Die Vergesslichkeit der Völkerrechtsfans

von PPQ

Legenden sind umso haltbarer, als ihr Wahrheitsgehalt gegen Null geht. Seit Russland die Krim in einem nur notdürftig vernebelten Akt freundschaftlicher Gewalt übernahm, hat vor allem die Legende Konjunktur, es gelte nun den Anfängen zu wehren, um das Völkerrecht zu schützen. Das wird dabei von seinen erklärten Freunden in Politik wie Wissenschaft zu einer Art bis vor Putins Krim-Abenteuer jungfräulich-reinem Gesetzeswerk erklärt: Außenminister Walter Steinmeier verteidigt das Völkerrecht, Wolfgang Schäuble protzt öffentlich mit seiner Unkenntnis geschichtlicher Abläufe, indem er die – wenn auch erpresste – Zustimmung der Tschechei zur deutschen Übernahme des Sudetenlandes in seinem aktuellen Hitlervergleich schamhaft verschweigt. Und auch US-Präsident Barack Obama pflegt in seiner Krim-Argumentation die Mär vom interessenlosen Völkerrecht, das es nur richtig anzuwenden gelte, um alle Konflikte im friedlichen Gespräch zu lösen.

Nun, Politiker sind dazu da, die Wahrheit so zu verbiegen, dass sie als Waffe in der Schlacht für ihre eigenen Partei- oder Staatsinteressen taugt. Doch wenn Wissenschaftler argumentieren, sollte zumindest die Grundlage stimmen. In der „Zeit“ aber zeigt jetzt eine Jana Puglierin, ihres Zeichens wissenschaftliche Mitarbeiterin im Berliner Forum Zukunft der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), dass es auch darauf nicht mehr ankommt.

In einem Beitrag, der scharf ins Gericht geht mit allerlei deutschen Putin-Sympathisanten und deren „Verständnisrhetorik“ (Puglierin) führt die Expertin selbstbewusst ihre Unkenntnis selbst über noch nicht allzulang zurückliegende Ereignisse aus.

„Mit der Einverleibung der Krim hat Russland als erster Staat in Europa seit 1945 in revisionistischer Absicht Teile eines anderen Staates mit Gewalt an sich gerissen und militärische Macht präventiv zur Durchsetzung politischer Ziele eingesetzt“,

schreibt sie. Und vergisst dabei nicht nur Ungarn 1956 und Prag 1968. Sonden wie selbstverständlich auch den Norden der Republik Zypern, der seit einer gewaltsamen Invasion im Jahr 1974 von Deutschlands Nato-Partner Türkei ohne jede völkerrechtliche Grundlage besetzt gehalten wird.

Gut, Puglieri wurde erst 1978 geboren, woher soll sie es also wissen? Auch als die Nato Jugoslawien angriff, war die Jung-Völkerrechtlerin erst 20, beim Angriff der Amerikaner auf Afghanistan 23 und beim Einmarsch der Amerikaner im Irak 25. „Dieser Regelbruch darf nicht zum Präzedenzfall werden“, schreibt sie nun mit der Beseeltheit der Spätgeborenen, die nicht weiß, wovon sie spricht, „sonst ist es mit dem Frieden nicht nur in Europa vorbei“. Ein Frieden, der, rechnet man alle Kriege seit dem Ende des Kalten Krieges heraus, bekanntlich schon seit mehr als 60 Jahren anhält.

Jana Puglieri glaubt das wirklich. Es sei „grob fahrlässig, die Selbstverständlichkeit, mit der Putin völkerrechtliche Normen ignoriert, mit dem Hinweis auf vermeintliche und tatsächliche vergangene Brüche des Völkerrechts durch den Westen zu entschuldigen“, versichert sie, denn „falsch und falsch ergibt eben nicht richtig“.

Wer in Europa anfange, „alte Gebietsansprüche wieder geltend zu machen und mit militärischer Gewalt durchzusetzen, gehört klar verurteilt und mit diplomatischen und wirtschaftlichen Sanktionen belegt, damit die internationale Politik wieder von immer noch geltenden Regeln bestimmt wird“.

Hört die Bundesregierung, hören USA und Nato auf die smarte Berlinerin, drohen Erdogans Türkei zweifellos wegen Nord-Zypern Sanktionen, Frankreich muss wegen seiner kreativen Auslegung der Sicherheitsratsresolution 2085, bei seinem Mali-Abenteuer Konsequenzen der Weltgemeinschaft fürchten und die USA dürfen sich nicht zuletzt wegen ihrer anhaltenden Besetzung der kubanischen Guantanamo-Bay schon auf einen Boykott aller friedliebenden Nationen gefasst machen.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.politplatschquatsch.com/2014/04/die-vergesslichkeit-der-volkerrechtsfans.html