von Johann Jungen
Beim Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen (BdV) Mitte April spannte Bundeskanzlerin Merkel den großen Bogen vom Leid der Heimatvertriebenen Deutschen zum Sozialtourismus heutiger „Flüchtlinge“ – und brachte damit Anwesende gegen sich auf. Dass Merkel ihre Willkommenspolitik bei jeder Gelegenheit loben will, ist verständlich, aber musste sie es hier tun?
Anlässe wie der Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen sind für Journalisten Wohlfühl-Termine. Hier ein warmer Händedruck, dort ein Gläschen Weißwein, da einige Fotos knipsen und dann bedeutungsschweren Worten honoriger Männer lauschen. Auch die Kanzlerin persönlich hat sich heute angesagt. Zuerst spricht Bernd Fabritius, Präsident des BdV. Gerade neu in sein Amt gewählt, saß er zwischen 2013 und 2017 für die CSU im Bundestag. Und mit Respekts- und Ehrbekundungen spart er nicht, besonders die eigenen Kollegen von CDU- und CSU weiß er zu würdigen. Einige Parteifreunde werden namentlich genannt, nicken zufrieden, man wirft sich vertraute Blicke zu.
Diese unterschwelligen Botschaften erreichen ihre Adressaten. Die zahlreich erschienenen AfD-Bundestagsabgeordneten, unter ihnen auch die Parteivorsitzende Alice Weidel und der Außenpolitiker Petr Bystron, sollen sehen: Der BdV ist fest in schwarzer Hand, und für AfD’ler gibt es hier nichts zu holen. Der Bundestagsabgeordnete Uwe Witt (AfD) wird später gegenüber der Jungen Freiheit Erstaunliches zu Protokoll geben.
„Die Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion einzuladen, sie dann aber in der offiziellen Begrüßung nicht zu erwähnen, ist ein Affront, das macht man nicht“.
Bystron geht noch weiter:
„Es ist nicht nur protokollarisch ein Fauxpas, die Fraktionschefin der größten Oppositionspartei nicht zu begrüßen. Es ist auch eine politische Dummheit, einen Großteil der Vertriebenen, die durch die AfD repräsentiert werden, mit offen zur Schau gestellter Nichtbeachtung zu erniedrigen.“
Es entstehe der Eindruck, so Bystron weiter, dass BdV-Präsident Fabritius „hier Parteipolitik auf Kosten der Vertriebenen“ mache, die er „eigentlich repräsentieren sollte“. Das sei „ein Eigentor“, denn: „bei Weitem nicht alle Vertriebenen stehen der CDU nahe.“
Merkel mit Pegida-Sound
Dieser Eindruck verfestigt sich durch die provokanten Ausführungen der Staatschefin Angela Merkel auf dem Höhepunkt des Abends. Der Skandal ist ein zweifacher: Einerseits entladen die Redenschreiber der Kanzlerin zu diesem Anlass ein glühend-nationales Vokabular, das die Anwesenden des konservativen Geistes der CDU-Chefin versichern soll, andererseits wird auf empörende Weise das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen in eine Reihe mit dem Leid heutiger sogenannter Flüchtlinge gestellt.
Da stimmt Merkel am Podium – man traut seinen Ohren nicht – ein Loblied auf „das deutsche Kulturerbe“ an, beschwört „Werte und Begriffe wie Familie und Gemeinschaft, Tradition und Glaube“, die für Vertriebene „häufig eine zentrale Rolle“ spielen würden. Diese Werte seien, so die Kanzlerin ganz im Pegida-Sprech, „auch mit dem Begriff Heimat eng verbunden“.
Und wahre Heimat gebe es nur dort, wo sich eine Gemeinschaft „gleichen Werten verpflichtet“ fühlt. Merkel, eine Rechtspopulistin? Nein. Alles nur politische Festtagsrhetorik, abgestimmt auf ein politisches Publikum, das es gerne patriotisch mag (und deshalb Sympathien für die AfD zu entwickeln droht).
Wie Frau Merkel es schafft, nach diesem Loblied auf die Heimatverbundenheit der Vertriebenen den Bogen zu den derzeit unbegrenzt nach Deutschland einreisenden Asylbewerbern zu schlagen, ist erstaunlich. Merkel nimmt nämlich die Tatsache, dass „die Fluchtbewegungen heute und Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg nur sehr bedingt vergleichbar sind“, zum Anlass, beides, nun ja, direkt miteinander zu vergleichen. Es gebe nämlich, so die Kanzlerin, „auch Übereinstimmungen“. Der hergestellte Zusammenhang wirkt merkwürdig konstruiert. Wieder bleibt ein fader Beigeschmack: auch hier, vor diesem Publikum, macht Merkel Parteiarbeit.
Liebe Vertriebene, ihr seid out!
Schon der erste Satz ihrer schiefen Analogie tut weh. Sie sagt: „Niemand gibt seine Heimat leichtfertig auf.“ Die Vertriebenen taten das nach 1945 sicher nicht. Die Glücksritter aus dem Nahen Osten und Nordafrika aber wurden nicht verfolgt, auch nicht vertrieben oder gejagt, sondern angelockt vom Asylparadies Deutschland, das mit hohen Sozialleistungen winkt.
Diese Tatsache verschweigt Merkel, spricht von „Todesgefahr“, unter der „viele geflohen“ seien. Dass nur ein einstelliger Prozentsatz von Asylbewerbern dieser Beschreibung entspricht, gibt Merkel nicht zu wissen vor. Stattdessen will sie diejenigen, „die deshalb länger oder für immer bei uns bleiben werden“, gebührend willkommen heißen.
Auch von den Vertriebenen im Publikum fordert sie deshalb „Offenheit“ für die „Flüchtlinge“. Einige Senioren werfen sich daraufhin vielsagende Blicke zu, Beifall verkneift man sich vollends. AfD-Außenpolitiker Bystron wird später feststellen:
„Die Gleichsetzung der Deutschen nach 1945 mit den heutigen Wirtschaftsmigranten aus Afrika ist eine Ohrfeige ins Gesicht aller Vertriebenen.“
Die von Merkel befohlene „Offenheit“ scheint allerdings nicht einmal zu genügen. Die Vertriebenen werden mit einem durchsichtigen Appell an ihre Moral sogar zur aktiven Unterstützung der Merkel’schen Willkommenspolitik (und damit zur Abgrenzung von der AfD) genötigt. Es seien die eigene „Erfahrung“ und das „Wertebewusstsein“, dass die Vertriebenen laut Merkel als „Brückenbauer“ auszeichne und sie damit – jetzt kommt’s! – „zu Partnern einer Politik“ mache,
„die nicht abgrenzt, die nicht ausgrenzt, sondern auf gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein gutes Zusammenleben in Europa abzielt“.
Die Botschaft ist angekommen: Merkel zählt auf die Gemeinschaft der Vertriebenen. Sie sollen ihre rechtswidrige Politik der offenen Grenzen mittragen. Applaus gab es für diese Aufforderung keinen. Mit orientalischen und nordafrikanischen Zuwanderern gleichgesetzt zu werden, war wohl auch den älteren Damen und Herren im Saal zu viel des Guten. „Sie hat gut gesprochen“, erklärt einer der Zuhörer später im Gespräch mit dem Autor, nur um dem noch hinzuzufügen, dass es doch „nicht ganz richtig“ sei:
„Wir waren Deutsche, die nach Deutschland flohen.“
Das sei eben „etwas Anderes“…
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