von Alexander Boos
US-Präsident Donald Trump befindet sich aktuell wohl in einem Machtkampf mit den alten Eliten der USA. Darauf weisen frühere Regierungs- und Geheimdienstmitarbeiter sowie Sozialwissenschaftler hin.
„Diese Gruppe wird ‚Tiefer Staat‘ genannt und rekrutiert sich aus dem militärisch-industriellen Komplex“, sagt ehemaliger kanadischer Diplomat.
„Amerikas militärisch-industrieller Komplex wird Trumps Präsidentschaft nutzen – oder sie beenden“, titelte bereits kurz nach Trumps Amtsantritt die „Canberra Times“. Schon der erste Satz danach hatte es in sich.
„Ein hemmungslos agierender ‚Tiefer Staat‘ unter einem gefälligen US-Präsidenten ist der Stoff, aus dem Alpträume sind.“
Die australische Zeitung machte damit auf ein Problem aufmerksam, das auch kritische Wissenschaftler und ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter, sogenannte „Whistle Blower“, weltweit benennen: Die Rolle des „Tiefen Staates“ (englisch: „Deep State“) und dessen Einfluss auf US-Präsidentschaft und Washingtoner Regierungspolitik.
Zu den Whistle Blowern und Insidern gehören renommierte Personen. Darunter der ex-NSA-Direktor William Binney, der Ex-Marine und ehemalige CIA-Agent Robert David Steele oder auch Ex-CIA-Analytiker Ray McGovern. Sie alle sagen übereinstimmend:
Es handelt sich um eine Gruppe von einflussreichen Leuten, die unterhalb der sichtbaren politischen, militärischen und bürokratischen USA agieren, sich aber teilweise aus diesen Organisationen rekrutieren. Diese Gruppe wird oft als „Tiefer Staat“ bezeichnet.
In Geheimdiensten aktiv
Zu Zeiten des Kalten Krieges hatten die USA im Verbund mit der Nato selbst Strukturen geschaffen, die im Falle einer „kommunistischen Invasion“ im Untergrund weiterarbeiten sollten. Nun habe sich dieser tiefe Staat wohl verselbständigt und ist zum hintergründigen, inoffiziellen politischen System geworden.
Laut Insidern sind die Mitglieder des Tiefstaates auch gut vernetzt im Geheimdienst-Wesen. So berichtet der britische „Guardian“ von einem „Konflikt zwischen Trump und dem US-Geheimdienst CIA“. Es mache den Anschein, als ob Trump sich dem Einfluss des tiefen Staates widersetzen wolle.
„Deep State“: Was ist der „Tiefe Staat“?
„Ich glaube, es gab in Amerika schon immer einen tiefen Staat“, sagte Peter Dale Scott, ehemaliger kanadischer Diplomat und emeritierter Professor der University of Berkeley (Kalifornien), 2014 in einer US-Radio-Sendung.
„Wir befinden uns in einer Phase der, sagen wir, übermäßigen Repression. Die niemandem dient, nicht einmal den Interessen der herrschenden Klasse. Es ist nicht das erste Mal in der amerikanischen Geschichte.“
Der Kanadier hat den tiefen Staat in seinem Buch „The American Deep State: „Wall Street, Big Oil und der Angriff auf die US-Demokratie“ (2014) detailliert untersucht.
Er wird in all seinen Aspekten ebenso in dem Buch „Fassadendemokratie und tiefer Staat“ (2017) beschrieben, das der Politikwissenschaftler Ullrich Mies gemeinsam mit Jens Wernicke herausgegeben hat. In dem Werk äußert sich der frühere republikanische US-Kongress-Mitarbeiter Mike Lofgren über „Kernelemente des Tiefen Staates der USA“. Lofgren wird vom US-amerikanischen Blog „Philebersole“ als guter Analytiker dargestellt, der in den USA die „Vernetzung vom militärisch-industriellen Komplex mit der Finanz-Oligarchie und dem Polizei-Staat beschreibt.“ Diese Machtgruppe unterliege keiner rechtlichen oder demokratischen Kontrolle.
„Militärisch-industrieller-Fast-Alles-Komplex“
„Heute könnte es genauso gut heißen: Der militärisch-industrielle-Fast-Alles-Komplex“, erklärt US-Politik-Professorin Joan Roelofs in ihrer aktuellen Analyse „Die Politische Ökonomie der Waffen-Industrie“ von Juli.
„Die meisten Abteilungen und Ebenen der Regierung, von Unternehmen und auch viele Wohltätigkeitsorganisationen, soziale Dienste sowie Umwelt- und Kulturorganisationen sind tief in das Militär eingebettet.“
Der schon erwähnte Lofgren erklärte 2016 in einem Interview:
„Die Schlüsselinstitutionen des Deep State liegen im militärisch-industriellen Komplex: Das Pentagon und all seine Vertragspartner, auch das Heimatschutzministerium, das US-Finanzministerium, das Justizministerium, bestimmte Gerichte, wie der südliche Bezirk von Manhattan und der östliche Bezirk von Virginia; die FISA Gerichte.“
Insider: „Mehrheit im US-Kongress weiß nicht, was vor sich geht“
Der Tiefe Staat hat laut ihm zudem einen „sogenannten ‚Rumpfkongress‘, der aus bestimmten Leuten in den Führungs-, Verteidigungs- und Geheimdienstausschüssen besteht. Die wissen, was vor sich geht. Der Rest des US-Kongress weiß es nicht wirklich oder kümmert sich nicht darum.“ Sie seien zu sehr damit beschäftigt, wiedergewählt zu werden. Der Soziologe und Journalist Wolf Wetzel betont, in der „Organisationssoziologie spricht man in diesem Zusammenhang von ‚brauchbarer Illegalität‘.“
„Wir sprechen über die Entstehung eines tiefen Staates unter der Führung von Barack Obama, und das sollten wir verhindern“, sagte Steve King, republikanischer Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus, laut der „New York Times“ im Frühjahr 2017.
Die Tageszeitung steht dem US-Establishment nahe. „Mister Trump“, so King weiter, „muss die Linken innerhalb der Regierung, die noch aus der Obama-Regierung sind, säubern, weil sie wohl seine Regierung und seine Erfolgschancen untergraben“.
Warum ist Trump im Visier des „Deep State“?
„Das alte US-Establishment hat Trump von Anfang an abgelehnt“, stellte der Politologe Erhard Crome bereits in einem früheren Studio-Interview mit Sputnik fest. Die Demokratin Hillary Clinton sei von Anfang an die Kandidatin des Apparats gewesen.
Er erklärt in seinem Buch „Trump und die Deutschen“, das Team um Trump seien „Leute, die in ihrer früheren Tätigkeit in Wirtschaft und Militär es gewohnt waren, selbständig zu agieren und zu planen und dies auch umzusetzen. Und die reich genug sind, sich nicht korrumpieren lassen zu müssen, um selber reich zu werden.“ Damit stünde die jetzige US-Regierung „weitgehend außerhalb des Gefüges von Abhängigkeiten der üblichen Politiker von den Netzwerken jener Milliardäre, die bisher die globalistische Politik gelenkt und geschmiert haben“, so der Berliner Politikwissenschaftler. Jetzt habe „ein Flügel der herrschenden Klasse selbst und direkt die Macht übernommen, um den Kurs des Landes zu verändern“.
Offen kritisierte der Republikaner Trump schon zu Wahlkampfzeiten seinen Vorgänger Barack Obama und Ex-Außenministerin Clinton.
„In der Sache war es auch eine Kritik an der Außenpolitik der Bush-Familie und der Neo-Konservativen“, so Crome.
„Diese Politik stürzte die gesamte Region des Nahen Ostens ins Chaos und gab dem sogenannten Islamischen Staat überhaupt erst Raum zur Entfaltung.“
„Trump will Dolch ins US-Establishment rammen“
Mike Flynn, Militär und früherer Berater von US-Präsident Trump, sagte im Juli 2016: „Trump hat verstanden, dass er einen Dolch ins Herz des Establishments rammen muss und sich Millionen Amerikaner von der Clique in Washington nicht repräsentiert fühlen.“
Dazu ergänzte Crome in seinem bereits erwähnten Buch:
„Trump sagte: ‚Die Clintons haben Jahrzehnte damit zugebracht, als Insider in die eigene Tasche zu wirtschaften (…), statt sich um das amerikanische Volk zu kümmern.‘
Zudem ist auffällig, dass die deutsche Politik und die hiesigen Medien in dieser Auseinandersetzung stets auf der Seite von Clinton und gegen Trump zu finden waren.“
Der neue US-Präsident wolle die Interventions-Kriege und die „militärisch-globalistische Agenda“ der alten US-Eliten nicht mittragen, betonte der Ost-Berliner Politologe gegenüber Sputnik. Daher sei Trump nun im Visier des Establishments.
„Tiefe Ereignisse“
Wie arbeitet nun der tiefe Staat? Der Professor und Diplomat Scott spricht von „tiefen Ereignissen“, von historisch und politisch entscheidenden Momenten, in denen der Deep State wirke.
„Sicherlich war die Ermordung von John Kennedy eines dieser tiefen Ereignisse“, sagte Peter Dale Scott im US-Radio.
„Ein Aspekt des tiefen Staates, den wir noch nicht erwähnt haben, ist das, was ich die privaten Geheimdienste nenne. Man sagt, dass jetzt etwa 70 Prozent des US-Geheimdienstbudgets ausgelagert sind und an Unternehmen wie Booz Allen Hamilton gehen. Viele Leute haben noch nie von diesen Firmen gehört. Aber sie sind jetzt Teil der Regierungsstruktur unseres Landes.“
Außerdem nutze der tiefe Staat „schwarze Kassen“ und verdeckte Operationen im militärisch-geheimdienstlichen Bereich für seine Ziele.
„Der US-Kongress sollte eine Resolution verabschieden“, zitiert der bereits erwähnte Blog „Philebersole “ eine Idee von Lofgren, „nach der das Budget für militärische Operationen nach einer Deadline (also nach einer gewissen Zeit – Anm. d. Red.) auslaufen müsste“.
So hätte das US-Parlament wieder mehr Kontrolle und Autorisierungsgewalt über verdeckte Operationen. Denn oft bediene sich der tiefe Staat dieser zur Durchsetzung seiner Interessen.
Arbeiten CIA und FBI für den „Deep State“?
Denn den Gründern der CIA „war es gelungen, diesen Dienst unter der Hand zu einer gigantischen Zentrale umzuwandeln, die eigenmächtig weltweit Special Operations ausführte“, vermerkten die „NachDenkSeiten“ im Juni.
„Wobei Special Operations nur ein Synonym ist für alle möglichen verdeckten Operationen bis hin zu großen militärischen Einsätzen während ‚Friedenszeiten‘.“
Die Mainstream-Medien unterschlugen in Zusammenhang „mit der Entlassung des FBI-Chefs James Comey am 9. Mai 2017 durch Präsident Trump“ wichtige Informationen, bemerkt Crome in seinem Buch „Trump und die Deutschen“:
„Es sollte doch eigentlich verwundern, dass das FBI unter seiner Leitung während des Wahlkampfs 2016 beide Präsidentschaftskandidaten (Trump und Clinton – Anm. d. Red.) überwacht hat.“
Der US-Geheimdienst habe der Regierung zu dienen und nicht umgekehrt.
„Zudem ist Trump im Weißen Haus offenbar von Spitzeln umgeben, die jeden seiner Schritte überwachen.“
„Verschwörungstheorie!“: Kritik am „Konzept“
Sowohl in den USA als auch in Deutschland gibt es viele Stimmen, die behaupten, es gebe überhaupt keinen „Deep State“. Häufig wird von Wissenschaftlern oder Journalisten eingeräumt, dass es zwar tiefenstaatliche Strukturen in anderen Ländern gebe – aber eben nicht in den USA oder in Europa. Oftmals wird die Türkei als Beispiel genannt, wo es nachgewiesenermaßen einen tiefen Staat gab. Der Begriff entstammt dem Türkischen („derin devlet“).
„US-amerikanische Institutionen ähneln keinen Strukturen von Ländern wie Pakistan oder der Türkei“, schreibt die„New York Times“. Auch einzelne Situationen, unter denen Präsident Trump leide, seien keine Verschwörung. Der Beitrag heißt: „Das passiert, wenn du einen ‚Deep State‘ bekämpfst, der gar nicht existiert.“ Das Konzept „eines ‚Tiefen Staates‘ als schattenhaftes Netzwerk von Agenturen“ sei real nicht existent, behauptet ein weiterer „New York Times“-Artikel .
„Es geht um den ‚deep state‘, es geht um eine verborgene Kooperation von Bürokraten, Geheimdiensten und Militär“,
schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ erst nüchtern – um dann Kritik zu äußern und das Ganze als Farce abzutun.
„Rechte US-Talkradio-Moderatoren wie Rush Limbaugh oder Mark Levin klagen seit Tagen, dass Angehörige des ‚deep state‘ hinter all den Enthüllungen über das Innenleben der Trump-Regierung stehen.“
Der Zauber der „Deep State“-Theorie sei leicht zu erkennen:
„Mit ihr lässt sich alles erklären. Dass so häufig über den Begriff geredet wird, liegt an den gefährlichen Implikationen, die damit verbunden sind.“
„Sei vorsichtig mit der Idee des Tiefen Staats…“
„Sei vorsichtig mit der Idee des Tiefen Staates“, zitiert das Establishment-nahe Polit-Magazin „The Atlantic“ in seinem Artikel „Es gibt keinen amerikanischen Deep State“ einen türkischen Politik-Experten, der in Washington lehrt:
„Weil so leicht alles außer Kontrolle geraten kann. So dass der Begriff zu einem Monster wächst, das jedem hilft, der die Freiheit einschränken und Dissidenten einschüchtern will. Weil es so ein nebulöses Konzept ist. Sie müssen nicht beweisen, dass er existiert. Sobald (der Begriff) draußen ist und die Öffentlichkeit es zu glauben beginnt, kann jeder daran festhalten.“
So sei es auch in der Türkei gewesen.
Timur Kuran, Professor für Politikwissenschaften an der Duke-Universität in North Carolina (USA), twitterte 2017:
„Das Team Erdogan nutzte die ‚Deep State‘-Erzählung, um politische Institutionen zu zerstören und die Bürokratie umzustrukturieren. Jetzt passiert das gleiche in den USA.“
Wiederholt sich die Geschichte?
Was bei den kritischen Analysen häufig übersehen wird, ist die historische Dimension. Putsch-Versuche und Mordanschläge gegen US-Präsidenten durch den tiefen Staat gab es schon häufiger. Auch schon vor der Ermordung John F. Kennedys.
Denn es gab 1934 bereits einen Putschversuch gegen den damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, angezettelt von der Wallstreet. Er scheiterte nur, weil der dafür als Diktator auserkorene Ex-General Smedley Butler kurz zuvor ausstieg und die Pläne öffentlich machte.
„Butler zufolge hatten Roosevelt-feindliche Oligarchen, darunter J. P. Morgans Sohn Jack und der reiche Du-Pont-Wirtschaftsclan, versucht, (…) Butler als Anführer eines Aufstands verzweifelter Veteranen anzuheuern, um Roosevelt aus dem Amt zu jagen“, berichten Regisseur Oliver Stone und Historiker Peter Kuznick in ihrem 2015 veröffentlichten Buch „Amerikas ungeschriebene Geschichte“.
Auch zahlreiche Blogs weisen auf die aktuellen Aktivitäten des tiefen Staates hin. „Der ‚Deep State‘ befindet sich im Krieg gegen Trump“, schrieb der „Schlüsselkindblog“ im Februar 2018.
„Der Sumpf hat geopolitische Ausmaße angenommen, und die Welt würde sich schlagartig ändern, wenn US-Präsident Trump ihn trockenlegen würde.“
Auch viele andere Blogger machen auf diesen Konflikt aufmerksam.
„Seit 1945 haben wir eine Verbrecher-Bande in den USA sitzen, die von dort aus über die Nato die ganze Welt dominiert und terrorisiert: Und dann kam Donald Trump ins Spiel“,
sagt Veikko Stölzer, Blogger aus Dresden.
Der neue US-Präsident habe es sich zur Aufgabe gesetzt, diese „kriminelle Gruppe nun trockenzulegen“.