NSU – Was die Öffentlichkeit nicht wissen soll…

von Dan Davis

Dan Davis im Interview mit dem Journalisten UDO SCHULZE
zu seinem aktuellen Buch über die NSU & den Prozess

nsu-coverWieso verbrannte der Zeuge Florian H. in seinem Auto am Cannstatter Wasen, nur wenige Stunden vor einer erneuten Aussage beim Staatsschutz? Er sollte weitere Fakten zu einer bislang unbekannten rechten Terrorgruppe neben dem NSU liefern. Was machte die Russenmafia auf der Theresienwiese in Heilbronn, und warum wimmelte es am Tag des Polizistenmordes dort von V-Leuten und Agenten, auch welchen aus den USA? Diesen und anderen spannenden Fragen geht der Journalist Udo Schulze in seinem aktuellen Buch „NSU – Was die Öffentlichkeit nicht wissen sollte…“ nach. Dan Davis interviewte ihn hierzu im Februar 2014 und stellte ihm einige spannende Fragen, deren Antworten auch Sie interessieren sollten.

Mitte November 2011 brachte ein aus zwei Männern und einer Frau bestehendes Trio Deutschlands Ermittlungsbehörden an den Rand des Wahnsinns, denn die drei aus Thüringen sorgten ungewollt dafür, dass Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Landeskriminalämter schonungslos als das offenbart wurden, was sie zweifelsfrei sind: Totalversager oder gefährliche Taschenspieler. Die Verhältnisse um die Thüringer Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos machen einfach nur sprachlos − bis zum heutigen Tage.

Alles begann im Jahr 2000 mit einer Mordserie, wie es bis dahin in Deutschland noch keine gegeben hatte. Über sechs Jahre hinweg wurden insgesamt acht türkische Kleinselbständige und ein Grieche durch Kopfschüsse regelrecht hingerichtet. Ermittlungsbehörden, Journalisten und Kriminalisten sahen sich offiziell mit einem schier unlösbaren Fall konfrontiert. Dann, im April des Jahres 2007, wurde eine junge Polizistin in ihrem Streifenwagen auf der Heilbronner Theresienwiese erschossen, ihr Kollege lebensgefährlich verletzt. Monatelang geisterte nach dem
Mord an der Beamtin eine ominöse DNA-Spur durch Deutschland, die von einem angeblichen weiblichen Phantom stammte und an den unterschiedlichsten Tatorten bei Einbrüchen, Schlägereien und auch Morden auftauchte.

Schließlich stellte sich heraus, dass die Spur von kontaminierten Wattestäbchen stammte, mit denen die Kripo an den jeweiligen Ereignisorten gearbeitet hatte. Eine dicke Panne oder mehr?

Inzwischen gehen Beobachter verstärkt davon aus, die Geschichte mit der falschen Phantom-Spur sei von verschiedenen Behörden bewusst gelegt worden, um die Öffentlichkeit von den wahren − wahrscheinlich schon kurz nach Heilbronn −, bekannten Tätern abzulenken. Diese sollen gar nicht mal ausschließlich in den vermuteten rechtsradikalen Kreisen zu finden gewesen sein, sondern einen Hintergrund haben, vor dessen Aufdeckung sich hohe und höchste Kreise in der Bundesrepublik geradezu fürchten…

Lesen Sie hier im COVER UP! Newsmagazin jetzt mehr zu diesem Thema im Interview mit Udo Schulze.

Artikel in der "Taz.die Tageszeitung".
Artikel in der „Taz.die Tageszeitung“.

Dan Davis: Hallo Udo. Vor kurzem ist Dein neues Buch „NSU – Was die Öffentlichkeit nicht wissen soll…“ erschienen. Wie kamst Du auf die Idee zum Thema NSU ein ganzes Buch zu schreiben?

Udo Schulze: Schon während der Anfänge der Mordserie an den sogenannten „Dönermorden“wurde ich auf diese bislang einmalige Reiheaufmerksam und verfolgte sie journalistisch. Ich sammelte zahlreiche Hinweise und Tipps. Dann kam der „NSU“ (Nationalsozialistischer Untergrund) ins Spiel, der scheinbar auch für den Mordfall Kiesewetter in Heilbronn verantwortlich war, den ich mit der Mordserie zusammen bereits in einem meiner früheren Bücher beschrieben hatte. Ich spürte sofort, dass mehr hinter den Verbrechen steckte und begann mit den Recherchen zum Buch. Das war Ende 2011.

Dan Davis: Zurzeit findet gerade der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe statt. Versprichst Du Dir hier neue Informationen?

Udo Schulze: Neue Informationen nur dahingehend, dass die Thesen der Anklage und des Mainstreams bei jeder Zeugenvernehmung neu ad absurdum geführt werden. Zu den Tatkomplexen selber erwarte ich keine wirkliche Aufklärung. Denn diese ist eigentlich gar nicht gewollt.

Dan Davis: Der Kollege von Michèle Kiesewetter − Tatort Heilbronn Theresienweise − wurde ja im Rahmen des Prozesses Mitte Januar 2014 nochmals vernommen. Das von ihm angefertigte Phantombild des Schützen ist ja auch in Deinem Buch zu finden. Doch da beginnen schon die Ungereimtheiten, oder? Wurde nicht auch ein südländischer Mann beschrieben, der vom Tatort flüchtete?

Udo Schulze: Es wurden mehrere Personen, darunter auch Südländer, beschrieben. Die Angaben von Kiesewetters Kollegen, Martin A., treffen sogar auf einen Mann zu, von dem die Behörden in den Akten ein Originalfoto haben. Nicht veröffentlicht wurde das Phantombild. Angeblich, um Martin A. zu schützen − eine recht mysteriöse Begründung. Das alles ging von einem Staatsanwalt aus, der ja Herr des Verfahrens ist. Ähnlich mysteriös ist die Tatsache, dass Martin A. seit dem Attentat keine Dienstwaffe mehr tragen darf.

Diese Phantombiler wurden im Zusammenhang mit dem Attentat auf die Polizeistreifen in Heilbronn nach Angaben zahlreicher Zeugen gefertigt. Nicht eines der Bilder ähnelt Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Das Bild rechts unten wurde aufgrund der Angaben des schwerverletzten Kollegen von Michéle Kiesewetter, Martin A., erstellt und auf Weisung der Staatsanwaltschaft bislang nicht veröffentlicht (Quelle: Udo Schulze, "NSU - Was die Öffentlichkeit nicht wissen soll...", Amadeus Verlag, 2013).
Diese Phantombilder wurden im Zusammenhang mit dem Attentat auf die Polizeistreifen in Heilbronn nach Angaben zahlreicher Zeugen gefertigt. Nicht eines der Bilder ähnelt Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Das
Bild rechts unten wurde aufgrund der Angaben des schwerverletzten Kollegen von Michéle Kiesewetter, Martin A., erstellt und auf Weisung der Staatsanwaltschaft bislang nicht veröffentlicht (Quelle: Udo Schulze, „NSU – Was die Öffentlichkeit nicht wissen soll…“, Amadeus Verlag, 2013).

Dan Davis: Welchen Stellenwert siehst Du bei der Ku Klux Klan-Anekdote in diesem Zusammenhang, die aufkam? Kannst Du hierzu ein paar Worte sagen, wer von diesen Polizisten beim Ku Klux Klan war / ist und ob es von Belang ist?

Udo Schulze: Die KKK-Sache ist unbedingt von Belang, weil mehrere Kollegen von Martin A. und Michèle Kiesewetter dort Mitglied gewesen sein sollen – auch der direkte Vorgesetzte der Beamtin. Offensichtlich gab es Querverbindungen zu Rechtsradikalen aus Sachsen/Thüringen und Baden-Württemberg. Selbst im Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart muss es Verbindungen gegeben haben, denn ein dortiger Mitarbeiter warnte einen KKK-Verdächtigen, dass dessen Telefon abgehört werde. Der Täter im Amt war amerikanischer Muttersprachler.

Dan Davis: Anscheinend waren ja an dem besagten Tag auch eine ganze Menge geheimdienstliche Aktivitäten in Heilbronn / Theresienwiese im Gange?

Udo Schulze: Ja, es gab erstaunlich viele Vertreter dieser Gattung an diesem Tag in Heilbronn, doch was sie dort wirklich wollten, ist unklar. Es gibt Gerüchte − unbestätigte −, wonach sich dort auch Islamisten aufhielten, die beobachtet wurden. Amerikanische und deutsche Dienststellen waren an diesem Tag vor Ort. Es sollen Drogengeschäfte zwischen Osteuropäern und Islamisten stattgefunden haben. Immer wieder ist in diesem Zusammenhang von V-Leuten und Agenten die Rede.

Dan Davis: Was verschweigt uns der Staat in Sachen Heilbronn? Kannst Du hier ein paar Sätze vorweg zum Buch nennen?

BILD-Zeitungsartikel zur Gerichtsverhandlung und Beate Zschäpe.
BILD-Zeitungsartikel zur Gerichtsverhandlung und Beate Zschäpe.

Udo Schulze: Sagen wir mal so: Er gibt zu, dass eine Tote und ein Schwerverletzter zu bedauern sind und dass es eine falsche DNA-Spur gab. Alles andere wird verschwiegen. Im Buch habe ich aber die wirklichen Ermittlungen und Spuren aufgezeigt. Und die gehen gar nicht in Richtung NSU. Vielmehr spielt das Fahrende Volk eine Rolle und der Bereich Serbien. Ich bin gerade dabei, Spuren zum früheren Jugoslawienkrieg zu verfolgen, bei denen ein Schlüssel zu liegen scheint.

Dan Davis: Michèle Kiesewetter hat an diesem Tag freiwillig um Dienst gebeten – und ich glaube, es gab da noch diese suspekte Geschichte, den Kollegen betreffend, mit dem sie, soweit mir bekannt, an diesem Tag erstmals auf Streife war? Was gibt es hierzu zu berichten?

Udo Schulze: Es ist interessant, dass Kiesewetter für den betreffenden Tag den Dienst mit einem Kollegen getauscht hatte. Doch der offiziell genannte Kollege war gar nicht der Tauschpartner, sondern ein anderer Polizist. Dieser andere Beamte sollte im Gegenzug Kiesewetters Nachtdienst am Abend übernehmen, allerdings war sie gar nicht dazu eingeteilt. Darüber hinaus gibt der zuerst genannte Kollege an, den wirklichen Tauschpartner Kiesewetters überhaupt nicht zu kennen, obwohl sie in einer Einheit Dienst leisten.

Dan Davis: Sprechen wir noch kurz den „Wattestäbchen-Skandal“ an. Wie kann denn so etwas passieren? Oder wurde hier eventuell auch eine andere Wahrheit vertuscht? Wie ist Deine Meinung zu diesem Thema?

Udo Schulze: Inzwischen kann man getrost davon ausgehen, dass diese Spur von den Behörden bewusst in die Welt gesetzt wurde, weil man die wahren Täter von Heilbronn bereits früh kannte, aber nicht warnen wollte. Es wurden Nebenkriegsschauplätze eröffnet, um in dessen Schatten in Ruhe agieren zu können. Das hat den wahren Tätern von Heilbronn einen enormen Vorsprung verschafft, der nie wieder aufzuholen ist.

Dan Davis: Kannst Du etwas zu dem Zeugen Florian H. berichten, der in seinem Auto auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart verbrannte?

 Screenshot aus dem "NSU-Video".
Screenshot aus dem
„NSU-Video“.

Udo Schulze: Naja, der junge Mann hatte während seiner Ausbildung in einem Krankenhaus angeblich von der Existenz einer Gruppe namens „Neoschutzstaffel“ (NSS) gehört und war mit dieser in Kontakt gekommen. Er war im Aussteigerprogramm für Rechte und sollte am Tag seines Todes Aussagen beim LKA Stuttgart machen. Offenbar waren die so brisant, dass er „geselbstmordet“ wurde. Inzwischen habe ich auch von anderer Seite erfahren, dass an seinen Aussagen etwas sein muss. Hinter der NSS sollen sich hochgestellte Personen verbergen.

Dan Davis: Du hinterfragst ja auch die offizielle Todesursache von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Wohnmobil. Warum sollte diese eventuell nicht stimmen – und was veranlasst Dich zu dieser Annahme?

Udo Schulze: Die Ursache ist ziemlich klar: Tod durch Erschießen. Nur, wer hat geschossen? Es gibt eine Reihe von Indizien, die den Schluss zulassen, Böhnhardt und Mundlos seien bereits tot mit dem Wohnmobil „angeliefert“ worden, welches dann in Flammen aufging. Zeugen wollen ja auch eine dritte Person gesehen haben.

Dan Davis: Das Video des Zwickauer „Terror-Trios“ gibt ja ebenfalls zum Denken. Auch wenn man in den Mainstream-Medien kaum etwas Kritisches dazu hört. Oder?

Journalist und Autor Udo Schulze bei einer Signierstunde zu seinem Buch "NSU- Was die Öffentlichkeit nicht wissen soll..." aus dem Jahr 2013.
Journalist und Autor
Udo Schulze bei einer Signierstunde zu seinem Buch „NSU-
Was die Öffentlichkeit nicht wissen soll…“ aus dem Jahr 2013.

Udo Schulze: Es gibt zu denken, weil es gar kein Bekennervideo ist, weil es nicht zeitnah zu den Taten auftauchte und weil es an uninteressante Adressaten versendet wurde. Das riecht stark nach einer Geheimdienstproduktion. Bekennerschreiben werden immer direkt nach einer Tat verschickt, was ja auch Sinn macht. Außerdem sind die Adressaten Multiplikatoren wie große Nachrichtenagenturen oder TV-Sender und überregionale Zeitungen.

Dan Davis: Welche Rolle spielt Deiner Meinung nach der Verfassungsschutz in diesem Wirrwarr?

Udo Schulze: Das ist nicht einfach zu beantworten. Auf jeden Fall aber scheint der VS die Spinne im Netz zu sein, die mehr Kenntnis vom NSU hatte als zugegeben. Auch scheint der VS mit der Gründung der Terrorgruppe zu tun zu haben. Wahrscheinlich wurde der NSU vom Staat gegründet, um ein Sammelbecken für Rechtsterroristen zur Verfügung zu haben. Dann lief die Sache aus dem Ruder.

Dan Davis: Bei einem der Morde, die dem Terror-Trio angelastet wurde, war kurz vor dem Mord ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in dem Internet-Café, wo dieser stattfand, ohne sich danach als Zeuge zu melden. Was geschah damals, und war das Deiner Meinung nach Zufall?

Udo Schulze: Verfassungsschützer Andreas T. war in dem Café, was er auch vor Gericht in mehreren Vernehmungen zugab, will es aber vor dem Mord verlassen haben. Warum er wirklich dort war, ist bislang unklar. Er schiebt private Gründe vor, doch dem ehemaligen Postboten glaubt niemand. Er scheint eine Schlüsselrolle einzunehmen.

Dan Davis: Die Mordserie ist ja bekanntlich eine Pannenserie gewesen, die offiziellen Ermittlungen betreffend. Hast Du auch bei den so genannten „Döner-Morden“ selbst Hinweise auf Unstimmigkeiten gefunden?

Plakat zum Gedenken an die ausländischen Opfer, die dem NSU-Terror zugeordnet werden. Die ermordete Polizistin Michéle Kiesewetter wurde auf diesem nicht mit aufgenommen.
Plakat zum Gedenken an die ausländischen Opfer, die dem NSU-Terror zugeordnet werden. Die ermordete Polizistin Michéle
Kiesewetter wurde auf diesem nicht mit aufgenommen.

Udo Schulze: Die Polizei hat eigentlich immer korrekt gearbeitet und ermittelt. Die höheren Etagen hingegen haben bestimmte Ermittlungen beenden lassen oder gaben Anweisungen, die eine oder andere Spur nicht weiter zu verfolgen, worüber einige Beamte übrigens recht erbost waren − aber sie können es nicht ändern.

Dan Davis: Du ziehst in deinem Buch auch Parallelen zur RAF. Kannst Du das erläutern?

Udo Schulze: Auch bei der RAF spielten V-Leute (Zschäpe hinterlässt den Eindruck als sei sie eine V-Frau) wie Verena Becker eine wichtige Rolle, die von Geheimdiensten geplante Aktionen durchführten, Vertuschungen und Anschläge verübten, hinter denen der Staat steckte (Celler-Loch). Von daher gibt es ähnliche Strukturen. Seltsam muten auch die Zeitpunkte einiger Ereignisse an. So tauchte das NSU-Trio 1998 unter. Im selben Jahr löste sich die RAF angeblich auf. Mysteriöse Parallelen!

Dan Davis: Die NSU scheint also wahrscheinlich doch kein „Terror-Trio“, sondern Teil einer ganz anderen größeren Wahrheit zu sein. Eventuell aber auch mit Verbindung zur Russen-Mafia?

Udo Schulze: Die Russen-Mafia spielt bei den Ermittlungen zu Heilbronn eine wesentliche Rolle. Das Trio sehe ich inzwischen als kleineren Teil einer großen, internationalen Organisation, in die auch Teile des Staates verstrickt sind.

Dan Davis: Welche Rand-Informationen liegen Dir zum Thema NSU derzeit noch abschließend für den Leser auf dem Herzen, die wichtig sind?

Udo Schulze: Es wird in den kommenden Wochen noch einige Enthüllungen zum Thema geben, mit denen niemand gerechnet hat. Dabei geht es um Florian H. (der am Cannstatter Wasen, Stuttgart, in seinem Auto verbrannte, Anm. d. Verf.), um die Rolle der Politik in Baden-Württemberg und um die Struktur der deutschen Geheimdienste. Ich bin an der Sache dran!

Dan Davis: Arbeitest Du bereits an einem weiteren neuen Buch?

Udo Schulze: Ja, rein gedanklich, ich muss erst noch tiefer in die Recherche. Es geht um Polizeiskandale.

Dan Davis: Vielen Dank für Deine Informationen.

(Copyright by COVER UP! Newsmagazine, 11.02.2014)
(Bild Udo Schulze: Copyright by U. Schulze und Amadeus Verlag)


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