Strafbar im Sinne des Völkerrechts

von GFP

„Vergeltungsschläge“ gegen Syrien

Bereits am Montag war bekannt geworden, dass das Bundesverteidigungsministerium eine Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Angriffen auf Syrien prüft. Anlass war eine US-Anfrage im Bundeskanzleramt; dabei ging es um die Frage, wie sich die Bundesregierung verhalten werde, sollten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich wie im April dieses Jahres auf einen angeblichen Giftgaseinsatz der syrischen Streitkräfte in Idlib mit „Vergeltungsaktionen“ reagieren.

Im April hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine deutsche Beteiligung noch ausgeschlossen. Jetzt seien im Verteidigungsministerium mehrmals Experten zusammengekommen, um die Anfrage ausführlich zu diskutieren, heißt es.[1]

Bei den „Vergeltungsaktionen“ gehe es um die Zerstörung militärischer Infrastruktur – „Kasernen, Flugbasen, Kommandoposten, Munitionsdepots, Waffen-Lager, Fabriken, Forschungszentren“. An ihnen könne sich die Bundeswehr mit vorbereitenden Aufklärungsflügen der in Jordanien stationierten Luftwaffentornados, mit einer späteren Analyse der durch die Angriffe angerichteten Schäden („Battle Damage Assessment“) oder auch mit eigenen Bombardements beteiligen.

Weil möglicherweise sehr rasch über einen Angriff zu entscheiden sei, könne der Bundestag unter Umständen nicht vorab um Zustimmung gebeten werden, heißt es; er müsse dies dann nachträglich tun.

„Alle Optionen“

Zustimmung zu einer Beteiligung der Bundeswehr an Angriffen nach dem erwähnten Szenario gab es zunächst vor allem aus den Unionsparteien. Es sei „richtig“, solche Einsätze zu prüfen, erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, Norbert Röttgen (CDU): Deutschland solle zur Teilnahme „grundsätzlich willens sein“. Eine „nachträgliche Zustimmung“ des Parlaments könne genügen.[2]

Die Bundeswehr könne sich „an Aufklärungsflügen, Schadensanalysen nach Kampfeinsätzen und an Kampfeinsätzen … beteiligen“.[3] Ähnlich äußerten sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), sowie der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Christian Schmidt (CSU).

Inzwischen lassen allerdings auch Abgeordnete der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen die Bereitschaft erkennen, einer Beteiligung der Bundeswehr an Angriffen auf Syrien zuzustimmen. „Wenn Giftgas zum Einsatz kommt“, müssten „Reaktionen … folgen“, erklärte der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Bijan Djir-Sarai. In ähnlicher Weise äußerte sich die europapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Franziska Brantner: „Ziel“ müsse es sein, „die Menschen in Idlib zu schützen“; dazu müssten „alle Optionen überprüft werden“.[4]

Völkerrechtswidrige Repressalien

Mit ihren Plädoyers sprechen sich einflussreiche Bundestagsabgeordnete aus drei Fraktionen für einen offen völkerrechtswidrigen Einsatz der deutschen Streitkräfte aus.

Dies geht aus einem Sachstandsbericht hervor, den die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags zu den US-amerikanisch-britisch-französischen Luftangriffen vom 14. April in Syrien erstellt haben. In dem Dokument heißt es, die Angriffe unterschieden sich

„in ihrer völkerrechtlichen Bewertung … nicht grundsätzlich von jenem Militärschlag“,

den Vereinigten Staaten

„im April 2017 im Alleingang gegen die syrische Luftwaffenbasis Schairat geführt“ hatten.

Der damalige US-Luftangriff wiederum sei von Fachleuten

„einhellig als völkerrechtswidrig bezeichnet worden“.

„Die völkerrechtliche Literatur“ habe jetzt auch die Luftangriffe vom 14. April 2018 „einhellig als völkerrechtswidrig qualifiziert“.[5]

„Völkerrechtliche Repressalien“ – gemeint sind militärische Vergeltungsschläge – seien „auch dann“ grundsätzlich verboten, „wenn ein Staat einen internationalen Vertrag wie die Chemiewaffenkonvention … verletzt und mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ein Kriegsverbrechen begangen“ habe:

„Die Verletzung einer Völkerrechtsnorm durch einen Staat begründet keinen ‚Blankoscheck für unilaterale Zwangsmaßnahmen‘ seitens einer ‚Koalition der Willigen‘.“

Für ein etwaiges Vorgehen gegen Kriegsverbrechen sehe das internationale Recht „rechtsförmige Mechanismen“, etwa „im Rahmen der Chemiewaffenkonvention“, vor. Schwer wiege es,

„dass im Falle der alliierten Militärschläge vom 14. April 2018 die Ergebnisse der OPCW-Untersuchungen nicht einmal abgewartet wurden“.

Verstoß gegen die UN-Charta

Eine klare Absage erteilen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags auch den Bemühungen, militärische Angriffe wie diejenigen vom 14. April 2018 als eine „humanitäre Intervention“ zur Vermeidung menschlichen Leidens zu legitimieren.

Die „Rechtsfigur der sog. ‚humanitären Intervention‘ ohne Sicherheitsratsmandat“ beziehungsweise das „Konzept der völkerrechtlichen Schutzverantwortung (R2P)“ seien bis heute „wegen der bestehenden Missbrauchsgefahr … völkerrechtlich ausgesprochen umstritten“, heißt es in dem Sachstandsbericht der Juristen des Bundestags.[6] Zur Begründung einer „Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot“ sei das Konzept der „humanitären Intervention“ ungeeignet. Weiterhin gelte:

„Der Einsatz militärischer Gewalt gegen einen Staat, um die Verletzung einer internationalen Konvention durch diesen Staat zu ahnden, stellt einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot (Art. 2 Nr. 4 VN-Charta) dar.“

Zuständig: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH)

In einem am Montag verfassten weiteren Sachstandsbericht bestätigen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags ihre Argumentation vom April – und halten explizit fest, dass sich etwaige

„‚Vergeltungsschläge‘ gegen Syrien als Reaktion auf einen Chemiewaffeneinsatz der Assad-Regierung im Ergebnis wohl als völkerrechtswidrig … erweisen“.[7]

Jede „Beteiligung der Bundeswehr“ daran, auch eine nur „militärisch-logistische Unterstützung“, sei „völkerrechts- und verfassungswidrig“.

Im Fall einer etwaigen Parlamentsabstimmung über die Beteiligung an „Vergeltungsschlägen“ müssten die Abgeordneten berücksichtigen, dass seit dem 17. Juli 2018 der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) für die Ahndung völkerrechtlicher Aggressionsverbrechen zuständig sei. Strafbar machen könnten sich dabei nicht nur Regierungsmitglieder, die einen völkerrechtswidrigen „Vergeltungsschlag“ anordneten, sondern auch Mitglieder des Bundestages, die ihm im Parlament zustimmten.

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[1] Karina Mössbauer: Regierung prüft Tornado-Einsatz gegen Assad. bild.de 09.09.2018.

[2] Christoph von Marschall: Röttgen unterstützt möglichen Tornado-Einsatz in Syrien. tagesspiegel.de 10.09.2018.

[3], [4] Deutsche Politiker für Beteiligung der Bundeswehr an möglichem Syrien-Einsatz. welt.de 11.09.2018.

[5], [6] Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 048/18. Berlin, 18.04.2018. Auszüge finden Sie hier: Legalität und Legitimität.

[7] Rechtsfragen einer etwaigen Beteiligung der Bundeswehr an möglichen Militärschlägen der Alliierten gegen das Assad-Regime in Syrien. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste. WD 2 – 3000 – 130/18. Berlin, 10.09.2018. Auszüge finden Sie hier: Aggressionsverbrechen.


Quelle und Kommentare hier:
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7719/