Russland – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Von Dr. Hans-Jürgen Klose

In Russland herrscht ein ganz eigener Menschenschlag vor, dessen Art und Weise man erst verstehen muss.

Ich bin einige Jahre zwischen der Sowjetunion beziehungsweise Russland und Deutschland gependelt. Ich hatte dort Gelegenheit die Gesellschaft, von der man hier so gut wie nichts erfährt, kennenzulernen. Es war eine ungezwungene Zeit und Deutschland kam mir zwischen fast kleinlich vor. Die russische Gesellschaft ist in nichts mit dem was wir kennen zu vergleichen.

Man ist ausgesprochen deutschfreundlich dort auch wenn nach dem zweiten Satz man in jedem Gespräch als Deutscher beim Thema 2. Weltkrieg landet – aber bei den meisten eher so als sei es um eine Sportveranstaltung gegangen. Selbst Menschen die damals großes persönliches Leid erlebten, umarmten mich herzlich.

Für den Fall jedoch, dass es hier – vor allem in Kreisen der Linken eine Sehnsucht nach Russland oder sowjetischen Verhältnissen gibt – hier ein kurzer Einblick.

In kaum einem anderen Land der Welt gibt es mehr Strafgefangene als in Russland (Aktuell haben die USA die höchste Gefangenenrate, El Salvador und Turkmenistan liegen ebenfalls ganz weit oben). Auf 100.000 Einwohner rechnet man aktuell rund 400 inhaftierte Straftäter. Jeder vierte erwachsene Mann ist ein ehemaliger Strafgefangener.

Strafgefangenernicht politischer Häftling. In den Gefängnissen der ausgehenden Sowjetunion wurde ein neuer Führer-Typus der Unterwelt geboren. Bei ihm ist Stolz und absoluter Wille so ausgeprägt, dass er sich überall durchzusetzen weiß. Auch vor staatlicher Autorität macht er keinen Halt. Es gibt keine Möglichkeit ihn in ein bürgerliches Leben einzugliedern. Man darum längst damit begonnen, ihn auch für Einsätze im Rahmen von Staatszielen einzusetzen – worüber kaum jemand offen spricht. Geht etwas schief, wird eben neu verurteilt, ohne dass dadurch jemand beeindruckt wäre.

Im Rahmen der Perestroika als es zu ersten privaten Kooperativen und Firmengründungen kam, wuchs gleichzeitig die Szene der Schutzgelderpressung und der organisierten Kriminalität. Diese Szene ist in der Gewaltanwendung exzessiv und hemmungslos. Die Polizei ist bis heute mit der rasanten Entwicklung der Kriminalität völlig überfordert. Zudem weiß man in der Szene, dass man mit Geld notfalls alles regeln kann.

Im Unterschied zu uns wird ein Mafioso von der Gesellschaft weder geächtet noch gemieden – erst recht nicht von der besseren Gesellschaft. Dafür gibt es für so gut wie nichts Wartezeiten. Auch ein Päckchen Urangestein liegt innerhalb von 24 Stunden auf dem Tisch. Das alles hat zur Folge, dass es nirgendwo ein Leben mit kleinlichen Paragraphen gibt.

Geschäfte oder Absprachen regeln sich durch eine grobe Ehrlichkeit und vor allem durch „Unbeflecktheit der Ehre“. Was ein Russe einstecken kann ohne gebrochen zu werden, kann sich jemand bei uns nicht vorstellen. In Russland weiß jeder wo er mit seinem Gegenüber dran ist. Man spricht sogar offen über zurückliegende Gefängnisaufenthalte – einige prahlen damit.

Alles jedenfalls nicht geeignet um auf westliche Gesellschaft angewandt zu werden. Wer Postsowjet-Illusionen nachhängt, sollte sich besser neu orientieren.


Quelle und Kommentare hier:
https://www.contra-magazin.com/2018/10/russland-das-land-der-unbegrenzten-moeglichkeiten/