RA Lutz Schaefer: Überlegungen zur Abgabenordnung und Steuerpflicht

von RA Lutz Schaefer

Liebe Leser, liebe Wutbürger!

Die Reaktionen auf meinen Denkanstoß waren erwartungsgemäß lebhaft. Es wurde u.a. darum gebeten, einmal Musterformulierungen an die Hand zu geben. Dem will ich gern entsprechen und füge hier die Passagen aus meiner heutigen Klage zum zuständigen Verwaltungsgericht wegen Zwangsverkammerung nach der Handwerksordnung bei. Der Fall bezieht sich auf Bayern und kann nicht in allen Punkten verallgemeinert werden. Hier der Auszug:

(….)

2. Im übrigen ist der Kläger der Auffassung, daß seine Zwangsverkammerung gegen Art. 179 der Verfassung des Freistaates Bayern verstößt. Dort ist ausdrücklich festgeschrieben, daß u.a. die Beklagte keine öffentliche Behörde ist und keine staatlichen Machtbefugnisse ausüben darf.

Der Kläger verkennt nicht, daß es sich bei der zugrundeliegenden Handwerksordnung um ein Bundesgesetz handelt, das im Wege der Auftragsverwaltung vom Land Bayern vollzogen wird.

Es stellt sich somit die Frage, ob ein Bundesgesetz vollzogen werden darf, das zu zwingenden Regelungen der Landesverfassung im Widerspruch steht. Der Kläger ist der Auffassung, daß dies nicht zulässig ist.

3. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25.7.2012 zur Verfassungswidrigkeit des Wahlrechts ist davon auszugehen, daß die Handwerksordnung als Bundesgesetz unter einem verfassungswidrigen Wahlgesetz zustandegekommen ist und damit von einem illegitimen Gesetzgeber stammt. Dies gilt in jedem Fall für die Änderungen vom 24.9.1998 und 20.12.2011.

Da der Gesetzgeber in diesen Fällen nicht vorschriftsmäßig besetzt war, kann unter diesen Umständen nach Auffassung des Klägers auch keine legitime Handwerksordnung geschaffen worden sein. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, daß insoweit Nichtigkeit vorliegt.

Die Tragweite der neuesten Karlsruher Entscheidung ist dermaßen tiefgreifend, daß diese grundlegenden Säulen einer rechtsstaatlichen Gesetzgebung ab sofort in Zweifel zu ziehen sind.

Damit kann aber der Beitragsbescheid der Beklagten sowie die Zwangsmitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten keinen Bestand haben.

Der Kläger geht davon aus, daß in diesem Verfahren diese grundlegenden Fragen geklärt werden müssen und können, um ein Maß für die Tragweite der Karlsruher Entscheidung zu bekommen. Die Beantwortung dieser Frage liegt im allgemeinen Interesse, so daß fürsorglich angeregt wird, nach Art. 100 GG zu verfahren.

(….)

Und hier noch eine kurze Abhandlung zur AO77:

(….)

Wie Ihnen bekannt ist, und dies mein Mandant wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, hegt er ganz erhebliche Zweifel an den rechtlichen Grundlagen zu seiner Steuerpflicht nebst Nebenerscheinungen, insbesondere die Legitimität von Außenprüfungen. Im Mittelpunkt der rechtlichen Bedenken steht damit die AO von 1977.

1. Mein Mandant gehört zu dem stetig anwachsenden Teil der aufgeklärten Bevölkerung, der sich aus vielfältigen Quellen über historische und politische Entwicklungen nebst Grundlagen der BRD umfänglich informiert hat. Aus diesen Studien sind die bisherigen Argumente entstanden, die eine legitime Grundlage für eine Steuererhebung nebst den beliebten Zwangsmitteln rundweg bestreiten. Ich gehe davon aus, daß Ihnen diese Argumente restlos bekannt sind, zumal sich die eine oder andere OFD bereits die Mühe gemacht hat, entsprechende Zurückweisungstexte als Muster vorzugeben.

Bezüglich dieser Argumente kann ich mich daher kurz fassen. Die Anwaltschaft wird zunehmend in Anspruch genommen, sich mit diesen Argumenten auseinanderzusetzen und nach eigener Prüfung und Einschätzung vorzutragen. Ich gehe davon aus, daß sich jeder ernsthafte Jurist eingestehen muß, daß viele Punkte nicht wegzudiskutieren sind und daher sehr wohl als Begründung für Einsprüche und Rechtsmittel heranzuziehen sind. Es handelt sich bisher im wesentlichen um folgende Punkte:

a) Aus dem GG folgt keine unmittelbare Steuerpflicht. Diese war nur in der Weimarer Verfassung z.B. in Art. 134 WV enthalten und findet kein Gegenstück im GG. Die Artikel 104a bis 115 enthalten keinerlei Hinweise zur Auferlegung von Steuerpflichten für bestimmte Adressaten, sondern lediglich Regelungen zur konkurrierenden Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern, Begriffsdefinitionen von Steuern sowie Handhabungsvorschriften.

b) Eine stillschweigende Steuerpflicht entspricht nicht den erforderlichen gesetzgeberischen Anforderungen nach Gegenstand, Adressat, Umfang, Geltungsbereich.

c) Da es sich um gravierende Eingriffsmöglichkeiten handelt, wären die vielfach tangierten und eingeschränkten Grundrechte nach Art. 19 Abs.1 S.2 GG ausdrücklich zu benennen. Eine solche Benennung ist nicht aufzufinden. Folge: Nichtigkeit des gesamten Gesetzes.

d) Aus der AO77 selbst ist nicht zu erkennen, wer steuerpflichtig sein soll. Ein Steuerpflichtiger wird nicht definiert, sondern dessen Existenz vorausgesetzt, ohne daß dafür ein höherrangiges Gesetz benannt wird.

e) Die AO gibt keinen Geltungsbereich an, sondern allenfalls einen sachlichen Anwendungsbereich. Ein Gesetz ohne räumlichen Geltungsbereich ist indes als nichtig anzusehen.

f) Dieselben Mängel treten auch bei den gesetzlichen Regelungen für die einzelnen Steuerarten auf. Auf die Problematik des neuen § 27b UStG wurde bereits ausführlich hingewiesen und gilt als weiteres Beispiel für einen Verstoß gegen das Zitiergebot. Im übrigen hat Prof. Kirchhof bereits ausführlich dargelegt, daß z.B. das EStG wegen absoluter Unverständlichkeit für den Bürger schon aus diesem Grunde nichtig ist. Niemand kann aus diesem Gesetzeswerk seine Rechte und Pflichten erkennen, so daß von gesetzlicher Unbestimmtheit auszugehen ist.

2. Diese Argumente sind überzeugend und halten einer seriösen rechtlichen Prüfung durchaus stand. Aus naheliegenden Gründen tritt die Finanzverwaltung diesen Argumenten regelmäßig entgegen, wobei die jeweils angeführten Gegenargumente leider alles andere als überzeugend sind.

Seit gestern kommt mit der erneuten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des Wahlrechts auf Bundesebene ein neues Argument von entscheidender Bedeutung hinzu: Danach ist zwingend davon auszugehen, daß kein einziges Bundesgesetz unter der Geltung des bisherigen Bundeswahlgesetzes seit 1953 von „dem verfassungsmäßig legitimierten Bundesgesetzgeber“ verabschiedet worden ist. Die AO77 fällt unter diese Kategorie. Ein Gesetz, das nicht von dem ordnungsgemäß dazu berufenen Gesetzgeber stammt, kann folglich kein rechtsstaatliches Gesetz mit dem Anspruch auf Gehorsam sein. Welche weiteren Konsequenzen die Entscheidung noch haben wird, bleibt abzuwarten. Die Wirkungen des ergangenen Urteils gehen jedenfalls durch die gesamte Nachkriegsrechtsordnung und sind auf jeden Fall in allen anhängigen Steuersachen zu berücksichtigen.

Da hier im Falle meines Mandanten von der Unwirksamkeit der AO77 ausgegangen wird, verbietet es sich, auf Rechtsmittel dieser AO zurückzugreifen. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage ist das Verfahren jedenfalls vollziehungsmäßig auszusetzen, bis ggf. höchstrichterlich entschieden ist, welche konkreten Konsequenzen der Spruch aus Karlsruhe vom 25.7.2012 – 2 BvE 9/11 für das Steuerrecht hat.

Insoweit bestehen begründete ganz erhebliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit jedweder Anordnung auf der Basis der AO77, so daß eine Zäsur stattzufinden hat, bis rechtliche Klarheit herrscht.


Quelle und Kommentare hier:
http://www.lutzschaefer.com/index.php?id_kategorie=8&id_thema=255