stärken?
Grünewald: Das wird der Eindruck sein, ja, den werden alle gewinnen.
Seiters: Aber die Fakten werden andere sein.
Waigel: Wenn ich das richtig verstanden habe…
Kohl: Theo, lass den Mann sprechen. Mir ist noch nicht klar, worauf das hinausläuft.
Grünewald: Wir haben es hier mit einem so genannten Honigtopf zu tun. Mit der Gemeinschaftswährung simulieren wir wirtschaftliche Konvergenz, das heißt wir eröffnen den schwachen Randgebieten die Möglichkeit, sich zu niedrigeren Kosten zu verschulden. Die Marktteilnehmer werden, das ist ganz klar, von Anfang an davon ausgehen, dass die Gemeinschaft der Länder, wir nennen sie „Euro-Länder“, letztlich für die Schulden aller Währungsländer bürgen, sie werden also Kredite an die Peripheriestaaten billiger vergeben.
Schäuble: Und unsere Freunde in Portugal, Spanien, Italien und Griechenland werden zugreifen, jede Wette.
Waigel: Eine Falle. Geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul. Und ich wette auch, die europäischen Partner hauen jeden einzelnen Pfennig auf den Kopf.
Schäuble: Euro, wir werden das Euro nennen.
Kohl: Bohl, schenken Sie doch noch mal nach.
Bohl: Gern, Herr Bundeskanzler. Grünewald, wenn ich das richtig verstehe ist es nicht unsere Absicht, die Partner vom Schuldenmachen abzuhalten. Aber wir müssen so tun, als würden wir es tun. Freigetränke für alle, wir trinken mit, behalten aber klaren Kopf. Eine Euro-Falle? Richtig, Grünewald?
Grünewald: Richtig. Es geht uns darum, die schwachen und schwächeren Teilnehmer hineinzulocken, wenn ich das mal so sagen… Denken Sie an eine Party, alle trinken, aber zum Schluss liegen die einen unter dem Tisch, die anderen…
Kohl: …feiern weiter?
Schäuble: (lacht) Jetzt geht die Party richtig los. Geld ist Waffe, Schulden sind Waffe. Kredit schafft Knechtschaft.
Grünewald: So ist das gedacht.
Kohl: Wir fordern also bestimmte „Konvergenzkriterien“, die Staaten erfüllen mussten, um den Euro als Währung einzuführen, schauen dann aber nicht so genau hin?
Bohl: So habe ich das verstanden. Freie Getränke für alle. Stabilität der öffentlichen Haushalte, des Preisniveaus, der Wechselkurse zu den übrigen EU-Länder und des langfristigen Nominalzinssatzes als Forderungen, aber wir leben vor, dass es nicht darauf ankommt. Ich denke gerade an ein Animiermädchen.
Waigel: Guter Vergleich. Wir fordern einen Stabilitäts- und Wachstumspakt mit einer jährlichen Neuverschuldung von maximal drei Prozent und einen Gesamtschuldenstand von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das setze ich durch. Und handeln dann nicht danach. Das wird die Kleinen ermuntern, in die Vollen zu gehen… (Mehrere Personen lachen).
Kohl: Aber das zerreisst uns alles, irgendwann. Dann liegt das Ganze flach, schneller als wir es aufgebaut haben.
Grünewald: Wir rechnen mit etwa zehn Jahren von den Einführung bis zur Agonie.
Bohl: Dann verstehe ich es doch nicht, tut mir leid.
Grünewald: Deutschland hat es zweimal mit Krieg versucht, meine Herren, zweimal. Das Ergebnis kennen wir, glaube ich, alle. So geht es doch nicht.
Bohl: Aber wie denn dann? Wenn ihr „Hades-Plan“ dazu führt, dass ganz Europa am Ende im Koma steckt… ist mir ein Rätsel. Warum denn Hades? Mir klingt das, ehrlich gesagt, zu negativ.
Kohl: Bohl, lassen Sie das. Der Name ist doch nebensächlich. Über Umwege zum Ziel! Deutschland wird seine Überschuldung tragen können, andere aber nicht. Dann stehen wir als Retter bereit.
Seiters: Ich glaube, ich habe es jetzt verstanden. Wer rettet, bestimmt die Bedingungen.
Grünewald: Sie haben es.
Kohl: Und was kostet uns das? Was sagen ihre Zahlen?
Grünewald: Wir rechnen mit 400 bis 600 Milliarden Mark bis zum finalen Szenario, also bis zu dem Punkt, an dem Deutschland nicht nur die Musik bezahlt, sondern auch sagt, welches Lied gespielt wird.
Kohl: 600 Milliarden? Das ist nicht ihr Ernst…
Seiters: Ich möchte an Ludwig Erhardt erinnern, der den Russen 100 Milliarden für die DDR geboten hat. 17 Millionen Konsumenten, Steuerzahler. Eine Immobilie von 450 mal 250 Kilometer, 108.333 Quadratkilometer, kaum Rohstoffe, kaum moderne Industrie. Und damals war die Mark noch…
Grünewald: Das ist ein wichtiger Punkt, der das Verhältnis geraderückt. Für eine Summe, die nicht einmal dem Sechsfachen entspricht, bekommen wir 400 Millionen Steuerzahler und fast vier Millionen Quadratkilometer.
Waigel: Lassen Sie mich raten: Die die Rechnung für ihre Rettung durch uns dann auch noch selbst zahlen.
Grünewald: Sie haben es.
Kohl: Hades-Plan. Grünewald, ich muss sagen, Sie imponieren mir.
Grünewald: Danke, Herr Bundeskanzler.
Schäuble: Das klappt nicht. Das wittern die Franzosen.
Seiters: Dann aber.
Kohl: Das muss unter uns bleiben, hier im Raum. Die Dinge müssen ihren Lauf nehmen, da muss die SPD ran. (lacht)
Grünewald: Man wird die Abläufe nicht so genau, ich meine, eine exakte Planung ist nicht möglich, glauben wir. Der Ablauf muss stehen, aber die Dinge müssen dynamisch zum Ziel kommen dürfen. Wenn wir Freigetränke hinstellen, ich meine, diese Gelegenheit bieten, dass jeder ohne Angst vor der Rechnung vom Büfett nehmen kann… ich glaube schon, dass das reicht. Die Prognosen sind da eigentlich eindeutig.
Bohl: Und wir ständen dann, was sagten Sie, zehn Jahre nach Einführung dieses…
Schäuble: Euro.
Bohl: Dieses Euro, also zehn Jahre danach kollektiv vor der Pleite.
Grünewald: So wird es sein. Ja.
Kohl: Und die deutsche Regierung dann, der wir wohl alle nicht mehr angehören werden wollen und können, die kommt dann als Retter hereingeritten.
Schäuble: Auf dem weißen Pferd. (mehrere Stimmen lachen)
Kohl: Und wir machen klar, dass wir nur gegen Gehorsam retten.
Seiters: Deutschland wird einen Rettungsschirm spannen, unter den nur schlüpfen darf, wer deutschen Vorgaben Genüge tut.
Kohl: Grünewald, Ihr Hades-Plan gefällt mir immer besser.
Waigel: Imponiert mir.
Bohl: Ein deutsches Europa.
Grünewald: Das wäre das Ziel. Ein erreichbares Ziel, wenn ich das so sagen darf.
Schäuble: Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, vielleicht Irland, die Inseln, Frankreich, Österreich. Ohne einen Schuss. Die einfachsten Pläne sind die besten.
Waigel: Dann sollten wir nicht zögern.
Grünewald: (unverständlich) Weichen stellen. Wie gesagt, das Risiko ist beherrschbar, wenn wir Geduld haben.
Seiters: (flüstert) Historisch.
Schäuble: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Kohl: Meine Herren, ich bin derselben Meinung. Als gute Deutsche sollten wir gute Europäer sein und den Europäern die Chance geben, gute Deutsche zu werden. Grünewald, überarbeiten Sie diesen Fahrplan, dieses Hades-Papier. Und dann machen wir das so.
(Gläser klirren, Gelächter)