Volk

Von Siegfried von Xanten

Volk. Urgermanisch „fulka“. Mittel- und althochdeutsch „folc“.

Was muss man sich eigentlich darunter vorstellen? Unter dem Volk. Nur eine Menschenmenge? So, wie wenn man sich unter das Volk mischt oder etwas unter das Volk bringt? Oder meint Volk eine „Reihe verschiedener, sich teilweise überschneidender Gruppen von Menschen, die aufgrund bestimmter kultureller Gemeinsamkeiten und Beziehungen und zahlreicher Verwandtschaftsgruppen miteinander verbunden sind“?

Johann Gottfried Herder hat den Begriff der Volksseele geprägt. Ein „Schlagwort für die geheime Schaffenskraft des Volkes und die Empfindung der Gesamtheit.“ Und Gustav Freytag hat den Bogen zur Sprache und zur Ethik geschlagen:

„Die Sprache, das gesamte sittliche Empfinden repräsentiert nicht das Individuum; sie stellen sich nur dar, wie der Akkord in dem Zusammenklingen der einzelnen verbundenen Töne in der Gesamtheit, dem Volk. So darf man wohl, ohne etwas Mystisches zu meinen, von einer Volks-Seele sprechen.“

Und Luther hat dem Volk aufs Maul geschaut.

„Es ist bekannt, dass Luther bei seiner Übersetzungstätigkeit oft lange mit einzelnen Passagen gerungen hat, weil es ihm darum ging, die Bibel dem Volk verständlich zu machen.“

Und dann gibt es noch das fahrende Volk. Artisten, Schausteller und Holländer.

Und für Legasthenie-Spezialisten findet sich sogar noch ein vollkommen neuer etymologischer Horizont: Ervolk, volksam und ervolkreich. Oder lautgleich zum Volk der Imperativ des Verbs folgen. Folg‘. Und durch Anagrammierung gelangt man dann zum Golf.

Und gegen den legasthenisch anagrammierten Folgsbegriff, also den Golf, und den dahinterstehenden Volkswagen Konzern befinden sich die Amerikaner nun seit geraumer Zeit auf dem Kriegspfad. Unregelmäßigkeiten bei den Stickoxidmessungen gibt es freilich nicht nur beim Volkswagen Konzern. Täuschungsvorwürfe gibt es auch gegen Renault. Unter anderem. Allerdings scheint man bei den Glocken, an die sie gehängt wurden, den Klöppel entfernt zu haben, sodass sie nicht oder kaum klingen.

Und wenn das Volk Nathalie heißt und mit Frank Otto und einem TV-Team auf die Seychellen reist, findet das Brigitte „unfassbar peinlich“. Mit einem „Fremdschäm-Faktor“ auf Spitzenwert.

Aber darf man überhaupt noch Volk sagen? Oder danach fragen? Christina Röschlein meint nein. Der Begriff habe sich für einen Platz in der Liste der unzumutbaren Wörter beworben. „Weil sich Volksbücherei zu ‚völkisch‘ anhört“, wollte sie die Volksbücherei Fürth in Stadtbibliothek umbenennen. Die, die noch nicht so lange hier sind, könnten denken, dass die Bibliothek nicht allen offen steht. Ein „fragwürdiges Alleinstellungsmerkmal“.

Außerdem lasse der Begriff Volk „in keiner Weise erwünschte Assoziationen mit dem im Nationalsozialismus negativ geprägten Volksbegriff zu.“ Umbenennungskritiker merkten an, dass die „Wir sind das Volk“-Bewegung in der DDR ganz neue Assoziationen geweckt habe. Was aber nichts daran ändert, dass man dem Volksbegriff in Deutschland nicht zu nahe kommen darf. Immer liegt die politische Korrektheit schon auf der Lauer.

Und man läuft…

„… Gefahr, dass einem von zahlreichen Lagern der öffentlichen Meinung ein scharfer Wind entgegenschlägt und die Frage, die einem so lodernd unter den Nägeln brennt, keine Beantwortung finden wird, weil man sogleich von tosenden Ermahnungen überschüttet wird, die am Ende womöglich dazu führen, dass man sich schämt, überhaupt gefragt zu haben.“

Volk, das ist auch etwas für Vereinfacher. Für Populisten. Sagt Wolf Lotter. Für „Leute, die dem Volk nach dem Mund reden. ‚Volk‘, das sind die, deren Angst man in Ressentiments verwandeln will und die nicht aufgefordert werden, etwas dazuzulernen.“ Und wer nichts dazulernen will, ist dumm. Das Volk: Eigner von Angst, Ressentiments und Dummheit.

Populismus ist eine konservative Methode und beruft sich unter anderem auf den gesunden Menschenverstand. Heißt es bei Wikipedia. Und vor dessen Versuchung soll uns der Herr befreien. Dafür betet der Heilige Vater. Herr, befreie uns vom gesunden Menschenverstand und nimm das Volk gleich mit.

Gegen den unangenehmen Beigeschmack empfiehlt der Spiegel das Wort „Bevölkerung“. Ein Notbehelf. Und ein grammatischer Fehlgriff. Kein Sammelbegriff, sondern ein Vorgang. Im Sinne von besiedeln. Bewässerung und Wasser sind ja auch zwei Paar Schuhe. Wobei der Vergleich hinkt. Denn keines der beiden Paare scheint wirklich zu drücken.

Anders als das Paar, das im Volksregal steht. Und wegen Unzumutbarkeit nicht mehr getragen werden soll und darf. Und das nach Fahrplan. Nach dem Hooton-Fahrplan. Und weil man mit dem Fahrplan wunderbar von der Vergangenheit in die Gegenwart reisen kann, bekommt er auch noch ein Etikett. Das der Verschwörungstheorie:

„Fremdenfeinde und Verschwörungstheoretiker stellen den Hooton Plan heute nicht als fiktiven, nie wieder erwähnten und von niemandem sonst vertretenen Propagandaartikel, sondern als historische Tatsache dar. In der Flüchtlingsbewegung sehen die Nutzer den Beweis für die Umsetzung des Plans – vor allem ‚männliche Nicht-Europäer‘ sollten für ‚Mixrassen‘ sorgen. Mittlerweile wird der Hooton Plan auf zahlreichen rechten und rechtsextremen Blogs als Beleg für einen globale Verschwörung wiedergegeben.“

Vielleicht wäre ja alles nur halb so schlimm für den Volkswagen Konzern gekommen, wenn man sich stattdessen Bevölkerungswagen Konzern genannt hätte.

Ernest Hooton wollte in den 1940er Jahren Nägel mit Köpfen machen bezüglich der rassischen Eigenschaften der Deutschen. Und ihrer unterstellten besonderen Tendenz zum Krieg. Statt der psycho-sozialen Umerziehung postulierte er eine biologische Umvolkung der Deutschen. Für eine erfolgreiche und dauerhafte Unterwerfung. „Breed war strain out of Germans“. Den Kriegs-Stamm aus den Deutschen herauszüchten.

„Zu diesem Zweck empfahl Hooton, der unterschiedslos alle Deutschen für „moralische Schwachsinnige“ hielt, die Geburtenzahl der Deutschen zu reduzieren sowie die Einwanderung und Ansiedlung von Nicht-Deutschen, insbesondere von Männern, in Deutschland zu fördern“.

Eine Verschwörungstheorie. Gut. Manchmal sind Theorien eben ganz praktisch. Zumal, wenn sie sich in die Praxis verlaufen.

Und das Vakuum, das durch den aussortierten Begriff Volk entstanden ist, kann man ja durch andere Begriffe auffüllen. Zum Beispiel durch „Hundeclan“ oder „Köterrasse“. Ein Vorschlag des ehemaligen Vorstandsmitgliedes des Türkischen Elternbundes Hamburg, Malik Karabulut. Auf Facebook:

„Es hat bislang weltweit kaum ein zweites Volk gegeben, welches Menschen derart verachtet, massakriert und erniedrigt hat. Ihr nennt uns Bösewichte und wir schweigen. […] Erhofft sich Türkei noch immer etwas Gutes von diesem Hundeclan? Erwarte nichts Türkei, übe Macht aus! Sie haben nur Schweinereien im Sinn. Möge Gott ihren Lebensraum zerstören.“

Gut. Das ist aber keine Beleidigung. Denn die Deutschen kann man gar nicht beleidigen. Zumindest nicht als Kollektiv. Sagt die Staatsanwaltschaft Hamburg. Verbal unverwundbar. Beinahe wie Siegfried. Der war freilich physisch unverwundbar. Bis auf die „Schwachstelle zwischen den Schulterblättern“.

Es müsse sich um eine Gruppe handeln. Mit irgendeinem festen äußeren oder inneren Unterscheidungsmerkmal. Schulterblätter hin oder her. „Für die Bezeichnung ‚Deutsche‘ treffe das nicht zu, da diese sich nicht ‚als unterscheidbarer Teil der Gesamtheit der Bevölkerung abgrenzen lässt‘“.

Und was sagt der Führer?

„Nicht dank, sondern trotz der Juristen lebt das Volk. Ich bin ja nicht der erste, der in ihnen eine Bazillenkultur sieht! Friedrich der Große hat nicht anders gedacht.“

Wunderbar. Bevölkerung, Bewässerung, Wasser. Alles Begriffe, die nicht drücken. Und deutsch oder Deutscher? Eine Art Teflon-Anzug. Beleidigungen perlen ab. Eine Steilvorlage für das Volk. Postmodern und auf der Höhe der Zeit. Ohne irgendein festes äußeres oder inneres Unterscheidungsmerkmal. Eine leere Phrase. Eine Menschenmenge.

Und darauf ein Schwur:

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde – so wahr mir Gott helfe.“

So der Amtseid der deutschen Bundeskanzlerin am 14.03.2018.

Und das Volk? Wer ist das nun? „Alle sind das Volk.“ Alle. Die, die noch nicht so lange hier sind und die, die schon lange hier sind. Und die irgendwann da sein werden.

Weiter gedacht heißt das, man kann die ganze Welt ins Land holen und dann sind alle das Volk. Die ganze Welt. Wenn aber 7,5 Milliarden Menschen das Volk sind, dann verliert sich der Begriff. Er löst sich auf. Konsequent zu Ende gedacht. Es gibt also gar kein Volk.

Wie der Grünen-Parteichef Robert Habeck weiß.

„Es gibt kein Volk und es gibt deswegen auch keinen Verrat am Volk. Sondern das ist ein böser Satz, um Menschen auszugrenzen und zu stigmatisieren.“

Sehr schön. Und der Amtseid auf das deutsche Volk? Makulatur?!

Es gilt, das Deutsche baldigst zu verabschieden. Ein wunderbarer Abgang.

„Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen […] zu haben“.

Selbstmitleid, penetrante Besserwisserei und ewig schlechte Laune seien die hervorragendsten Eigenschaften dieser Nation. Eine Nation, die

„für alles Erotische sich […] anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden.[…] Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal.“

Meint Deniz Yücel.

Das weckt ganz unklinische und unverklemmte Assoziationen. An einen Unsinnstext in einem sprachlich-musikalischen Kinderspiel, bei dem alle Konzentration den Selbstlauten gilt, die konsequent durch einen einzigen Vokal ersetzt werden. Drü Chünüsün müt düm Küntrübüss …

Und die deutsche Kultur? Ist auch nicht identifizierbar. Jenseits der Sprache. Sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz:

„Schon historisch haben eher regionale Kulturen, haben Einwanderung und Vielfalt unsere Geschichte geprägt. Globalisierung und Pluralisierung von Lebenswelten führen zu einer weiteren Vervielfältigung von Vielfalt.“

Und:

„Einwanderern kann man keine Anpassung an eine vermeintlich tradierte Mehrheitskultur per se verordnen.“

Vervielfältigung von Vielfalt. Und schließlich Einfalt. Da wird einem ganz schwindelig.

Gut. Wie kann es auch eine deutsche Kultur geben, wenn es die Deutschen nicht wirklich gibt. Das ist nur konsequent. Als Gruppe mit irgendeinem festen äußeren oder inneren Unterscheidungsmerkmal gibt es die Deutschen gar nicht.

Und obwohl es das Volk gar nicht gibt, hat man es gesucht. Saul Kussiel Padover, Captain der Abteilung für Psychologische Kriegsführung der US-Armee hatte sich Ende 44 auf die Suche nach des „Führers Volk“ gemacht. „Er hatte den Auftrag, die Mentalität von ‚Hitlers Volk‘ zu ergründen. Hierzu führte er Tiefen-Interviews mit Menschen aus allen Bevölkerungsschichten.“ Die protokollierten Gespräche wurden 2015 in einem Dokudrama filmisch gestaltet. In Spielszenen. Für die wissenschaftliche Fachberatung war unter anderem Dietmar Süß zuständig. Hervorragend. Eine gute wissenschaftliche Fachberatung ist Gold wert.

Keine Kultur jenseits der Sprache? Da, wo gekocht und gegessen wird, setzt sich die Kultur mit an den Tisch. Und mit vollem Mund sollte man ja auch nicht sprechen. Und was sagt der Führer dazu?

„Die Sprache ist [gar] […] nicht das unveränderliche Erkennungsmal des Volkstums. Viel stärker haften die Eß-Gewohnheiten den Völkern an, wie ja jedem Menschen die Küche seines Vaterhauses die beste zu sein scheint zeit seines Lebens. Wie ich die Suppe der Schleswig-Holsteiner verkostet habe, wußte ich, daß die der Spartaner nichts anderes war.“

Eine spartanische Suppe. Was meint der Führer? Soll man da an eine Wassersuppe im umgangssprachlich abwertenden Sinn denken? Ohne Fleischeinlage. Oder ist eine Suppe aus Blut, Essig und Salz gemeint? Ohne Schweiß und Tränen. Das „Lieblingsgericht der Spartaner“, wie die „Kinderzeitmaschine“ wissen will. „Klingt nicht wirklich lecker, aber die Spartaner haben sie gegessen, ob gerne, das weiß man nicht.“

Oder handelt es sich um eine Art Klostersuppe, die trotz des Namens gar nicht spartanisch ist? Eine sehr sättigende Suppe, die „tatsächlich eine vollständige Mahlzeit oder ein ‚repas complet‘ [ist]“ Mit Zwiebeln, Knoblauch, Möhren, Lauch, Sellerie, Kohl und Mangold, mit Schafskäsewürfeln, mit etwas Zitronensaft, mit Zitronen-Olivenöl und Zitronenmelisse, mit Salz und Pfeffer und mit Eiern. Und dazu frisch gebackene, schwäbische Dinkelseelen.

Eine reichhaltige Suppe. Reichhaltig wie die Kultur des deutschen Volkes. „Die Deutschen sind und bleiben ein Kulturvolk“. Wie die Welt konstatiert. Ein Kulturvolk par excellence. Wir denken an den legasthenisch erweiterten etymologischen Horizont: er-volk-reich. Die Deutschen. Und Nationen wie England und Frankreich? Verfügen, so glauben einige sogar, „bestenfalls über so etwas wie Zivilisation“.

Der Linksliberalismus hat die Begriffe Volk und Nation um- und neudefiniert. In letzter Konsequenz zielt das auf …

„… den Umbau Deutschlands in eine ‚bunte Republik‘, in der die Autochthonen zur Minderheit unter Minderheiten werden. Sofern sie nicht von „Bevölkerung“ spricht, setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Stelle des deutschen Volkes, dem sie sich in ihrem Amtseid verpflichtet hat, mittlerweile ‚jeden, der in diesem Land lebt‘.“

Man müsse sich „vom Bild einer Nation lösen, die ‚sehr homogen ist, in der fast alle Menschen Deutsch als Muttersprache haben, überwiegend christlich sind und hellhäutig‘, wie es Joachim Gauck formuliert hat.

Linksliberalismus. Darin steckt das Adjektiv „link“, was so viel wie verdächtig oder betrügerisch heißt. Hinterhältig. Unehrlich. Zweifelhaft. Unanständig. In diesem Kontext erscheinen die linken Bemühungen um eine Neudefinition des Begriffes Volk in einem entsprechenden Licht. Link.

Und was sagt der Führer?

„Unwahrhaftigkeit kann ich nicht leiden!“

Und:

„Glaubt man, daß, auf die Ferne gesehen, mit Unwahrheit und Lüge ein Erfolg erzielt wird? Ich darf mich nicht an Zeiträume von 300 oder 500 Jahren halten, wenn ich an die Zukunft des Volkes denke!“

Und:

„Wir Deutschen haben den Gedanken der Pflichterfüllung, der anderen Völkern fehlt! Keine andere Nation kennt unser Pflichtgefühl und unser Pflichtbewußtsein, diesen wunderbaren Kraftquell. Das Bewußtsein, daß jede Pflichterfüllung zur Erhaltung der Art dient, hilft über die schwersten Entschlüsse hinweg.“

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Hier einige Worte zu der Frage: „Wie?“

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Quelle und Kommentare hier:
http://n8waechter.info/2018/05/von-xantens-kolumne-volk/