Denk’ ich an Deutschland: zum Waffenstillstand am 11. November 1918

von Willy Wimmer

Nach dem 3. Oktober kommt das Gedenken am den 11. November 1918, den Waffenstillstand am Ende des Ersten Weltkrieges: denk ich an Deutschland.

Wenn man über das eigene Land nachdenkt, schwingt etwas mit. Das Gefühl ist höchstpersönlich und nur im seltensten Fall übertragbar. Zuviel spielt dabei eine Rolle und es umfasst einen unglaublichen Zeitraum. Vielleicht muss man Rheinländer sein, um es so ausdrücken zu können, dass andere bereit sind, sich mit den Gedanken und Überlegungen zu beschäftigen. Auch deshalb, weil es immer darauf ankommt, andere Menschen von nah und fern in die eigenen Überlegungen einzubeziehen.

Düsseldorf am Rhein hat uns in den Herren Leutze und Heine zwei historische Gestalten als Nation gegeben, die als Maler und Dichter zum Ausdruck gebracht haben, um was es uns geht, wenn wir an Deutschland denken. Die Zeilen, die sich mit der Frage beschäftigen, um was es gehen kann, wenn man an Deutschland denkt, sind inzwischen weltberühmt. Die Ikone der amerikanischen Revolution, die den amerikanischen Gründungsvater George Washington angeblich bei der Überquerung des Delaware, tatsächlich aber auf dem Rhein bei Büderich zeigt, macht deutlich, wie das Wertefundament für das eigene Leben und das Leben der Nation dann aussieht, wenn man sich den Herausforderungen der Zeit glaubt stellen zu müssen.

Die zivilisatorischen Errungenschaften, die Napoleon uns hinterlassen hat, werden im Rheinland bis heute hoch geschätzt und haben das Fundament unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in der früheren „Sozialen Marktwirtschaft“ so nachdrücklich gelegt, dass es uns nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges auch aus diesen Gründen gelang, nicht im Elend versinken zu müssen. In einer Waffenbrüderschaft mit unseren russischen Nachbarn gelang es deutschen Truppen, uns vom fremdbestimmten Joch, das Napoleon auch darstellte, zu befreien. Der gemeinsame Übergang der verbündeten Armeen, auch unter Führung des Marschalls Blücher dort, wo der Rhein am schönsten ist, macht das bis heute deutlich.

Die Konvention von Tauroggen gegen Ende der napoleonischen Herrschaft über Europa zeigte deutlich, welchen Mut deutsche Soldaten nicht nur damals aufgebracht haben, wenn es um das ging, was wir heute als „Deutschland“ bezeichnen.

Es wird so oft darüber gesprochen, dass ganze Abschnitte in der Geschichte unserer Nation geradezu in sich geschlossen und nur in einer umfassenden Betrachtung verständlich sind.

Das bis 1806 bestehende „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ war nicht die nationalstaatliche Formation, die andere Nachbarn aufgewiesen haben. Viele Menschen in Deutschland hätten sich gerne Entwicklungen, die bei anderen abliefen, für die deutschen Gebiete ebenfalls gewünscht. Die Ausprägung, die die Mitte Europas mittels dieses Reiches fand, machte deutlich, wie flexibel diese Mitte sein musste und gewesen ist, um nicht die zerstörerischen Interventionen von Nachbarstaaten nach dem Vorbild des „Dreißigjährigen Krieges“ zur Vernichtung der Deutschen führen zu lassen. Weite Teile des deutschen Kriegsgebietes im „Dreißigjährigen Krieg“ führten fast zur Auslöschung der Menschen im „Heiligen Römischen Reich“.

Bis zu der erneuten Heimsuchung durch die französischen Eroberer unter Napoleon hatten sich die Verluste, die der deutschen Bevölkerung während der Zeit von 1618 bis 1648 zugefügt worden waren, nicht wieder ausgeglichen. Diese Entwicklungen mussten zwangsläufig deutsche Überlegungen, auch im militärstrategischen Bereich, bestimmen. Heute mag das anders sein, weil deutsches, eigenständiges, strategisches Denken deshalb nicht mehr vorkommt und gar unerwünscht ist, weil ansonsten die Gründungsidee der NATO, in der Deutschland Mitglied sein muss, nicht mehr gehalten werden könnte. Mit eigenständigem deutschem Denken in strategischen Fragen wäre es unmöglich, von „Deutsche unten, Amerikaner rein nach Europa und Russen raus aus Europa“ im angelsächsischen Sieger-Jargon zu schwadronieren.

Alles nur Vergangenheit? Mitnichten, denn wir nähern uns einer turbulent anmutenden Zone von bis heute wirksamen Geschichtsdaten, die unser heutiges und künftiges Leben bestimmen. Und die Zeiten haben sich geändert. Es geht heute nicht mehr, Geschichte gleichsam zu einer Siegerdoktrin zur Kujonierung von Besiegten verkommen zu lassen. Sicher, es war in vielen Fällen nach eigenen Verstrickungen in verbrecherische Dinge für Historiker geradezu zwangsläufig, sich den Siegern an die ordensbehängte Brust zu werfen und sich als Lohnschreiber für deren Ziele dem eigenen Volk gegenüber zu verdingen. Aber die Zeiten haben sich verändert. Das neue Ringen um die Zukunft trägt dazu bei, die Archive bei denen zu öffnen, die an den Niederlagen Deutschlands ihr eigenes Interesse hatten. So in Washington, so in Moskau und nicht so in London, wo bis in eine Zeit, die Angehörige der älteren Generation nicht erleben werden, ganze Jahrzehnte der Geschichte für weitere Jahrzehnte noch und noch verschlossen bleiben. Aber es geht nicht nur um die Archive, die zwangsläufig dazu beitragen, die Geschichte geradezu aufzubrechen. Es wird geredet und das von höchster Stelle.

So machte der Präsident der „Französischen Republik“, Herr Emmanuelle Macron, beim Besuch des amerikanischen Präsidenten Donald Trump zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli 2017 in Paris deutlich, warum er diese Einladung an den französischen Dauerpartner über Jahrhunderte ausgesprochen hatte. Es ging ihm darum, dass der Kriegseintritt 1917 durch die Vereinigten Staaten, an der Seite von England und Frankreich und gegen Österreich-Ungarn und das deutsche Kaiserreich, unsere Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg schnöde vor der Niederlage in diesem Krieg bewahrt hatte.

Das spielt natürlich eine bedeutende Rolle, wenn in wenigen Wochen des 11. November 1918 deshalb gedacht wird, weil an diesem Tage im berüchtigten Compiegne der Waffenstillstand der deutschen/österreichisch-ungarischen Truppen unterzeichnet wurde. Beide Reiche streckten die Waffen und nachdem die Soldaten auf den Schlachtfeldern verblutet waren, raffte es infolge einer noch viele Monate andauernden englischen Hungerblockade Millionen Deutsche hin oder ließ ganze Generationen geistig und körperlich verkümmern. Dahinter streckte System, das Christopher Clark in seinem berühmten Buch über die angeblichen Schlafwandler in Bezug auf den Ersten Weltkrieg schamhaft verschwiegen hatte. Die englische Hungerblockade war ebenso viele Jahre vor dem Ersten Weltkrieg ausbaldowert worden, wie die Bündnissysteme rund um die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn. Diese hatten einzig und alleine den Zweck, eine in jeder Hinsicht aufstrebende Macht in der Mitte Europas oder einen Vielvölkerstaat mit der Fähigkeit zur zukunftsweisenden Reform im Sinne des späteren Churchill „zu vernichten“. Man muss noch nicht einmal den US-Amerikaner George Friedman heranziehen, um die angelsächsische Strategie unter Einschluss der Vereinigten Staaten zu verdeutlichen: in jeder Hinsicht störendes Potential musste in einem ersten Schritt mit Deutschland und Österreich-Ungarn vernichtet werden, damit man sich danach des großen Russischen Reiches als Doppel-Ziel annehmen konnte.

Bis heute wirken diese Abläufe nach, nur nicht mehr in der gewohnten Weise. Zu nachdrücklich ist von den damaligen Kriegsgegnern unter Beweis gestellt worden, und das bis in die heutigen Tage, wer ohne Krieg nicht sein kann.

Deutschland war bis zum Ausbruch des angelsächsisch orchestrierten Ersten Weltkrieges im Vergleich zu seinen Nachbarn geradezu eine „Friedensmacht“, nach außen und nach innen. Nicht zuletzt diese Umstände trugen dazu bei, weite Teile der jüdischen Weltgemeinschaft an der Seite beider Kaiser in Berlin und Wien zu sehen. Vermutlich dürfte so auch der letzte sogenannte „Traditions-Erlass“ für die deutsche Bundeswehr, ebenso unleserlich wie diffamierend, das letzte Werk dieser Art in der heraufziehenden Geschichte sein.

Die Dinge ändern sich.

Versailles 1919 brachte nicht den gerechten Frieden, sondern es war mit voller Absicht der Sieger die Dauerhölle für Österreich-Ungarn und Deutschland, auch und gerade über die sogenannten „Pariser Vorortverträge“, die heute noch als immanente Geschichtsmahnung in allen ungarischen Amtsstuben hängen. Mit Wilsons 14 Punkten, einer puren Kriegslist gegen die Mittelmächte, zog die Lüge in die Zeit vor und nach dem Waffenstillstand ein und bestimmt Mitteleuropa bis heute. Jede Sitzung von einiger Bedeutung bei der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, die sich rund über den nördlichen Teil des Globus erstreckt, ist von den Spätfolgen bestimmt.

Wir überblicken heute diese Zeitspanne zwischen 1918 und 2018. Die Geschichte gibt uns die Chance, uns nicht von ihr gefangen nehmen zu lassen. Gute Nachbarschaft und Freiheit des Wortes und der Gedanken gehören ebenso zu unserem Leben, wie die Verpflichtung, den Angehörigen seines eigenen Volkes oder Menschen anderer Nationalität beizustehen. Gewiss ist, dass die gnadenlose Vernichtung anderer Zivilisationen durch die Beteiligung Deutschlands an verbrecherischen NATO- oder Kolonial-Kriegen nicht dazu zählt.


Quelle und Kommentare hier:
https://de.sputniknews.com/kommentare/20180930322486297-waffenstillstand-zivilisatorischen-errungenschaften-geschichte-unserer-nation/