Schmarotzer ohne Schutz – Ein Szenario

von Holger Finn

Das musste ja so kommen. Nach der öffentlichen Bitte der Bundesregierung an alle Bürgerinnen und Bürger, die Augen auf zu halten nicht nur im “Kampf gegen rechts” (Angela Merkel), sondern auch in dem gegen Steuerbetrug und Sozialschmarotzertum, hat sich nach dem Lieferanten der inzwischen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble angekauften Steuersünder-CD nun auch ein Anbieter von 550000 Namen von Schwarzarbeitern, Hartz-IV-Betrügern und Beziehern überhöhter Sozialleistungen bei der Bundesregierung gemeldet.

Der Unbekannte, der nach eigenen Angaben insgesamt fünfeinhalb Millionen Datensätze aus der zentralen Datenbank der Bundesanstalt für Arbeit gestohlen und in monatelanger Kleinarbeit mit Bankdaten, Bewegungsprofilen der Betroffenen, Handyrechnungen, Hundehalterdatenbanken, dem Kleindarstellerhonorararchiv der deutschen Privatsender, Daten von Kreditkarten und Versicherungsnachweisen abgeglichen hatte, verlangt von der Bundesregierung rund 2,5 Millionen Euro für die Herausgabe der brisanten Daten.

Nach der Prüfung eines Auszuges aus dem Datensatz, den der Hacker anonym an die Arge in Pasewalk geschickt hatte, geht Bundesarbeitslosenministerin Ursula von der Leyen davon aus, dass der Gesamtschaden für die Sozialkassen, der mit Hilfe der Daten-CD nachweisbar wäre, bei etwa 1100 Millionen Euro liegt. “Wir haben die fünf übermittelten Datensätze stichprobenartig geprüft und eine durchschnittliche Überzahlung durch falsche Angaben in Höhe von 2000 Euro festgestellt.” Die CD zu kaufen, sei also keine Geldverschwendung, meint von der Leyen. “Der Staat könnte mit über einer Milliarde Euro profitieren.” Bundeskanzlerin Angela Merkel ist derselben Ansicht. Jeder vernünftige Mensch wisse, dass Sozialbetrug in Zeiten knapper Kassen geahndet werden müsse. “Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant sind, auch in den Besitz dieser Daten kommen”, ließ sie die “Welt” wissen.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat sich ebenfalls sofort für den Ankauf der umstrittenen Daten-CD eingesetzt, um Sozialbetrüger überführen zu können. Man habe bei organisierter Kriminalität, bei Drogen und bei Zeugenschutzprogrammen immer wieder auf durchaus zweifelhafte Quellen zurückgegriffen, sagte sie der ARD. Man müsse immer nur abwägen, wo das Recht mehr verletzt werde. In diesem Fall könne es nur heißen, dass das Interesse des Staates hier vorgehe und der Staat dieses Geschäft machen solle. Derselben Meinung ist auch ihr Parteichef Sigmar Gabriel. “Wir können Ganoven nicht laufen lassen, nur weil sie von Ganoven entlarvt werden”, versichert er dem Hacker eine baldige Auszahlung. Wer sich gegen den Ankauf der Sozialschmarotzer-CD wehre, setze sich einmal mehr dem Verdacht aus, “seine Politik an den Interessen seiner Klientel auszurichten”. Zu diesen Leuten gehöre er nicht. “Sie nehmen von der Schule bis zum subventionierten Theaterticket staatliche Leistungen in Anspruch”, so Gabriels Rechtsauffassung in Sachen Sozialbetrug. Wer das tue, habe kein Recht mehr auf Datenschutz.

Bei 2,5 Millionen Euro Investitionen für die Datensätze rechnet sich das Geschäft für Bund und Länder quasi von allein, hat die “Welt” errechnet. Das Risiko sei nahe null. Dem stimmte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, schon immer ein guter Kopfrechner, sofort zu. “Wenn es rechtsstaatlich geht, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man sich dieser Daten bemächtigt und sie auch verwendet”, sagte der CSU-Politiker. Der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft Ondracek riet der Bundesregierung zu einem semantischen Trick, um den rechtlich fragwürdigen Ankauf der gestohlenen Daten zu legalisieren: “Hehlerei ist das nicht, denn es wird ja keine Ware in dem Sinn angekauft, sondern es werden Informationen aufgenommen, die als Anzeige anzusehen sind”, hat er sich ausgedacht.Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der zuletzt mit den Ankauf der so genannten Steuersünder-CD beispielhaft gezeigt hatte, wie wehrhaft der Rechtsstaat ist, sagte, Betroffenen, die zuviel Geld vom Staat kassiert hätten, bliebe nur noch die Selbstanzeige


Quelle: Readers Edition




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