Von Marc Dassen
Was sind die wahren Ursachen von Afrikas Armut? Europas magere Entwicklungshilfe? Nein, sagen zwei Deutsche, die vier Jahre lang durch den Kontinent gereist sind.
Der Reisebericht der aus dem bayrischen Sauerlach stammenden Weltenbummler Thomas Lehn (58) und Constanze Kühnel (45) räumt auf mit so manchen Mythen, denen viele Europäer heute noch anhängen. Vornehmlich mit dem Glauben, dass man die Probleme Afrikas mit Geldzahlungen oder dem Transfer von europäischer Technik oder deutschem Know-How erledigen könnte. Der „schwarze Kontinent“ kämpft mit Schwierigkeiten, die nicht so einfach mit unserer Denkweise angegangen oder behoben werden können, schildert das Auswanderer-Paar im Merkur.
Ihre Erfahrungen aus den letzten vier Jahren vor Ort widersprechen damit vollkommen dem Denken der deutschen Regierung, die jüngst die Verschmelzung der Entwicklungspolitik und der „Verteidigungspolitik“ angekündigt hat. Beispielhaft auch Angela Merkel, die in ihrem am Samstag veröffentlichten Podcast forderte, dass die längst gescheiterten Ansätze der Subvention und Kreditvergabe noch verstärkt werden müssten. „Hier sehe ich ganz Europa in der Pflicht“, so Merkel wörtlich. Der bereits im Koalitionsvertrag geforderte „Marshall-Plan für Afrika“ solle dabei helfen, dass der Kontinent „möglichst wirtschaftliche Dynamik entfalten“ kann. Und wieder seien hier wir Europäer aufgerufen, diese Dynamik sicherzustellen, denn dies sei „im Grunde eine Aufgabe der entwickelten Welt“.
Afrika muss sich selbst helfen
„Wir lieben Afrika. Aber es frustriert uns total, zu sehen, wie dieser Kontinent sich selbst vernichten wird.“
„Die ganze Entwicklungshilfe ist letztlich ein Geschäftsmodell, die auch in Deutschland Arbeitsplätze schafft.“
Frustration über das „Nicht-wissen-wollen“ der Politik ist im Interview der beiden spürbar. Und auch die Ignoranz in der Berichterstattung haben sie satt:
„Der naive Umgang europäischer Medien mit diesem Thema wundert uns sehr. Es werden zig Millionen Euro sinnlos verblasen, vor Ort reiben sich die Mächtigen die Hände und keiner hier kapiert’s. Komischerweise sind afrikanische Präsidenten die reichsten der Welt, ihre Völker aber bitterarm. Das macht uns wütend und traurig.“
COMPACT hat im Gespräch mit dem deutsch-kongolesischen Patrioten, Politiker und Blogger Serge Menga bereit ganz ähnliche Ansichten vernommen. Auch er ist der Meinung, dass sich in Afrika korrupte Diktatoren die Taschen vollmachen und Europa dabei aktiv mitmacht. Wie verwunderlich ist es, dass sich Menschen mit echter Erfahrung in dieser Hinsicht einig sind, die Bundesregierung diese Tatsachen aber konsequent ignoriert? Und selbst die gebildeten Afrikaner vor Ort scheinen die Meinung der Kritiker zu teilen. Frau Kühnel berichtet:
„Wir haben darüber auch mit studierten Afrikanern diskutiert. Einer sagte uns: ,Hört endlich auf mit der Entwicklungshilfe – wir müssen selbst durchs Tal der Tränen gehen, um auf eigenen Beinen zu stehen‘.
Wie wirkungslos die angeblich gut gemeinte Entwicklungshilfe in den ärmsten Regionen Afrikas verpufft, dafür hat auch ihr Mann ein sehr anschauliches Beispiel parat, das sicherlich kein Einzelfall sein dürfte. Er erzählt:
„In einem Dorf haben Entwicklungshelfer einen Thermo-Ofen installiert. Der nutzt die Sonnenwärme und spart den Frauen das gemeinsame Hirsestampfen. Die Idee dahinter war, den Dorffrauen Zeit für andere Dinge zu geben. Nur: Die haben gar nichts anderes zu tun, weil Effizienz in Afrika keine Rolle spielt – das Hirsestampfen war das tägliche gesellschaftliche Ereignis, und das hat man ihnen genommen. Irgendwann ging der Ofen kaputt, gekümmert hat es keinen, es wurde einfach weitergelebt wie in der Zeit vor dem Ofen.“
Für das Ehepaar aus Bayern ist nach vier Jahren Afrika-hautnah klar:
„Das Problem ist, dass wir mit unserer europäischen Denkweise da rangehen, die Lichtjahre von der afrikanischen entfernt ist.“
Der lange Marsch nach Norden
Die Ursachen für Armut und Unterentwicklung liegen nicht, wie von manchen gerne suggeriert, darin, dass Deutschland oder Europa den Kontinent ausbeuten oder nicht genügend Entwicklungshilfe leisten, eher im Gegenteil. Der wahre Kern des Problems besteht darin, dass Afrika – aufgrund einer mangelhaften bzw. nicht vorhandenen Bildungskultur – gar keine Basis hat, auf der irgendein ökonomisches Wachstum stattfinden könnte. Es fehlt die Grundlage für Effizienz und Produktivität. Deshalb kann es gar nicht anders sein als so, wie es jetzt läuft: Geldzahlungen aus anderen Ländern versickern in einem Sumpf, den Stammesführer und Diktatoren beherrschen.
„Schule ist reines Auswendiglernen“, berichtet das Paar,…
„…mit der Folge, dass die meisten Afrikaner kein Gespür für logisches Denken entwickeln. Daran haben sie gar kein Interesse, sie planen nicht, sondern leben im Heute. Da stehst du oft fassungslos da, selbst bei Studierten. Deshalb gibt es in Afrika keinen unternehmerischen Mittelstand und somit nie genügend Jobs.“
Wie eben bereits gesagt: Afrika muss sich selbst an den eigenen Haaren aus dem Schlamassel ziehen – die Welt kann, wenn sie wirklich helfen will, nur darüber nachdenken, ob es Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit gibt, die letztlich nicht als „Geschäftsmodell“ primär im eigenen Interesse sind. Und während die internationale Politik die Grube immer tiefer gräbt, rollt die nächste Völkerwanderung auf Europa zu. Thomas Lehn ist sich nach seinen Erfahrungen sicher:
„Aus den jetzt 1,1 Milliarden Einwohnern werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts fünf Milliarden werden, schon jetzt sind 60 Prozent jünger als 15 Jahre, für die es aber weder Schulen noch Arbeit gibt. Jedes Projekt wird so zur Makulatur (…). Das heißt, letztlich wird es eine riesige Völkerwanderung geben – dagegen ist das, was wir jetzt täglich im Mittelmeer erleben, nur Kinderkram.“
Trautes Heim, Glück allein
Ende Februar will das Globetrotter-Ehepaar wieder zurück nach Afrika fliegen, von dort aus in Richtung Norden reisen, über die arabische Halbinsel nach Pakistan, Indien und Russland. Gerade angekommen in Deutschland, haben beide gemischte Gefühle.
Positiv, besonders nach den Erfahrungen der letzten Jahre, ist für beide, dass in Deutschland immer noch Ordnung, Pünktlichkeit und Effizienz herrschen. Die Einreise nach Deutschland geht schnell und unkompliziert:
„Nur sensationelle 35 Minuten nach dem Aufsetzen unseres Flugzeugs sitzen wir schon in der S-Bahn nach Sauerlach! Aussteigen, Passkontrolle, Gepäckband, Zoll, Fahrkartenkauf – das flutscht. In Windhoek würde der gleiche Vorgang mindestens zwei Stunden dauern.“
Von den hygienischen Zuständen Afrikas ist Deutschland ebenfalls Lichtjahre entfernt, was geradezu mit Erleichterung festgehalten wird, denn „in Afrika erstickst du im Müll“, so Thomas Lehn. Und weiter: „Zu 80 Prozent gibt es dort keine Toiletten. Hier, in Deutschland: Das ist eine andere Welt.“ Ganz besonders verblüfft scheinen Lehn und Kühnel davon zu sein, dass sie nicht – wie offenbar in Afrika üblich – auf Schritt und Tritt beklaut werden:
„Wir stellen unsere Koffer neben die Türe in der S-Bahn, setzen uns zwei Sitzgruppen weiter. Und auch nach zwei Dutzend Stationen ist das Gepäck noch da – mach das mal in Kapstadt oder so…“
Was ihnen jedoch zuerst auffiel, war der Stillstand in der Heimat:
„Vieles scheint sich nicht geändert zu haben – die Kanzlerin ist immer noch dieselbe und die Bayern sind immer noch Deutscher Meister.“
Wenn es noch lange beim Stillstand in der Regierung bleibt, werden die zwei den Unterschied zu Afrika eines Tages wohl noch höchstens am Wetter wahrnehmen können…