Durch ein deutsches Journalistengehirn gequetscht zu werden ist das Schrecklichste, was einer Wirklichkeit passieren kann

von Michael Klonovsky

Ein braver Mann namens Ingo Stützle, bei Spiegel online vorgestellt als „Marx-Experte“ – sein aktuelles Buch erscheint im Dietz-Verlag, was bei einem in der DDR Asozialisierten wie mir einen unüberwindlichen Degout hervorruft –, behauptet via Twitter, Alexander Gauland habe in seiner Wahlkampfrede zu Frankfurt/Main vergangene Woche ein Zitat aus Theodor Fritschs „Handbuch der Judenfrage“ verwendet, ohne es kenntlich zu machen. Es handele sich um Gaulands Worte:

„Wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben.“

Das vermeintliche Original sei Fritschs Satz:

„Was nicht ‚Mensch‘ werden, sondern Deutscher bleiben wollte, verfolgte Marx mit ingrimmigem Hass.“

Ein Spiegel online-Kolumnist verbreitete diese Unterstellung so ungeprüft wie denunziationsbeflissen, was man ihm nachsehen muss, denn wo sieben, acht, neun Kolumnisten Woche für Woche den immergleichen Kommentar schreiben, fällst du ohne forcierten Denunziationseifer eines Tages einfach nicht mehr auf und evtl. sogar durchs Raster.

Als „Marx-Experte“ hat Herr Stützle es mit einem Idol zu tun, das es mit den Quellen („Hegel bemerkt irgendwo…“) bisweilen auch nicht so genau nahm, und so etwas färbt oft auf den Messdiener ab. Seine Quelle für das Gauland-Zitat ist nicht der Originaltext der Rede, sondern, wiederum dem Spiegel zufolge, nur das, was anwesende Journalisten mitgeschrieben und später kolportiert haben. Freilich – um Oberon Reger aus dem Roman „Land der Wunder“ textgetreu zu zitieren –:

„Durch ein deutsches Journalistengehirn gequetscht zu werden ist das Schrecklichste, was einer Wirklichkeit passieren kann.“

Und nicht nur einer Wirklichkeit, auch einem Satz kann auf diesem Golgathaweg einiges zustoßen. Da Stützles Behauptung nicht nur routiniert ehrabschneidend ist, sondern vor allem falsch, helfe ich gern nach. Der bekakelte Satz steht in einem Sinnzusammenhang, der hier in der Hoffnung, dass Zusammenhänge noch irgendeine Rolle spielen könnten, vorangestellt ist.

Dem tweet-gewohnten Verbraucher wird die Passage eventuell zu umfänglich sein, aber ein Marx-Experte sollte sie mühelos meistern.

Gauland erklärte in seiner Rede wörtlich (den ominösen Satz habe ich hervorgehoben): „Der große Philosoph Baruch Spinoza hat gesagt, sich selbst im Sein zu erhalten sei das erste und einzige Prinzip der Individuation. Das gilt für Personen wie für Völker. Das elementare Bedürfnis eines Volkes besteht darin, sich im Dasein zu erhalten. Das ist im Grunde unser Parteiprogramm in einem Satz. Nachdem es durch die Aussagen des deutschstämmigen Harvard-Politikwissenschaftlers Yascha Mounk in den ‚Tagesthemen’ sozusagen staatsfunkoffiziell geworden ist, dass das deutsche Volk ungefragt und gegen seinen Willen durch eine multiethnische Gesellschaft ersetzt werden soll, bedarf dieses Minimalprogramm keiner weiteren Erklärung. Wir stellen uns gegen diese kalte Entsorgung des Grundgesetzes. Wir wollen nicht ersetzt werden!

Liebe Freunde, wir befinden uns in einem Überlebenskampf gegen Kräfte, die ihr globalistisches Programm der Nationenauflösung, der ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung und der Traditionsvernichtung als die Menschlichkeit und Güte selbst verkaufen. Wir sollen uns im Dienste des Menschheitsfortschritts verdrängen lassen. Wir sollen als Volk und als Nation allmählich absterben und uns in einem höheren Großenganzen auflösen. ‚Wer Menschheit sagt, will betrügen’, erklärte der französische Ökonom Pierre-Joseph Proudhon, ein Linker übrigens.

Wir haben kein Interesse daran, ‚Menschheit’ zu werden, wir wollen Deutsche bleiben, damit sind wir Menschheit genug. Unser Kampf ist vollkommen defensiv. Es geht uns einzig um die Erhaltung unserer Art zu leben und zu sein.“

Man sieht: Vom vermeintlichen Theodor-Fritsch-Zitat bleibt kein Schwefelkrümel übrig. Die Anführungsstriche bei „Menschheit“ kann der AfD-Vorsitzende zwar so wenig mitlesen wie weiland Philipp Jenninger, aber u.a. durch das Proudhon-Zitat ist klar, das damit primär eine Qualität und keine Quantität gemeint ist, nämlich die Einheitsmenschheit in den Träumen der one-world-Phantasten.

All die twitternden Hochbegabten inklusive des Spiegel-Kolumnisten, die behaupten, Gauland habe offenbar ein Problem mit der Mengenlehre, haben selber ein weit erheblicheres Problem mit der Bewertung von Quellen. Allein der unter den journalistischen Katzentisch gefallene Zusatz „damit sind wir Menschheit genug“ lässt ihren feilen Hohn ins Leere laufen.

Sela, Psalmenende.


Quelle und Kommentare hier:
https://www.journalistenwatch.com/2018/10/02/michael-klonovsky-durch/