Jemen – trotz Völkermord kein Sieg

von Peter Orzechowski

Es begann – wie immer – mit Fake News. Und es endete – zum Glück – in einer Niederlage: Der US-saudischen Kriegskoalition ist es nicht gelungen, den für den Jemen lebenswichtigen Hafen von al-Hudaida einzunehmen. Trotz wochenlanger Bombardements hielten die Houthis die Stellung. Nun will man mit den Rebellen verhandeln.

»Das saudische Militär hat den gleichen Raketentyp abgeschossen, der auch von den Houthis in Richtung Saudi-Arabien abgefeuert wird. Das ist ein Beweis für den Waffenschmuggel, der über den Hafen von al-Hudaida stattfindet.«

Das meldete im Mai der Nachrichtensender al-Arabiya und lieferte den Vorwand für die kurz darauf beginnende, gnadenlose Offensive: Saudi-Arabische und US-amerikanische Bomber flogen Angriff um Angriff auf die Hafenstadt. Kriegsschiffe der Vereinigten Arabischen Emirate, der USA, Frankreichs und Großbritanniens feuerten Raketen ab. Amerikanische, französische, britische und israelische Spezialeinheiten wurden im Land abgesetzt.

Das Ziel des Angriffs: Mit der Einnahme oder der Zerstörung des Hafens von al-Hudaida sollten die Rebellen von der Verbindung mit dem Iran abgekoppelt werden, um so die Lieferung von Waffen oder anderen Gütern, auch Lebensmitteln, zu unterbinden.

Offenbar war die seit Längerem mit Unterstützung französischer Kriegsschiffe verhängte Seeblockade nicht effektiv genug. Dass dadurch auch die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern behindert wurde und jetzt durch die Zerstörung des Hafens abgebrochen ist, nahm die Kriegskoalition in Kauf.

Bürgerkrieg seit 2015

Bleiben wir kurz bei der Situation der Jemeniten. Durch den seit März 2015 andauernden Bürgerkrieg, in den sich die saudi-arabische Koalition mit Luftangriffen und Bodentruppen gegen die vom Iran unterstützten Houthi-Rebellen und Teile der jemenitischen Armee eingeschaltet hat, befindet sich das Land in einer katastrophalen humanitären Lage. 14 Millionen Menschen haben keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung, viele der Kliniken wurden zerstört. 17 Millionen Menschen werden von den Vereinten Nationen als angewiesen auf Lebensmittelunterstützung bezeichnet. In 20 von 22 Provinzen herrscht humanitärer Notstand. 2,2 Millionen Kinder sind unterernährt. 7 Millionen Menschen sind von Hunger bedroht.

Nach den neuesten Zahlen des jemenitischen Menschenrechtsministeriums sind über 600 000 Zivilisten getötet oder verwundet worden. Schuld daran sind die alliierten Bombenangriffe auf zivile Ziele wie Märkte, Schulen und Krankenhäuser mit vielen zivilen Opfern. »Ich treffe hier täglich Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Cholera ist auf dem Vormarsch, und Medikamente gibt es kaum mehr. Viele Frauen essen nur einmal am Tag, um das Überleben ihrer Kinder sicherzustellen«, beschreibt CARE Generalsekretär Karl-Otto Zentel, der vor Ort ist, die Situation.

 

Die geostrategischen Hintergründe

Wir erinnern uns: Trumps erster Auslandsbesuch führte den neuen US-Präsidenten nach Saudi-Arabien. Seitdem hat das Pentagon seine Unterstützung für das saudische Vorgehen im Jemen und damit den Konflikt mit dem Iran deutlich hochgefahren. Neben der logistischen und aufklärungstechnischen Hilfe für die Streitkräfte Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate werden Drohnen bereitgestellt, Kampfflugzeuge aufgetankt und Special Forces entsandt.

Aber nicht nur die Amerikaner sind massiver eingestiegen in diesen Krieg. Die Franzosen, welche die Seeblockade vor Jemens Küsten ermöglichen, haben eine Basis in Dschibuti. Sie erlaubt es ihnen, als Spieler im globalen Netzwerk, das seit den Zeiten des Kalten Krieges ausgeweitet wurde, weiterhin beteiligt zu sein.

Eine kleine Randnotiz zu Dschibuti. Die Hauptaufgabe des französischen Stützpunkts liegt heute vermutlich nicht über, sondern unter Wasser: die Überwachung der Kommunikationsleitungen zwischen China, Asien und dem Westen, die auf dem Meeresboden liegen. Obwohl Besucher in Dschibuti möglicherweise nur französische Kampfschwimmer sehen, die tauchen, um die Kabel zu kontrollieren, vermuten Militärexperten eine weitergehende Zusammenarbeit mit israelischen Unterseebooten, die im Roten Meer patrouillieren.

Die Führer des Golf-Kooperationsrates (englisch GCC, minus Oman, der sich weigerte teilzunehmen) lockte man in ein militärisches Engagement im Jemen mit der Vision des künftig boomenden Handels am Indischen Ozean und der Öffnung nach Ostafrika. Den Saudis wurde sehr viel mehr versprochen: die vereinte Kontrolle über »das leere Viertel« (die Sandwüste Rub al-Chali) und seine sagenhaften unerschlossenen Mengen an Öl und Gas, welche die USA im Boden ließen, solange die Regierung eine jemenitische war. Die Arabische Halbinsel soll zur saudischen werden.

Es geht um vielversprechende Ölfelder

Warum diese Koalition den Krieg um Jemen gewinnen sollte, legte Anfang Juni 2015 der saudische General im Ruhestand Anwar Eshki bei einer Veranstaltung des Council on Foreign Relations (CFR) offen. Bei dieser Gelegenheit begleitete ihn der israelische Botschafter Dore Gold. Eshki sagte:

»Auf der Arabischen Halbinsel gibt es ein vielversprechendes Ölfeld im ›leeren Viertel‹ (Rub al-Chali), das die Länder des Golf-Kooperationsrates und den Jemen verpflichten wird, zu seinem Schutz und wegen der Gewinne daraus zusammenzuarbeiten. Diese Vereinigung wird modelliert sein – besser: muss modelliert sein – nach dem Vorbild der Verfassung der USA, die Amerika vereinigt und seine Demokratie garantiert.«

 

Arabische Streitmacht mit dem Segen Washingtons

Es ist verblüffend, dass die Schritte, die zu dieser Neuordnung führen, größtenteils bereits gemacht sind: der Friedensschluss zwischen Arabien und Israel – der kurz bevorsteht; der Wechsel des politischen Systems im Iran – an dem die Saudis im Verbund mit Israel und den USA arbeiten; die Einheit des Golf-Kooperationsrats – die weitgehend erreicht ist; die Aufstellung einer arabischen Streitmacht mit dem Segen Amerikas und Europas, um die Länder am Golf ebenso wie die arabischen Länder zu schützen und die Stabilität zu hüten – auch dieser Schritt ist bereits vollzogen; die Schaffung eines vergrößerten Kurdistans, weil dies die iranischen, türkischen und irakischen Ambitionen schwächen wird – auch daran wird gearbeitet. Ebenso am Frieden im Jemen und an der Wiederbelebung des Hafens von Aden, weil beides die Beschäftigungsstatistiken am Golf ins Gleichgewicht bringen wird.

Hat die Tatsache, dass die riesige Kriegskoalition es nicht geschafft hat, den Hafen von al-Hudaida einzunehmen, den Jemen näher zum Frieden gebracht? Es sieht derzeit so aus. Vertreter der Houthis werden plötzlich zu Friedensgesprächen geladen. Die Vereinten Nationen sollen die Verwaltung des lebenswichtigen Hafens übernehmen – die Houthis haben bereits zugestimmt. In der ganzen Provinz gilt seit einiger Zeit ein Waffenstillstand.

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Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kopp Exklusiv.
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Quelle und Kommentare hier:
https://kopp-report.de/jemen-trotz-voelkermord-kein-sieg/