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Einst gab es eine Zeit, der alten Weisen. Alt und weise zu sein, galt als Privileg, als Vorzug. Man ging ganz selbstverständlich zu den Weisen, wenn man nicht mehr weiter wusste und Rat brauchte. Der alte weise Mann ist heute meist der alte „weiße“ Mann oder einfach der senile Opa.
„Alter weißer Mann“ ist ein modernes Schimpfwort und steht für die Männer der ersten und zweiten Nachkriegsgeneration, also all jene, die Deutschland wieder aufgebaut haben und jetzt, in ihrer letzten Lebensphase, die Früchte ihrer Arbeit einfach genießen möchten und sich freuen würden, wenn ihr Rat noch gehört und gebraucht würde. Lebenserfahrung nannte man das früher, ohne den Zeigefinger der Bevormundung zu erheben.
Da kommen nun plötzlich, die meist jungen Menschen, die alles in Frage stellen. Was ist mit der Gleichstellung der Frau, mit der Ehe für alle? Was ist mit der Umwelt, mit dem Klima? Fragen über Fragen oder besser Vorwürfe über Vorwürfe.
Warum habt Ihr (weißen Männer) das nicht geklärt. Ihr seid reaktionäres Pack, ihr seid Schuld, ihr habt kein Verständnis für die Jugend, kurz, was wollt ihr eigentlich noch hier? Es sind oft die, die gegen Rassismus sind, hier aber Rassismus im dreifachen Sinne betreiben (alt, weiß, Mann). Achtung und Respekt vor dem Alter gibt es nicht mehr, zumindest ist es eher selten. Dabei könnten junge Menschen enorm von der Lebenserfahrung älterer Menschen profitieren.
Auch wir alten weiß(s)en Männer waren jung und wollten die Welt verändern. Jeder, der jung ist, hat wohl einfach weniger Bedenken und meint, dass bisher alles falsch gelaufen ist. Jetzt muss alles anders werden. Mit jugendlicher Dynamik kann man dies auch ändern, so die Überzeugung. Dabei fühlt man sich gut, weil man ja das richtige, das ehrenwerte, das moderne, das fortschrittliche will. So geht es wohl jeder Generation, wenn sie am Beginn ihrer Schaffensphase steht. Wir wollen die Welt verändern! Doch nicht jede Generation schafft es, der Zeit einen Stempel zu verpassen, der auch noch 50 Jahre später legendär ist.
Wie war das noch gleich mit der jüngeren Vergangenheit?
1968 trat eine ganze Generation an, um den Muff aus den alten Talaren zu vertreiben. Die einstigen Revolutionäre sind inzwischen die Alten von heute, pensionierte Lehrer, Politiker, Manager, Ingenieure, Ärzte etc..
Die Idole von einst haben ihre Strahlkraft längst verloren. Wer ist Che Geuvara, Hồ Chí Minh, Mahatma Gandhi, Angela Davis, Martin Luther King, Benno Ohnesorg, Rudi Dutschke, Alexander Dubček, die Ikonen von damals? Was ist geblieben von den einstigen Idealen?
Die 68er waren radikal und dennoch setzten sich ihre Ideen nicht in all ihrer Radikalität durch. Die Umwälzung in der Gesellschaft vollzog sich eher evolutionär und nicht revolutionär. Nur ein paar radikale Verfechter haben sich in die 1970-iger Jahre gerettet und fortan die Bundesrepublik mit dem Terror der Rote Armee Fraktion, kurz RAF, überzogen.
Die Situation von 1968 ist heute durchaus ähnlich. Auch in 50 Jahren wird man vielleicht noch von der Klimageneration, von Greta Thunberg und Fridays for Future reden. Es bleibt zu hoffen, dass weniger Radikalität und mehr versöhnliches Miteinander die Oberhand gewinnen.
Auch die alten Weisen, sollten dabei ein Mitspracherecht haben. Ja, ihre Meinung sollte gehört und respektiert werden. Wir Alten wissen nicht alles besser, aber wir verfügen über die Erfahrung, dass man mit der Kraft der Ruhe und Abwägung aller Umstände und Risiken eher zu einer Lösung kommen kann, als mit der Brechstange.
Eine kurze Nachbetrachtung
Zugegeben, ich war 1968 gerade 12 Jahre alt und verstand nicht wirklich, was da vor sich ging. Ich dachte allenfalls, das muss die sozialistische Revolution sein, die jetzt auch die kapitalistische Welt erfasst und hinwegspült. Insofern konnte ich dem ganzen Treiben eine positive Seite abgewinnen. Mir gefielen Filme, wie „Blutige Erdbeeren“, nicht etwa wegen der Thematik, sondern vor allem wegen der Musik. Überhaupt waren Filme und Musik wichtig, weil sie, wie kein anderes Medium, den Zeitgeist transportierten.