Vom Horror der Rückkehr in die moderne Zivilisation

von Hadmut Danisch

Der schönen Reise schreckliches Ende.

Ach, ich habe gerade so eine frappierende Konfrontation mit der modernen westlichen Welt, kann mich aber erinnern, dass mir das auf der letzten Neuseelandreise, die ebenfalls mit der Rückgabe eines Wohnmobils in Auckland endete, schon mal widerfahren ist.

Ich hatte das Wohnmobil jetzt für drei Wochen und habe es vorhin wieder abgegeben.

Ich war nun 19 Tage (den ersten und den letzten zähle ich da nicht so mit) in Zuständen, die man in vielerlei Hinsicht nur als paradiesisch beschreiben kann. Ich hatte ganze Strände nur für mich, ich war im Meer baden und schnorcheln, hatte wilde Delfine im offenen Meer auf Armlänge vor mir, wilde Orcas aus nächster Nähe gesehen, war auf vielen Straßen, auf denen mir höchstens alle Viertel Stunde mal ein Auto entgegenkam. Ich war entspannt, hatte Ruhe, konnte im Prinzip tun und lassen, was ich wollte. Wenn ich anhalten wollte, habe ich angehalten, und wenn ich weiter wollte, bin ich weitergefahren. Kein Zeitplan, keine Zielvorgaben, einfach immer der Nase nach und auf vieles, was ich gefunden (oder nicht gefunden) habe, einfach spontan reagiert. Immer der Nase nach. Es ist so einfach, wenn man sein Hotelzimmer immer huckepack dabei hat.

Ich wollte auf dem Rückweg von Norden nicht die gleiche Strecke fahren und habe mich entschieden, nicht nur auf der Westseite wieder vom hohen Norden runter zu fahren, sondern auch zum Schluss westlich zu bleiben, obwohl – oder gerade weil – es da nicht die Schnellstraße/Autobahn, sondern eine kleine, abgelegene Landstraße ist (wobei für beide dieselbe Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gilt). Dazu hatte ich die Anforderung, dass ich an den letzten beiden Abenden, vor allem am letzten, einen regulären Campingplatz mit ordentlicher Dump Station haben, weil ich das Wohnmobil noch sauber machen musste, wozu auch die Abwasser- und Klotanks gehörten. Der Abwassertank hatte mir Probleme bereitet, weil er jedesmal, wenn ich dachte, jetzt habe ich ihn frei, am nächsten Tag wieder verstopft war, obwohl ich nur Duschen, Hand-/Zöhneputzen und Rasurabwasser da reingegeben, aber nicht gekocht habe. Ich konnte da die Essgewohnheiten des letzten Benutzers genau nachvollziehen, weil jeden Tag irgendwelche anderen Reste, die man offenbar hemmungslos in die Küchenspüle und damit in den Tank geleert hatte, in den Auslasshahn gespült wurden und den verstopften. Angefangen hatte es mit Haferflocken, geendet hatte es mit altem Kaffee (oder zumindest danach aussah), den ich mit einem Zweig durchstoßen musste. Eine Packung Babynahrung (Mango-Banane, Haltbarkeitsdatum noch nicht erreicht) habe ich hinter einer Schublade gefunden. Die letzte Tagesetappe war deshalb die einzige der Fahrt, die ich danach geplant hatte, wo es a) hingehen musste und b) einen Campingplatz gab. Bisher bin ich immer der Lust hinterhergefahren und habe Campingplätze besucht (oder eben auch nicht, 1/3 der Nächte war wildes Campen oder Freedom Camping, wie das hier heißt)

Das erste Gefühl, dass ich jetzt wieder zurück in eine Welt fahre, die eigentlich irgendwie falsch ist, hatte ich schon gestern morgen. Da war ich auf einem kleinen abgelegenen Campingplatz gelandet, weil mich der Zufall dahingelenkt hatte. Vorgestern fuhr ich durch eine abgelegene Gegend und es regnete in Strömen, also besuchte ich an diesem Tag zwei Museen, von denen überhaupt nicht klar war, was man da eigentlich sieht. Beide stellten sich als wunderbar heraus, vor allem das zweite, das Kauri Museum. Kauri ist eine Baumart, die für die Geschichte von Neuseeland von zentraler Bedeutung ist. Ich habe da irgendwie so ein Botanikum oder eine stinklangweilige Uralt-Ausstellung erwartet und bin nur des Regens wegen rein, und dachte noch, die haben’s aber nötig, als mir die alte Schachtel an der Kasse sagte, dass sie mir ein zwei-Tages-Ticket gebe, weil sie mir einfach ansehe, dass mir ein Tag nicht reiche, und sie mich morgen sowieso zurück erwarte. Au weia, dachte ich – und kam am nächsten Tag tatsächlich zurück, weil mir die Zeit am ersten Tag nicht gereicht hatte. Es war ein toll gemachtes Museum über Dampfmaschinen und Sägewerke, in dem man nicht nur die Geschichte der Industrialisierung, sondern überhaupt der Besiedlung Neuseelands im 19. Jahrhundert nachvollziehen konnte, weil es hier ursprünglich einfach um das hemmungslose Abholzen der Kauri-Wälder ging, und das eben ziemlich genau in die Zeit der industriellen Revolution in Europa/England fiel, und deshalb davon nicht nur getrieben wurde, sondern einfach die neure Geschichte Neuseelands zentral gesteuert hatte. Ein ganz wunderbares Museum. Und tatsächlich reichten mir die ungefähr zweieinhalb Stunden, die ich an diesem Tage hatte, nicht aus, und beim Rauskommen meinte die alte Schachtel grinsend, sie hätte doch gleich gesagt, dass einer wie ich am nächsten Tag wiederkommen müsste. Na, sagte ich, das müsste ich erst mal einen Platz für die Nacht finden. Der nächste Campingplatz sei 200 Meter weiter, die Straße runter, sagte sie. Eigentlich hat sie Recht, dachte ich. Und bin da hin, obwohl ich das überhaupt nicht auf dem Plan hatte, und dachte mir, ziehste das Wohnmobilsaubermachen einen Tag vor. Ging aber nicht so wie gedacht, denn bei denen war der Wasserhahn an der Dump Station kaputt und sie hatten nur Eimerbetrieb aus der naheliegenden Toiletten/Laundry-Behausung. Und mit einem Eimer-Wasser kann man den Abwassertank nicht freispülen und den Klocontainer bekommt man damit auch nicht richtig und restlos sauber. Naja, dachte ich, wenigstens Wäsche waschen könnte ich da. Was an diesem Abend nicht mehr ging, weil es wirklich wie Weltuntergang geregnet hat. Ein Starkregen, dass es im Wohnmobil höllisch laut wurde, weil das auf das Kunststoffdach prasselte. (Die Neuseeländer freuten sich wie wild, weil das Land ausgetrocknet sei und dringendst Wasser bräuchte.)

Am nächsten Morgen hatte ich geduscht und so weiter, und wollte zum Wäschewaschen (die haben da auf den Campingplätzen immer eine Laundry, einen kleinen Raum mit Münz-Waschmaschinen und Wäschetrocknern), und dann passierte mir etwas, was mir noch nie passiert ist: Auto zu, Schlüssel drin. Scheiße. Normalerweise kann mir das eigentlich nicht passieren, weil ich immer erst fühle, ob ich den Schlüssel in der Tasche habe. Immer vorne rechts in der Hosentasche. An diesem Tag hatte ich aber eine andere Hose an, in der ich den Geldbeutel wegen anderer Taschen vorne rechts hatte, und ich hatte am Vorabend an der Rezeption Geld gewechselt, um genug der dicken Münzen für Waschmaschine und Trockner zu haben. Deshalb war mein Geldbeutel ungewöhnlich dick und hart, und ich hatte ihn beim Tasten irrtümlich für den Schlüsselbund gehalten. Das heißt, ich habe es eigentlich sofort gemerkt, aber da hatte die andere Hand die Tür schon zugeworfen. Multitasking. Während die Hirnhälfte für die rechte Hand einfach eine Zehntelsekunde zu spät gemerkt hat, dass es zwar rund, hart und schwer, aber diesmal der Geldbeutel und nicht der Schlüsselbund ist, hatte die linke Hand die Tür schon zugeworfen. Ich wusste schon, dass das falsch ist, bevor die Tür zu war. Aber es war einfach zu spät.

Einen Tag vorher hätte mich sowas in ernsthafte Probleme gebracht, denn da war ich noch in strömendem Regen tief im Wald unterwegs, um mich herum auf gefühlten 30 bis 50 km Umgebung keine lokalisierbare Menschenseele und absolut kein Auto mehr unterwegs, ich der letzte Bekloppte, der noch unterwegs war. Hätte ich mich da ausgesperrt, hätte ich ein richtiges Problem gehabt. Die Campingplatzwirtin, mit der ich später drüber sprach, sagte, da hätte ich eigentlich nichts anderes mehr tun können, als mich unter das Auto zu legen um wenigstens halbwegs vor Wetter geschützt zu sein. Ich hätte eher nach einem Stein gesucht und die kleine Seitenscheibe der Beifahrertür eingeschlagen, um nach dem Türöffner zu greifen. Aber da war ich nun auf einem Camping-Platz und zunächst mutterseelenallein, weil an diesem Tag – seltsamer Zufall – die Campingplatzwirtin (ältere Dame) ihre Tochter (Juniorchefin) ins Krankenhaus gefahren hatte, weil die sich verletzt hatte. Das Handy war auch nicht mehr greifbar, das lag im Auto. Aber wenigstens war es an diesem Tag trocken, ich hatte Tageslicht, es war warm und ich war auf dem Campingplatz, konnte mich in die Wohnecke der Küche setzen, wo ich dann doch auf ein älteres neuseeländisches Ehepaar stieß, die die Campmutter kannten und sich irgendwie verpflichtet fühlten, sie zu vertreten, während sie mit ihrer Tochter im Krankenhaus war. Die halfen mir rührend, und wir konnten dann mit seinem Handy die Notfallnummer der Mietwagenfirma anrufen, denen ich das Problem beichtete. Naja, gehört dazu, in den Versicherungsbedingungen steht sowas, dass einmal Dummenrettung (Tank leer und sowas) mit drin ist. Die fragten sehr professionell sofort, ob Kinder oder Tiere im Auto sind, und als ich das verneinte, sagten sie, ich solle einfach warten, der Dienst komme, die garantierte Response Time läge bei einer Stunde. Wow. Waschmaschine und Wäschetrockner dauerten länger.

Tatsächlich kam nach einer dreiviertel Stunde einer mit einem großen Abschleppwagen (quasi wie ADAC) an, so ein Typ wie der in Men in Black. Ich so schuldbewusst und tut mir leid, er breit grinsend, das sei ja wunderbar. War mir nicht klar, wie er das meinte. Das war so ein Lockpicker vor dem Herrn. Der packte erst mal genüsslich seine Lockpicking-Werkzeuge aus und meinte, das sei genau der Fahrzeugtyp, an dem er noch üben wollte. Ich meinte noch, die Fahrertür wäre sicherlich schwieriger, weil man die immer nur per Fernbedienung öffnet und nicht den Schlüssel rausfummelt, die sei also sicherlich noch jungfräulich neu, während die Seitentür hinten ein ganz billiges Schloss hat und sehr ausgeleiert ist, da dürfte es viel einfacher sein.

Nein, beschied er. Diese Tür und dieses Schloss seien Schrott, die interessierten ihn nicht, das reize ihn nicht, das habe für ihn keinen Vorteil oder Wert. Er wolle durch die Mercedes-Fahrertür. Ehrensache. Und von Berufs wegen. Selbstverständlich trugen wir erst mal einen der Holztische, die da rumstanden, an die Fahrertür, damit der Maestro kommod sitzen konnte. Wie in Chirurg mit Endoskop ging er zur Sache. Ich dachte, das dauert, und ging kurz die 10 Meter zur Laundry, um auf die Anzeige der Waschmaschine zu schauen. Als ich wieder rauskam, stand er triumphierend vor der offenen Fahrertür. Und da war die Waschmaschine noch nicht mal fertig.

Durch diese seltsame Kette von Zufällen kam ich in das Gespräch mit dem Ehepaar, das mir da geholfen hatte, auch während dann der Trockner lief, und ich erzählte über die Reise und das Wohnmobil, weil sie sich danach erkundigten, und sie erzählten, dass sie Neuseeländer sind und gerade irgendwo ihr Haus verkauft und sich dafür hier ein großes Stück unberührten Landes gekauft hätten, sie gerade noch auf dem Campingplatz ausharren würden, bis sie es betreten und in Besitz nehmen dürften, weil die letzte Zahlrate von der Bank noch bestätigt werden und dann das Grundstück vom Notar im Grundbuch umgetragen werden musste. So lange säßen sie auf diesem Campingplatz herum und warteten.

Dabei bin ich dann noch an einen Kontakt gekommen, an den ich ohne diese seltsame Reihe von Zufällen nicht gekommen wäre.

Frappierend fand ich aber, dass ich erzählt hatte, dass ich gerade gestern morgen noch bei Russel im offenen Meer mit wilden Delfinen geschwommen war und wilde Orcas, teils aus nächster Nähe (2 Meter) gesehen hatte, und sie antworteten, da wären sie noch nie gewesen, sich erkundigten, wie es da so sei. Moment Mal. Die haben dieses Paradies einen Tagesausflug mit dem Auto von sich und waren noch nie im Meer baden?

Sie sagten, sie wollten ihr Leben komplett ändern. Bisher Stadtleben, davon Schnauze voll, jetzt ein Stück unberührtes Land, auf dem sie in die Viehzucht einsteigen wollen. Da merkte ich so Hoppla, da gibt es einen Riesen-Unterschied Stadt-Land. Das sind zwei Welten.

In Australien war mir ähnliches aufgefallen. Auch da quatscht man ständig mit den Leuten, und natürlich fragen sie immer, wo man schon war. Die meisten Australier staunten, wenn ich erzählte, wo ich schon war, und manche fragten ehrfürchtig, wie es denn so wäre da draußen im Outback. Sie hätten sich da bisher nicht hingetraut. Ein deutscher Tourist erzählt Australiern, wie es in deren Outback („hintenraus”) ist. Stadtratten.

Ich beschloss also, für die letzte Etappe nicht über die Autobahn 1, sondern über die (eher einer Landstraße entsprechende) Straße 16 zu fahren und den Campingplatz in Helensville/Parakai zu besuchen. Dort soll’s nämlich eine Therme mit Bad geben, die auch einen Campingplatz hätten, und wenn man beides nähme, gäb’s Rabatt. Gedacht, getan.

Da habe ih dann so die erste Stufe der Zivilisationskrise bekommen.

Das Bad stellte sich als ordinäres, nur eben warmes gekacheltes Freibad heraus, gruselig gechlort, nur 1,40 tief, in dem Mütter mit kleinen Kinder schwimmen übten, und noch einem sehr warmen Innenbecken, in dem man einfach rumstand, bis es einem zuviel wurde.

Da stand ich also in dieser Brühe und dachte mir, was für ein Abstieg, was für eine Demütigung. Fast drei Wochen hatte ich die schönsten Strände besucht und für mich alleine gehabt, wunderbare Thermen und Schwefelbäder besucht, war im offenen Meer geschwommen und geschnorchelt, und nun stehe ich hier in dieser stinkenden und völlig spaßfreien Kinderbrühe. Geht so gar nicht. Nichts wie raus. Da merkte man schon, dass man sich der Stadt gefährlich näherte.

Auch der Campingplatz war seltsam. Bisher war ich auf allen Campingplätzen fast oder ganz alleine. Auf diesem nun waren viele Leute, aber sehr seltsame. Es sah aus wie ein Wanderzirkus, weil der Campingplatz voll von Hippie-Typen war, die sich ihre Wohneinheiten aus altem Kram selbst auf alte LKW gezimmert oder uralte Busse bunt bemalt und hippiemäßig umgebaut hatten.

Ich hatte mir eine leere Ecke gesucht, aber kaum hatte ich da festgemacht, kam eine Familie (oder Frau, eigentlich habe ich nur die Mutter mit einem Sohn gesehen, obwohl das irgenwie wie Riesenfamilie wirkte), die mit einem neuen weißen teuren Geländewagen anfuhr und einen riesigen, ebenfalls neu und teuer wirkenden Wohnwagen im Schlepp hatte. Den hat sie dann noch aufwändig aufgestellt, hübsch mit Pflastersteinen unter den Stützen, und dann noch zwei externe fahrbare Tanks an die Abwasseranschlüsse, mit denen man die Abwässer bequem zum Abfluss schieben konnte und nicht den ganzen Wohnwagen bewegen musste. Die sind gekommen um zu bleiben, dachte ich. Seltsam war, dass Auto und Wohnmobil teuer und vornehm waren, Mutter und Sohn aber im betont gammeligen Bauern-Look rumliefen, grobe ausgeleierte alte Strickpullover, Gummistiefel und so. Passte überhaupt nicht zusammen.

Am nächsten Morgen wachte ich von den Geräuschen der nahegelegenen Landstraße auf, blieb aber noch etwas liegen und döste so vor mich hin, wunderte mich aber über einen Hubschrauber. Hubschrauber hatte ich in den letzten Tagen oft gehört (Touristenrundflüge), aber der kreiste beständig, der ging nicht weg. Dachte, das wird wohl Verkehrsüberwachung oder Polizei oder sowas sein.

Als ich vom Duschen zurückkam, sah ich verdutzt, wie sie in großer Hektik beschäftigt war, den Wohnwagen wieder abzubauen, Stützen einzufahren und so weiter.

Ob ich vorhätte, länger hier zu bleiben, fragte sie. Nein, sagte ich, ich packe gerade zusammen und fahre geradewegs nach Auckland. „Mach, dass Du weggkommst, so schnell wie möglich!”, sagte sie mit hörbarer Panik in der Stimme. „Wir hauen hier sofort ab!”

Wieso, was’n los?

„Der Hubschrauber da oben über uns, hast Du den Hubschrauber nicht gehört?”

Ja, schon, doch. Und?

„Der versprüht über uns Pestizide!”

Scheiße.

Da fiel mir ein, was mir neulich eine Neuseeländerin, mit der ich mich lange unterhalten hatte, in großer Wut gesagt hatte: Früher habe Neuseeland das beste und sauberste Trinkwasser der Welt gehabt. Aber die dumme Regierung und die Landwirtschaft würden alles mit Pestiziden, Dünger und sonstigem Dreck vollhauen, besonders Glyphosat, dazu unermessliche Mengen von Gülle, gnaden- und rücksichtslos, und damit fast das ganze Wasser und den Boden verpesten. Das wenige gute Trinkwasser, das sie noch hätten, würde nach China verkauft und die Neuseeländer bekämen nur noch das „shit water” zu trinken. Die war ziemlich sauer und geladen. Die donnerte geradezu. Ähnliches hatten mir auch andere Leute gesagt und in Neuseeland lebende Leser geschrieben. Bisher allerdings hatte ich davon nichts bemerkt oder gesehen, bis ich eben jetzt auf diese Luxus-Wohnmobil-Gammel-Pulli-Nachbarin in Panik traf.

Und dann noch das Museum, das auch davon handelte, dass man mit Neuseeland eigentlich seit man angekommen ist nur Schindluder getrieben hat. Und wie mir manche sagten, nicht etwa nur der „weiße Mann”, sondern auch die als Ureinwohner oft angebeteten Maori waren nur Einwanderer, die sich hier erst mal benommen haben wie Sau, fremde Tiere und Pflanzen eingeschleppt, Tiere ausgerottet und so weiter haben. Es gibt Leute, die sagen, dass Neuseeland im Prinzip nur eine große Plünderungsmaschine sei. Im Prinzip sei daran gar nichts besser als in Europa, es sehe nur besser aus, weil sie eben einfach viel weniger Leute (absolut und pro Fläche seien), und das der einzige Grund wäre, warum’s hier noch schön und gesund aussehe. Im Prinzip sei es nur noch eine große Sauerei, aber eben stark verdünnt.

Ich beeilte mich also, loszufahren.

Mein Zeitplan war, das Wohnmobil am frühen Nachmittag zurückzugeben. Die Firma schließt und 4 nachmittags (Neuseeland eben) und ist im Süden von Auckland gleich am Flughafen. Ich kam von Norden und mein Hotel war in der Mitte. Wollte also am Hotel vorbei, einchecken und ausladen.

Das war ein Fehler.

Ich hatte vorher per Mail angefragt, wo ich da mit einem Riesen-Wohnmobil halten könnte, und sie meinten, kein Problem, wenn’s flott geht, sie hätten auf der Rückseite eine Ladezone, die könnte ich nutzen. Das ist aber so eine verdammt enge Gasse für Lieferanten mit Mini-Bussen in VW-Bus-Größe. Ich war da schon mal, aber hatte es nicht gar so eng und steil in Erinnerung. Man muss durch eine höllenenge Straße und dann durch eine Unterführung in einem anderen Gebäude, um in einem engen steilen Innenhof anzukommen. Ich hatte es irgendwie geschafft, das Wohnmobil da reinzuzirkeln, als die mir drin dann sagten, ja, also, Checkin-Zeit sei nicht vor 14 Uhr. Und daran würde auch ich nichts ändern.

Raus war es noch viel schwieriger, denn hinter mir hatte ein Lieferant geparkt. Der sich nicht dafür interessierte, wie ich da wieder rauskäme.

Dann kam noch so ein Super-Ar… so ein Ar… so ein Armenengel von der Salvation Army, der Heilsarmee, und parkte mitten in der Zufahrt, um vom Lieferanteneingang des Supermarkts Lebensmittelspenden abzuholen.

Ob er nicht sehe, dass er mir die Ausfahrt blockiere und ob er nicht richtig in die Einfahrt fahren könne, fragte ich.

Er sei von der Heilsarmee, verkündete er.

„Sure. And I’m on a mission from God!”, rief ich. Denn ich hatte meine Sonnenbrille auf.

Ich hatte es ja eigentlich als Spott und ironisch gemeint, aber zu meiner Verblüffung funktionierte das Argument, und er hielt mir nun einen gestenreichen Vortrag, was er vorhabe und wie er mir nun Platz machen wolle. Er soll’s mir nicht erklären, er solle es machen, sagte ich.

In der Erkenntnis, dass die Zeit nicht reichte, um nach 14 Uhr wieder zu kommen, einzuchecken, durch den Stau noch bis zum Flughafen zu fahren und das Wohnmobil bis 16 Uhr übergeben zu haben, biss ich in den sauren Apfel und fuhr direkt zur Rückgabe, um dann mit meinem ganzen Plunder per Taxi wieder zurückzufahren. Hat mich 70 Dollar extra gekostet.

Das Problem war nämlich, dass ich unter Wohnmobilbedingungen und etwas zu wenig Zeit es nicht geschafft hatte, meinen ganzen Krempel wieder so dicht und eng zu packen, dass alles in meinen beiden Reisetaschen passte.

Außerdem hatte ich mir hier ein Stativ, die Drohne, Sandalen, zwei Kapuzenpullis, ein Bluson, für kalte Morgende zwei Schlabberjogginghosen (2 für 18 Doller = ca. 11 Euro) und diverse T-Shirts und Poloshirts (so ab ca. 3 Euro) und Unterhosen (6 Stück 6 Dollar, also ca. 4 Euro) gekauft, die ich jetzt nicht alle sofort in den Müll geben wollte. Außerdem noch etliches Verbrauchsmaterial und Zeugs, was sowieso nicht mit auf den Flug geht, der ganze Badezimmer- und Hygienekram (Rasierschau, Duschmittel,…), Sonnencreme, Plastikgabeln, Reinigungsmittel, Waschmittel, Küchenrolle, was ich aber hier noch brauche. Und das hatte ich in Erwartung des Ausladens an der Hintertür des Hotels in diverse Einkaufsbeutel gepackt. Denn hier in Neuseeland und in Australien hat man Einkaufstüten schon vor Jahren verbannt, und gibt dauerhafte Einkaufstaschen aus einem billigen Fasermaterial heraus, die 1$ kosten, die sie einem dann hier aber jedesmal kostenlos ersetzen, wenn sie kaputt sind. Man kauft sie einmal und hat dann immer eine, aber eine pro Supermarktkette. Ich habe deshalb vier verschiedene.

Das taugt aber nicht, wenn man das Zeug dort ausladen, herumstehen, und dann per Taxi rumfahren lassen will, weil es umfällt, alles herausfällt, und sich jeder bedienen kann, und man mit 10 große und kleinen Taschen für bekloppt gehalten wird. Im Großmarkt habe ich zu meiner Rettung einen Lagerbeutel für 4$ bekommen, aus dem Material, aus dem sie auch die IKEA-Beutel machen, halb so groß wie eine deutsche Waschmaschine, die Mutter aller Einkaufsbeutel, nach Plastik stinkend, hässlich, genau richtig. Da habe ich all die Einzelbeutel rein und dann nur noch 3 Taschen. Absolut diebstahlsicher, weil hässlich, stinkend und im wahrsten Wortsinn untragbar. Alle hielten mich für bekloppt, weil ich mich mit zwei Taschen, diesem komischen Schranksack und noch dazu einer halben 24-Mineralwasserflaschenpackung unterwegs war, die ich eben nur halb aufgebraucht hatte. Ich hatte aber auch keine Lust, das billige Mineralwasser am Flughafen wegzuwerfen und dann hier wieder teuer nachzukaufen. Der Taxifahrer pflichtete mir bei, dass es sich nicht gehört, Lebensmittel zu vergeuden.

Bei der Abgabe des Wohnmobils hatte ich noch gehört, wie ein Deutscher, der auch gerade sein Wohnmobil abgab, einen Schweizer, der gerade losfahren wollte, ansprach, er habe noch Lebensmittel, KÜchenrolle und all so’n Zeugs, ob der Schweizer das haben wollte. Der begeistert „Ja, alles her damit!”. Da fragte ich, ob er auch Interesse an einem neuen, nur 3 Wochen benutzten Auto-Navi habe. Er in krachledernem Schwyzer und ziemlich empört und verärgert: „Nein, das machen wir nicht!” Gottogott. Was habe ich falsch gemacht? Ich habe aber später bei weiterem Gespräch gemerkt, dass es nichts mit mir oder diesem speziellen Gerät zu tun hatte, der konnte nur einfach Navigationsgeräte auf den Tod nicht ausstehen.

So kam ich also letztlich im Hotel an.

(Der Schranksack im Vergleich zu einer Reisetasche und der halben 24er Packung Mineralwasserflaschen.)

Ich habe hier erst mal einen Krisenmodus bekommen.

Drei Wochen lang Ruhe und Abgelegenheit und plötzlich wieder auf vierspurigen Autobahnen. (vier Spuren pro Richtung!)

Drei Wochen lang auf einsamen Straßen und plötzlich Stau.

Drei Wochen lang Ruhe und plötzlich piept’s und dudelt’s und trötet’s und hupt’s und schreit’s an jeder Ecke.

Drei Wochen lang einsame Strände und plötzlich alles voller Menschen.

Was mir aber besonders auffiel:

Drei Wochen hatte ich keine Probleme. Gar nichts. Alle Leute hilfsbereit, alles elastisch, nie wurde etwas abgelehnt, wenn man freundlich fragte, ging immer irgendwie alles, man bekam alles, man durfte fast alles, wenn man mit den Leuten redete. Und nun traf ich auf Leute, die fahren wie Sau, die rücksichtslos sind, die sich völlig egoistisch aufführen, denen die Situation des anderen völlig egal ist. Ich war vor 3 Wochen schon in derselben Stadt, aber es war mir nicht so krass aufgefallen.

Und was mir jetzt auch viel stärker auffällt: Wieviel Dumme rumlaufen. Stadt-Zombies.

Draußen auf dem Land hatte ich immer wieder mal gedacht, dass sie liebenswürdig sind, aber wohl nicht die hellsten. Da war ich öfters mal auf Leute getroffen, die ihren einfachen Lebensablauf beherrschten, aber mit allem darüber überfordert schienen. Man beschrieb es als simple life. Sie waren damit zufrieden.

Hier in der Stadt habe ich nach nur 5 Stunden das Gefühl, zwischen Leuten rumzulaufen, die nicht erst mit dem darüber, sondern schon mit ihrem täglichen Lebensablauf völlig überfordert sind. Stadtzombies.

Es ist mir noch nie so aufgefallen wie heute. Nach drei Wochen draußen in Neuseeland komme ich mir vor, als würde ich unter Zombies rumlaufen. Mir fallen auf einmal Leute auf, die für ihren normalen Tagesablauf zu dumm sind, aber in der Stadt trotzdem irgendwie überleben.

Ich war doch kurz vor mittag vergeblich in diesen völlig engen Hinterhof hinter dem Hotel gefahren und mit Gottes Hilfe 😉 auch wieder raus. Als ich gerade um die Ecke in die nächste (sehr enge) Straße biegen wollte und mit diesem Riesen-Wohnmobil und dessen großen Radstand und Wendekreis auch nicht gerade im scharfen 90°-Winkel um die Ecke hüpfen kann (heute morgen noch steckte ich in einer Auckland-Vorstadt in einer Seitenstraße in einem kleinen Kreisverkehr kurz fest, weil dessen Außenradius kleiner als mein Wendekreis bei voll eingeschlagenem Lenkrad war, und ich kurz zurücksetzen musste, die Vorstadt-PKW-Fahrer hinter mir das aber nicht kapierten, dass und warum ich mal einen Meter zurücksetzen musste.) Und als der, der schon auf der Straße war, hatte ich da eindeutig Vorfahrt. Just in diesem Augenblick kommt aus einem Parkhaus gegenüber eine Chinesin im Business-Kostüm mit Luxus-Limousine raus, sieht mich, denkt aber nichts dabei und fährt trotzdem aus dem Parkhaus, kommt aber nicht voran, weil es nicht geht. Wenn zwei Front-gegen-Front schräg in der Straße stehen, geht es nicht voran. Nur dass ich auch nicht zurück konnte, weil hinter mir schon das Ar… das Ar… das Armenglück von der Heilsarmee fuhr. Auf die Idee, die Vorfahrt zu beachten, und mich erst mal vorbei zu lassen, oder einfach ein Stück zurückzusetzen, weil in der Einfahrt hinter ihr mehr als genug Platz war, kam sie nicht. Die stierte stur nach vorne geradeaus, reagierte überhaupt nicht, guckte nicht, und wollte ums Verrecken nur vorwärts fahren. Wären wir in Australien, hätten sie die Chinesin neben Emu und Känguru in die Nationalflagge aufgenommen, weil die beiden in der Flagge sind, weil sie nicht rückwärts laufen können. Sie symbolisieren, dass es immer nur voran geht. Die Frau war zu doof zum Auto fahren. Die hielt sich am Lenkrad fest, konnte aufs Gas treten, Vorwärtsgang, und sonst nichts. Die war nicht in der Lage, das räumliche Problem oder auch nur die Vorfahrtsregeln zu begreifen. Irgendwie habe ich es dann noch geschafft, mich an der vorbeizuzwängen ohne Schaden bei der Heilsarmee zu hinterlassen.

Und so geht das die ganze Zeit.

Ich habe auf dem Land relativ wenige Autofahrer gesehen, oft kam mir nur alle paar Minuaten einer entgegen, manchmal auch eine Stunde lang gar keiner. Bei der Nachtfahrt durch den Wald an der Westküste kam mir in zweieinhalb Stunden Fahrt genau einer gerade entgegen und einer kreuzte mal quer aus einer Ausfahrt. Aber ich kann mich für die gesamten 3 Wochen nicht erinnern auf dem Land einen gesehen zu haben, der sein Auto nicht fahren konnte. Hier sehe ich ständig Leute, die schon mit Elementarem überfordert sind.

Ich wollte die defekten Sandalen im Edel-Laden umtauschen, wie die mir das per E-Mail angeboten hatten, und traf auf eine Verkäuferin, die überfordert damit war zu verstehen, was „Warranty” meint. Ein anderer Verkäufer bekam das mit, verstand und übernahm aus der Ferne sofort (es lag also wohl nicht an mir), rief den Chef, und mit dem konnte ich mich auch normal unterhalten. Ich merkte dann aber, dass die anderen Verkäufer mit der sprachen, als wäre sie panne, und die auch nicht richtig englisch konnte, aber die war nicht geistig behindert oder so, die war einfach nur entsetzlich doof und hatte in der Stadt ein Biotop gefunden, in dem es nicht stört.

Ich hatte doch neulich von dem Typen berichtet, der im Telefonladen Telefonkarten verkauft und damit überfordert ist, sie in ein Telefon einzuetzen ohne 27 Mal drauf rumzufingern. Der fiel mir plötzlich wieder ein.

Auf dem Land sind manche zu doof für mehr als das, was sie machen.

In der Stadt sind viele zu doof für das, was sie machen.

Und deshalb machen hier auch so viele Dienst nach Vorschrift, halten sich blind an echte oder vermeintliche Anweisungen und Regeln, weil sie diesen Halt brauchen.

Mir kommt die Stadt gerade wie eine Ansammlung von Doofen, für ein Überlebensbiotop nicht Überlebensfähiger vor. Ich dachte immer, auf dem Land seien sie doof. Gerade habe ich den entgegengesetzten Eindruck. Anscheinend führen der hohe Grad der Abstraktion und die Arbeitsteilung dazu, dass Leute, die von allem eigntlich nichts oder fast gar nichts können, trotzdem überleben und sich fortpflanzen können, und dabei (außer mir) nicht mal auffallen.

Aber vielleicht verwechsle ich da auch eine Korrelation mit einer Kausalität. Vielleicht macht die Stadt nicht doof, sondern alle Doofen wollen in die Stadt, weil sie da bessere Chancen haben. Weil man in einer Stadt gut aufgehoben damit ist und keine Nachteile daraus hat, von fast allem fast nichts zu können.

Und dann überall dieser Lärm, dieses Gepiepe und Gedudel, dieses Geschrei. Ich sehe in einer Seitenstraße der Hauptstraße mehr Polizisten und Sicherheitsleute, als in den gesamten drei Wochen auf dem Land zusammen.

Aber es ist schön, endlich wieder ein normales Badezimmer zu haben.


Quelle und Kommentare hier:
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