Der Dachschaden der späten Geburt

In Bautzen fand am Mittwoch im Deutsch-Sorbischen Volkstheater ein Event der besonderen Art statt. Ein verdienter, 76 Jahre alter Bundespolitiker, der dreiundreißig lange Jahre (1976 bis 2009) für die CDU im Bundestag (weißgott nicht nur!) saß, sollte mit dem „Bautzener Friedenspreis“ ausgezeichnet werden.

Um die ganz große Aufregung gar nicht erst aufkommen zu lassen: Die Ehrung ist letztendlich doch gelungen. Glückwunsch, Herr Wimmer.

Doch wo der gute Wein in langen Jahren zu voller Reife gelangt ist, ist der aufbrausende junge Federweiße mit seiner betörenden Rauschkraft meist nicht fern und schreit danach, zuerst verkostet und gesoffen zu werden.

Ich muss mich immer wieder gewaltsam daran erinnern, dass der Federweiße nichts dafür kann, dass er noch so jung, so überschießend, so penetrant ist. Er hat gerade erst einmal am Leben geleckt, hat die Kelter noch in schmerzhafter Erinnerung und glaubt, dass Wer-weiß-Was aus ihm hätte werden können, hätte man die Trauben nicht zerquetscht und ausgepresst und den Saft ins Fass laufen lassen. Er glaubt, sein aufbegehrendes Gären sei sein Lebenszweck, und seine Wut, dass er das Fass wegen des Gärspundes einfach nicht sprengen kann, ist grenzenlos.

Der alte Pinot noir, von dem eine Flasche auch schon mal für um die 1.000 Euro über den Ladentisch geht, behält die Ruhe, es rührt ihn in seiner persönlichen Integrität nicht an. Aber: Er sorgt sich um die Zukunft.

„Was soll aus dem einmal noch werden?

Doch er weiß:

„Aus dem wird nichts mehr. Ein Fetzenrausch – sonst nichts.“

Und dann sieht er sich um, ob nicht doch irgendwo ein Traubenblut zu finden sei, das es ebenfalls zu großer Reife bringen wird, und er wird sich bewusst, dass die Einsamkeit der Preis für den Platz an der Spitze ist.

Willy Wimmer, ein eleganter Redner, den als Populisten zu bezeichnen, an Borniertheit kaum zu überbieten ist, hat sich, um im Weinbeispiel zu bleiben, lediglich geweigert, sich in den Groko- und Links-Grün-Verschnitt hineinrühren zu lassen, der – wie ein Discounter-Schnäppchen in der 1,5-Liter-Pappschachtel mit Schraubverschluss – jedem Allerweltsgeschmack gerecht wird und ggfs. ein sanftes Räuschlein mit anschließendem Schädelweh hinterlässt.

Stattdessen ist er seinen Überzeugungen und Werten treu geblieben. Seine Liebe zu Deutschland hat sich in eine Sorge um Deutschland gewandelt – und so versucht er, gegen den modischen Zeitgeist anzugehen und vor allem geschichtliches Wissen zu vermitteln und gerade vor dem ach so populären „Weiter so!“ zu warnen, mit jener immer noch im Geiste Wilhelm Buschs humorvoll vorgetragenen Warnung:

„Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.“

Das Ende, auf das Wimmer sieht, unterscheidet sich allerdings vollständig von jenem Ende, von dem Angela Merkel stets behauptet, die Dinge her zu sehen.

Dass Wimmer sich als aufrechter Charakter nicht an jene Unterschrift zu Versailles gebunden fühlt, mit dem der  deutsche Außenminister Hermann Müller und der Verkehrsminister Johannes Bell im Friedensvertrag die „deutsche Alleinschuld“ am Ersten Weltkrieg wider besseres Wissen dokumentierten, ist nicht „freie Deutung der Geschichte in verschwörerischer Absicht“, wie es Prof. van Laak zu interpretieren versucht, sondern schlicht und einfach Charakterstärke und Wahrheitsliebe.

In der Debatte der deutschen Nationalversammlung um die Annahme des Vertrags von Versailles vom 22. Juni 1919 machte Gustav Bauer (damalige SPD) diese Aussage:

„Wenn die Regierung unter Vorbehalt unterzeichnet, so betont sie, dass sie damit der Gewalt weicht, in dem Entschluss, dem unsagbar leidenden deutschen Volke einen neuen Krieg, die Zerreißung seiner nationalen Einheit durch weitere Besetzung deutschen Gebietes, entsetzliche Hungersnot für Frauen und Kinder und unbarmherzige längere Zurückhaltung der Kriegsgefangenen zu ersparen.“

Unter Historikern ist es kein Geheimnis, dass das größte Interesse am Kriege von den Briten ausging, und dass die Lenkung der politischen Ereignisse, die schließlich den Kriegseintritt Deutschlands erzwangen und damit die Chance eröffneten, den großen Konkurrenten vernichtend zu schlagen, von London aus erfolgte.

Es ist keine Schande, im Schulunterricht von alledem nichts gehört zu haben. Das steht und stand nicht auf deutschen Lehrplänen.

Bedenklich ist es schon, wenn der geschichtliche Horizont deutscher Politiker sich im Laufe ihrer Karriere nicht über die schulische Indoktrination hinaus entwickelt hat.

Richtig schlimm empfinde  ich es jedoch, wenn solche geschichtlichen Wahrheiten an deutschen Politikern abprallen, wie der Gummiball von der Wand des Squash-Courts und derjenige, der noch in der Lage ist, die jüngere Geschichte in einem großen Bogen von 1871 bis heute zu überblicken und zu beurteilen, als Volksverhetzer hingestellt wird.

So jedenfalls der OB der Stadt Bautzen, der zugleich den Verein „Bautzener Frieden“ mit der Aussage schurigelte:

„Ich hoffe, dass der Verein seine Blauäugigkeit ablegt und Herrn Wimmer wieder auslädt.“

Irgendwann, in nicht allzuferner Zukunft, wird die Nazikeule so dick und schwer geworden sein, dass sie die Baracke der Political Correctness, auf deren Teerpappdach sie zur Schau gestellt wird, einstürzen lässt.

Dachschaden.

Darauf freue ich mich.

 


Quelle und Kommentare hier:
http://antides.de/der-dachschaden-der-spaeten-geburt