von Bolle Selke
„Die Bevölkerung in Deutschland hat kein Interesse an einer feindseligen Atmosphäre oder an einer russophoben Kampagne, sondern an gutnachbarschaftlichen Beziehungen“, hält der Vorsitzende des Deutschen Freidenkerverbandes, Klaus Hartmann, im Sputnik-Interview fest.
Ein auf gegenseitiges Vertrauen, Verlässlichkeit und vertragliche Regeln gebautes Miteinander könne nur zum Vorteil beider Seiten sein, so Hartmann. Die aktuelle politische Linie würde genau das Gegenteil davon sein, was man aus der Geschichte hätte lernen sollen:
„Es heißt, Russland stehe an der Grenze zur Nato, wobei der Trick oder die Infamie darin besteht, dass die Nato eben bis zu Russlands Grenzen vorgerückt ist. Dies wird mit diesen Kampfeinheiten in den drei baltischen Staaten und in Polen dokumentiert.
Dazu hat die deutsche Bevölkerung schon in den letzten Jahren die Erfahrung machen können, dass permanent Kriegsgerät Richtung Osten rollt. Gerade angesichts des Jahrestags der Schlacht von Stalingrad eine besonders makabre Situation.
Die Bundesregierung schickt keine offizielle Delegation zu den Siegesfeierlichkeiten einerseits, aber andererseits kümmert sie sich um eine möglichst schnelle, unbürokratische – wie sie es nennt – Verlegung von Truppen und schwerem militärischen Gerät nach Osten.“
Gegen Nato-Hauptquartier in Deutschland
Die Bewerbung der Bundesregierung als Standort für ein neues Nato-Hauptquartier bezeichnet Hartmann als aggressive und kriegstreiberische Maßnahme, der aus seiner Sicht die Friedenskräfte Einhalt gebieten müssen:
„Man kann natürlich auch über neue Formen des zivilen Ungehorsams nachdenken. Was die Transporte von Castor-Behältern angeht, gibt es da entsprechende Erfahrungen. Auch was die Frage der Tragfähigkeit oder Passierbarkeit von Straßen und Brücken angeht, wenn die nächsten Panzer rollen sollen. Das ist auch nicht minder lebensbedrohlich. Von daher denke ich, dass hier auch entsprechend öffentlich reagiert werden muss.“
1990: „Es wird keine Nato-Osterweiterung geben“
Seinerzeit sei durch die westlichen Politiker Helmut Kohl, James Baker, George Bush sen., Hans-Dietrich Genscher und andere dem damaligen Staatschef Michail Gorbatschow und seinem Außenminister „hundertmal in die Hand versprochen worden“, die Nato nicht nach Osten zu erweitern. Gerade erst im Dezember 2017 seien in Washington entsprechende neue Dokumente veröffentlicht worden. Die Zusage sei allerdings nicht vertraglich festgehalten worden.
Anders verhält es sich mit dem am 25. April 1991 einstimmig vom Deutschen Bundestag ratifizierten „Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR. Hartmann sagt dazu:
„Die Tinte ist es offenbar nicht wert, wenn ein Kommando aus Washington, aber auch von Seiten deutscher Militaristen, bei der Nato ertönt. Dann sind alle diese Schwüre und guten Absichten in den Wind gesprochen.“
Deutschland kann kündigen
Die Beziehungen zwischen Russland und der NATO beziehungsweise Deutschland müssten auf eine neue Basis gestellt werden, erklärt der Verbandspräsident Hartmann. Zunächst einmal müssten die Führer der jeweiligen Länder ohne Umschweife und in aller Offenheit über die bedrohliche Lage reden und gemeinsame Schritte vereinbaren, die im Sinne der Vertrauensbildung funktionieren können. Dafür gebe es Formate wie die OSZE oder die Vereinten Nationen (Uno). Aber leider sei erstere weitestgehend außer Dienst gestellt, was derartige Aufgaben angeht, und die Uno würde im Wesentlichen im Sinne der westlichen Aggressionspolitik instrumentalisiert und missbraucht.
Hartmann fordert, dass eine Rückkehr zur Aushandlung international vereinbarter Regeln stattfindet. Er schlägt vor:
„Deutschland könnte auch aus dem Nato-Bündnis austreten. Es gibt die Möglichkeit, mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr aus diesem Kriegs-Bündnis auszutreten. Man könnte ebenso den Vertrag über die Stationierung ausländischer Streitkräfte in Deutschland kündigen. Hier beträgt die Kündigungsfrist zwei Jahre. Dann erübrigt sich auch ein neues Hauptquartier, die Truppenverlegung, die Frage der Kriegsdrehscheibe in Ramstein und die modernisierten Atomwaffen in Büchel.“
Das komplette Interview mit Klaus Hartmann zum Nachhören: