Tempolimit 1957: „Wer schnell fährt, fährt auch aufmerksam“

von Max Erdinger

Wie sich die Zeiten doch ändern. Vor sechzig Jahren gab es noch vernünftige Leute, welche die Gefahren eines Tempolimits luzide erkennen konnten und ihre Erkenntnisse kurz, knapp und präzise formulierten. Um wieviel besser könnten wir dran sein, wenn es heute noch solche Köpfe gäbe? Die Berliner Morgenpost erlaubt sich einen Rückblick.

Die innerörtliche Geschwindigkeit wurde erst im Jahr 1957 auf 50 km/h begrenzt. Seither ging es steil bergab mit der Verkehrssicherheit. Vorher war alles eitel Freude und Sonnenschein.

Der damalige Vizepräsident des ADAC, Hans Bretz, sah 1957 in weiser Voraussicht großes Übel auf die Bürger zukommen:

Warum soll der Kraftfahrer wider alle Vernunft etwa hinter einem Lastwagen herschleichen, weil das geplante Geschwindigkeitsgesetz nur 50 Kilometer für die Ortsdurchfahrt vorschreibt?

Ein sehr berechtigter Einwand. Bretz war auch noch nicht von dem Gedanken angekränkelt, daß man Unfähigkeit unter Artenschutz stellen sollte. Die steigenden Unfallzahlen und immer mehr Verkehrstote kommentierte er so:

Soll man das Schwimmen verbieten, weil dabei jährlich Hunderte von Menschen ums Leben kommen?

Wir sehen: Seit Bretz hatte der ADAC keinen so klugen Vizepräsidenten mehr.

Bei der Polizei wurden die tempofeindlichen Großväter der heutigen, kniefieseligen Radarfritzen ebenfalls nicht geduldet. Der Kölner Polizeipräsident in einer SPIEGEL-Titelstory zum Thema damals: Alle einschlägigen Schilder an Gefahrenstellen sollten entfernt werden.

Man sollte grundsätzlich auf jede Geschwindigkeitsbegrenzung verzichten“, meinte der vernünftige Mann.

Der SPIEGEL stellte sich voll und ganz hinter seine Forderung. Auch aus dem Polizeipräsidium von Hamburg klang es ähnlich. Örtliche Begrenzungen hätten gar nichts gebracht, hieß es dort von Seiten derer, die es wissen mussten. Ein Tempolimit ziele an den Bedürfnissen der Hansestadt vorbei und die Unfallgefahr würde sich sogar noch erhöhen.

Auch die medizinische Forschung warnte vor den Unfallgefahren durch unverantwortliche Tempolimits. Man erkannte messerscharf

eine weder zumutbare noch zu verantwortende zusätzliche Belastung für alle Kraftfahrer“.

Eine obere Geschwindigkeitsgrenze, wußte man damals noch, übt einen lähmenden Druck auf den beweglichen und reaktionssicheren Fahrer aus. Er wird schnell überreizt und müde, wohingegen im

flüssigen Verkehr bei unbegrenzter Geschwindigkeit

Wachheit und pure Lebensfreude vorherrschen. Die Folgen der gefährlichen Schleicherei:

Unaufmerksamkeit und zu langsame Reaktionen, die gerade die Unfälle heraufbeschwören.

Brillant. Und deprimierend, wenn man die heutige Verzagtheit auf den Bundesstraßen bedenkt, wo sich hinter LKWs lange Schlangen von verantwortungslosen Nichtüberholern bilden, welche an Gasblinde des ersten Weltkriegs gemahnen, die sich an den Schultern fassen, um sich gemeinsam auf dem Weg ins Lazarett hinter den feindlichen Linien zu verlaufen. Der Rennfahrer Richard von Frankenberg brachte es auf den Punkt:

Wer wirklich schnell fährt, fährt auch aufmerksam – muss aufmerksam fahren.

Die Idee zum todbringenden Tempolimit kam 1957 aus der Adenauer-CDU. Ein gewisser Oskar Rümmele war damals auf das schmale Brett mit der Geschwindikgkeitsbegrenzung innerorts gekommen. Gegenwind erhielt er damals vom späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD):

Rümmele sollte sich in erster Linie darum kümmern, dass endlich die Straßen verkehrsgerecht ausgebaut werden.

Bravo. Bereits damals zeichnete sich also ab, daß aus Helmut Schmidt einmal ein ganz Großer werden würde. Keine 17 Jahre später war er Kanzler.

Limitierte Nazis

Den Befürwortern aus Rümmeles lahmarschiger CDU wurde gar eine Nähe zur nationalsozialistischen Gesinnung attestiert, was unter historischen Gesichtspunkten interessant ist. Die erste Nazikeule wurde also bereits 1957 geschwungen, als die meisten der späteren ´68er noch Schnuller in ihren Schandmäulern hatten. Das geplante Tempolimit sei ein „Nazi-Gesetz“ hieß es – und völlig zu recht.

Die letzte Begrenzung hatten die Nationalsozialisten eingeführt, um Energie zu sparen für den Krieg – Tempo 80 galt auf Autobahnen und Landstraßen sowie Tempo 40 in Ortschaften. Wobei nicht historisch verbürgt ist, daß die Nazis das Wort „Tempo“ überhaupt noch verwendet haben für das todtraurige Geschleiche.

Denken wir also an die Tempo-30-Zonen von heute und fragen wir uns: War der Kriegsnazi, verglichen mit dem pazifistischen Grünen von heute, nicht in Wahrheit ein Ausbund an Liberalität? – Ja, da staunen wir. So manche ungewöhliche Frage führt zu überraschenden Antworten.

Das Unheil nimmt seinen Lauf

Das Tempolimit innerorts wurde zum desaströsen Gesetz.  Mit „Die ersten 48 Stunden mit 50 km/h“ war eine Katastrophenreportage der „Bild“-Zeitung betitelt: „An den Elbbrücken in Hamburg kam der Verkehr völlig zum Erliegen.“ Nun hatten alle den Salat in der Suppe, welche ihnen die Adenauer-CDU damals einbrockte. Die Berliner Morgenpost zitiert weiter:

mit hoher Geschwindigkeit vom Sonntagsausflug auf der Autobahn zurückkehrenden Fahrzeuge stauten sich am Autobahn-Ende zu endlosen Schlangen. In dem Verkehrsknäuel kam es zu einem Massenzusammenstoß. An den Straßenkreuzungen kam es Montag zu unübersehbaren Stauungen und böser Verärgerung.

– Chaotische Dauerbremser Union (CDU) eben.

Auch die Fußgänger stürzte das Tempolimit in tiefste Depression. Sie mussten nun

viel länger warten, um die Straße überqueren zu können“.

Wie desaströs das Tempolimit wirkte, bewies der damalige bayerische Arbeitsminister Walter Stain. Zu einem Treffen des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) in Weißenburg erschien er mit einer vollen Stunde Verspätung und brachte zu seiner Entlastung vor:

Die Geschwindigkeitsbegrenzung hat meinen Zeitplan durcheinandergebracht.

Das bittere Ende

Zwölf Monate später zogen die Großstädte eine Bilanz des ersten Jahres mit Tempolimit. Sie fiel vernichtend aus. In Berlin nur noch 225 Verkehrstote statt vorher 376, in Hamburg 190 statt 299, in Hannover 61 statt 105, in Essen 132 statt 207 – und so weiter.

Alle die Unfähigen, die vorher eines natürlichen Todes gestorben wären, waren nun noch am Leben, pflanzten sich munter fort, – mittlerweile in der dritten Generation, – und das, was heute bei uns überholverweigernd hinter den Lasters durch die Gegend schleicht wie die verzagte Rheumaliga, ist das degenerative Resultat des Tempolimits von 1957.

Das haben wir jetzt also von der Adenauer-CDU.

Dumm gelaufen.


Quelle und Kommentare hier:
https://www.journalistenwatch.com/2019/02/19/tempolimit-1957-wer-schnell-faehrt-faehrt-auch-aufmerksam/