Im Land des betreuten Denkens

von Wolfgang Arnold

Ich kenne drei Arten von Menschen. Die einen glauben alles, was in der Zeitung steht, die anderen glauben nur Zwischertweets und die dritten glauben nur sich selbst. Zu Letzteren gehöre ich, mit Ausnahmen.

Aber wer sagt mir was ich glauben darf? Von denen, die mir sagen, was ich glauben „muss“, gibt es eine ganze Armada: Regierungssprecher, Agenturen, Nachrichtenvorbeter und die gesamte die eigene Meinungslosigkeit zu Markte tragende Zunft von Fernsehen, Funk und Presse.

Sie alle wollen mir das Denken abnehmen, damit ich nur in den Tag hineinleben kann. Sie gönnen mit viel Zeit für Fußball, Tatort und WhatsUp. Alles Dinge, die ich nicht brauche.

Früher gab es noch eine politische Debatte. Längst vergessen. Wenn Angela Merkel am Dienstag auf ihrer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko erklärte, sie habe keine Zweifel daran, dass in Syrien erneut Chemiewaffen eingesetzt wurden, läßt sie zwar offen, von welcher Seite der Einsatz kam. Sie läßt mich auch in den nächsten Sätzen raten, wer der Schuldige gewesen ist:

„Ich glaube, dass die Evidenz, dass dort Chemiewaffen eingesetzt wurden, sehr, sehr klar und sehr deutlich ist“, und weiter: „es ist schon erschütternd, muss ich sagen, dass nach so vielen internationalen Diskussionen und Ächtungen immer wieder dort Chemiewaffen eingesetzt werden. Und davon müssen wir leider ausgehen.“

Jawoll!!! Davon gehe ich auch aus. Aber die Menschen im Land verstehen das leider anders. Für die Mehrzahl steht fest, der Syrische Präsident hat die Chemiebrühe eigenhändig versprüht. So hat das Merkel in Poroschenkos Beisein nicht behauptet, aber im Land des betreuten Denkens läuft das genau so in den Köpfen ab. Fragen sie irgend jemanden auf der Straße oder ihre Nachbarn, alle werden behaupten, Assad sei´s gewesen.

Das Geschehen in Münster lief auf einer ähnlichen Schiene. Hat irgendjemand einen Verletzten oder einen Toten auf einem getwitterten Smartphone-Bild gesehen? Aber es standen zehn oder mehr Rettungswagen herum, jede Menge Polizei und vor dem Café Kiepenkerl lagen die Stühle kreuz und quer. Es hieß 3 Tote, 30 Verletzte und 1 Selbstmörder. Muss man dann weiter nachfragen? Oder verwundert nach den üblichen Handy-Bildern suchen? Es reicht doch, wenn der Minister von der Heimatfront die Rettungskräfte und die Polizei lobt. Auf allen Kanälen wurde berichtet, was ich glauben soll. Muss ich mir Gedanken machen, warum jemand durch die Straßen rast, weil er Menschen mit dem Auto töten will und sich am Ende selbst erschießt? Oder hat er sich am Ende nicht selbst erschossen? Nein, die Antwort gibt im Land des betreuten Denkens das Kopfkino.

Etwas Unsicherheit bleibt bei der Frage, warum die Russen plötzlich nicht mehr richtig töten können? Das hat doch in früheren Fällen besser geklappt. Oder wollten sie den Skripals nur einen ordentlichen Schrecken einjagen? Gab es keinen besseren Grund, um ganze Botschaftskompanien auszuweisen? Dürfen die Gesandschaften nun alle zurückkehren, nachdem die Skripals wieder wohlauf sind? Werden die Wirtschaftssanktionen aufgehoben? Oder – jetzt geht mir die Fantasie durch -: Sollte die russische Regierung unglaubwürdig erscheinen, wenn Lawrow Tage später Assad vor dem UNO-Sicherheitsrat in Schutz nehmen würde?

Bevor ich auf Glatteis gerate, sollte ich mich besser auf die Vordenker unter den Stützen der Gesellschaft verlassen.


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https://buntingen.de/im-land-des-betreuten-denkens/