Hamburger Richter soll Urteil „vorgeschrieben“ haben

von Jannina Schäffer

Justizskandal oder effiziente Arbeit? Das ist im Fall eines Hamburger Richters die große Preisfrage. Der Strafrichter soll ein Urteil gegen einen Umweltaktivisten bereits vor der Hauptverhandlung „vorgeschrieben“ haben.

Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist in Deutschland in Art. 101 GG und in § 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) geregelt. Es bedeutet, dass jeder einen Anspruch darauf hat, dass der zuständige Richter bereits vorab abstrakt bestimmt wird. Er hat unvoreingenommen und vorurteilsfrei über die Schuld des Angeklagten zu befinden. Die Regelung ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 GG. Ein Hamburger Strafrichter soll gegen diese Grundsätze verstoßen haben, indem er eines seiner Urteil bereits vor dem eigentlichen Prozess teilweise vorverfasste.

Aktennotiz mit Smiley

Vor dem Amtsgericht Hamburg-Harburg musste sich ein Umweltaktivist wegen des Vorwurfs der Nötigung und der Störung öffentlicher Betriebe nach § 316 b StGB verantworten. Der Mann hatte sich im Jahr 2014 als erklärter Atomkraftgegner an ein Bahngleis gekettet, um einen Urantransport zu blockieren. Der Angeklagte machte von seinem Recht auf Akteneinsicht Gebrauch und bekam zu diesem Zweck die Prozessakte ausgehändigt. In einer Seitentasche der Akte fand sich unter anderem ein weißes Blatt mit dem handschriftlichem Vermerk:

“Bitte vor der Akteneinsicht alle Unterlagen dringend aus der Vote entfernen. Danke”.

Die Notiz endete mit einem lächelnden Smiley.

Der Mann fand in der Seitentasche außerdem ein Blatt Papier mit der Überschrift “Urteilsverkündung”. Daneben stand, maschinell vorausgefüllt “Nötigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe” und handschriftlich “316 b FS bis 5 J. oder Geldstra”. Der Verteidiger des Umweltaktivisten geht auf Grund dieser Notizen davon aus, dass der Richter sich sein Urteil bereits vorab gebildet habe. Er sei somit befangen. Die Strafe möge zwar höher oder milder ausfallen, stünde jedoch dem Grunde nach bereits von Anfang an fest.

Das Hamburger Amtsgericht – namentlich der mit dem Ablehnungsgesuch befasste Richter – sah den Fall jedoch etwas anders. Er lehnte das Gesuch ab. Es gebe keinen Grund, an der Unvoreingenommenheit des zuständigen Richters zu zweifeln. Richter dürften sich bereits vor der Hauptverhandlung zur Vorbereitung auf ebendiese Notizen machen. Auch der Vermerk, nach dem die Unterlagen aus der Akte entfernt werden sollten, sei nichts Ungewöhnliches, da bestimmte Teile der Akte nicht vom Akteneinsichtsrecht umfasst seien. Unter anderem medizinische Gutachten, Auszüge aus dem Bundeszentralregister und richterliche Notizen.

Zettel angeblich von Vorgängerin

Der betroffene Richter behauptet außerdem, er habe von dem Notizzettel keine Kenntnis gehabt. Dieser sei von seiner Vorgängerin angefertigt und von ihm nicht gesichtet worden. Der Verteidiger des Umweltaktivisten ist jedoch der Ansicht, dass für einen Befangenheitsantrag nach § 24 StPO bereits die bloße Möglichkeit bzw. Besorgnis der Befangenheit ausreiche. Eine tatsächliche Verwertung der Notiz im Prozess sei nicht erforderlich.

Der Strafrechtsprofessor Matthias Jahn stellt sich jedoch auf die Seite des Amtsgerichts. Allein auf Grund einer gewissenhaften Sitzungsvorbereitung durch den Richter müsse nicht zwingend der Eindruck entstehen, dass sich der Richter bereits eine unumstößliche Meinung zum Fall gebildet habe:

“So lange noch erkennbar ist, dass der Richter für die Eindrücke aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung noch offen und aufnahmebereit ist, wird nicht von Befangenheit auszugehen sein. Etwas anderes kann sich aus den konkreten Unterlagen regelmäßig nur dann ergeben, wenn zentrale Elemente der Beweiswürdigung schon abschließend fixiert sind.”

Fundstelle:
nirgendwo.info/Scan (Scan der Notiz)
nirgendwo.info/Erklärung (Dienstliche Erklärung)
nirgendwo.info/Befangenheit (Ablehnung des Befangenheitsantrags)


Quelle und Kommentare hier:
https://justillon.de/2018/11/hamburger-richter-soll-urteil-vorgeschrieben-haben/