Musterschüler im Haftbefehls-Vollzug?

von Sichtplatz

Der ehemalige Präsident von Katalonien, Carles Puigdemont, ist am Sonntagvormittag in Schleswig-Holstein festgenommen worden. Der Landesinnenminister Hans-Joachim Grote (CDU) ist nach Zeitungsberichten stolz darauf, dass seine Polizisten jenen Europäischen Haftbefehl der spanischen Generalstaatsanwaltschaft vollstreckt haben, der in Belgien von der Justiz schon vor Monaten als nicht hinreichend befunden wurde, den Führer der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung in Haft zu behalten und an Spanien auszuliefern.

Puigdemont war auf der Rückreise aus Finnland und wollte über Dänemark und Deutschland in sein belgisches Exil zurückkehren. In den Nachrichten des gestrigen Sonntags hieß es, dass die spanische Staatsanwaltschaft von den Finnen die Vollstreckung des Haftbefehls erbeten habe, doch die dortige Polizei hätte ihn leider nicht ergreifen können. Danach seien die deutschen Behörden informiert worden, um seiner auf dem Rückweg habhaft zu werden.

Warum gab es keinen Zugriff bei der Durchquerung Dänemarks? Spanische Medien haben berichtet, dass die deutschen und dänischen Behörden gemeinsam beschlossen hätten, dass Puigdemont in Deutschland festgenommen werden soll, weil zwischen Deutschland und Spanien bessere polizeiliche Verbindungen bestünden.

Aber war vielleicht auch die Lust der Finnen und Dänen nicht so sonderlich groß, sich einen solchen Problemfall ins Haus zu holen, wenn doch die Belgier schon in einem rechtsstaatlichen Verfahren eine Antwort auf die Frage gefunden hatten, ob man Puigdemont ausliefern solle oder nicht? Gibt Deutschland nun den Musterschüler im europäischen Haftbefehls-Vollzug in einem Fall, in dem die spanische Justiz ein innenpolitisches Problem mit Hilfe der Strafjustiz zu lösen gedenkt?

Jetzt muss das Oberlandesgericht in Schleswig prüfen, ob der Ex-Regionalpräsident in Auslieferungshaft genommen wird und ob eine Übergabe von Puigdemont an die spanischen Behörden rechtlich zulässig ist. Das hat, wie gesagt, ein belgisches Gericht vor Monaten auch schon tun müssen und entschieden, dass der Katalane in Belgien bleiben darf. Wahrscheinlich deshalb geht Puigdemonts belgischer Anwalt Paul Bekaert auch von einer baldigen Freilassung aus, wie er der belgischen Nachrichtenagentur Belga gesagt hat.

Die Kieler Nachrichten berichten unter Berufung auf Informationen aus Justizkreisen, dass Puigdemont erwägen würde, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen.

„Sollte er dies tun, wird der Asylantrag wie jeder andere vom Bundesamt für Migration geprüft werden“,

zitiert die Zeitung einen Sprecher des Kieler Innenministeriums. Im Gegensatz zu hunderttausenden anderen Asylbewerbern hätte er damit aber kaum eine Chance, vorerst in Deutschland bleiben zu dürfen. Zumindest sagt das der Ministeriumssprecher:

„Strafverfolgung beziehungsweise die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls hat Vorrang vor einem Asylverfahren“.

Das klingt folgerichtig, denn theoretisch dürfte es in keinem EU-Land eine politische Verfolgung geben und damit auch keinen Asylgrund für einen EU-Bürger. Doch scheint hier ein Manko des Europäischen Haftbefehls auf. Den können schließlich auch EU-Mitgliedsstaaten ausstellen, die rechtsstaatliche Defizite aufweisen. Zwar hat, wie ja auch Puigdemonts Fall in Belgien gezeigt hat, der Haftbefehl nicht automatisch die Ausweisung zur Folge. Doch selbst wenn die Gerichte in einem EU-Mitgliedsland die Überstellung abgelehnt haben, kann sich der Betroffene nicht mehr frei in der EU bewegen, weil hinter jeder Grenze wiederum die Verhaftung droht.

Neben vielen anderen Defiziten der EU zeigt der Fall Puigdemont eben auch, wie unausgegoren das Instrument des Europäischen Haftbefehls ist. Gerade hier sollte man nicht stolz darauf sein, den Musterschüler spielen zu dürfen. Sonst ist Deutschland ja auch nicht gerade darauf erpicht, das Recht an seinen Grenzen überkorrekt durchzusetzen.


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