von Wolfgang Prabel
Kürzlich besuchte die deutsche Kanzlerin das im Freistaat Thüringen gelegene Weimar. Die Sicherheitsvorkehrungen und Absperrungen waren außerordentlich mannigfaltig. Schon einen Tag vorher durften weite Teile der Innenstadt nicht mehr befahren werden.
Die Belvederer Allee war bis zur Berkaer Straße gesperrt, woraus ich den falschen Schluß zog, daß Merkel von der Autobahn aus in die Stadt transportiert werden würde. Tatsächlich landete sie auf dem Flughafen Umpferstedt und die Bundesstraße B 7 war die mit Polizei regelrecht zugestellte Protokollstrecke.
Weimar hat eine lange Tradition von Staatsbesuchen. Der spektakulärste war der von Franz Josef Strauß, aber auch Kurt Waldheim, Natschibulla und der persische Schah machten größere Umstände, obwohl letzterer Trip sturzbedingt kurzfristig ausfiel.
Kurt Waldheim war der österreichische Präsident. Was er in Weimar wollte? Weiß ich nicht. Meine Freundin hatte einen rotweiß geringelten Pulli mit einem roten Stern auf der Brust. Also nicht, daß sie irgendwas mit der roten Armee oder Che Guevara hatte. Sie war außer dem Stern hart reaktionär. Der Stern war nur Tarnung, Täuschung und Taqiyya. In der Kennenlernphase versuchte sie mich mit der Selbstanpreisung abzuschrecken, daß sie kleinbürgerlich wäre. Aber das machte mich gerade erst richtig scharf.
Sie hatte von Heraldik keine Ahnung und wußte nicht, daß rot-weiß nicht nur die thüringischen, die polnischen, sondern auch die österreichischen Nationalfarben waren. Sie wollte beim Staatsbesuch von Waldheim mit ihrem rotweißen Lieblingspulli zur Arbeit gehen, aber sie kam keine 200 Meter weit. Retour und Umziehen wurde seitens der Staatsmacht verlangt. Sie war leicht verärgert.
Die Sicherheitsmaßnahmen beim Besuch des afghanischen Präsidenten Natschibulla waren noch deutlich schärfer. Bereits Stunden vor der Ankunft waren die Straßen der Protokollstrecke schwarz von Sicherheit. Der Wielandplatz war mit Wachsoldaten in Zivil regelrecht zugestellt. Die Stasi ging völlig auf Nummer sicher. Die gepanzerte Stretchlimousine, in der der Paschtune hockte, wurde auf dem Platz direkt vor der „Apotheke“ von Frau Beckmann (das war ein Schnapsausschank durch dessen Gläser man schon früh am Morgen alles schärfer sehen konnte) umständlich gewendet, was gut fünf Minuten dauerte, und anschließend im Schrittempo rückwärts (!) durch die Frauentorstraße an das Goethehaus heranbugsiert. Die Zeremonien des Aussteigens konnte ich nicht sehen, weil mein Standpunkt dafür ungünstig war und das bauliche Ensemble rund um Goethes Garten im Weg.
Die panische Angst kam nicht von ungefähr. Natschibulla wurde 1992 von den für ihre Plünderungen berüchtigten usbekischen Freiheitskämpfern des Generals Dostum gefangengenommen, gefoltert, getötet und als Leiche vor dem Präsidentenpalast einige Tage zur Schau gestellt. Dostum kam dabei dem berühmten paschtunischen Condottiere Hekmatiar zuvor, der auch schon mit demselben Verlangen auf dem Wege zur Hauptstadt gewesen war. Die beiden Warlords wurden danach keine richtigen Freunde mehr. Eine Frage der Vorrechte und der Ehre. Denn der Präsident war Paschtune und Kabul lag auf paschtunischem Gebiet und Dostum war wie bereits erwähnt Usbeke.
Der Besuch von Schah Reza Pachlevi wurde noch exakter vorbereitet. Denn es gab zahlreiche sunnitische Moslems in der Stadt, die die Perser für Ungläubige halten. Auch gab es zu der Zeit eine junge Perserin, die von den Eingeborenen bemitleidet wurde, weil sie immer wieder von schmerzhaften Unterleibssachen geplagt wurde. Ja, die Stadt war ein böses Heckennnest, wo überhaupt nichts geheim blieb. Die moslemischen Ausländer wurden alle eine Woche lang ausgeschafft. Der Schah wollte das Wohnhaus von Liszt Ferenc besuchen und durch die Marienstraße zum Goethehaus wandeln. Die Einheimischen, die an der Protokollstrecke wohnten oder arbeiteten, sollten ausquartiert und durch speziell ausgesuchte Angestellte der Stadtverwaltung und der Sicherheit ersetzt werden. Damit nicht alles wie eine Geisterstadt aussehen sollte und aus den Fenstern jemand winkt. Aber der Besuch des Persers wurde kurzfristig abgesagt. Im fernen Morgenland hatte der Sturz des Schahs begonnen.
Ein größerer Aufstand war auch der Besuch von Franz Josef Strauß. Honecker hatte Angst, daß ihn Eingeborene auf die unhaltbaren Zustände, insbesondere die Wohnungsnot in der Zone, ansprechen. Alle zwanzig Meter stand zwischen Markt, Goethehaus und Schillerhaus ein auffällig kostümierter Mann. Meine Freundin und ich hatten uns zufällig mit einem anderen Pärchen in der Schillerstraße vor dem Haus der Witwe Hölbing – das hatte übrigens noch Tonnenklo – getroffen und wollten ein Meeting am Abend ausmachen. Es war fast unmöglich, weil uns ständig die Freunde von der Sicherheit in Hörweite auf den Pelz rückten. Das andere Pärchen war auf Ausreise, weshalb wir etwas Diskretion wollten. Früher hieß es „Wald hat Ohren, Feld Gesicht“. Die Rue de Blamage – so der Spitzname der Schillerstraße damals – hatte beides. Trotz der vielen aufgebotenen Kräfte soll es einem Weimarer gelungen sein, dem Strauß vor dem Goethehaus einen Kassiber zuzustecken.
Das Bild zeigt die Gasse, durch die Natschibulla rückwärts zum Gothehaus (links am Bildrand) gefahren wurde.
Die Regime und Herrscher kommen und gehen, die Angst vor dem Volk bei Staatsbesuchen bleibt.